TE Vfgh Erkenntnis 1993/10/13 B701/93

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Veröffentlicht am 13.10.1993
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
EMRK Art7
DSt 1990 §5 ff
DSt 1990 §59
RL-BA 1977 §38

Leitsatz

Keine Bedenken gegen die Regelung der Haftung eines Rechtsanwalts für Honorar und Auslagen eines im Substitutionsweg in Anspruch genommenen ausländischen Anwalts; keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Verhängung einer Disziplinarstrafe wegen unterlassener Bezahlung eines solchen Honorars; keine Verletzung der Verfahrensgarantien des Art6 Abs1 EMRK durch die Zusammensetzung der im Disziplinarverfahren tätigen Kollegialorgane

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Wie dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 12957/1991 zu entnehmen ist, war der beschwerdeführende Rechtsanwalt mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer für Kärnten vom 13. Dezember 1989 für schuldig befunden worden, die Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes dadurch begangen zu haben, daß er "die aus der Konsultierung des Rechtsanwaltes (folgt Name) der Anwaltsgemeinschaft (folgt Name), London, am 29. Juli 1986 entstandene Honorarforderung vom 26. November 1986 nicht bezahlt" habe. Er war hiefür gemäß §12 Abs1 lita DSt. zur Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises und zum Kostenersatz verurteilt worden.

Die dagegen erhobene Berufung an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) war ohne Erfolg geblieben, jedoch hob der Verfassungsgerichtshof diesen Bescheid mit dem einleitend angeführten Erkenntnis VfSlg. 12957/1991 wegen Verletzung des Beschwerdeführers im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter auf.

2. Mit Ersatzbescheid gab die OBDK der Berufung Folge und verwies die Disziplinarsache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Kärnten zurück. Dieser befand den Beschwerdeführer mit Erkenntnis vom 29. Juni 1992 neuerlich der eingangs geschilderten Disziplinarvergehen für schuldig.

Der dagegen erhobenen Berufung des Beschwerdeführers wurde mit Erkenntnis der OBDK vom 18. Jänner 1993, Zl. 16 Bkd 3/92-8, wiederum keine Folge gegeben.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher die Verletzung in Rechten wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

4. Die OBDK als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in welcher sie den bekämpften Bescheid verteidigt und den Antrag stellt, der Beschwerde nicht Folge zu geben.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen;

1.1. Der dem angefochtenen Bescheid ua. zugrundeliegende §38 RL-BA 1977 lautet:

"§38. Nimmt der Rechtsanwalt die Mühewaltung eines ausländischen Rechtsanwaltes in Anspruch, so haftet er mangels abweichender Vereinbarung für dessen Honorar und Auslagen, falls er nicht seine Haftung ausdrücklich ausgeschlossen oder seine Partei dem ausländischen Rechtsanwalt eine unmittelbare Vollmacht erteilt hat."

1.2. Die Beschwerde behauptet, diese Regelung sei gesetzwidrig; mit ihr sei ein neuer zivilrechtlicher Haftungstatbestand geschaffen worden. Dazu sei jedoch der Österreichische Rechtsanwaltskammertag vom Gesetzgeber nicht ermächtigt worden. Die zivilrechtlichen Bestimmungen über den Vollmachtsvertrag und den Werkvertrag würden damit de facto außer Kraft gesetzt.

Weiters kritisiert die Beschwerde die "mangelnde Bestimmtheit" des ArtVI (§§37 bis 39) RL-BA 1977. Dieser Artikel sei mit "Substitutionsverkehr" überschrieben. Was darunter zu verstehen sei, werde nicht näher angegeben, doch sei der Begriff "eindeutig und klar". Er umfasse nämlich das Tätigwerden eines Rechtsanwaltes auf Grund eines ihm von einem anderen Rechtsanwalt erteilten Auftrages. Es handle sich dabei ausschließlich um ein Auftragsverhältnis zwischen zwei Rechtsanwälten. Würde jedoch ein Mandant seinen Rechtsanwalt beauftragen, einen anderen Rechtsanwalt für eine bestimmte Sache zu suchen und mit dieser zu betrauen, so unterliege das nicht diesem Begriff. §38 RL-BA 1977 sei daher auf einen Sachverhalt angewendet worden, der keine "Substitution" unter Anwälten darstelle. Sollten die Regeln der §§37 bis 39 RL-BA 1977 auf jede Art von rechtsanwaltsinternen Rechtsverhältnissen anwendbar sein, sei die Überschreibung dieser Vorschriften falsch und widersprüchlich. §38 RL-BA 1977 ermangle es daher an der erforderlichen Bestimmbarkeit und Klarheit, um sie für Normadressaten verständlich zu machen.

1.3. Die Beschwerde ist mit diesem Vorbringen nicht im Recht.

1.3.1. §38 RL-BA 1977 schafft nicht einen neuen zivilrechtlichen "Haftungstatbestand". Vielmehr stützt er sich - in Übereinstimmung mit den gefestigten Standesauffassungen - auf das geltende österreichische Recht, wobei im gegebenen Zusammenhang namentlich auf §863 Abs2 ABGB Bedacht zu nehmen ist, wonach in bezug auf die Bedeutung und Wirkung von Handlungen und Unterlassungen auf die im redlichen Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche Rücksicht zu nehmen ist. Insoferne gibt §38 RL-BA 1977 nichts anderes als die im redlichen Verkehr der Rechtsanwälte mit ausländischen Kollegen geltenden Gewohnheiten in Österreich (wie in zahlreichen anderen europäischen Ländern) wieder; es wird sohin die Bedeutung einzelner Handlungen eines Rechtsanwaltes bei Kontakten mit ausländischen Kollegen im Interesse des Klienten klargestellt. Dabei wird davon ausgegangen, daß der im unmittelbaren Nahverhältnis zum Klienten stehende Rechtsanwalt dessen finanzielle Verhältnisse entsprechend einzustufen und für eine allfällige Fehlbeurteilung einzustehen hat. Im übrigen aber kann der Rechtsanwalt durch entsprechendes Verhalten jegliche Haftung ausschließen. Der Verfassungsgerichtshof ist deshalb der Auffassung, daß durch §38 RL-BA 1977 kein eigener Haftungstatbestand geschaffen wird.

1.3.2. Aber auch die behauptete Unklarheit der bekämpften Regelung liegt nicht vor, kann doch aus §38 RL-BA 1977 hinreichend deutlich ihr Sinngehalt ermittelt werden. Wie der Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 11776/1988 ausgesprochen und näher begründet hat (vgl. auch VfGH 15.10.1992, V27/92), muß aus der Sicht des Art7 EMRK einer disziplinären Verurteilung zu Grunde liegen, daß sie wegen einer Verletzung von Berufspflichten oder wegen eines Verstoßes gegen Ehre und Ansehen des Standes erfolgt, die sich aus gesetzlichen Regelungen oder aus gefestigten Standesauffassungen ergeben, die in einer dem Klarheitsgebot entsprechenden Bestimmtheit feststehen; das ist hier der Fall.

In Wirklichkeit behauptet die Beschwerde gar nicht, §38 RL-BA 1977 sei unklar, sondern die Unklarheit ergebe sich daraus, daß ArtVI mit "Substitutionsverkehr" überschrieben sei, §38 aber mehr als diesen erfasse. Auch damit wird aber keinerlei Verfassungs- oder Gesetzwidrigkeit, sondern nur dargetan, daß die Überschrift nicht zweckmäßig gewählt sei. Gewiß können auch Überschriften zu Paragraphen bzw. Abschnitten einer generellen Rechtsnorm zur Ermittlung des Norminhaltes herangezogen werden (vgl. zur Beachtlichkeit von Präambeln VfSlg. 3669/1959, 7338/1974, 9238/1981, 12184/1989) bzw. kann einem Verordnungstitel (VfSlg. 6887/1972) normativer Inhalt zukommen. Doch bestehen jedenfalls weder Bedenken gegen §38 RL-BA 1977, noch dagegen, daß aus Sicht der Beschwerde die Überschrift zu deren ArtVI hinter dem Inhalt des §38 zurückbleibt (dies im übrigen auch nur dann, wenn man von jener engen Bedeutung der Substitution wie die Beschwerde ausgeht, was keineswegs zwingend erscheint); denn diesfalls erweist sich nur die in der Beschwerde vorgenommene Begriffsbildung als verfehlt.

1.3.3. Der Verfassungsgerichtshof hegt daher insgesamt gegen §38 RL-BA 1977 unter dem Gesichtspunkt des vorliegenden Beschwerdefalles keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

2.1. Ferner behauptet die Beschwerde, die im Rahmen des Disziplinarstatutes in I. und II. Instanz tätigen Organe seien nicht als "Tribunale" iS des Art6 EMRK anzusehen. Das im Verfahren I. Instanz tätige Organ sei gänzlich mit Berufskonkurrenten des Disziplinarbeschuldigten besetzt; auch die II. Instanz sei immer noch zur Hälfte mit diesen besetzt. Die für ein unabhängiges Tribunal erforderlichen Kriterien seien daher nicht erfüllt.

2.2. Zur Widerlegung der Beschwerdebehauptung, die OBDK sei kein Tribunal iS des Art6 EMRK, genügt es, auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfSlg. 11512/1987, 11776/1988, 11879/1988) zu verweisen. Entscheidet jedoch in letzter Instanz ein Tribunal, so ist dem Art6 EMRK Genüge getan (vgl. etwa VfSlg. 11500/1987).

Im übrigen hegt der Verfassungsgerichtshof auch keine Zweifel an der Unabhängigkeit der Mitglieder des Disziplinarrates, gehört es doch zum Wesen der Disziplinargerichtsbarkeit, wenn und soweit sie, wie bei den Rechtsanwälten, im Rahmen der Selbstverwaltung geübt wird, daß sie von Angehörigen derselben Gruppe (mit)getragen ist (vgl. VfSlg. 11657/1988, 12589/1990). Auch bieten für die verfassungsrechtlich geforderte Unabhängigkeit insbesondere §7 Abs1 (Dauer der Bestellung - vgl. VfSlg. 8317/1978, 8501/1979, 11512/1987, 11879/1988, VfGH 7.10.1992, B724/92, vom selben Tag, B725/92), §14 Abs1 (Weisungsfreiheit - dazu grundsätzlich VfSlg. 8215/1977), §25 (Zuständigkeitsübertragung bei Befangenheit) und die weitreichenden Möglichkeiten des §26 (Ausschluß, Befangenheit und Ablehnungsrecht) des DSt. 1990, BGBl. 474, entsprechende Garantien. Schließlich sind nach §77 Abs3 DSt. 1990 die Bestimmungen der Strafprozeßordnung auch insoweit sinngemäß anzuwenden, als sich aus dem DSt. 1990 nichts anderes ergibt und die Anwendung der strafprozessualen Bestimmungen mit den Grundsätzen und Eigenheiten des Disziplinarverfahrens vereinbar ist. Weiters sind auch im Disziplinarverfahren die fundamentalen Grundsätze eines fairen Verfahrens zu beachten (VfSlg. 10163/1984).

Die dem Bescheid zugrundeliegenden Rechtsvorschriften widersprechen sohin nicht Art6 Abs1 EMRK, weshalb sich der Verfassungsgerichtshof nicht veranlaßt sieht, in eine Prüfung der §§5 ff. bzw. 59 DSt. 1990 einzutreten.

3.1. Der Beschwerdeführer wurde somit durch den angefochtenen Bescheid nicht wegen Anwendung einer generellen Norm in seinen Rechten verletzt.

3.2. Der Beschwerdeführer beantragt zwar auch, den angefochtenen Bescheid wegen Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte aufzuheben, trägt dazu jedoch überhaupt nichts vor. Im verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren ist auch nicht hervorgekommen, daß eine solche Verletzung stattgefunden hat.

3.3. Die Beschwerde war deshalb als unbegründet abzuweisen.

4. Da die OBDK als Behörde nach Art133 Z4 B-VG

eingerichtet ist und die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes nicht ausdrücklich für zulässig erklärt wurde, war der Antrag auf Abtretung der Beschwerde abzuweisen.

III. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz, und Z2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Berufsrecht Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte, fair trial, Tribunal, Behördenzusammensetzung, Haftung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1993:B701.1993

Dokumentnummer

JFT_10068987_93B00701_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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