Index
001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AVG §68 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des Arbeitsmarktservice Mödling gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. März 2019, W228 2213396-1/4E, betreffend Arbeitslosengeld (mitbeteiligte Partei: Ing. A S, vertreten durch Dr. Peter Zawodsky, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Gumpendorfer Straße 71/10), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 1.1. Der Mitbeteiligte stellte am 13. Jänner 2014 (gültig mit diesem Tag) einen Antrag auf Arbeitslosengeld, der mit Bescheid des Arbeitsmarktservice (AMS) vom 18. April 2014 mangels Erfüllung der Anwartschaft abgewiesen wurde. Die dagegen erhobene Beschwerde des Mitbeteiligten wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 11. Juli 2018 als unbegründet abgewiesen.
Am 12. Jänner 2017 stellte der Mitbeteiligte nach zwischenzeitiger Erlangung einer Anwartschaft erneut einen Antrag auf Arbeitslosengeld, dem stattgegeben wurde.
1.2. Am 13. September 2017 stellte der Mitbeteiligte - unter Berufung auf seine mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. September 2017 festgestellte Vollversicherung nach dem ASVG von Mai 1994 bis Dezember 2008 (vgl. dazu auch VwGH 8.7.2019, Ra 2017/08/0119) - einen Antrag auf Nachzahlung des ihm zustehenden Arbeitslosengelds von Jänner 2009 bis mindestens Oktober 2013, sowie - wenn er ab dann keine Pension erhalte - auf unbestimmte Zeit weiter.
Das AMS wertete dieses Begehren unstrittig als Antrag auf Wiederaufnahme und sprach mit Bescheid vom 12. Oktober 2017 aus, dass dem „Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens vom 13.09.2017 ab Jänner 2009 bis Oktober 2013 bzw. ab Oktober 2013 auf unbestimmte Zeit“ gemäß § 69 AVG keine Folge gegeben werde. Begründend führte das AMS nach Wiedergabe des § 69 AVG aus, da „im Zeitraum Jänner 2009 bis Oktober 2013 keine Antragstellung bzw. Bescheiderstellung erfolgte“, sei „auch kein Verfahren für eine Wiederaufnahme anhängig“. Dem Antrag auf Zuerkennung des Arbeitslosengelds vom 13. Jänner 2014 sei mit Bescheid vom 18. April 2014 keine Folge gegeben worden; ein Beschwerdeverfahren sei anhängig, sodass (auch insofern) kein rechtskräftiger Bescheid vorliege.
Die dagegen erhobene Beschwerde des Mitbeteiligten wurde vom AMS mit Beschwerdevorentscheidung als verspätet zurückgewiesen, der Vorlageantrag wurde ebenso als verspätet zurückgewiesen und die dagegen erhobene Beschwerde des Mitbeteiligten mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Juli 2018 als unbegründet abgewiesen.
1.3. Am 27. August 2018 stellte der Mitbeteiligte den hier gegenständlichen Antrag auf rückwirkende Zuerkennung von Arbeitslosengeld ab Jänner 2010.
Das AMS wies den Antrag mit Bescheid vom 24. September 2018 wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurück. Begründend führte es nach Wiedergabe der genannten Gesetzesbestimmung aus, der Antrag vom 13. September 2017 sei mit Bescheid vom 12. Oktober 2017 aus dem Grund, dass in den Jahren 2009 bis 2013 keine Antragstellung erfolgt sei, abgewiesen worden; die dagegen erhobene Beschwerde sei als verspätet zurückgewiesen worden.
2 2.1. Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis hob das Bundesverwaltungsgericht - in Stattgebung der Beschwerde des Mitbeteiligten - den Bescheid vom 24. September 2018 gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG auf.
Das Bundesverwaltungsgericht traf Feststellungen über den Inhalt und Verlauf der vorangehenden Verfahren (vgl. oben Punkte 1.1. und 1.2.). Zudem hielt es fest, dass über das gegenständliche Leistungsbegehren für die Zeit von 1. Februar (gemeint wohl: von Jänner) 2010 bis 12. Jänner 2014 noch nicht abgesprochen worden sei.
Rechtlich folgerte das Bundesverwaltungsgericht, nach der Rechtsprechung zu § 68 AVG dürfe über ein und dieselbe Rechtssache nur einmal rechtskräftig entschieden werden. Mit der Rechtskraft sei die Wirkung verbunden, dass die unanfechtbar und unwiderruflich erledigte Sache nicht neuerlich entschieden werden könne (Wiederholungsverbot). Einer nochmaligen Entscheidung stehe das Prozesshindernis der entschiedenen Sache entgegen.
Gegenständlich habe der Mitbeteiligte mit Antrag vom 27. August 2018 die Zuerkennung von Arbeitslosengeld rückwirkend ab 1. Februar (gemeint: ab Jänner) 2010 begehrt. Nach den Feststellungen liege den vorangehenden Entscheidungen des AMS freilich kein Abspruch über ein Leistungsbegehren von 1. Februar (gemeint: von Jänner) 2010 bis 12. Jänner 2014 zugrunde. Folglich sei keine rechtskräftig entschiedene Sache gegeben.
2.2. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
3 3. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die außerordentliche Revision, zu der der Mitbeteiligte - nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung erstattete.
4 4. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.
Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
5 5.1. Das AMS macht zur Zulässigkeit der Revision im Wesentlichen geltend, die Ausführungen im angefochtenen Erkenntnis, den vorangehenden Verfahren sei kein Abspruch über das gegenständliche Leistungsbegehren von 1. Februar (gemeint: von Jänner) 2010 bis 12. Jänner 2014 zu entnehmen, seien nicht korrekt. Der Mitbeteiligte begehre Arbeitslosengeld für einen Zeitraum, der von den in Rechtskraft erwachsenen Entscheidungen über die Anträge vom 13. September 2017 und vom 13. Jänner 2014 mitumfasst gewesen sei. So sei mit Bescheid vom 12. Oktober 2017 dargelegt worden, dass es keine Antragstellung in den Jahren 2009 bis 2013 gegeben habe, was aber Voraussetzung für einen Leistungsbezug wäre, sodass ein Anspruch nicht rückwirkend geltend gemacht werden könne. Mit Bescheid vom 18. April 2014 sei der Antrag auf Arbeitslosengeld ab 13. April 2014 mangels Erfüllung der Anwartschaft rechtskräftig verneint worden. Auch eine Änderung der Sach- und Rechtslage sei nicht eingetreten. Folglich sei sehr wohl über das Leistungsbegehren für den Zeitraum von 1. Februar (gemeint: von Jänner) 2010 bis 12. Jänner 2014 bereits rechtskräftig abgesprochen worden und daher der Antrag vom 27. August 2018 wegen entschiedener Sache zurückzuweisen gewesen.
5.2. Mit diesem Vorbringen zeigt das AMS keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG auf.
6 6.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs darf über in Rechtskraft erwachsene Entscheidungen (grundsätzlich) nicht mehr in merito entschieden werden. Die Beachtung rechtskräftiger Entscheidungen zählt zu den Grundsätzen eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens. Auch die Entscheidung eines Verwaltungsgerichts wird mit ihrer Erlassung rechtskräftig, wobei alle Parteien einen Anspruch auf Beachtung der Rechtskraft haben (vgl. VwGH 24.5.2016, Ra 2016/03/0050, mwN).
In dem Zusammenhang ist die einschlägige Rechtsprechung zu § 68 AVG sinngemäß heranzuziehen, woraus abzuleiten ist, dass über ein und dieselbe Rechtssache nur einmal rechtskräftig zu entscheiden ist. Mit der Rechtskraft ist die Wirkung verbunden, dass die unanfechtbar und unwiderruflich erledigte Sache nicht neuerlich entschieden werden kann (Wiederholungsverbot). Einer nochmaligen Entscheidung steht das Prozesshindernis der entschiedenen Sache entgegen (vgl. VwGH 28.4.2017, Ra 2017/03/0027).
6.2. Bei der Prüfung des Vorliegens einer entschiedenen Sache ist auch vom Verwaltungsgericht von der rechtskräftigen Vorentscheidung auszugehen, ohne deren sachliche Richtigkeit nochmals zu überprüfen. Es soll dadurch die wiederholte Aufrollung einer bereits entschiedenen Sache - ohne nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage - verhindert werden. Die objektive (sachliche) Grenze der Rechtskraftwirkung wird durch die entschiedene Sache, also die Identität der Rechtssache, über die bereits mit einer rechtskräftigen Entscheidung abgesprochen wurde, mit der nunmehr vorliegenden (in einem neuen Antrag intendierten) Entscheidung bestimmt (vgl. VwGH 17.2.2015, Ra 2014/09/0029).
7 7.1. Wie aus der oben dargestellten Verfahrensübersicht hervorgeht, wertete das AMS den Antrag vom 13. September 2017 (auf Nachzahlung des Arbeitslosengelds von Jänner 2009 bis Oktober 2013 und bei ausbleibendem Pensionsbezug darüber hinaus) unstrittig als Antrag auf Wiederaufnahme und sprach darüber mit Bescheid vom 12. Oktober 2017 dahingehend ab, dass dem „Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens vom 13.09.2017 ab Jänner 2009 bis Oktober 2013 bzw. ab Oktober 2013 auf unbestimmte Zeit“ gemäß § 69 AVG keine Folge gegeben werde.
Begründend führte es aus, da „im Zeitraum Jänner 2009 bis Oktober 2013 keine Antragstellung bzw. Bescheiderstellung erfolgte“, sei „auch kein Verfahren für eine Wiederaufnahme anhängig“. Der Antrag vom 13. Jänner 2014 sei mit Bescheid vom 18. April 2014 abgewiesen worden, wobei über die Beschwerde noch nicht entschieden sei und daher kein rechtskräftiger Bescheid vorliege.
7.2. Dem Spruch und auch der Begründung des Bescheids vom 12. Oktober 2017 ist somit zu entnehmen, dass das AMS materiell über einen Wiederaufnahmeantrag absprach und dabei die sachlichen Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme verneinte. Wie das Verwaltungsgericht - jedenfalls nicht unvertretbar - erkannte, ist jenem in Rechtskraft erwachsenen Bescheid, dessen sachliche Richtigkeit hier nicht zu überprüfen ist, somit kein materieller Abspruch über ein Leistungsbegehren auf Nachzahlung eines Arbeitslosengelds ab Jänner 2009 bis mindestens Oktober 2013 und darüber hinaus zu entnehmen. Daran kann insbesondere auch der Hinweis in der Bescheidbegründung, wonach „im Zeitraum Jänner 2009 bis Oktober 2013 keine Antragstellung bzw. Bescheiderstellung erfolgte“, nichts ändern. Mit diesem Hinweis wurde zum Ausdruck gebracht, dass es mangels Antragstellung bzw. Bescheiderlassung im betreffenden Zeitraum kein Verfahren gegeben habe, dessen Wiederaufnahme ausgesprochen werden könnte. Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass damit über ein Leistungsbegehren auf Nachzahlung von Arbeitslosengeld ab Jänner 2009 normativ abgesprochen worden wäre.
7.3. Nach dem Vorgesagten wurde sohin mit dem in Rechtskraft erwachsenen Bescheid vom 12. Oktober 2017 nicht über einen Antrag auf Nachzahlung des Arbeitslosengelds ab Jänner 2009 rechtskräftig abgesprochen. Folglich lag aber - wie das Verwaltungsgericht ohne aufzugreifenden Rechtsirrtum erkannte - keine Identität jener Sache mit dem hier gegenständlichen Begehren vor und stand somit der dortige Abspruch einer Entscheidung über den Antrag vom 27. August 2018 auf rückwirkende Zuerkennung von Arbeitslosengeld ab Jänner 2010 nicht entgegen.
8 8.1. Wie sich aus der oben dargestellten Verfahrensübersicht weiters ergibt, wies das AMS mit Bescheid vom 18. April 2014 - bestätigt mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Juli 2018 - den Antrag des Mitbeteiligten vom 13. Jänner 2014 auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld (gültig ab diesem Tag) ab.
8.2. Dieser rechtskräftigen Entscheidung kommt vorliegend schon deshalb keine Bedeutung zu, weil das Verwaltungsgericht den gegenständlichen Antrag vom 27. August 2018 dahingehend deutete, dass damit die rückwirkende Zuerkennung von Arbeitslosengeld für den Zeitraum von Jänner 2010 bis (lediglich) 12. Jänner 2014 begehrt werde. Von einer derartigen zeitlichen Begrenzung ging auch das AMS in der Revision aus, wenn es (unter anderem) ausführte, es sei sehr wohl über das Leistungsbegehren für den Zeitraum von 1. Februar (gemeint: von Jänner) 2010 bis 12. Jänner 2014 rechtskräftig abgesprochen worden und daher der Antrag vom 27. August 2018 wegen entschiedener Sache zurückzuweisen gewesen.
In Anbetracht dessen lag (auch) keine Identität der rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag vom 13. Jänner 2014 mit dem hier gegenständlichen Antrag vor.
9 9. Insgesamt wird in der Revision keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war deshalb gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
10 10. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere auf § 51 VwGG, in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 15. Dezember 2022
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2019080086.L00Im RIS seit
30.01.2023Zuletzt aktualisiert am
30.01.2023