Index
001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
ABGB §6Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie die Hofräte Mag. Berger, Mag. Stickler und Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision der Wiener Gebietskrankenkasse (nunmehr: Österreichische Gesundheitskasse), vertreten durch die Preslmayr Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Universitätsring 12, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Oktober 2017, W201 2010262-1/20E, betreffend Auslegung eines Gesamtvertrags (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landesschiedskommission für Wien; mitbeteiligte Partei: Ärztekammer für Wien, vertreten durch die Spitzauer & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Stock-im-Eisen-Platz 3), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat der mitbeteiligten Ärztekammer Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 1. Die Revisionswerberin (im Folgenden: Kasse) schloss im Jahr 1987 bzw. im Jahr 2004 mit zwei Fachärzten für Hygiene und Mikrobiologie (im Folgenden: Hygieneärzte) sowie im Lauf der Zeit auch mit einer nicht näher bekannten Anzahl von Fachärzten (samt Gruppenpraxen) für medizinische und chemische Labordiagnostik (im Folgenden: Laborärzte) Einzelverträge ab.
Inhalt der Einzelverträge (vgl. § 341 Abs. 3 ASVG) im fallbezogen maßgeblichen Zeitraum in den Jahren 2006, 2007, 2009, 2010 und 2012 (im Folgenden: maßgeblicher Zeitraum) waren die Gesamtverträge vom 1. Jänner 2004 und vom 1. Jänner 2011 samt Zusatzvereinbarungen. Vertragsgegenstand waren insbesondere auch die Honorarregelungen (vgl. § 342 Abs. 1 Z 3 ASVG), welche Differenzierungen unter anderem bei der Honorierung der ärztlichen Leistungen etwa durch Festlegung gesonderter Tarife vorsahen. So war auch für die Leistungen der Laborärzte ein spezieller Tarif (Laborkatalog) vorgesehen.
Die Honorarregelungen enthielten aber auch anderweitige Bestimmungen, etwa über die (hier im Blick stehende) Begrenzung der jährlichen Honorarsumme (unter anderem durch Deckelung bzw. Degression für bestimmte Fachgebiete). Derartige Regelungen wurden auch für die Laborärzte insbesondere im VI. Zusatzprotokoll vom 25. April 2006, im VII. Zusatzprotokoll vom 26. Juni 2007 und im XVIII. Zusatzprotokoll vom 14. Dezember 2010 (jeweils zum Gesamtvertrag vom 1. Jänner 2004) sowie im I. Zusatzprotokoll vom 14. Dezember 2010 (zum Gesamtvertrag vom 1. Jänner 2011) getroffen. Darin wurde unter anderem festgehalten, dass sich die Bestimmungen auf die von den „Vertragsfachärzten für medizinische und chemische Labordiagnostik abgerechnete [kurative] Honorarsumme“ bezögen, dass die vorgesehene Degression zur Auszahlung eines verringerten Entgelts „an die Fachgruppe für medizinische und chemische Labordiagnostik“ führe sowie dass die Deckelung „zu Lasten der Fachgruppe“ (für medizinische und chemische Labordiagnostik) gehe. Auf die Hygieneärzte wurde in den betreffenden Regelungen nicht Bezug genommen. Sie wurden erstmals in der Punktation vom 28. November 2013 erwähnt, mit der ab Jänner 2013 eine Begrenzung der jährlichen Honorarsumme für die Laborärzte „inkl. den Vertragsfachärztinnen/-ärzten für Hygiene und Mikrobiologie“ vorgesehen wurde.
2 2.1. Mit Antrag vom 8. Oktober 2013 begehrte die mitbeteiligte Ärztekammer (im Folgenden: Kammer) bei der belangten Behörde (im Folgenden: Schiedskommission) die Feststellung, dass Inhalt der gesamtvertraglichen Vereinbarung für die Laborärzte die durch diese abgerechnete kurative Honorarsumme und nicht auch die an die Hygieneärzte ausbezahlte Honorarsumme sei, dass also bei der Berechnung der von den Laborärzten erreichten Honorarsumme die von den Hygieneärzten abgerechnete Honorarsumme unberücksichtigt zu bleiben habe. Die Kammer brachte dazu im Wesentlichen vor, die Kasse habe aufgrund der gesamtvertraglich ab einer bestimmten Honorarsumme vorgesehenen Degression im maßgeblichen Zeitraum ein näher beziffertes Honorar an die Laborärzte nicht ausbezahlt. Der Kammer sei erst im Zuge der Honorarverhandlungen im Jahr 2013 durch Eingeständnis der Kasse erkennbar geworden, dass diese bei der Berechnung der Honorarsumme der Laborärzte auch die Honorare der Hygieneärzte einbezogen habe. Diese im selben Umfang zur Verkürzung der Laborärzte führende Einbeziehung sei gesamtvertragswidrig erfolgt, eine diesbezügliche zwingend schriftliche Vereinbarung sei nicht getroffen worden.
2.2. Die Kasse begehrte die Antragsabweisung und wendete ein, für die Fachgruppe Hygiene und Mikrobiologie (im Folgenden: Fachgruppe Hygiene) habe nie eine gesonderte Honorarregelung mit einem eigenen Leistungskatalog bestanden. Die Honorierung sei im Einvernehmen zwischen den Gesamtvertragsparteien stets nach der Honorarordnung für die Fachgruppe medizinische und chemische Labordiagnostik (im Folgenden: Fachgruppe Labordiagnostik) erfolgt. Die beiden Fachgruppen seien somit in Bezug auf den Leistungskatalog niemals „getrennt“ gewesen. Die Zuordnung der Hygieneärzte zu einer anderen Fachgruppe (etwa Pathologie) sei nie in Rede gestanden, weil die Leistungen nur im Laborkatalog vollständig abgebildet seien. Die in den Vereinbarungen nicht erwähnten Hygieneärzte seien daher seit jeher der Fachgruppe Labordiagnostik zugeordnet und folglich auch in die Honorarsumme der Laborärzte eingerechnet worden, was der Kammer hätte bekannt sein müssen.
3 3.1. Mit Bescheid vom 27. März 2014 wies die Schiedskommission den Antrag der Kammer ab. Sie führte begründend aus, für die Hygieneärzte liege kein eigener Tarif vor, sodass die Anwendung eines anderen Tarifs durch Auslegung zu klären sei. Fest stehe, dass die Hygieneärzte Leistungen erbrächten, die im Tarif der Laborärzte aufgelistet seien und nach diesem Tarif honoriert würden. Über eine Sonderstellung und einen eigenen Tarif der Hygieneärzte sei nie verhandelt worden, aufgrund der Identität der Leistungen mit jenen der Laborärzte habe dazu auch kein Anlass bestanden. Die Hygieneärzte würden daher mit den Laborärzten „gleichbehandelt“, folglich sei auch ihr Honorar in die Honorarsumme der Laborärzte einzubeziehen (gewesen). Den Vertragsparteien wäre es freigestanden, eine andere Regelung zu treffen, sei doch bekannt gewesen, dass die Hygieneärzte einem anderen Sonderfach angehörten. Der Kammer sei die Abrechnung der Hygieneärzte nach dem Laborkatalog bekannt gewesen, nicht jedoch die Einbeziehung in die Honorarsumme der Laborärzte; sie hätte sich davon aber Kenntnis verschaffen können.
3.2. Gegen diesen Bescheid erhob die Kammer Beschwerde mit dem Vorbringen, aus den Zusatzprotokollen zum Gesamtvertrag ergebe sich zum einen, dass die Vergütung der einzelnen Leistungen nach einem bestimmten Tarif (dem Laborkatalog) zu erfolgen habe. Zum anderen fänden sich auch Limitierungsregelungen, wonach die Honorierung der Leistungen der Fachgruppe Labordiagnostik degressiv sei. Die Auslegung der betreffenden Bestimmungen gemäß § 6 ABGB ergebe, dass zwar die von den Hygieneärzten erbrachten Leistungen aufgrund der Identität mit jenen der Laborärzte nach dem für diese geltenden Tarif zu honorieren seien. Das bedeute aber keineswegs, dass auch die Limitierungsregelungen (für die Laborärzte) auf die Hygieneärzte anzuwenden seien. Richtigerweise habe die Anwendung des Tarifs für die Laborärzte auf die Leistungen der Hygieneärzte mit den Limitierungsregelungen bezüglich der Honorarsumme der Laborärzte nichts zu tun. Die betreffenden Regelungen gälten daher schon nach der Wortinterpretation ausschließlich für die Fachgruppe Labordiagnostik und nicht (auch) für die Fachgruppe Hygiene. Eine gegenteilige zudem Schriftform erfordernde Vereinbarung habe es bis zur Punktation vom 28. November 2013 nicht gegeben. Die Kammer habe (bis zum Jahr 2013) auch keine Kenntnis von der Einbeziehung der Hygieneärzte in die Limitierungsregelungen für die Laborärzte gehabt.
4 4.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: Verwaltungsgericht) der Beschwerde der Kammer statt und sprach die von dieser beantragte Feststellung aus.
4.2. Das Verwaltungsgericht führte begründend aus, strittig sei lediglich die Frage, ob die - im maßgeblichen Zeitraum mangels eines gesonderten Tarifs für die Hygieneärzte nach der Honorarordnung für die Laborärzte (dem Laborkatalog) abgerechneten und ausbezahlten - Honorare der Hygieneärzte in die Honorarsumme der Laborärzte einzubeziehen seien (oder nicht).
Was die in diesem Zusammenhang erforderliche Auslegung der Honorarregelungen betreffe, so seien diese dem normativen Teil des Gesamtvertrags zuzuordnen und daher nach den Grundsätzen für die Gesetzesinterpretation (§§ 6 f ABGB) auszulegen. Demnach sei primär der Wortsinn zu erforschen und zu fragen, welche Bedeutung einem Ausdruck bzw. Satz nach dem allgemeinen Sprachgebrauch des Gesetzgebers zukomme. Nur wenn auf diese Weise kein eindeutiges Ergebnis erzielt werde, sei insbesondere auch der Regelungszusammenhang der Norm zu berücksichtigen. Anhaltspunkte für die Interpretation könnten auch aus der (näher erörterten) Judikatur zur Auslegung von Kollektivverträgen gewonnen werden, wonach es ebenso in erster Linie auf den Wortsinn ankomme und die Parteiabsicht nur insoweit zu berücksichtigen sei, als diese im Normtext Niederschlag gefunden habe. Ferner folge auch aus der (näher erörterten) rechtlichen Beschaffenheit (vor allem dem Einigungscharakter) des Gesamtvertrags als Vereinbarung zwischen kollektiven Verbänden die Vermutung der inhaltlichen Richtigkeit, erhoffe sich doch der Gesetzgeber, indem er das freie Spiel der Kräfte zur Anwendung bringe, einen gerechten Interessenausgleich.
Fallbezogen ergebe sich im Rahmen der Auslegung zunächst und sei auch nicht strittig, dass für die Hygieneärzte keine gesonderte Honorarordnung vereinbart worden sei und ihre Leistungen daher nach der Honorarordnung für die Laborärzte (dem Laborkatalog) abgerechnet würden. Es handle sich dabei um ein Problem des sogenannten „kassenfreien Raums“, wozu in der Judikatur vertreten werde, dass auch bei Fehlen einer Satzungsregelung eine angemessene Kostenerstattung bestimmt werden müsse. Vorliegend sei daher mangels eines gesonderten Tarifs für die Hygieneärzte aufgrund der zum Teil identischen Leistungen die Honorarordnung für die Fachgruppe Labormedizin heranzuziehen. Als unzulässig erweise sich allerdings die Einrechnung der Honorare der Hygieneärzte in die Honorarsumme der Fachgruppe Labordiagnostik. Wie aus den im maßgeblichen Zeitraum geltenden Gesamtverträgen samt Zusatzprotokollen hervorgehe, werde in sämtlichen Honorarvereinbarungen und auch in den Degressionsbestimmungen nur die Fachgruppe Labordiagnostik genannt, die Hygieneärzte würden erstmals in der Punktation im Jahr 2013 erwähnt. Folglich ergebe die Wortinterpretation gemäß § 6 ABGB keinen Hinweis darauf, dass die Honorarsumme der Fachgruppe Hygiene in die Honorarsumme der Fachgruppe Labordiagnostik einzurechnen wäre. Die Abgeltung der einzelnen Leistungen der Hygieneärzte unter hilfsweiser Heranziehung der Honorarordnung für die Laborärzte rechtfertige (jedenfalls) nicht auch die Einrechnung der Honorarsumme der Hygieneärzte in das Gesamthonorar der Fachgruppe Labordiagnostik. Eine solche Einbeziehung würde zu einem früheren Schlagendwerden der Degressionsregelungen und damit zur finanziellen Schädigung der Laborärzte führen.
4.3. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung zu der Frage fehle, „ob eine degressive Honorarregelung für eine Vertragsfacharztgruppe zur Anwendung kommen darf, die nicht ausdrücklich in den entsprechenden Vereinbarungen genannt ist und nur hilfsweise für die Honorierung ihrer Leistungen eine Tarifgruppe mit ähnlichem Leistungskatalog heranzieht“.
5 5. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die - Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend machende - ordentliche Revision der Kasse mit einem Abänderungs- bzw. Aufhebungsantrag. Die Kammer erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision zurück- bzw. hilfsweise abzuweisen.
6 6. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.
7 7. Vorliegend ist die Revision zulässig, weil zu der strittigen Auslegungsfrage Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs fehlt. Die Revision ist aber nicht berechtigt.
8 8.1. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend festhielt, sind Gesamtverträge in ihrem normativen Teil - zu dem auch die Honorarregelungen zu zählen sind - nach den Grundsätzen der §§ 6 f ABGB auszulegen (OGH RIS-Justiz RS0124647; VwGH 30.1.2018, Ro 2017/08/0019).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist Gegenstand der Auslegung gemäß § 6 ABGB grundsätzlich der Normtext als Träger des in ihm niedergelegten Sinns, um dessen Verständnis es geht. Die Auslegung hat daher mit der Erforschung des Wortsinns zu beginnen, wobei zu fragen ist, welche Bedeutung einem Ausdruck oder Satz nach dem allgemeinen Sprachgebrauch des Gesetzgebers zukommt (vgl. VwGH 29.5.2015, Ro 2014/17/0011; 19.12.2017, Ro 2017/08/0017). Demnach ist bei der Auslegung gemäß § 6 ABGB grundsätzlich vom Vorrang des Wortlauts auszugehen; es ist nach der objektiven Methode die Frage zu beantworten, was der (kundgemachte) Normtext bedeutet. Ergibt sich bereits dadurch ein klares Ergebnis, so ist dieses maßgebend. Lässt also der Wortlaut (Wortsinn) keine Zweifel offen, so ist für eine teleologische Auslegung kein Raum (vgl. VwGH 16.12.2008, 2007/09/0385; zum Vorrang von Wortlaut und Wortinterpretation auch VwGH 23.2.2001, 98/06/0240, sowie neuerlich Ro 2017/08/0019).
8.2. Vorliegend wurden - wie schon festgehalten wurde (vgl. Punkt 1.) - im maßgeblichen Zeitraum in mehreren Zusatzprotokollen zum Gesamtvertrag unter anderem Regelungen über die Begrenzung der jährlichen Honorarsumme für die Laborärzte getroffen. Dabei wurde ausdrücklich festgehalten, dass sich die Bestimmungen auf die von den „Vertragsfachärzten für medizinische und chemische Labordiagnostik abgerechnete [kurative] Honorarsumme“ bezögen, dass die vorgesehene Degression zur Auszahlung eines (näher festgelegten) verringerten Entgelts „an die Fachgruppe für medizinische und chemische Labordiagnostik“ führe sowie dass die Deckelung „zu Lasten der Fachgruppe“ (für medizinische und chemische Labordiagnostik) gehe. Auf die Hygieneärzte wurde bei all dem mit keinem Wort Bezug genommen, ihre Erwähnung und Einbeziehung in die Honorarlimitierung erfolgte erst mit der Punktation im Jahr 2013.
Ausgehend davon ist das Verwaltungsgericht jedoch im Rahmen der Interpretation gemäß § 6 ABGB zutreffend zum Ergebnis gelangt, dass sich die im maßgeblichen Zeitraum in den Honorarregelungen vorgesehene Deckelung bzw. Degression ausschließlich auf die Honorarsumme der Laborärzte und nicht auch auf jene der Hygieneärzte beziehe, wurden diese doch (bis zur Punktation im Jahr 2013) in keiner Weise erwähnt. Demnach erbrachte bereits die objektive Auslegung nach dem Wortlaut (Wortsinn) ein klares und eindeutiges Ergebnis, sodass - entgegen dem Revisionsvorbringen der Kasse - für eine weitergehende Interpretation nach anderen Methoden grundsätzlich kein Raum mehr besteht (vgl. VwGH 9.7.1991, 89/12/0236; u.a.).
9 9.1. Soweit die Kasse geltend macht, das Verwaltungsgericht hätte sich nicht auf die Wortinterpretation beschränken dürfen, sondern auch andere Auslegungsmethoden heranziehen müssen, führt sie im Übrigen auch nicht konkret aus und ist für den Verwaltungsgerichtshof nicht zu sehen, inwiefern das Verwaltungsgericht bei der Anwendung weitergehender Auslegungsmethoden zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen müssen.
9.2. So hat insbesondere der Umstand, dass die Leistungen der Hygieneärzte mangels eines gesonderten Tarifs im Einvernehmen zwischen den Gesamtvertragsparteien nach dem Laborkatalog zu honorieren waren, keineswegs zur Folge, dass deshalb auch alle sonstigen Bestimmungen der Honorarordnung für die Laborärzte - vor allem die hier im Blick stehende Begrenzung der jährlichen Honorarsumme durch Deckelung bzw. Degression - auf die Hygieneärzte anzuwenden waren.
Eine allfällige gegenteilige Absicht der Gesamtvertragsparteien hat in den Honorarregelungen jedenfalls keinen Niederschlag gefunden (vgl. erneut VwGH Ro 2017/08/0019: zur Irrelevanz einer Motivlage ohne Niederschlag im Normtext). Gegen eine solche Absicht spricht fallbezogen zudem, dass in der Vergangenheit schon andere Fachärzte in eine Limitierungsregelung der Laborärzte einbezogen wurden (etwa die Fachärzte für Pathologie durch das III. Zusatzprotokoll vom 2. Mai 1990 zum Gesamtvertrag vom 25. Juni 1956), dabei jedoch - wie zuletzt auch bei der Einbeziehung der Hygieneärzte mit der Punktation vom 28. November 2013 - (jeweils) eine ausdrückliche Regelung getroffen wurde.
Weiters sind auch keine Anhaltspunkte für einen zwingenden gegenteiligen Regelungszweck zu sehen. Daran vermag die Bestimmung des § 342 Abs. 2 letzter Satz ASVG nichts zu ändern, wonach die Gesamtverträge eine Begrenzung der Ausgaben der Träger der Krankenversicherung enthalten sollen. Den Gesamtvertragsparteien kommt insofern nämlich ein weiter Gestaltungsspielraum zu, mit welchen Mitteln eine derartige angemessene Begrenzung erreicht werden soll (vgl. VfGH 24.9.2002, B 1658/01 = VfSlg. 16.607). Die genannte Bestimmung erfordert daher keineswegs, dass für verschiedene ärztliche Fachgebiete - selbst bei (wie hier) zum Teil übereinstimmenden Leistungen und einvernehmlicher Honorierung nach demselben Tarifkatalog - zwingend identische Honorarbegrenzungen vorzusehen wären.
9.3. Soweit die Kasse moniert, das Verwaltungsgericht habe eine gebotene Lückenschließung durch Analogie gemäß § 7 ABGB unterlassen, genügt es, auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs hinzuweisen, wonach die analoge Anwendung verwandter Rechtsvorschriften das Bestehen einer echten Regelungslücke voraussetzt, wobei im Zweifel eine auftretende Lücke als beabsichtigt anzusehen ist. Sind jedoch - wovon fallbezogen auszugehen ist (vgl. bereits Punkt 8.) - die im Blick stehenden Regelungen klar und eindeutig und lässt sich - wie hier - eine planwidrige Unvollständigkeit nicht erkennen, so besteht auch für die Anwendung einer Analogie kein Raum (vgl. VwGH 9.3.1990, 88/17/0182).
10 10.1. Die Kasse releviert, es fehle Rechtsprechung zu der Frage, ob in Bezug auf die Hygieneärzte die Judikatur zum „kassenfreien Raum“ heranzuziehen sei. Auf diese Judikatur sei bislang abgestellt worden, wenn in einem anwendbaren Leistungskatalog einzelne Positionen fehlten, die Versicherten daraufhin die Leistungen (bei einem Wahlarzt) in Anspruch nahmen und in der Folge vom Versicherungsträger Kostenersatz begehrten. Fallbezogen gehe es hingegen darum, dass das Honorar einer Fachgruppe nicht gesondert geregelt sei und die Leistungen daher nach dem Tarifkatalog einer anderen Gruppe abgerechnet würden. Zudem sei fraglich, ob die betreffende Judikatur angesichts der geänderten Rechtslage (Hinweis auf § 342 Abs. 2 ASVG) überhaupt noch aufrechterhalten werden könne.
10.2. Der Judikatur zum „kassenfreien Raum“ (vgl. dazu näher OGH 14.4.1994, 10 ObS 264/93) kommt fallbezogen keine Bedeutung zu. Wie die Kasse zutreffend ausführt, liegt keine Konstellation (Fehlen einer gesamtvertraglichen Regelung für bestimmte Leistungen) vor, zu der die in Rede stehende Judikatur entwickelt wurde. Vorliegend verfügten die Hygieneärzte zwar über keinen eigenen Leistungskatalog, auf sie kam jedoch unstrittig im Einvernehmen zwischen den Gesamtvertragsparteien der Tarif für die Laborärzte (Laborkatalog) zur Anwendung. Folglich lag der Honorierung der Leistungen eine gesamtvertragliche Regelung zugrunde und kommt somit die Judikatur vom „kassenfreien Raum“ nicht zum Tragen.
Dass sich das Verwaltungsgericht auf diese Judikatur bezog, ist im Ergebnis unschädlich, ging es doch letztlich ebenso von der Honorierung der Leistungen der Hygieneärzte nach dem Laborkatalog aus. Strittig ist auch nicht die Honorierung der Leistungen an sich, strittig ist allein, ob die an die Hygieneärzte ausbezahlten Honorare in die Begrenzung der jährlichen Honorarsumme der Laborärzte einzubeziehen waren. Zu dieser Frage ist jedoch aus der Judikatur zum „kassenfreien Raum“ nichts zu gewinnen.
11 11.1. Die Kasse macht geltend, gemäß § 345 Abs. 2 Z 1 ASVG erstrecke sich die Zuständigkeit der Schiedskommission auf Streitigkeiten zwischen den Gesamtvertragsparteien über die Auslegung oder die Anwendung eines „bestehenden“ Gesamtvertrags. Es fehle Rechtsprechung zu der Frage, ob damit gemeint sei, dass der Gesamtvertrag im Zeitpunkt der Antragstellung bzw. Entscheidung noch in Geltung sein müsse. Zudem fehle Rechtsprechung zu der Frage, ob ein rechtliches Interesse bestehe, wenn die begehrte Feststellung nur der Erleichterung der Geltendmachung von Honoraransprüchen durch die betroffenen Vertragsfachärzte dienen solle und die Ansprüche - wie hier - inzwischen ohnedies verfristet bzw. verjährt seien.
11.2. Wie der Verwaltungsgerichtshof schon ausgesprochen hat, ist aus dem gesetzlichen Erfordernis des Vorliegens von Streitigkeiten zwischen den Gesamtvertragsparteien über die Auslegung eines bestehenden Gesamtvertrags abzuleiten, dass rein theoretisch-abstrakte Auslegungsfragen nicht in die Kompetenz der Schiedskommission fallen. Die Entscheidung einer Auslegungsstreitigkeit setzt demnach einen bestimmten Sachverhalt voraus, dessen anhand des Gesamtvertrags vorzunehmende rechtliche Beurteilung zwischen den Gesamtvertragsparteien strittig ist, mit der Folge, dass diese Auffassungsdivergenz über die Auslegung zu einer Gefährdung der Rechtssphäre der antragstellenden Partei führt (vgl. VwGH 11.5.2021, Ra 2019/08/0128; VfGH 10.12.2009, B 1804/08 = VfSlg. 18.943).
Mit dem Erfordernis, dass es sich um eine Streitigkeit über die Auslegung eines „bestehenden“ Gesamtvertrags handeln muss, wird zum Ausdruck gebracht, dass eine Änderung oder Ergänzung eines Gesamtvertrags nicht in die Zuständigkeit der Schiedskommission fällt (vgl. neuerlich VwGH Ra 2019/08/0128; VfGH 25.9.2000, B 425/99 = VfSlg. 15.906). Dieser obliegt vielmehr nur die Auslegung eines bestehenden Gesamtvertrags, wobei strittige Frage auch der (gegenwärtige oder allenfalls frühere) Bestand des Gesamtvertrags sein kann (vgl. in dem Sinn Frank in SV-Komm (229. Lfg.), § 345 ASVG Rz. 13, mwN). Bereits daraus folgt aber, dass es nicht zwingend darauf ankommt, dass der Gesamtvertrag im Zeitpunkt der Antragstellung bzw. Entscheidung noch in Geltung stand.
11.3. Die Entscheidung der Auslegungsstreitigkeit durch die Schiedskommission setzt - wie schon gesagt - unter anderem voraus, dass die Auffassungsdivergenz über die Auslegung zu einer Gefährdung der Rechtssphäre der antragstellenden Partei führt. Eine solche Gefährdung nahm das Verwaltungsgericht an, indem es unter anderem hervorhob, dass die Einbeziehung der Hygieneärzte in die Honorarsumme der Laborärzte zu einem früheren Schlagendwerden der Degressionsregelungen und damit zur finanziellen Schädigung der Laborärzte führen würde. Dass fallbezogen eine Gefährdung der Rechtssphäre der Kammer ausgeschlossen wäre, wurde von der Kasse im Verfahren vor der Schiedskommission und vor dem Verwaltungsgericht nicht behauptet. Das erstmals in der Revision erhobene diesbezügliche Vorbringen verstößt (zum Teil) gegen das Neuerungsverbot und ist jedenfalls nicht so konkret und substanziiert ausgeführt, um eine Gefährdung der Rechtssphäre der Kammer ausschließen zu können.
12 12.1. Die Kasse behauptet ferner diverse Verfahrensmängel. Demnach habe das Verwaltungsgericht die Grundsätze der Amtswegigkeit und der Manuduktionspflicht verletzt (indem es den Parteien kaum Fragen gestellt und den strittigen Sachverhalt nicht hinreichend ermittelt habe). Weiters habe es gegen die Begründungspflicht verstoßen, indem es die Tatsachenfeststellungen, die Beweiswürdigung und die rechtliche Beurteilung unvollständig ausgeführt habe. Es habe insbesondere auch keine Gesamtwürdigung der divergierenden Ergebnisse der in Betracht kommenden Auslegungsmethoden angestellt.
12.2. Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG führt nur dann zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, wenn das Verwaltungsgericht bei Einhaltung der Verfahrensvorschriften zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können, wenn also der Mangel relevant im Sinn eines möglichen Einflusses auf die angefochtene Entscheidung sein könnte und der Revisionswerber eine solche Relevanz durch ein konkretes tatsächliches Vorbringen aufzuzeigen vermochte (vgl. VwGH 22.4.2022, Ra 2021/13/0087; vgl. zur notwendigen Relevanzdarstellung bei den angesprochenen Mängeln auch VwGH 15.3.2021, Ra 2020/22/0077; 2.9.2020, Ra 2016/08/0006 [zur Verletzung der Amtswegigkeit bzw. Manuduktionspflicht]; 4.10.2018, Ra 2018/22/0174 [zur Verletzung der Begründungspflicht]).
Vorliegend ist der Revision eine Relevanzdarstellung im soeben erörterten Sinn nicht zu entnehmen. Die behaupteten Verfahrensmängel werden nicht näher präzisiert, sondern nur allgemein und pauschal, überwiegend auch ohne konkrete Bezugnahme auf den gegenständlichen Fall unterstellt. Es wird insbesondere nicht konkret und substanziiert dargelegt, inwiefern das Verwaltungsgericht bei Unterbleiben der gerügten Mängel weitere Verfahrensschritte gesetzt hätte und inwieweit es dadurch zu anderen Tatsachenannahmen sowie letztlich zu einer für die Kasse günstigeren Entscheidung gelangt wäre.
13 13.1. Die Kasse macht schließlich geltend, das Verwaltungsgericht habe - indem es den von der Kammer beantragten Ausspruch getätigt habe - eine „völlig unverständliche“ Feststellung getroffen, sodass das Begehren auch deshalb abzuweisen gewesen wäre.
13.2. Dieser Vorwurf ist unbegründet, ist doch der vom Verwaltungsgericht antragsgemäß ausgesprochenen Feststellung der Inhalt (noch) hinreichend deutlich zu entnehmen. Im Übrigen dürfen die Anforderungen an die Bestimmtheit des Spruchs nicht überspannt werden (vgl. VwGH 20.12.2016, Ro 2014/03/0035) und darf neben dem in erster Linie maßgeblichen Wortlaut des Spruchs auch die Begründung der Entscheidung als Auslegungshilfe herangezogen werden (vgl. VwSlg. 7869 A/1970, u.v.a.), wobei es genügt, wenn sich aus der Einbeziehung der Begründung in die Auslegung des Spruchs der Inhalt der Entscheidung mit ausreichender Deutlichkeit ergibt (vgl. VwGH 21.9.2017, Ra 2016/22/0068, mwN). Dass fallbezogen die vom Verwaltungsgericht ausgesprochene Feststellung selbst bei Heranziehung der Entscheidungsgründe unklar wäre, wird auch von der Kasse nicht behauptet.
14 14. Die Revision war daher insgesamt gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
15 15. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Für den von der Kammer begehrten (weiteren) Ausspruch, wonach ihr die Kasse „gemäß § 351j Abs. 1 ASVG“ auch die „im verwaltungsgerichtlichen Verfahren entstandenen Kosten im gesetzlichen Ausmaß“ zu ersetzen habe, besteht (für den Verwaltungsgerichtshof) keine Rechtsgrundlage.
Wien, am 20. Dezember 2022
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden VwRallg3/2 Rechtsgrundsätze Allgemein Anwendbarkeit zivilrechtlicher Bestimmungen Verträge und Vereinbarungen im öffentlichen Recht VwRallg6/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RO2018080001.J00Im RIS seit
30.01.2023Zuletzt aktualisiert am
30.01.2023