TE Vwgh Erkenntnis 2022/12/20 Ra 2021/08/0144

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Veröffentlicht am 20.12.2022
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht
40/01 Verwaltungsverfahren
62 Arbeitsmarktverwaltung
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze

Norm

AlVG 1977 §12 Abs3 litb
AlVG 1977 §12 Abs6 litc
AlVG 1977 §24 Abs1
AlVG 1977 §24 Abs2
AlVG 1977 §25 Abs1
AlVG 1977 §36a Abs5 Z1
AlVG 1977 §36a Abs7
AlVG 1977 §36b Abs1
AlVG 1977 §36b Abs2
AlVG 1977 §36c Abs5
AlVG 1977 §38
AVG §37
BAO §198
VwRallg
  1. BAO § 198 heute
  2. BAO § 198 gültig ab 19.04.1980 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 151/1980

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie die Hofräte Mag. Stickler, Mag. Cede und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision des Z K in D, vertreten durch Dr. Emelle Eglenceoglu, Rechtsanwältin in 6800 Feldkirch, Gilmstraße 2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Oktober 2021, I416 2245416-1/11E, I416 2245536-1/6E und I416 2245537-1/6E, betreffend Widerruf und Rückforderung von Notstandshilfe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Arbeitsmarktservice Dornbirn),

Spruch

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie sich gegen den nach § 24 Abs. 2 iVm. § 38 AlVG ergangenen Ausspruch über den Widerruf der Notstandshilfe des Revisionswerbers richtet, zurückgewiesen.

II. zu Recht erkannt:

Im Übrigen, somit hinsichtlich der Rückforderung der Notstandshilfe nach § 25 Abs. 1 iVm. § 38 AlVG, wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit dem - in teilweiser Bestätigung und teilweiser Abänderung einer Beschwerdevorentscheidung der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Dornbirn (AMS) ergangenen - angefochtenen Erkenntnis widerrief das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 2 iVm. § 38 AlVG den Bezug der Notstandshilfe durch den Revisionswerber in den Zeiträumen von 1. bis 13. Jänner 2014, 17. Jänner 2014, 10. Februar 2014 bis 8. März 2014, 11. März 2014 bis 7. Mai 2014, 1. Jänner 2017 bis 10. August 2017, 6. September 2017 bis 25. Oktober 2017, 28. Oktober 2017 bis 11. November 2017, 19. November 2017 bis 31. Dezember 2017, 1. bis 31. Jänner 2018, 1. bis 5. März 2018, 6. August 2018 bis 27. September 2018, 30. September 2018 bis 8. Oktober 2018 und 23. Oktober 2018 bis 31. Dezember 2018 und verpflichtete den Revisionswerber gemäß § 25 Abs. 1 iVm. § 38 AlVG zur Rückzahlung der in diesen Zeiträumen zu Unrecht empfangenen Notstandshilfe in der Höhe von insgesamt € 20.190,08. Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht für nicht zulässig.

2        Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, der Revisionswerber sei - mit Unterbrechungen aufgrund von Krankheit bzw. unselbständiger Erwerbstätigkeit - seit dem Jahr 2011 im Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung gestanden. Er sei vom AMS über seine Verpflichtung zur Meldung von Änderungen seiner wirtschaftlichen Situation nach § 50 Abs. 1 AlVG belehrt und darauf hingewiesen worden, dass dem AMS Einkommen- bzw. Umsatzsteuerbescheide binnen 14 Tagen unaufgefordert vorzulegen seien. Seit dem Jahr 2013 gehe der Revisionswerber durchgehend einer selbständigen Erwerbstätigkeit nach, die er dem AMS auch gemeldet habe. Gegenüber dem AMS habe er dazu monatlich Erklärungen über sein Einkommen und über seine Umsätze in näher bezeichneter Höhe abgegeben. Nach diesen Erklärungen seien das Einkommen und der Umsatz jeweils unter den Grenzen, ab denen Arbeitslosigkeit zu verneinen sei, gelegen.

3        Hinsichtlich der aus der selbständigen Erwerbstätigkeit des Revisionswerbers in den Jahren 2014, 2017 und 2018 erzielten Umsätze seien Umsatzsteuerbescheide ergangen; und zwar für 2014 am 24. Juli 2015, für 2017 am 23. April 2018 und für 2018 am 20. Jänner 2020. Nach diesen Bescheiden habe der Umsatz 2014 € 55.745,04, 2017 € 52.176,04 und 2018 € 84.702,99 betragen. Da der Revisionswerber die Umsatzsteuerbescheide nicht unaufgefordert vorgelegt habe, habe das AMS erst im Mai 2021 Kenntnis von diesen Bescheiden erlangt, worauf mit Bescheiden vom 17. Mai 2021 und 7. Juni 2021 der Widerruf und die Rückforderung der Leistungen erfolgt seien.

4        In rechtlicher Hinsicht folgerte das Bundesverwaltungsgericht, aus den Umsatzsteuerbescheiden ergebe sich, dass 11,1% des monatlich aus der selbständigen Tätigkeit des Revisionswerbers erzielten Umsatzes (§ 36b AlVG) die Geringfügigkeitsgrenze nach § 5 Abs. 2 ASVG in den Jahren 2014, 2017 und 2018 jeweils überstiegen habe. Der Revisionswerber gelte daher in diesen Jahren nicht als arbeitslos im Sinn von § 12 Abs. 3 lit. b iVm. Abs. 6 lit. c AlVG, sodass die Leistungen nach § 24 Abs. 2 AlVG zu widerrufen gewesen seien.

5        Der erste Rückforderungstatbestand des § 25 Abs. 1 AlVG werde durch die Erschleichung einer Leistung mittels unwahrer Angaben verwirklicht, wobei mittelbarer Vorsatz (dolus eventualis) gefordert werde. Bei diesem Rückforderungstatbestand sei - anders als bei einer Rückforderung nach dem zweiten Satz des § 25 Abs. 1 AlVG (erkennbar gemeint: § 25 Abs. 1 dritter Satz AlVG) - die Höhe des zurückzufordernden Betrages nicht begrenzt. Zu beachten sei, dass der Revisionswerber gegenüber dem AMS zu korrekten und vollständigen Angaben in jedem Antrag und jeder Erklärung verpflichtet gewesen sei. Weiters habe die Verpflichtung bestanden, auch jede Änderung seiner wirtschaftlichen oder persönlichen Verhältnisse zu melden. Der Revisionswerber sei seiner Verpflichtung zur Vorlage der Umsatzsteuerbescheide nicht nachgekommen. Aus den Umsatzsteuerbescheiden ergebe sich weiters, dass die vom Revisionswerber gegenüber dem AMS erstatteten Erklärungen über seine Umsätze unrichtig gewesen seien. Diese unwahren Angaben hätten zu einem ungerechtfertigten Leistungsbezug geführt. Da der Revisionswerber somit sowohl seine Verpflichtung zur Meldung von Änderungen seiner wirtschaftlichen Situation als auch seine Pflicht zur Vorlage der Umsatzsteuerbescheide verletzt habe, seien die Rückforderungstatbestände nach § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG der „unwahren Angaben“ sowie der „Verschweigung maßgebender Tatsachen“ erfüllt.

6        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem das AMS eine Revisionsbeantwortung erstattet hat, erwogen hat:

Zu Spruchpunkt I.:

7        Hinsichtlich des Ausspruches über den Widerruf der Notstandshilfe wird zur Zulässigkeit der Revision geltend gemacht, es treffe nicht zu, dass der Revisionswerber Umsätze aus seiner selbständigen Erwerbstätigkeit erzielt habe, durch die die Grenze überschritten worden wäre, ab der Arbeitslosigkeit zu verneinen sei. Das Bundesverwaltungsgericht habe insbesondere außer Acht gelassen, dass dem Revisionswerber im Jahr 2018 für den Wareneinkauf Ausgaben in der Höhe von € 69.853,93 entstanden seien. Diese Ausgaben seien gegenzurechnen.

8        Gemäß § 12 Abs. 3 lit. b AlVG gilt insbesondere nicht als arbeitslos, wer selbständig erwerbstätig ist. Als arbeitslos gilt nach § 12 Abs. 6 lit. c AlVG jedoch, wer selbständig erwerbstätig ist bzw. selbständig arbeitet und daraus ein Einkommen gemäß § 36a AlVG erzielt oder im Zeitraum der selbständigen Erwerbstätigkeit bzw. der selbständigen Arbeit einen Umsatz gemäß § 36b AlVG erzielt, wenn weder das Einkommen zuzüglich Sozialversicherungsbeiträge, die als Werbungskosten geltend gemacht wurden, noch 11,1 vH des Umsatzes die im § 5 Abs. 2 ASVG angeführten Beträge übersteigt.

9        Gemäß § 24 Abs. 2 AlVG ist, wenn die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes gesetzlich nicht begründet war, die Zuerkennung zu widerrufen.

10       Nach § 36b Abs. 1 AlVG wird der Umsatz auf Grund des Umsatzsteuerbescheides für das Kalenderjahr, in dem die Leistung nach diesem Bundesgesetz bezogen wird, festgestellt. Bis zum Vorliegen dieses Bescheides ist der Umsatz auf Grund einer jeweils monatlich im Nachhinein abzugebenden Erklärung des selbständig Erwerbstätigen und geeigneter Nachweise festzustellen. Nach § 36b Abs. 2 AlVG gilt als monatlicher Umsatz bei durchgehender selbständiger Erwerbstätigkeit ein Zwölftel des sich ergebenden Jahresumsatzes, bei nur vorübergehender selbständiger Erwerbstätigkeit der anteilsmäßige Umsatz in den Monaten, in denen selbständige Erwerbstätigkeit vorlag. Bis zum Vorliegen des Umsatzsteuerbescheides für das betreffende Kalenderjahr ist der Umsatz in einem bestimmten Kalendermonat jeweils durch Zusammenrechnung des für diesen Kalendermonat nachgewiesenen Umsatzes mit den für frühere Kalendermonate desselben Kalenderjahres nachgewiesenen Umsätzen geteilt durch die Anzahl der Monate im Kalenderjahr, für die eine Umsatzerklärung vorliegt, zu ermitteln.

11       Diese Bestimmungen sind gemäß § 38 AlVG auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

12       Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist das AMS - bzw. im Beschwerdeverfahren das Bundesverwaltungsgericht - bei der Entscheidung über den Widerruf und die Rückforderung eines Notstandshilfebezuges an den Spruch des Einkommen- und Umsatzsteuerbescheides gebunden, wobei diese Regelung der Erleichterung des praktischen Vollzuges des AlVG in Bezug auf die dort geregelten Geldleistungen dient (vgl. etwa VwGH 19.10.2011, 2009/08/0210, mwN).

13       11,1% der in den Einkommensteuerbescheiden für die Jahre 2014, 2017 und 2018 festgestellten Umsätze des Revisionswerbers aus seiner selbständigen Tätigkeit haben unstrittig im Sinn des § 12 Abs. 6 lit. c AlVG die jeweils zeitraumbezogen anzuwendende Geringfügigkeitsgrenze nach § 5 Abs. 2 ASVG überschritten. Unter Berücksichtigung der Bindung an diese Bescheide ist das Bundesverwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der Revisionswerber nicht als arbeitslos anzusehen war und daher die Voraussetzungen des Bezugs von Notstandshilfe nicht vorlagen.

14       Hinsichtlich des Widerrufs der Notstandshilfe werden in der Revision somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher insoweit gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Zu Spruchpunkt II.:

15       Zur Rückforderung der Notstandshilfe nach § 25 Abs. 1 AlVG wird in der Revision unter dem Gesichtspunkt ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen geltend gemacht, das Bundesverwaltungsgericht habe die Rückforderung darauf gestützt, dass der Revisionswerber sich die Leistung erschlichen bzw. den Bezug durch unwahre Angaben herbeigeführt hätte. Diese Annahmen hätten jedoch ein vorsätzliches Handeln des Revisionswerbers vorausgesetzt. Vorsätzlich unrichtige Angaben seien vom Revisionswerber jedoch nicht gemacht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht festgestellt worden. Dass die Leistungen ihm allenfalls nicht zugestanden wären, sei dem Revisionswerber erstmals durch die Bescheide des AMS zur Kenntnis gelangt.

16       Die Revision ist insoweit im Ergebnis zulässig und berechtigt.

17       § 25 Abs. 1 AlVG lautet auszugsweise:

„§ 25. (1) Bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung einer Leistung ist der Empfänger des Arbeitslosengeldes zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen mußte, daß die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte. Die Verpflichtung zum Ersatz des empfangenen Arbeitslosengeldes besteht auch dann, wenn im Falle des § 12 Abs. 8 das Weiterbestehen des Beschäftigungsverhältnisses festgestellt wurde, sowie in allen Fällen, in denen rückwirkend das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses festgestellt oder vereinbart wird. Der Empfänger einer Leistung nach diesem Bundesgesetz ist auch dann zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn sich ohne dessen Verschulden auf Grund eines nachträglich vorgelegten Einkommensteuer- oder Umsatzsteuerbescheides ergibt, daß die Leistung nicht oder nicht in diesem Umfang gebührte; in diesem Fall darf jedoch der Rückforderungsbetrag das erzielte Einkommen nicht übersteigen. [...]“

18       Die Rückforderungstatbestände nach § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG setzen ein Verschulden des Leistungsbeziehers voraus, wobei die ersten beiden Tatbestände bei Vorliegen eines bedingten Vorsatzes verwirklicht werden, während der dritte Tatbestand eine (nicht näher definierte) Diligenzpflicht statuiert (vgl. etwa zuletzt VwGH 19.5.2022, Ra 2020/08/0177, mwN). Eine Rückersatzpflicht auf Grund eines der beiden ersten im § 25 Abs. 1 AlVG genannten Tatbestände setzt zudem voraus, dass die unwahren Angaben bzw. das Verschweigen maßgebender Tatsachen den Leistungsbezug „herbeigeführt“ haben, somit für diesen kausal waren (vgl. VwGH 16.2.2011, 2007/08/0150, mwN); erforderlich ist also, dass eine rechtzeitige und korrekte Meldung potentiell die objektiv gesetzwidrige Auszahlung verhindern hätte können (vgl. VwGH 29.6.2016, Ra 2016/08/0100, mwN).

19       Die Regelungen über die - für die Beurteilung der Arbeitslosigkeit nach § 12 Abs. 3 lit. b iVm. Abs. 6 lit. c AlVG erforderliche - Ermittlung des Umsatzes und Einkommens der selbständig Erwerbstätigen gehen auf die AlVG-Novelle BGBl. I Nr. 148/1998 zurück. Der Gesetzgeber wollte damit im Hinblick auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfGH 5.3.1998, G 284/97, VfSlg. 15.117) klarstellen, dass ausschließlich „das Einkommen bzw. der Umsatz im Kalenderjahr des Leistungsbezuges maßgeblich“ ist. Es ist also lediglich das Einkommen aus den Monaten dieses einen Kalenderjahres zu berücksichtigen (vgl. VwGH 11.12.2013, 2013/08/0200, unter Hinweis auf AB 1304 BlgNR 20. GP 3). Dabei ist hinsichtlich der Feststellung des Umsatzes in § 36b Abs. 1 AlVG - nicht anders als hinsichtlich der Feststellung des Einkommens der Personen, die zur Einkommensteuer veranlagt werden, nach § 36a Abs. 7 AlVG (vgl. insoweit aus der ständigen Rechtsprechung VwGH 16.2.2022, Ro 2021/08/0005) - ein zweistufiges Verfahren vorgesehen. Danach ist der Umsatz zunächst auf Grund einer jeweils monatlich im Nachhinein abzugebenden Erklärung der selbständig Erwerbstätigen und geeigneterer Nachweise festzustellen. Die endgültige Beurteilung erfolgt dann nach dem ersten Satz des § 36b Abs. 1 AlVG auf Grund des Umsatzsteuerbescheides für das Kalenderjahr, in dem die Leistung nach diesem Bundesgesetz bezogen wird (vgl. idS VwGH 3.10.2002, 97/08/0602).

20       An diese endgültige Beurteilung des Anspruchs auf Grund eines - grundsätzlich immer erst nach dem Bezugszeitraum vorliegenden - Einkommensteuer- oder Umsatzsteuerbescheides knüpft die erleichterte Rückforderungsmöglichkeit nach § 25 Abs. 1 dritter Satz AlVG an. Dabei wird ein Verschulden des Leistungsempfängers am unberechtigten Empfang nicht verlangt, der Rückforderungsbetrag aber auf das erzielte Einkommen beschränkt (vgl. zu diesem Tatbestand näher nochmals etwa VwGH Ro 2021/08/0005, mwN). Auf § 25 Abs. 1 dritter Satz AlVG hat das Bundesverwaltungsgericht die Rückforderung der Leistung aber ausdrücklich nicht gestützt und daher auch die insoweit erforderlichen Feststellungen zum erzielten Einkommen nicht getroffen.

21       Das Bundesverwaltungsgericht hat die Rückforderung nach dem ersten und dem zweiten Tatbestand des § 25 Abs. 1 AlVG (unwahre Angaben bzw. das Verschweigen maßgebender Tatsachen) zunächst damit begründet, dass die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2014, 2017 und 2018 dem AMS nicht unmittelbar nach deren Erlassung vorgelegt worden sind. Mit diesen Ausführungen wird aber übersehen, dass die Umsatzsteuerbescheide erst nach dem jeweiligen Bezugszeitraum ergangen sind. Die - entgegen der Verpflichtung nach § 36c Abs. 5 AlVG - vom Revisionswerber unterlassene Vorlage der Umsatzsteuerbescheide war daher für die Gewährung der Notstandshilfe nicht kausal, sodass schon deshalb (allein) dadurch der erste und der zweite Rückforderungstatbestand nach § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG nicht erfüllt werden können (vgl. idS nochmals VwGH 2009/08/0210, mwN).

22       Die Rückforderung nach den ersten beiden Tatbeständen des § 25 Abs. 1 AlVG wird durch das Bundesverwaltungsgericht weiters darauf gegründet, dass die monatlich gegenüber dem AMS abgegebenen Erklärungen des Revisionswerbers über seine Umsätze in den Jahren 2014, 2017 und 2018 unrichtig gewesen seien und der Revisionswerber damit eine Meldung einer Änderung seiner maßgeblichen wirtschaftlichen Verhältnisse im Sinn des § 50 Abs. 1 AlVG unterlassen habe. Auch insoweit wäre aber zunächst die Kausalität für den Leistungsbezug zu untersuchen gewesen. Dabei ist zu beachten, dass nach § 36b Abs. 1 AlVG die Feststellung des Umsatzes zunächst auf Grund „monatlich im Nachhinein“ abzugebender Erklärungen und geeigneter Nachweise zu erfolgen hat, die Erklärungen somit erst nach Ablauf des jeweiligen Monats, in dem bereits ein Bezug erfolgt ist, zu erstatten sind.

23       Nach dem zweiten Satz des § 36b Abs. 2 AlVG ist (bis zum Vorliegen des Umsatzsteuerbescheides für das betreffende Kalenderjahr) ausgehend von diesen Erklärungen bzw. Nachweisen der Umsatz in einem bestimmten Kalendermonat jeweils durch Zusammenrechnung des für diesen Kalendermonat nachgewiesenen Umsatzes mit den für frühere Kalendermonate desselben Kalenderjahres nachgewiesenen Umsätzen geteilt durch die Anzahl der Monate im Kalenderjahr, für die eine Umsatzerklärung vorliegt, zu ermitteln. Die Ermittlung der Umsätze aus selbständiger Tätigkeit erfolgt somit während des Kalenderjahres - wie nach § 36a Abs. 7 das Einkommen - rollierend, wobei die sich auf Grund der Erklärungen und Nachweise ergebenden monatlichen Beträge summiert und durch die Anzahl der Monate geteilt werden (vgl. idS VwGH 23.5.2012, 2011/08/0138; AB 1304 BlgNR 20. GP 3).

24       Ergibt sich auf Grund der abgegebenen Erklärungen während des laufenden Kalenderjahres im Sinn des § 36b Abs. 2 AlVG, dass der monatliche Umsatz die Grenze überschreitet, bei der nach § 12 Abs. 6 lit. c AlVG keine Arbeitslosigkeit mehr anzunehmen ist, kann dies zur Einstellung des Bezuges gemäß § 24 Abs. 1 AlVG - somit zu einer Beendigung des weiteren Bezuges - für das restliche Kalenderjahr führen (vgl. idS VwGH 14.10.2009, 2007/08/0060). Unrichtige Erklärungen nach § 36b Abs. 1 AlVG während des Kalenderjahres können somit aber nur für den Bezug der Leistung kausal sein, der in einem Zeitraum erfolgt ist, in dem bei Abgabe richtiger monatlicher Erklärungen sich im Sinn des § 36b Abs. 2 AlVG ein die Arbeitslosigkeit ausschließender Umsatz ergeben hätte. Um insoweit eine Kausalität hinsichtlich des Bezugs in einzelnen Zeiträumen darzulegen, wären daher Feststellungen zu den Umsätzen (vgl. zu diesem Begriff nochmals VwGH 2007/08/0060) erforderlich, die tatsächlich monatlich im Nachhinein zu melden gewesen wären. Ergibt sich in diesem Sinn eine Kausalität unrichtig erstatteter Erklärungen hinsichtlich des monatlichen Umsatzes für die zu Unrecht erbrachte Leistung bzw. einen Teil der Leistung des Kalenderjahres, wäre weiters eine Auseinandersetzung mit dem Vorliegen eines bedingten Vorsatzes bei Abgabe der unrichtigen Erklärungen erforderlich.

25       Das Bundesverwaltungsgericht hat jedoch die in diesem Sinn erforderlichen Feststellungen zur Beurteilung des Bestehens einer Kausalität der Erstattung unrichtiger Erklärungen für den in den verfahrensgegenständlichen Zeiträumen erfolgten Bezug der Leistung nicht getroffen. Wie die Revision zutreffend darlegt, hat das Bundesverwaltungsgericht sich weiters auch nicht mit der Vorsätzlichkeit der Erstattung unrichtiger Erklärungen zum monatlichen Umsatz durch den Revisionswerber auseinandergesetzt. Davon ausgehend vermögen die Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts aber seine rechtliche Beurteilung, der erste und der zweite Rückforderungstatbestand des § 25 Abs. 1 AlVG seien erfüllt, nicht zu tragen.

26       Das angefochtene Erkenntnis war daher hinsichtlich des Ausspruchs über die Rückforderung der Leistung gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

27       Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 20. Dezember 2022

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021080144.L01

Im RIS seit

30.01.2023

Zuletzt aktualisiert am

30.01.2023
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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