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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AVG §56Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Pfiel und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des L B D, vertreten durch Mag. Clemens Lahner, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21. Oktober 2020, W137 2230262-1/6E, betreffend Festnahme und Anhaltung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der 1994 geborene Revisionswerber, ein deutscher Staatsangehöriger, reiste zuletzt am 7. März 2020 von Italien kommend in Österreich ein und nahm am selben Tag an einer Demonstration teil, im Zuge derer er wegen des Verdachtes der Begehung mehrerer Delikte, nämlich (versuchte) schwere Körperverletzung, Widerstand gegen die Staatsgewalt und Sachbeschädigung, festgenommen und am nächsten Tag in die Justizanstalt Wien-Josefstadt eingeliefert wurde. In der Folge wurde über ihn die Untersuchungshaft verhängt. Am 9. März 2020 brachte die Staatsanwaltschaft Wien dann einen Strafantrag gegen den Revisionswerber ein.
2 Am 9. März 2020 erging auch ein Festnahmeauftrag des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit der Anordnung, den Revisionswerber sofort nach der Entlassung aus der „U-Haft/Strafhaft“ festzunehmen, hiervon den Journaldienst des BFA bzw. die „anordnende Stelle“ (die Regionaldirektion Wien des BFA) zu verständigen und ihn in das nächstgelegene Polizeianhaltezentrum (PAZ) zu überstellen. Als Rechtsgrundlage wurde „§ 34 Abs. 3 Z 1 BFA-VG - Vorliegen der Voraussetzungen für Sicherungsmaßnahmen“ angeführt und in der Begründung dann im Sinne der genannten Bestimmung davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen zur Verhängung der Schubhaft nach § 76 FPG oder zur Anordnung gelinderer Mittel gemäß § 77 Abs. 1 FPG vorlägen. Der Revisionswerber befinde sich derzeit in „U-Haft/Strafhaft“ und es sei beabsichtigt, gegen ihn eine aufenthaltsbeendende Maßnahme zu erlassen und anschließend die Abschiebung in sein Heimatland vorzunehmen.
3 Am 10. März 2020 wurde der Revisionswerber gegen Kaution aus der Untersuchungshaft entlassen. Unmittelbar danach, um 15:20 Uhr, wurde er in Vollziehung des Festnahmeauftrags von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gemäß § 40 Abs. 1 Z 1 BFA-VG festgenommen. Nach dem Inhalt des „Anhalteprotokolls I“ wurde der zuständige Referent der Regionaldirektion Wien des BFA von der Vollstreckung des Festnahmeauftrags in Kenntnis gesetzt. Der Revisionswerber wurde nach seiner Festnahme von der Justizanstalt Wien-Josefstadt in das PAZ Wien-Hernalser-Gürtel gebracht, wo er um 15:57 Uhr übernommen wurde. Um 16:50 Uhr desselben Tages wurde die Anhaltung des Revisionswerbers nach der Intervention seines Rechtsvertreters wegen „Entfall des Sicherungsbedarfs“ wieder beendet. Im Anschluss daran fand eine Einvernahme in den an derselben Adresse befindlichen Räumlichkeiten der Regionaldirektion Wien des BFA, in die sich der Revisionswerber freiwillig begeben hatte, statt.
4 Mit Schriftsatz vom 9. April 2020 erhob der anwaltlich vertretene Revisionswerber eine Maßnahmenbeschwerde, die sich gegen die Festnahme am 9. März 2020 um 15:20 Uhr und die nachfolgende Anhaltung bis 16:50 Uhr richtete.
5 Diese Beschwerde, zu der das BFA eine Stellungnahme erstattete, worauf der Revisionswerber einen replizierenden Schriftsatz einbrachte, wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 21. Oktober 2020 gemäß § 34 Abs. 3 Z 1 FPG (gemeint: BFA-VG) iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet ab, wies demzufolge auch den Antrag auf Kostenersatz gemäß § 35 VwGVG ab und sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
6 In der Begründung stellte das BVwG (über den eingangs wiedergegebenen unstrittigen Sachverhalt hinaus) insbesondere fest, dass der Revisionswerber vor seiner Festnahme am 7. März 2020 polizeilich nicht gemeldet gewesen und auch in anderen Registern nicht aufgeschienen sei. Das BFA, dem der Zeitpunkt der letzten Einreise des Revisionswerbers am 7. März 2020 nicht bekannt gewesen sei, habe vor der Festnahme nicht verifizieren können, ob sich der Revisionswerber rechtmäßig in Österreich aufhalte. Dazu hielt das BVwG im Rahmen der Beweiswürdigung ergänzend fest, das BFA habe keine Information über Aufenthaltsdauer und Aufenthaltsmodalitäten betreffend den Revisionswerber gehabt. Die Anhaltung sei - so stellte das BVwG noch fest - bereits „nach kurzer Darlegung des hier relevanten Sachverhalts (Einreise, Aufenthalt)“ beendet worden.
7 Daran knüpfte das BVwG in der rechtlichen Beurteilung an und ging dort noch als unstrittig davon aus, dass dem BFA weder ein gesicherter Wohnsitz noch allfällige Hinweise auf eine soziale Verankerung des Revisionswerbers im Bundesgebiet bekannt gewesen seien. Hingegen habe das BFA von der verhängten Untersuchungshaft gegen den Revisionswerber (u.a.) wegen des Verdachtes des Widerstands gegen die Staatsgewalt und der schweren Körperverletzung Kenntnis gehabt.
8 Ein Festnahmeauftrag und die daran anschließende Festnahme seien - so führte das BVwG unter erkennbarer Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien zum Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz - FNG (RV 1803 BlgNR 24. GP, 25) aus - in jenen Fällen möglich, in denen eine weitere Sicherungsmaßnahme (Schubhaft oder gelinderes Mittel) zu überprüfen sei, weshalb zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für die Anordnung weiterer Sicherungsmaßnahmen nicht gesichert vorliegen müssten; sie könnten regelmäßig erst infolge einer Festnahme aufgrund eines Festnahmeauftrags nach § 34 Abs. 3 Z 1 BFA-VG abgeklärt werden. Im vorliegenden Fall sei es bei einer hier relevanten ex ante-Betrachtung bei Erlassung des Festnahmeauftrags und der Festnahme „realistisch möglich“ gewesen, dass die Voraussetzungen für Schubhaft oder gelindere Mittel erfüllt sein könnten, weshalb die bekämpften Maßnahmen nicht rechtswidrig gewesen seien. Schließlich gebe es auch keine Anhaltspunkte für die Unverhältnismäßigkeit der Dauer der Anhaltung. Die Beschwerde gegen die rechtskonforme Festnahme und die darauf gegründete Anhaltung sei daher abzuweisen.
9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als unzulässig erweist.
10 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
11 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
12 Die gegenständliche Festnahme wurde gemäß § 40 Abs. 1 Z 1 BFA-VG vorgenommen, wonach die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt sind, einen Fremden zum Zweck der Vorführung vor das Bundesamt festzunehmen, wenn gegen ihn ein Festnahmeauftrag (fallbezogen: nach § 34 Abs. 3 Z 1 BFA-VG) besteht.
13 § 34 Abs. 3 BFA-VG ordnet auszugsweise an:
„(3) Ein Festnahmeauftrag kann gegen einen Fremden auch dann erlassen werden,
1. wenn die Voraussetzungen zur Verhängung der Schubhaft nach § 76 FPG oder zur Anordnung gelinderer Mittel gemäß § 77 Abs. 1 FPG vorliegen und nicht aus anderen Gründen die Vorführung vor das Bundesamt erfolgt;
2. ...
3. wenn gegen den Fremden ein Auftrag zur Abschiebung (§ 46 FPG) erlassen werden soll oder
4. ...“
14 Die Regierungsvorlage zum FNG (RV 1803 BlgNR 24. GP, 25) führt in diesem Kontext aus:
„Der vorgeschlagene Abs. 3 spiegelt den geltenden § 74 Abs. 2 FPG wider und wurden lediglich Verweisanpassungen aufgrund der geänderten Gesetzessystematik vorgenommen. Daher normiert dieser Abs. 3 in Z 1 wie bisher, dass ein Festnahmeauftrag in jenen Fällen möglich ist, in denen eine weitere Sicherungsmaßnahme (Schubhaft oder gelinderes Mittel) zu überprüfen ist.“
15 In dem auch in der Zulässigkeitsbegründung der Revision zitierten Erkenntnis VwGH 29.6.2017, Ra 2017/21/0005, ging der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass der Festnahmetatbestand der Z 3 des § 34 Abs. 3 BFA-VG bereits dann erfüllt sei, wenn die Absicht bestehe, eine Anordnung zur Abschiebung unmittelbar nach der Festnahme zu erlassen. Diese Auffassung entspreche auch der Judikatur zur inhaltsgleichen Vorgängerbestimmung des § 74 Abs. 2 Z 3 FPG (in der Stammfassung), wonach für die Verwirklichung dieses Tatbestandes eine (lediglich) geplante Abschiebung genüge. Dem Revisionswerber ist insofern beizupflichten, dass sich diese Auslegung auch auf den im vorliegenden Fall relevanten Tatbestand der Z 1 des § 34 Abs. 3 BFA-VG übertragen lässt.
16 Es genügt daher für die Verwirklichung dieses Tatbestandes die Absicht, unmittelbar nach der Festnahme zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gelindere Mittel oder Schubhaft anzuordnen. Ob die Voraussetzungen für die beabsichtigten Sicherungsmaßnahmen dann tatsächlich vorliegen, ist - wie auch in den zitierten Gesetzesmaterialien dargelegt wurde - vom BFA nach der Festnahme zu überprüfen.
17 Vor diesem Hintergrund erweist sich zunächst der in der Zulässigkeitsbegründung der Revision eingenommene Standpunkt, dass der Sicherungszweck einer Festnahme nach § 34 Abs. 3 Z 1 BFA-VG nicht erfüllt sei, wenn erst nach der Festnahme überprüft werde, ob die Voraussetzungen für die Verhängung der Schubhaft oder eines gelinderen Mittels überhaupt gegeben seien, als verfehlt. Der Revisionswerber bestreitet in diesem Zusammenhang aber auch noch, dass vom BFA die Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes gegen den Revisionswerber geplant gewesen sei.
18 Diesbezüglich genügt es, auf den Inhalt des Festnahmeauftrages zu verweisen, in dem bereits eine diesbezügliche Absicht zum Ausdruck gebracht wurde. Dies entspricht auch der Darstellung des BFA in der Stellungnahme zur Maßnahmenbeschwerde, wonach im Falle einer gerichtlichen Verurteilung oder beim Vorliegen von „sonstigen verifizierten Umständen“, die eine Verfahrensführung zur Aufenthaltsbeendigung rechtfertigten, entweder ein Aufenthaltsverbot oder eine Ausweisung beabsichtigt gewesen sei.
19 Dem steht auch der in der Revision ins Treffen geführte Umstand, dass der Revisionswerber in das PAZ überstellt wurde, nicht entgegen. Die Festnahme erfolgte nämlich unbestritten gemäß § 40 Abs. 1 Z 1 BFA-VG, also zum Zweck der Vorführung vor das BFA, und es wurde entsprechend der Anordnung im Festnahmeauftrag im Einklang mit § 34 Abs. 7 erster Satz BFA-VG und § 40 Abs. 4 erster Satz BFA-VG nach der Festnahme - offenbar zur Vorbereitung einer Vernehmung des Revisionswerbers - auch die Verständigung des zuständigen Referenten der Regionaldirektion Wien des BFA vorgenommen. Vor diesem Hintergrund kann aus der vorläufigen Überstellung des Revisionswerbers in das an derselben Adresse wie die Regionaldirektion Wien des BFA situierte PAZ nicht abgeleitet werden, die Festnahme habe nicht der Vorführung vor das BFA zur Prüfung weiterer Maßnahmen gedient. Aus dem in der Revision in diesem Zusammenhang ins Treffen geführten Erkenntnis VwGH 16.7.2020, Ra 2020/21/0188, lässt sich diesbezüglich für den gegenständlichen Fall nichts gewinnen, weil dieser Entscheidung ein mit der vorliegenden Konstellation überhaupt nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde lag. Dort wurde der festgenommene Fremde nämlich aus der Justizanstalt Hirtenberg nicht dem BFA in der verfahrensführenden Außenstelle Wiener Neustadt zur Einvernahme und Prüfung der Voraussetzungen für die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen vorgeführt, sondern in das PAZ in Wien überstellt, wo ihm eineinhalb Tage später ohne erkennbare Ermittlungen der Schubhaftbescheid ausgehändigt wurde.
20 Auch der Hinweis in der Revision, dass noch keine strafgerichtliche Verurteilung vorgelegen habe, bietet für das Revisionsvorbringen, eine aufenthaltsbeendende Maßnahme sei nicht beabsichtigt gewesen, keine tragfähige Grundlage: Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es nämlich auch möglich und zulässig, das Vorliegen eines Fehlverhaltens, das (noch) nicht zu einer gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Bestrafung geführt hat, selbständig zu prüfen und auf Basis entsprechender Feststellungen ein Aufenthaltsverbot zu erlassen (vgl. etwa VwGH 24.4.2020, Ra 2020/21/0008, Rn. 9, mwN).
21 Angesichts dessen musste von der Festnahme nicht schon deshalb Abstand genommen werden, weil der Revisionswerber noch vor einer strafgerichtlichen Verurteilung aus der Untersuchungshaft entlassen wurde, war es doch möglich, dass sich die Richtigkeit des infolge der Einbringung eines Strafantrages durch die Staatsanwaltschaft manifestierten Vorwurfs der Begehung von strafbaren Handlungen schon im Verfahren vor dem BFA erweist. Auf Basis des vom BVwG festgestellten damaligen Kenntnisstandes des BFA war es im Übrigen auch nicht von vornherein ausgeschlossen, dass sich herausstellt, ein allfällig schon seit mehr als drei Monaten bestehender Aufenthalt des Revisionswerbers in Österreich sei mangels Erfüllung der diesbezüglichen Voraussetzungen nach § 51 NAG nicht rechtmäßig und rechtfertige die Erlassung einer Ausweisung.
22 Der Revisionswerber war vor der Festnahme im Zuge seiner Demonstrationsteilnahme nicht polizeilich gemeldet, und das BFA hatte im Zeitpunkt der Erlassung des Festnahmeauftrages und der Festnahme keine Kenntnis von einem Wohnsitz des Revisionswerbers in Österreich, dem Bestehen von sozialen Kontakten und von der nur kurzen Dauer des Aufenthaltes im Bundesgebiet. Angesichts dieser Umstände durfte das BVwG dem BFA zugestehen, dass es im Zeitpunkt der Erlassung des Festnahmeauftrages und der darauf gegründeten Festnahme fallbezogen mit gutem Grund annahm, es könnten die Voraussetzungen für die Verhängung eines gelinderen Mittels oder der Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen vorliegen (vgl. zu diesem Maßstab für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Festnahme etwa zuletzt VwGH 15.9.2022, Ra 2022/21/0057, Rn. 16, mwN, sowie VwGH 15.3.2018, Ra 2018/21/0018, Rn. 11, und VwGH 3.2.2022, Ra 2021/01/0411, Rn. 13, mwN).
23 Die Auffassung des BVwG, die Festnahme des Revisionswerbers sei - entgegen seinem Standpunkt - unter den vorliegend gegebenen Umständen des Einzelfalls nicht rechtswidrig gewesen, war somit jedenfalls nicht unvertretbar, sodass gegenständlich keine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG vorliegt (siehe zur hierfür bestehenden Maßgeblichkeit des Vertretbarkeitskalküls bei einzelfallbezogenen Beurteilungen etwa VwGH 30.4.2021, Ra 2020/21/0290, Rn. 17; siehe dazu beispielsweise auch noch VwGH 13.10.2022, Ra 2020/21/0213, Rn. 17, jeweils mwN).
24 Der Vertretbarkeit dieser vom BFA ex ante getroffenen Annahme eines möglichen Sicherungsbedarfs steht - entgegen der in der Revision weiters geäußerten Meinung - auch die spätere Aufhebung der Anhaltung des Revisionswerbers durch das BFA nicht entgegen, erfolgte sie doch wegen der Intervention seines Rechtsvertreters und nach den unbekämpften Feststellungen des BVwG im Hinblick auf die mittlerweile erfolgte Klärung der Sachlage. Es wird zwar in der Revision noch geltend gemacht, dass die rasche Entlassung des Revisionswerbers aus der Untersuchungshaft mangels Fluchtgefahr die fehlende Notwendigkeit einer Festnahme nach dem BFA-VG indiziert habe, was in die Überlegungen des BFA hätte einbezogen werden müssen. Dabei wird jedoch außer Acht gelassen, dass die Enthaftung des Revisionswerbers gegen Kaution vor dem Hintergrund des § 180 Abs. 1 StPO vielmehr nahelegt, dass auch das Strafgericht vom weiteren Vorliegen von Fluchtgefahr ausging. Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, welche weiteren Ermittlungen des BVwG im Beschwerdeverfahren, deren Unterlassung in der Revision nur ganz allgemein gerügt wird, zu einem anderen Ergebnis geführt hätten.
25 In der Revision wird allerdings darüber hinaus noch ein Ermittlungsmangel des BFA geltend gemacht, weil es nach Ansicht des Revisionswerbers zwischen der Erlassung des Festnahmeauftrages und der Festnahme einen ganzen Arbeitstag lang Zeit gehabt hätte, um sich mittels telefonischer Nachfrage etwa bei der Staatsanwaltschaft Wien über den Wohnsitz des Revisionswerbers in Deutschland und die erst kurze Dauer seines Aufenthaltes im Bundesgebiet sowie über seine Erreichbarkeit in Österreich im Wege seines Rechtsvertreters zu informieren und damit die Festnahme zu vermeiden.
26 Dem ist jedoch zunächst entgegenzuhalten, dass nicht ersichtlich ist, inwiefern ein Wohnsitz im Ausland gegen das Vorliegen von Fluchtgefahr spricht. Nach dem Inhalt der Verwaltungsakten wurde im Übrigen (praktisch) zeitgleich mit der Erlassung des Festnahmeauftrages ohnehin eine Kopie des Reisepasses des Revisionswerbers von der Strafverfolgungsbehörde angefordert, aber nicht mehr zeitgerecht vor der Festnahme übermittelt. Dem Revisionseinwand fehlt daher fallbezogen schon aus zeitlichen Gründen die Relevanz. Darüber hinaus bestanden keine konkreten Anhaltspunkte für eine Pflicht, ergänzende telefonische Ermittlungen sofort nach der Erlassung des Festnahmeauftrages zu nicht absehbaren Umständen, die allenfalls gegen dessen Zulässigkeit hätten sprechen können, durchzuführen. Die diesbezüglich (im Rahmen der Beweiswürdigung) vertretene Auffassung des BVwG, die Forderung nach solchen Ermittlungen im Wege der Amtshilfe gehe „angesichts des hier relevanten Zeitraums schlicht an der Lebensrealität vorbei“, ist somit fallbezogen im Ergebnis ebenfalls nicht unvertretbar.
27 In der Revision werden somit insgesamt keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher - nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde - gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.
28 Von der in der Revision beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte in diesem Fall gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 21. Dezember 2022
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Maßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020210471.L00Im RIS seit
30.01.2023Zuletzt aktualisiert am
30.01.2023