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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
BFA-VG 2014 §9Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Pfiel und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision der E K K, vertreten durch Rast & Musliu, Rechtsanwälte in 1080 Wien, Alser Straße 23/14, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. April 2020, L519 2223658-1/16E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die 1984 geborene Revisionswerberin, eine türkische Staatsangehörige, ist seit Februar 2016 durchgehend im österreichischen Bundesgebiet gemeldet und verfügte zunächst ab Anfang März 2016 über einen Aufenthaltstitel als Familienangehörige eines österreichischen Staatsbürgers, den sie im Dezember 2015 in der Türkei geheiratet hatte. Nachdem ihr Ehemann im April 2018 verstorben war, stellte sie in Bezug auf den zuletzt erteilten Aufenthaltstitel im März 2019 einen - mit einem Zweckänderungsantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ verbundenen - Verlängerungsantrag. Im Oktober 2019 heiratete die Revisionswerberin erneut einen österreichischen Staatsbürger.
2 Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 6. März 2019 war die Revisionswerberin wegen des Vergehens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs. 2, 148 erster Fall StGB, des Vergehens der Kurpfuscherei nach § 184 StGB und des als Bestimmungstäterin begangenen Vergehens der Geldwäscherei nach §§ 12 zweiter Fall, 165 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwölf Monaten (davon zehn Monate bedingt nachgesehen) verurteilt worden. Dem Schuldspruch lag zugrunde, die Revisionswerberin habe gewerbsmäßig mit Bereicherungsvorsatz im Zeitraum von Mai 2015 bis September 2018 andere Personen durch Täuschung über Tatsachen (nämlich mit der Vorgabe, Psychologin, Ärztin bzw. Psychotherapeutin zu sein und diese Berufe rechtmäßig ausüben zu dürfen) zur Zahlung von Geldbeträgen für Behandlungskosten, die diese in einem 5.000 € übersteigenden Gesamtbetrag am Vermögen schädigten, verleitet. Im selben Zeitraum habe die Revisionswerberin, ohne die zur Ausübung des ärztlichen Berufes erforderliche Ausbildung erhalten zu haben, eine Ärzten vorbehaltene Tätigkeit in Bezug auf eine größere Zahl von Menschen gewerbsmäßig ausgeübt, nämlich Personen behandelt, Krankheiten diagnostiziert, Arzneimittel entgeltlich verabreicht und sich wahrheitswidrig als Psychologin, Ärztin bzw. Psychotherapeutin ausgegeben. Ferner habe sie von August 2017 bis September 2018 zwei andere Personen dazu bestimmt, die oben erwähnten herausgelockten Geldbeträge auf ihr zurechenbare Konten zu überweisen.
3 Wegen dieser Straftaten erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 31. Juli 2019 gegen die Revisionswerberin gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Einreiseverbot. Unter einem stellte das BFA gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung der Revisionswerberin in die Türkei zulässig sei, und gewährte ihr gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise von vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
4 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 30. April 2020 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als unzulässig erweist.
6 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
8 Unter diesem Gesichtspunkt bemängelt die Revision zunächst die Abweisung sämtlicher Beweisanträge zum Nachweis dafür, dass zwischen der Revisionswerberin und ihrem Ehemann keine Aufenthaltsehe bestehe.
9 Damit lässt die Revision jedoch außer Acht, dass das BVwG einen gemeinsamen Haushalt der Revisionswerberin und ihres Ehemannes seit der Eheschließung im Oktober 2019 feststellte und nicht vom Vorliegen einer Aufenthaltsehe ausging. Damit trägt die der Mängelrüge zugrundeliegende Prämisse den Feststellungen des BVwG nicht Rechnung.
10 Auch mit der Rüge, die Beischaffung des Reisepasses der Revisionswerberin sei zu Unrecht unterlassen worden, übersieht die Revision, dass der gemeinsame Urlaub der Revisionswerberin und ihres Ehemannes in der Türkei, der mit dem beigeschafften Reisepass nachgewiesen werden sollte, vom BVwG nicht in Abrede gestellt wurde.
11 Ferner wendet sich die Revision in der Zulässigkeitsbegründung gegen die negative Gefährdungsprognose des BVwG und macht dazu geltend, das BVwG habe weder eine einzelfallbezogene Beurteilung noch eine Betrachtung des Gesamtverhaltens der Revisionswerberin vorgenommen.
12 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die vom BVwG getroffene Gefährdungsprognose jedoch dann nicht revisibel, wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde (vgl. VwGH 20.9.2022, Ra 2021/21/0356, Rn. 21, mwN).
13 Ein solcher Fall liegt hier vor. Entgegen dem Revisionsvorbringen beschränkte sich das BVwG im Rahmen seiner Gefährdungsprognose nämlich nicht auf das bloße „Zitieren“ der Straftaten der Revisionswerberin, sondern setzte sich auch fallbezogen ausreichend mit den näheren Umständen der Straftaten auseinander. Dabei führte das BVwG zu Recht ins Treffen, dass die Revisionswerberin in Kauf nahm, durch Vorspiegelung einer falschen medizinischen Ausbildung andere Personen zur Einnahme von Arzneimitteln ohne entsprechende Diagnose zu bewegen, und dass sie das Vertrauen der Opfer in die Ärzteschaft wissentlich ausgenützt habe, um sich persönlich finanziell zu bereichern. Angesichts des gewerbsmäßigen und über einen langen Tatzeitraum fortgesetzten Gesamtverhaltens der Revisionswerberin ist die - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung unter Verwertung des persönlichen Eindrucks vorgenommene - Gefährdungsannahme des BVwG jedenfalls nicht unvertretbar, wobei die Prognose infolge der vom BVwG angenommenen ARB-Berechtigung der Revisionswerberin der Sache nach zutreffend am Maßstab des § 67 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG („tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“) erstellt wurde (zum maßgeblichen Gefährdungsmaßstab bei türkischen Staatsangehörigen mit einer Aufenthaltsberechtigung nach dem ARB 1/80 vgl. des Näheren VwGH 4.4.2019, Ra 2019/21/0009, Rn. 22 ff, mwN).
14 Soweit die Revision dazu noch vorbringt, die Revisionswerberin habe sich bezüglich ihrer Taten äußerst reumütig und geständig verantwortet, stellt dies eine bloße Gegenbehauptung ohne ausreichende Begründung dar. Damit vermag sie die auf die Angaben der Revisionswerberin in der mündlichen Verhandlung und auf den dort gewonnenen Eindruck gestützte Annahme des BVwG, die Revisionswerberin habe den Unrechtsgehalt der Straftaten „nicht voll eingesehen“, nicht entscheidend zu entkräften. Im Übrigen wies das BVwG auch zutreffend auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hin, dass der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. dazu etwa VwGH 13.10.2022, Ra 2022/21/0076, Rn. 22, mwN), wobei es vertretbar davon ausging, dass der Zeitraum des Wohlverhaltens im vorliegenden Fall seit der Haftentlassung der Revisionswerberin am 6. März 2019 zu kurz sei, um eine positive Zukunftsprognose erstellen zu können. Daran kann die in der Revision vor allem ins Treffen geführte Wiedergutmachung des Schadens nichts ändern.
15 Zum Vorwurf in der Revision, das BVwG sei mit seiner Gefährdungsannahme von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, derzufolge die Erlassung eines Einreiseverbotes wegen einer einzigen strafgerichtlichen Verurteilung regelmäßig nicht gerechtfertigt sei, genügt der Hinweis, dass grundsätzlich auch ein Fehlverhalten, selbst wenn es sich nur um ein Vergehen iSd § 17 Abs. 2 StGB handelt, das nur zu einer einzigen Verurteilung geführt hat, bei - wie hier gegebener - entsprechender Gravität die Gefährdungsprognose iSd § 67 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG rechtfertigen kann (vgl. VwGH 16.8.2022, Ra 2020/21/0321, Rn. 12, mwN; vgl. etwa auch VwGH 1.7.2021, Ra 2021/21/0017, Rn. 12, mwN).
16 In der Revision, die der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG in der Zulässigkeitsbegründung nicht entgegentritt, werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher - nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde - gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.
17 Von der in der Revision beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte in diesem Fall gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 21. Dezember 2022
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020210245.L00Im RIS seit
30.01.2023Zuletzt aktualisiert am
30.01.2023