Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §73 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerde des K in L, vertreten durch Dr. S, Rechtsanwalt in P, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 10. April 1995, Zl. I/7-St-R-945, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen B, C, F und G entzogen und gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967 ausgesprochen, daß ihm "bis einschließlich 25. April 1998 - das ist auf die Dauer von vier Jahren und zehn Monaten -" keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf.
In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend und beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Sowohl der Beschwerdeführer als auch die belangte Behörde haben je eine weitere Äußerung eingebracht; darin werden jeweils die gestellten Anträge wiederholt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Dem angefochtenen Bescheid liegt zugrunde, daß der Beschwerdeführer, der seit 5. Mai 1992 im Besitz seiner Lenkerberechtigung war, am 22. Mai 1993 als Lenker eines Pkws einen Verkehrsunfall mit schwerem Personenschaden (drei Tote, drei Verletzte) verschuldet habe, indem er mit überhöhter Geschwindigkeit und mit einem abgefahrenen Reifen in eine am Straßenrand gehende Fußgängergruppe gerast sei. Er sei dabei alkoholisiert gewesen (1,05 %o Blutalkoholgehalt). Er habe keine Hilfe geleistet, sondern sei nach Hause gefahren. Dort habe er bemerkt, daß er bei dem Unfall eine Kennzeichentafel seines Kraftfahrzeuges verloren habe. Daraufhin sei er mit einem anderen Pkw wiederum in alkoholisiertem Zustand zur Unfallstelle zurückgefahren. Er habe abermals keine Hilfe geleistet, seine Beteiligung an dem Unfall gegenüber Gendarmeriebeamten geleugnet, die Kennzeichentafel an sich gebracht und sei wiederum nach Hause gefahren.
Die belangte Behörde erblickte darin der Sache nach eine Reihe von bestimmten Tatsachen (offensichtlich nach § 66 Abs. 2 lit. e, lit. f und lit. g KFG 1967). Im Zusammenhang mit der Wertung nach § 66 Abs. 3 KFG 1967 und der Bemessung der Zeit nach § 73 Abs. 2 KFG 1967 berücksichtigte sie, daß der Beschwerdeführer Inhaber einer Lenkerberechtigung für Anfänger im Sinne des § 64a KFG 1967 gewesen sei, sodaß seine Alkoholisierung das Zehnfache des Höchstzulässigen betragen habe. Zu seinen Gunsten verwertete sie den Umstand, daß es sich um den "ersten Vorfall dieser Art" gehandelt habe; dies könne aber "nur geringfügig herangezogen werden", weil er nur eine Anfängerlenkerberechtigung gehabt habe. Auch ein geringfügiges Verschulden der Fußgängergruppe fand Berücksichtigung.
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht die Sachverhaltsannahmen der belangten Behörde. Er vertritt aber die Auffassung, daß mit einer wesentlich gelinderen Entziehungsmaßnahme das Auslangen hätte gefunden werden können; die Zeit nach § 73 Abs. 2 KFG 1967 hätte mit 15 Monaten bemessen werden müssen. Er beruft sich dabei darauf, daß er die Hilfeleistung im Schockzustand unterlassen habe; selbst bei sofortiger Hilfeleistung wäre es ihm nicht gelungen, "irgendwelche konkrete Hilfsmaßnahmen zu erbringen". Es habe sich nur um einen einzigen Unfall gehandelt, vor allem aber sei er unbescholten gewesen. Im übrigen sei die belangte Behörde unzuständig gewesen, da er vor der Erlassung des angefochtenen Bescheides einen Devolutionsantrag nach § 73 Abs. 2 AVG an den unabhängigen Verwaltungssenat für das Land Niederösterreich eingebracht habe.
Zu dem zuletzt genannten Beschwerdevorbringen genügt ein Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 95/11/0266, in welchem ausgeführt wird, daß der in Rede stehende Devolutionsantrag vor Ablauf der der belangten Behörde für die Entscheidung zur Verfügung stehenden Frist nach § 75 Abs. 5 KFG 1967 eingebracht wurde, sodaß er keinen Übergang der Zuständigkeit zur Entscheidung nach sich zog.
Was die Entziehungsmaßnahme anlangt, vertritt der Verwaltungsgerichtshof die Meinung, daß die Handlungen des Beschwerdeführers vom 22. Mai 1993 in ihrer Verwerflichkeit und der Gefährlichkeit der bei ihrer Setzung herrschenden Verhältnisse ein Charakterbild des Beschwerdeführers zeichnen, welches eine - nicht nur vorübergehende - Entziehung für eine Zeit wie die mit dem angefochtenen Bescheid bemessene gerechtfertigt erscheinen läßt. Der Umstand, daß der Beschwerdeführer unbescholten war, wird dadurch entscheidend relativiert, daß er erst seit etwa einem Jahr im Besitz einer Lenkerberechtigung war, sodaß von ihm - insbesondere im Hinblick auf die Alkoholproblematik - wesentlich strengere Regelungen zu beachten gewesen wären. Wenn es sich auch nur um einen Unfall gehandelt hat, liegt doch eine Mehrzahl bestimmter Tatsachen im Sinne des § 66 Abs. 1 und 2 KFG 1967 vor (zwei Alkoholdelikte, zweimaliges Unterlassen der Hilfeleistung, Übertretung von Verkehrsvorschriften jedenfalls unter besonders gefährlichen Verhältnissen). All das unterscheidet den vorliegenden Fall von jenem, auf den sich der Beschwerdeführer beruft und in dem der Verwaltungsgerichtshof die Bemessung der Zeit nach § 73 Abs. 2 KFG 1967 bei einem unbescholtenen alkoholisierten Unfallenker mit zwei Jahren als zu lange befunden hat (Erkenntnis vom 20. Februar 1985, Zl. 84/11/0091). Dazu kommt, daß die vom Beschwerdeführer verbüßte gerichtliche Freiheitsstrafe (nach der Aktenlage im Ausmaß von acht Monaten) in die Zeit nach § 73 Abs. 2 KFG 1967 eingerechnet wurde, er aber in dieser Zeit keine Gelegenheit hatte, eine Änderung seiner Sinnesart im Sinne des § 66 Abs. 1 KFG 1967 unter Beweis zu stellen. Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist es ferner irrelevant, daß sich der Beschwerdeführer unmittelbar nach dem Unfall in einem "Schockzustand" befunden habe, weil das Gesetz auch einen Kraftfahrzeuglenker, der unter dem Eindruck eines von ihm verschuldeten (allenfalls schweren) Unfalles steht, Pflichten auferlegt (vgl. § 4 StVO 1960); abgesehen davon kann die Rückkehr des Beschwerdeführers an den Unfallort, um eine verloren gegangene Kennzeichentafel zu suchen, nicht mit einem Schockzustand, sondern nur als wohlüberlegte Handlung verstanden werden. Hinsichtlich der Verpflichtung zur Vornahme von Hilfsmaßnahmen gegenüber den Unfallopfern kommt es im gegebenen Zusammenhang - nämlich ohne jeglichen Versuch einer Hilfeleistung - nicht darauf an, ob diese wesentliche Auswirkungen hätten zeitigen können.
Die Beschwerde erweist sich als unbegründet. Sie war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren der belangten Behörde war abzuweisen, weil sie in diesem Beschwerdeverfahren keinen Verwaltungsakt vorgelegt hat und Schriftsatzaufwand gemäß § 48 Abs. 2 Z. 2 VwGG und Art. I lit. B Z. 5 der zitierten Verordnung nur für die Gegenschrift zusteht.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1995110156.X00Im RIS seit
19.03.2001