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10/07 Verfassungs- und VerwaltungsgerichtsbarkeitNorm
B-VGLeitsatz
Auswertung in ArbeitSpruch
I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch Spruchpunkt A) zweiter Absatz des angefochtenen Erkenntnisses in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
1. Der Beschwerdeführer ist indischer Staatangehöriger und stellte am 23. Juni 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz.
1.1. Mit Bescheid vom 19. Oktober 2021 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte unter Setzung einer zweiwöchigen Frist für die freiwillige Ausreise fest, dass eine Abschiebung nach Indien zulässig sei. Zudem erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – gestützt auf "§53 Absatz 1 iVmin Verbindung mit Absatz 2 Ziffer 6 Fremdenpolizeigesetz, BGBl Nr 100/2005Bundesgesetzblatt Nr 100 aus 2005, (FPG) idgF" – ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII. des Bescheides).
1.2. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 9. Februar 2022 als unbegründet ab, wobei es der Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. des Bescheides insoweit stattgab, als es das Einreiseverbot in Spruchpunkt A) zweiter Absatz des Erkenntnisses auf die Dauer eines Jahres herabsetzte.
1.3. Zum Einreiseverbot führt das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass dieses bloß auf §53 Abs2 Z6 FPG gestützt sei, weil dem Beschwerdeführer von der belangten Behörde kein weiterer in §53 Abs2 Z1 bis 9 bzw Abs3 Z1 bis 8 FPG geregelter Tatbestand angelastet worden sei, weshalb sich die Dauer von zwei Jahren als zu lang erweise und eine Herabsetzung auf ein Jahr geboten erscheine.
1.4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
1.5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, jedoch ebenso wie das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.
2. Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:
A. Soweit sie sich gegen die Verhängung des Einreiseverbotes in Spruchpunkt A) zweiter Absatz der angefochtenen Entscheidung richtet, ist sie auch begründet.
1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 6. Dezember 2022, G264/2022, §53 Abs2 Z6 des Bundesgesetzes über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG), BGBl I 100/2005Bundesgesetzblatt Teil eins, 100 aus 2005, idFin der Fassung BGBl I 87/2012Bundesgesetzblatt Teil eins, 87 aus 2012,, als verfassungswidrig aufgehoben und verfügt, dass diese Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist.
2. Gemäß Art140 Abs7 B-VG ist daher die aufgehobene Gesetzesbestimmung nicht nur im Anlassfall, sondern ausnahmslos in allen Fällen und folglich auch im vorliegenden Fall nicht mehr anzuwenden (VfSlg 15.401/1999, 19.419/2011).
3. Das Bundesverwaltungsgericht wendete bei Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war. Der Beschwerdeführer wurde somit durch Spruchpunkt A) zweiter Absatz des angefochtenen Erkenntnisses wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt.
4. Spruchpunkt A) zweiter Absatz des angefochtenen Erkenntnisses ist daher aufzuheben.
B. Im Übrigen, also soweit sich die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten, gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Rückkehrentscheidung, gegen die Setzung einer zweiwöchigen Frist zur freiwilligen Ausreise und gegen die Feststellung, dass die Abschiebung nach Indien zulässig sei, richtet, wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
Die vorliegende Beschwerde behauptet die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973Bundesgesetzblatt 390 aus 1973,) sowie auf Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung (Art47 GRC).
Der Verfassungsgerichtshof geht in Übereinstimmung mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (s etwa EGMR 7.7.1989, Fall Soering, EuGRZ 1989, 314 [319]; 30.10.1991, Fall Vilvarajah ua, ÖJZ 1992, 309 [309]; 6.3.2001, Fall Hilal, ÖJZ 2002, 436 [436 f.]) davon aus, dass die Entscheidung eines Vertragsstaates, einen Fremden in welcher Form immer außer Landes zu schaffen, unter dem Blickwinkel des Art3 EMRK erheblich werden und demnach die Verantwortlichkeit des Staates nach der EMRK begründen kann, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden sind, dass der Fremde konkret Gefahr liefe, in dem Land, in das er gebracht werden soll, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (vglvergleiche VfSlg 13.837/1994, 14.119/1995, 14.998/1997).
Das Bundesverwaltungsgericht hat weder eine grundrechtswidrige Gesetzesauslegung vorgenommen noch sind ihm grobe Verfahrensfehler unterlaufen, die eine vom Verfassungsgerichtshof aufzugreifende Verletzung des genannten Grundrechtes darstellen (vglvergleiche VfSlg 13.897/1994, 15.026/1997, 15.372/1998, 16.384/2001, 17.586/2005). Ob ihm sonstige Fehler bei der Rechtsanwendung unterlaufen sind, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu beurteilen.
Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg 17.340/2004 ausgeführt hat, darf eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nicht verfügt werden, wenn dadurch das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens des Betroffenen verletzt würde. Bei der Beurteilung nach Art8 EMRK ist eine Interessenabwägung vorzunehmen (vglvergleiche die in VfSlg 18.223/2007 und 18.224/2007 wiedergegebene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte).
Das Bundesverwaltungsgericht hat sich mit der Frage der Gefährdung des Beschwerdeführers in seines Rechten auseinandergesetzt. Ihm kann unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht entgegengetreten werden, wenn es auf Grund der Umstände des vorliegenden Falles davon ausgeht, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts von Fremden ohne Aufenthaltstitel das Interesse am Verbleib im Bundesgebiet aus Gründen des Art8 EMRK überwiegt (vglvergleiche VfSlg 19.086/2010).
Zur behaupteten Verletzung des Art47 GRC durch die Unterlassung einer mündlichen Verhandlung wird auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg 19.632/2012 verwiesen.
Die im Übrigen gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.
5. Demgemäß wurde beschlossen, insoweit von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen (§19 Abs3 Z1 iVmin Verbindung mit §31 letzter Satz VfGG).
6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVmin Verbindung mit §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:E673.2022Zuletzt aktualisiert am
26.01.2023