Index
10/07 Verfassungs- und VerwaltungsgerichtsbarkeitNorm
B-VGLeitsatz
Auswertung in ArbeitSpruch
I. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973Bundesgesetzblatt Nr 390 aus 1973,) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführerin ist afghanische Staatsangehörige, Angehörige der Volksgruppe der Tadschiken und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Die Beschwerdeführerin wurde in Mazar-e Sharif geboren und wuchs dort auf. Nach ihrer Schulausbildung studierte sie an der Universität vier Jahre Literaturwissenschaften. Etwa im Jahr 1998 zog sie in den Iran. Dort heiratete die Beschwerdeführerin einen iranischen Staatsangehörigen (nach islamischem Ritus), mit dem sie drei minderjährige Kinder hat. Am 14. Februar 2016 stellte die Beschwerdeführerin in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Die Beschwerdeführerin gab in ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) am 4. April 2019 an, dass sie in den Iran geflüchtet sei, da in Afghanistan die Lage vor allem für Frauen und junge Mädchen nach der Machtübernahme der Taliban extrem gefährlich geworden sei. Mit Bescheid vom 25. April 2019 wies das BFA den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel gemäß §57 AsylG 2005, erließ gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan oder in den Iran zulässig sei, und setzte eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise.
3. Das Bundesverwaltungsgericht wies die dagegen erhobene Beschwerde, soweit sich diese gegen die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten richtet, mit Erkenntnis vom 14. Jänner 2022 als unbegründet ab. Der Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gab das Bundesverwaltungsgericht statt, erkannte der Beschwerdeführerin in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu, erteilte eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte und behob die restlichen Spruchpunkte ersatzlos.
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Unter anderem wird in der Beschwerde vorgebracht, dass die Beschwerdeführerin westlich orientiert sei. Sie trage kein Kopftuch, sei westlich gekleidet, besuche einen Deutschkurs (B1) und wolle Lokführerin werden. Den Haushalt übernehme (zum Teil) ihr Mann. Das Bundesverwaltungsgericht sei auf dieses Vorbringen nicht näher eingegangen.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichtsakten vorgelegt und – ebenso wie das BFA – von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973Bundesgesetzblatt 390 aus 1973,, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vglvergleiche zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973Bundesgesetzblatt 390 aus 1973,, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
3.1. Die Beschwerdeführerin führt im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 16. Dezember 2021 – unter anderem auf Deutsch – aus, dass sie sich weiterbilden, arbeiten und auf eigenen Beinen stehen wolle. Sie habe sich bereits für die Deutschprüfung auf B1-Niveau am 29. Jänner 2022 angemeldet, da sie Lokführerin werden wolle. Sie habe sich diesbezüglich bereits erkundigt und sei darüber informiert worden, dass Deutschkenntnisse auf diesem Niveau für die entsprechende Ausbildung erforderlich seien. Sie habe in der Gemeinde ehrenamtlich bei Putzaktionen teilgenommen und helfe bei der Organisation von Festen in der Kirche. Außerdem treffe sie sich wöchentlich mit anderen Frauen in einem Sprachcafé. Mit ihren österreichischen Freunden besuche sie etwa andere Städte. Neben der Haushaltsführung helfe sie ihren Kindern bei den Hausaufgaben, lerne über das Internet die deutsche Sprache und gehe spazieren sowie Fahrrad fahren, dies habe sie in Österreich erlernt. Sie entscheide selbst darüber, was sie anziehe. In Afghanistan würde sie umgebracht werden, wenn sie sich so kleide wie in Österreich. Die Beschwerdeführerin verwalte das Geld und besorge gemeinsam mit ihrem Mann den Haushalt. Bevor sie – wie bei einer Rückkehr nach Afghanistan – ihre Rechte aufgeben müsste, wäre sie bereit zu sterben. Seit sechs Jahren befinde sie sich im Bundesgebiet und wisse, was Frauenrechte seien. Würde ihr Mann handgreiflich werden, wobei dies noch nie geschehen sei, würde sie dies der Polizei melden.
3.2. Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest, dass die Beschwerdeführerin keine Lebensweise angenommen habe, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstelle. Beweiswürdigend hält es unter anderem fest, dass nicht verkannt werde, dass die Beschwerdeführerin von den ihr zukommenden Freiheiten teilweise Gebrauch mache, indem sie kein Kopftuch trage, sich modisch kleide und schminke, alleine aus dem Haus gehe, Deutschkurse sowie ein Sprachcafé besuche, sich ehrenamtlich engagiere und Freunde habe, mit denen sie etwa spazieren gehe, und einen Beruf ausüben möchte. Dennoch bewege sich die Beschwerdeführerin in Österreich "in einem relativ kleinen Umfeld". Gelegentliche Unternehmungen, wie das Treffen von Freunden und ehrenamtliches Engagement, stellen nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes noch "kein ausreichend tragfähiges Substrat für die Annahme eines selbstbestimmten Lebens dar". Ein substanzieller Bruch mit den gesellschaftlichen Normen in Afghanistan sei auch im Hinblick auf den in Aussicht gestellten Berufswunsch nicht zu erkennen, konkrete Schritte dahingehend seien (abgesehen vom Deutschkurs) nicht gesetzt worden und auch das Beratungsgespräch lege nicht dar, dass eine Ausbildung bereits geplant sei. Zwar stelle es ein Indiz für einen gewissen Bruch mit den afghanischen Werten dar, wenn die Beschwerdeführerin kein Kopftuch trage, allein das äußere Erscheinungsbild sei aber für eine "westliche Orientierung" nicht ausschlaggebend und weitere Umstände, die für eine solche sprechen würden, seien nicht hervorgekommen. Die Ausführungen, dass sie bereit sei, zu sterben, wenn sie ihre (Frauen-)Rechte aufgeben müsste, würden "vor dem Hintergrund ihrer Lebensumstände nicht authentisch" wirken. Die Lebensweise der Beschwerdeführerin verstoße "derzeit (noch) nicht in einer solchen Form gegen die sozialen Normen in Afghanistan, dass sie als gegen die sozialen Sitten sowie gegen religiöse und politische Normen verstoßend und die Beschwerdeführerin exponierend wahrgenommen würde".
4. Unter Zugrundelegung des Akteninhaltes sind die vom Bundesverwaltungsgericht getroffenen Ausführungen im Hinblick auf die fehlende "westliche Orientierung" (vglvergleiche hiezu auch etwa VfGH 30.11.2021, E3137/2021 ua) vor allem bezogen auf die Lebensgestaltung der Beschwerdeführerin (etwa im Zusammenhang mit der Verwaltung des Geldes) nicht nachvollziehbar. Wegen dieser maßgeblichen Aktenwidrigkeit in einem wesentlichen Entscheidungspunkt hat das Bundesverwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis bereits aus diesem Grund mit Willkür belastet (vglvergleiche auch VfGH 14.12.2022, E3456/2021).
III. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973Bundesgesetzblatt 390 aus 1973,) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:E395.2022Zuletzt aktualisiert am
26.01.2023