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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AsylG 2005 §20 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofrätin Dr. Funk-Leisch und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann-Preschnofsky, über die Revision der P P, vertreten durch Mag. Andreas Lepschi, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Währinger Straße 26/1/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Oktober 2022, W169 2222084-1/9E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige von Nepal, stellte am 26. September 2018 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte sie vor, von ihrem Ex-Freund in Nepal geschlagen und misshandelt worden zu sein. Er habe auch versucht, die Revisionswerberin zu prostituieren.
2 Mit Bescheid vom 21. Juni 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) im Spruch den Antrag der Revisionswerberin hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 68Paragraph 68, Abs. 1Absatz eins, AVG wegen entschiedener Sache zurück, wies den Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte ihr keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57Paragraph 57, AsylG 2005, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Nepal zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Hinsichtlich des Antrages auf Zuerkennung des Status der Asylberechtigten führte das BFA - mit näherer Begründung - inhaltlich aus, dass „die Voraussetzungen für eine Asylgewährung nicht gegeben“ seien.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - die dagegen erhobene Beschwerde der Revisionswerberin „mit der Maßgabe“, dass der Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3Paragraph 3, Abs. 1Absatz eins, iVmin Verbindung mit § 2Paragraph 2, Abs. 1Absatz eins, Z 13Ziffer 13, AsylG 2005 abgewiesen werde, als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133Artikel 133, Abs. 4Absatz 4, B-VG nicht zulässig sei. Das BVwG ging dabei davon aus, dass das BFA - entgegen der Formulierung des ersten Spruchpunktes des angefochtenen Bescheides - in seiner Begründung inhaltlich auf den Antrag der Revisionswerberin in Hinblick auf den Status der Asylberechtigten eingegangen sei.
4 Nach Art. 133Artikel 133, Abs. 4Absatz 4, B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Nach § 34Paragraph 34, Abs. 1Absatz eins, VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133Artikel 133, Abs. 4Absatz 4, B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
6 Nach § 34Paragraph 34, Abs. 1aAbsatz eins a, VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133Artikel 133, Abs. 4Absatz 4, B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25aParagraph 25 a, Abs. 1Absatz eins, VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133Artikel 133, Abs. 4Absatz 4, B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28Paragraph 28, Abs. 3Absatz 3, VwGG) zu überprüfen.
7 Die Revision wendet sich zur Begründung ihrer Zulässigkeit zunächst gegen die vom BVwG im Zusammenhang mit der Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten vorgenommenen Beweiswürdigung und bringt vor, das BVwG habe sich auf die Angaben der Revisionswerberin in der niederschriftlichen Einvernahme vom 19. Dezember 2018 vor dem BFA gestützt. Die Einvernahme sei jedoch aufgrund der Anwesenheit eines männlichen Dolmetschers gemäß § 20Paragraph 20, Abs. 1Absatz eins, AsylG 2005 abgebrochen worden und dürfe daher nicht verwertet werden. Den weiteren beweiswürdigenden Erwägungen des BVwG komme kein Begründungswert zu bzw. würden diese lediglich Vermutungen darstellen.
8 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl.vergleiche VwGH 13.9.2022, Ra 2022/19/0186, mwN).
9 Das BVwG befragte die Revisionswerberin in der mündlichen Verhandlung umfassend zu ihren Fluchtgründen und erachtete ihr Fluchtvorbringen als unglaubwürdig. Beweiswürdigend stützte sich das BVwG dabei tragend auf die widersprüchlichen und unplausiblen Angaben der Revisionswerberin in der mündlichen Verhandlung sowie in der niederschriftlichen Einvernahme vom 4. März 2019 vor dem BFA, welche im Einklang mit § 20Paragraph 20, Abs. 1Absatz eins, AsylG 2005 in Anwesenheit einer weiblichen Dolmetscherin und einer weiblichen Organwalterin stattfand. Auf die beweiswürdigenden Argumente betreffend die aufgezeigten Widersprüche im Zusammenhang mit der niederschriftlichen Einvernahme vom 19. Dezember 2018 kam es somit nicht mehr an.
10 Der Revision gelingt es mit ihren Ausführungen nicht, aufzuzeigen, dass das BVwG eine die Rechtssicherheit beeinträchtigende, unvertretbare Beweiswürdigung vorgenommen hätte.
11 Die Revision wendet sich zur Begründung ihrer Zulässigkeit des Weiteren gegen die Interessenabwägung in Zusammenhang mit der Rückkehrentscheidung und bringt vor, die Revisionswerberin lebe bereits seit vier Jahren im gemeinsamen Haushalt mit ihren - aus unterschiedlichen Gründen in Österreich aufenthaltsberechtigten - Eltern und Geschwistern und habe mit ihren Geschwistern auch schon in Nepal eine langjährige Haushaltsgemeinschaft unterhalten. Außerdem habe die Revisionswerberin eine enge Beziehung zu ihrem Großvater, der österreichischer Staatsbürger sei. Die berufliche und sprachliche Integration der Revisionswerberin habe das BVwG nicht ausreichend berücksichtigt.
12 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8Artikel 8, EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9Paragraph 9, Abs. 2Absatz 2, BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9Paragraph 9, Abs. 3Absatz 3, BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl.vergleiche VwGH 19.1.2022, Ra 2021/19/0436, mwN).
13 Ob außerhalb des Bereiches des insbesondere zwischen Ehegatten und ihren minderjährigen Kindern ipso iure zu bejahenden Familienlebens im Sinne des Art. 8Artikel 8, EMRK ein Familienleben vorliegt, hängt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte jeweils von den konkreten Umständen ab, wobei für die Prüfung einer hinreichend stark ausgeprägten persönlichen Nahebeziehung gegebenenfalls auch die Intensität und Dauer des Zusammenlebens von Bedeutung sind. Familiäre Beziehungen unter Erwachsenen fallen dann unter den Schutz des Art. 8Artikel 8, Abs. 1Absatz eins, EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl.vergleiche VwGH 22.6.2020, Ra 2019/19/0539, mwN).
14 Das BVwG führte dazu im angefochtenen Erkenntnis aus, die volljährige Revisionswerberin lebe zwar seit ihrer Einreise in Österreich im gemeinsamen Haushalt mit ihren Eltern und Geschwistern, habe jedoch nahezu ihr gesamtes Leben bis zu ihrer Einreise von ihren Eltern getrennt in Nepal gelebt. Der Kontakt habe über einen sehr langen Zeitraum in nur eingeschränktem Maße stattgefunden. Mit ihren Geschwistern habe die Revisionswerberin zwar in Nepal zusammengewohnt, doch sei keine besonders intensive Beziehung vorgebracht worden. Auch die bloße Mitarbeit der Revisionswerberin im Familienbetrieb begründe kein Abhängigkeitsverhältnis. Eine finanzielle Unterstützung der Revisionswerberin in ihrem Herkunftsstaat sei ebenso möglich.
15 Der Revision gelingt es mit ihrem Vorbringen nicht, darzulegen, dass das BVwG fallbezogen von den Leitlinien der angeführten Rechtsprechung abgewichen wäre. Insbesondere gelingt es ihr mit dem pauschalen Vorbringen, die Revisionswerberin habe eine enge Beziehung zu ihrem Großvater, der ebenso Österreicher sei und dem sie im Alltag helfe, kein besonderes Abhängigkeitsverhältnis darzulegen und unterliegt dieses Vorbringen im Übrigen dem Neuerungsverbot des § 41Paragraph 41, VwGG (vgl.vergleiche etwa VwGH 29.9.2021, Ra 2021/19/0223, mwN).
16 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8Artikel 8, EMRK im Allgemeinen - wenn kein revisibler Verfahrensmangel aufgezeigt wird und sie in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl.vergleiche VwGH 3.11.2022, Ra 2021/19/0365, mwN).
17 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von - wie vorliegend - weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8Artikel 8, EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt und in Fällen, in denen eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vorliegt, regelmäßig erwartet wird, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären (vgl.vergleiche erneut VwGH 19.1.2022, Ra 2021/19/0436, mwN).
18 Das BVwG hat in der Interessenabwägung die für die Revisionswerberin sprechenden Umstände mit den gegen sie sprechenden Umständen abgewogen und ist zum Schluss gekommen, dass bei der volljährigen Revisionswerberin, die sich seit ca. vier Jahren im Bundesgebiet aufhalte, von keiner über das übliche Maß hinausgehenden Integration auszugehen sei und die öffentlichen Interessen an einer Außerlandesbringung die privaten Interessen der Revisionswerberin an einem Verbleib im Inland somit überwiegen würden.
19 Entgegen dem Vorbringen in der Revision hat das BVwG auch berücksichtigt, dass die Revisionswerberin gelegentlich als Kellnerin und Küchenhilfe im Familienbetrieb mithelfe und dort als Teilgesellschafterin eingetragen sei. Im Ergebnis verneinte das BVwG auch nicht die berufliche Integration der Revisionswerberin, sondern führte aus, dass die Revisionswerberin eine gewisse berufliche Integration aufweise und wertete dabei auch die Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 zu Gunsten der Revisionswerberin.
20 Dass sich das BVwG bei der Gewichtung dieser Umstände von den in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien entfernt oder diese in unvertretbarer Weise zur Anwendung gebracht hätte, ist nicht zu sehen. Der Revision gelingt es nicht aufzuzeigen, dass die im Einzelfall vorgenommene Interessenabwägung des BVwG unvertretbar erfolgt wäre.
21 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133Artikel 133, Abs. 4Absatz 4, B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34Paragraph 34, Abs. 1Absatz eins, VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 16. Dezember 2022
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022190302.L00Im RIS seit
26.01.2023Zuletzt aktualisiert am
26.01.2023