Index
001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AsylG 2005 §35Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofrätin Dr. Funk-Leisch und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, über die Revision des Ali Mahdi, geboren am 11.8.1987, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jordangasse 7/4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Juli 2021, I416 2172362-1/27E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von 1.106,40 € binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am 11. Dezember 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zur Begründung seines Antrages brachte er vor, sein Vater sei im Jahr 2013 ermordet worden, weil dieser ein Mitglied der Baath-Partei gewesen sei und in einer hohen Position in der Regierung von Saddam Hussein gearbeitet habe. Der Revisionswerber und seine Familie hätten deswegen mehrere Drohungen erhalten. Im Laufe des Verfahrens brachte der Revisionswerber vor, mit der irakischen Staatsangehörigen M A verheiratet, und der Vater ihres Sohnes I A zu sein.
2 Mit Bescheid vom 15. September 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57Paragraph 57, AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 In der Begründung führte das BFA - soweit hier maßgeblich - aus, es könne nicht festgestellt werden, dass der Revisionswerber mit M A, einer in Österreich asylberechtigten irakischen Staatsangehörigen, verheiratet sei. Es könne auch nicht festgestellt werden, dass der Revisionswerber der Vater von I A, dem in Österreich asylberechtigten Sohn der M A, sei.
4 In der gegen den Bescheid des BFA erhobenen Beschwerde führte der Revisionswerber unter anderem aus, das BFA wäre gehalten gewesen, den Revisionswerber gemäß § 13Paragraph 13, Abs. 4Absatz 4, BFA-VG über die Möglichkeit der Vornahme einer DNA-Analyse zum Nachweis seiner Vaterschaft zu I A zu belehren.
5 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133Artikel 133, Abs. 4Absatz 4, B-VG für nicht zulässig.
6 Begründend führte das BVwG - soweit hier maßgeblich - aus, das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers sei nicht glaubhaft gewesen. Der Revisionswerber habe auch keine Umstände aufgezeigt, die gegen die Schutzfähigkeit und -willigkeit der staatlichen Behörden spezifisch ihm gegenüber sprechen würden, zumal er selbst wiederholt ausgeführt habe, dass er keinerlei Probleme mit der Polizei oder Behörden gehabt habe und er auch seine Rückkehrbefürchtungen zuletzt auf die behauptete unglaubhafte Verfolgung durch unbekannte Milizen gestützt habe. Hinsichtlich seiner behaupteten allgemeinen Verfolgungsgefahr von Sunniten sei auf die diesem Vorbringen widersprechenden Länderinformationen zu verweisen. Es könne nicht festgestellt werden, ob der Revisionswerber mit der irakischen Staatsbürgerin M A verheiratet sei. Außerdem könne nicht festgestellt werden, ob der Revisionswerber der Vater von I A, des Kindes der M A, sei. M A und I A lebten derzeit als Asylberechtigte in Österreich. Es bestehe mit dem Revisionswerber kein gemeinsamer Haushalt und auch kein Kontakt.
7 Beweiswürdigend führte das BVwG hinsichtlich der vorgebrachten familiären Beziehungen des Revisionswerbers aus, der erkennende Richter habe dem rechtsvertretenen Revisionswerber in der mündlichen Verhandlung die Möglichkeit aufgezeigt, einen DNA-Test durchzuführen und ihm dafür eine Frist von vier Wochen zur Erbringung eines tauglichen Nachweises seiner Vaterschaft gewährt. Nach Ablauf der Frist sei jedoch bis zum Entscheidungszeitpunkt kein entsprechender Nachweis eingelangt. Dem Revisionswerber sei es somit nicht gelungen, seine Eigenschaft als Familienangehöriger als Voraussetzung für die Annahme eines Familienverfahrens unter Beweis zu stellen.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12Paragraph 12, Abs. 1Absatz eins, Z 2Ziffer 2, VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
9 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit unter anderem vor, das BVwG sei von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es zwar im Rahmen der mündlichen Verhandlung die Möglichkeit einer DNA-Analyse thematisiert habe, ohne jedoch die Modalitäten dieser zu erklären und dem Revisionswerber die nach näher genannter Rechtsprechung erforderliche Hilfestellung bei der Durchführung der DNA-Analyse zukommen zu lassen. Hätte das BVwG festgestellt, dass es sich beim Revisionswerber um den Vater des asylberechtigten I A handle, hätte es diesem aufgrund des Familienverfahrens den Status des Asylberechtigten zuerkennen müssen bzw. hätte es in eventu die Rückkehrentscheidung dauerhaft für unzulässig erklären müssen.
10 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch berechtigt.
11 Es ist unstrittig, dass sich der Revisionswerber im Verfahren vor dem BFA und dem BVwG auf sein Verwandtschaftsverhältnis zu I A berief und das BVwG im Beschwerdeverfahren daher § 13Paragraph 13, Abs. 4Absatz 4, BFA-VG zu berücksichtigen hatte.
12 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben die Behörde bzw. das BVwG einem Fremden bestehende, konkrete Zweifel an einem behaupteten Abstammungsverhältnis mitzuteilen. Darüber hinaus haben sie dem Fremden auf sein Verlangen eine DNA-Analyse gemäß § 13Paragraph 13, Abs. 4Absatz 4, BFA-VG „zu ermöglichen“; dieser ist auch über diese Möglichkeit zu belehren. Die in der Bestimmung angesprochene „Ermöglichung“ der DNA-Analyse zum Nachweis des Verwandtschaftsverhältnisses kann im Lichte der Gesetzesmaterialien nur so verstanden werden, dass sie eine organisatorische Hilfestellung der Behörde und des Gerichts bei der Durchführung der DNA-Analyse mitumfasst, nicht jedoch die Übernahme der Kosten. Diese Regelung verfolgt den Zweck, es einem Fremden auf sein Verlangen auf einfache Weise zu ermöglichen, bestehende Zweifel an einem Verwandtschaftsverhältnis mittels DNA-Analyse auszuräumen, sofern er sich zur Übernahme der Kosten bereit erklärt. Daher sind einem Fremden im Rahmen dieser organisatorischen Hilfestellung die praktischen Modalitäten - etwa wo er sich zu welchen Zeiten zur DNA-Analyse einzufinden hat und welche Kosten damit verbunden sind - bekannt zu geben (vgl.vergleiche VwGH 3.12.2020, Ra 2020/20/0262).
13 Bevor ein Antrag [gemäß § 35Paragraph 35, AsylG 2005] aufgrund von Zweifeln an einem Verwandtschaftsverhältnis abgewiesen wird, haben jedenfalls gemäß § 13Paragraph 13, Abs. 4Absatz 4, BFA-VG eine organisatorische Hilfestellung zur Beibringung des DNA-Nachweises und die entsprechende Belehrung zu erfolgen (vgl.vergleiche VwGH 22.2.2018, Ra 2017/18/0131; 26.3.2018, Ra 2017/18/0112, mwN).
14 Im gegenständlichen Fall ging das BVwG davon aus, dass das Angehörigenverhältnis des Revisionswerbers zur vorgebrachten Bezugsperson (I A) mangels Vorlage entsprechender Unterlagen nicht festgestellt werden könne und verwies in seiner Begründung darauf, dass der Revisionswerber einen Nachweis der Vaterschaft in Form eines DNA-Tests innerhalb der vom Gericht aufgetragenen Frist nicht vorgelegt habe. Dabei verkannte das BVwG, dass der Revisionswerber die fehlende Belehrung über die Möglichkeiten der Durchführung einer DNA-Analyse durch das BFA bereits in seiner Beschwerde moniert hatte. Dieses „Ersuchen um Belehrung“ kann nur so verstanden werden, dass damit die behördliche organisatorische Hilfestellung bereits im dargestellten Sinn, somit eine Anleitung betreffend die Modalitäten der Durchführung einer DNA-Analyse, angesprochen wurden (vgl.vergleiche erneut VwGH Ra 2020/20/0262).
15 Eine Belehrung nach § 13Paragraph 13, Abs. 4Absatz 4, BFA-VG und eine organisatorische Hilfestellung im Sinne einer Anleitung betreffend die Modalitäten der vorzunehmenden DNA-Analyse - etwa, wann und an welchem konkreten Ort sich der Revisionswerber dafür einzufinden habe - sind den vorgelegten Verfahrensakten jedoch nicht zu entnehmen. Trotz des insoweit vorliegenden Verstoßes gegen § 13Paragraph 13, Abs. 4Absatz 4, BFA-VG würdigte das BVwG das Unterbleiben des Nachweises des Verwandtschaftsverhältnisses durch Vorlage einer DNA-Analyse in dem angefochtenen Erkenntnis zum Nachteil des Revisionswerbers.
16 Da das BVwG feststellte, dass I A in Österreich über den Status eines Asylberechtigten verfüge und sich der Revisionswerber auf das Verwandtschaftsverhältnis zu diesem berief, kann diesem Verfahrensmangel auch nicht die Relevanz abgesprochen werden.
17 Das angefochtene Erkenntnis war somit schon aus diesem Grund gemäß § 42Paragraph 42, Abs. 2Absatz 2, Z 3Ziffer 3, lit. bLitera b, und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
18 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39Paragraph 39, Abs. 2Absatz 2, Z 3Ziffer 3, VwGG Abstand genommen werden.
19 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47Paragraphen 47, ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 21. Dezember 2022
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021190318.L00Im RIS seit
26.01.2023Zuletzt aktualisiert am
26.01.2023