TE Vwgh Erkenntnis 1995/12/15 95/21/0186

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Veröffentlicht am 15.12.1995
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AufG 1992 §5 Abs1;
AVG §45 Abs3;
FrG 1993 §10 Abs1 Z4;
MRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des I in B, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 16. November 1994, Zl. 102.432/2-III/11/94, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.390,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid vom 16. November 1994 wies der Bundesminister für Inneres (die belangte Behörde) den Antrag des Beschwerdeführers vom 11. April 1994 auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes und § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes ab. In der Begründung ging die belangte Behörde davon aus, daß § 5 des Aufenthaltsgesetzes die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ausschließe, wenn ein Sichtvermerksversagungsgrund im Sinne des Fremdengesetzes vorliegt. Nach § 10 Abs. 1 Z. 4 dieses Gesetzes liege ein solcher insbesondere dann vor, wenn der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde. Der Beschwerdeführer sei mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien wegen des Verbrechens nach §§ 15, 127, 130 erster Fall StGB, rechtskräftig seit 14. August 1993, zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden. Der Beschwerdeführer weise überdies rechtskräftige Bestrafungen durch den Magistrat Krems vom 3. Dezember 1991 wegen der §§ 99 Abs. 3 lit. a und 20 Abs. 2 StVO, vom 18. März 1992 wegen § 49 Abs. 7 KFG und vom 30. August 1993 wegen §§ 134 Abs. 1 und 103 Abs. 2 KFG auf. Aufgrund der angeführten Verurteilungen sei der Tatbestand des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG erfüllt. Damit liege ein zwingender Sichtvermerksversagungsgrund vor, weshalb die beantragte Aufenthaltsbewilligung zu versagen sei. Dazu merkte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid noch an, daß "die öffentlichen Interessen die privaten Interessen des Beschwerdeführers überwiegen".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behauptende Beschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid aus diesen Gründen aufzuheben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens erwogen:

Der Beschwerdeführer stellt nicht in Abrede, daß er vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Verbrechens nach den §§ 15, 127, 130 erster Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten rechtskräftig verurteilt sowie mehrfach wegen Verwaltungsvergehen bestraft worden ist. Für die Verwirklichung des Tatbestandes des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG ist wesentlich, ob das gesamte Verhalten des Fremden die in der genannten Bestimmung umschriebene Annahme rechtfertigt. Im vorliegenden Fall bildet schon der Hinweis auf die der gerichtlichen Verurteilung zugrunde liegenden Verstöße gegen fremdes Vermögen eine ausreichende sachverhaltsmäßige Grundlage für die im § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG umschriebene Annahme. Der Beschwerdeführer führt dagegen auch nur ins Treffen, daß seine privaten und familiären Interessen für den Erhalt der angestrebten Aufenthaltsbewilligung nicht ausreichend berücksichtigt worden seien. In der Beschwerde wird unter anderem ausgeführt, der Beschwerdeführer sei verheiratet, habe ein Kind und - wie seine Familie - seit 9. April 1992 eine Aufenthaltsbewilligung. Seither könne er auch eine Arbeitserlaubnis im Bundesgebiet vorweisen und es seien zuletzt seine Anträge auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung am 6. August 1993 und 3. Februar 1994 von der Behörde ungeachtet seiner Vorstrafen bewilligt worden. Im vorliegenden Fall habe die Behörde erster Instanz seinen Verlängerungsantrag lediglich mit der unrichtigen Begründung abgewiesen, daß er die im § 6 Abs. 3 AufG normierte Frist versäumt hätte. Die belangte Behörde habe sich nun erstmals auf den Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes gestützt, ohne ihm zuvor ein entsprechendes Parteiengehör einzuräumen, andernfalls er die oben angeführten persönlichen Verhältnisse, die bei der Entscheidung zu berücksichtigen gewesen wären, hätte vorbringen können.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Behörde grundsätzlich bei Anwendung des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG auf die privaten und familiären Interessen des Fremden Bedacht zu nehmen und zwar derart, daß sie zu prüfen hat, ob ein Aufenthalt des Fremden im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit derart gefährden würde, daß die im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen einen Eingriff in sein Privat- und Familienleben rechtfertigen (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom 23. Februar 1995, Zl. 94/18/0764 und 0815). Ob nun die belangte Behörde im vorliegenden Fall diesem Gebot entsprochen hat oder nicht, läßt sich aufgrund der diesfalls lediglich eine Scheinbegründung darstellenden Formulierung im angefochtenen Bescheid nicht ausreichend nachvollziehen. Weder im Bescheid der Behörde erster Instanz noch im angefochtenen Bescheid selbst findet sich - trotz entsprechender Angaben des Beschwerdeführers im Verwaltungsakt - irgendeine Feststellung über die Dauer des Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, die näheren Umstände seiner Einreise, ob und welcher Beschäftigung er nachgeht, über seinen Familienstand, ob er mit allfälligen Familienangehörigen im gemeinsamen Haushalt lebt oder über seine sonstigen maßgeblichen persönlichen Verhältnisse, um beurteilen zu können, ob und inwieweit die angefochtene Entscheidung in seine privaten und familiären Beziehungen im Bundesgebiet eingreift. Da die Behörde erster Instanz ihre abweisliche Entscheidung lediglich mit einer behaupteten Fristversäumnis bei der Stellung des Antrages auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung begründet hatte, bezogen sich auch die Berufungsausführungen im Verwaltungsverfahren lediglich auf die Geltendmachung der Unrichtigkeit dieser Sachverhaltsannahme im erstinstanzlichen Bescheid. Da die belangte Behörde dem Beschwerdeführer zu dem von ihr als Abweisungsgrund herangezogenen Tatbestand des § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes kein Parteiengehör eingeräumt hat, läßt sich somit trotz der Wortfolge im angefochtenen Bescheid "die öffentlichen Interessen überwiegen die privaten Interessen" nicht beurteilen, ob die belangte Behörde tatsächlich eine dem Art. 8 Abs. 2 MRK entsprechende Interessenabwägung vorgenommen hat. Die vorerwähnte Wortfolge konnte die belangte Behörde angesichts der inhaltsleeren Aussage auch lediglich als zwingende Schlußfolgerung aus der Annahme, daß der Tatbestand des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG erfüllt sei, verstanden haben wollen. Sollte die Behörde der Auffassung gewesen sein, daß die Erfüllung des Tatbestandes des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG zwingend der Berücksichtigung der privaten und familiären Interessen entgegenstünde, hätte sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Mangels jeglicher Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers und einer dem Art. 8 Abs. 2 MRK entsprechenden, der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle zugänglichen Interessenabwägung war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil an Stempelgebührenersatz nur S 270,-- (S 240,-- Eingabengebühr für die Beschwerde und S 30,-- Beilagengebühr) zuerkannt werden konnte.

Schlagworte

Parteiengehör Erhebungen Ermittlungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1995210186.X00

Im RIS seit

02.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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