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L37069 Kurzparkzonenabgabe Parkabgabe Parkgebühren Wien;Norm
AVG §71 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hnatek und die Hofräte Dr. Wetzel, Dr. Puck, Dr. Höfinger und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Fegerl, über die Beschwerde des Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 23. Mai 1995, Zl. UVS-05/K/36/00750/95, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erteilung einer Lenkerauskunft gemäß § 1a des Wiener Parkometergesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1.0. Aus der Beschwerde und dem angefochtenen Bescheid ergibt sich nachstehender Sachverhalt:
1.1. Mit Bescheid vom 21. März 1995 wies der Magistrat der Bundeshauptstadt Wien den Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erteilung einer Lenkerauskunft nach dem § 1a des Parkometergesetzes, LGBl. für Wien Nr. 47/1974 in der Fassung LGBl. Nr. 24/1987 (im folgenden: Wr ParkometerG), betreffend die Lenkererhebung vom 3. Jänner 1995, gemäß § 71 Abs. 1 AVG zurück. Eine Wiedereinsetzung könne nur bei Versäumnis einer Frist für eine Handlung in Frage kommen, die die Partei im Zuge eines schon anhängigen Verwaltungsstrafverfahrens zu setzen gehabt habe (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Juli 1951, Slg. N.F. Nr. 2174/A), nicht aber für die Geltendmachung eines materiell-rechtlichen Anspruches oder Antrages (Erkenntnis vom 3. März 1950, Slg. N.F. Nr. 1291/A). Die gesetzte Frist sei keine verfahrensrechtliche Frist.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung.
1.2. Mit Bescheid vom 23. Mai 1995 gab der Unabhängige Verwaltungssenat Wien dieser Berufung keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Zurückweisungsbescheid. In der Bescheidbegründung heißt es, nach Lehre und Rechtsprechung (Ringhofer, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze I, 736; Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens4, 622; Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts5,
252) müsse es sich bei der im Sinne des § 71 Abs. 1 AVG versäumten Frist um eine verfahrensrechtliche Frist handeln, deren Ablauf die Möglichkeit beende, in einem Verwaltungsverfahren (Verwaltungsstrafverfahren) eine Verfahrenshandlung zu setzen, wie eine Berufung zu erheben oder einen Antrag zu verbessern (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. Juni 1993, Zl. 93/06/0053). Eine Wiedereinsetzung gegen die Versäumung materiell-rechtlicher Fristen sei nicht vorgesehen. Nach § 1a Abs. 2 Wr ParkometerG sei die Lenkerauskunft unverzüglich, im Falle einer schriftlichen Aufforderung binnen zwei Wochen nach Zustellung zu erteilen. Diese Frist sei nicht erstreckbar. Die praktische Funktion der Lenkerauskunft sei die Ermittlung des Tatverdächtigen. Das Auskunftsverlangen sei ein - wenn auch pflichtenbegründender und Anordnungscharakter aufweisender - nicht bescheidförmiger Akt der Hoheitsverwaltung.
Bei der zweiwöchigen Frist zur Auskunftserteilung nach § 1a Abs. 2 Wr ParkometerG handle es sich um eine materiell-rechtliche Frist.
Die Frage, ob den Beschwerdeführer an der nicht fristgerechten Beantwortung der Lenkeranfrage ein Verschulden treffe, werde in einem allfälligen Verwaltungsstrafverfahren zu prüfen sein (Hinweis auf die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. November 1990, Zl. 90/18/0133, und vom 16. Oktober 1991, Zl. 91/03/0178, beide zu § 103 Abs. 2 KFG).
1.3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Bewilligung der Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der zweiwöchigen Frist zur Erteilung der Lenkerauskunft verletzt. Nach der Begründung der Beschwerde sei die Wiedereinsetzung zwar nur bei Versäumung formeller Fristen möglich, um eine solche handle es sich jedoch im Gegenstande. Solle eine Handlung prozessuale Rechtswirkungen auslösen (Verfahrenshandlung), dann stellten die dafür gesetzten Fristen verfahrensrechtliche (formelle) Fristen dar. Allgemein könnten als Verfahrenshandlungen solche Handlungen qualifiziert werden, die auf die Erzeugung insbesondere eines Bescheides gerichtet seien, wie z.B. Antragsfristen, Rechtsmittelfristen etc.; die für solche Handlungen normierten Fristen stellten verfahrensrechtliche Fristen dar (Walter-Mayer, Verwaltungsverfahren5, RdZ 229). Verwiesen werde ferner auf Antoniolli-Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht, 722. Eine Verfahrensfrist sei insbesondere auch die Verbesserungsfrist gemäß § 34 Abs. 2 VwGG, die ein gesondert ablaufendes Zwischenverfahren in Gang setze. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gebe es auch doppelfunktionelle Fristen, z.B. die dreijährige Verjährungsfrist des § 31 VStG.
Wende man die vorgenannten Erwägungen auf den Beschwerdefall an, so trete "dessen klarer Zweck auf die rasche Ausforschung des Täters in den Vordergrund". Der Zulassungsbesitzer habe sohin innerhalb bestimmter Frist zur Konkretisierung des Täters beizutragen. Nach Ablauf dieser Frist habe er sich der Möglichkeit begeben, zur raschen Ausforschung des Täters beizutragen. Ein "Nachschieben" der Auskunft sei nicht mehr vorgesehen. Die an den fruchtlosen Fristablauf geknüpften Folgen stellten einen gesonderten Verwaltungsstraftatbestand als Sanktion dar. Diese Sanktion unterstreiche lediglich die Bedeutung der fristgerechten Auskunftserteilung, sei jedoch nicht geeignet, die grundsätzliche Eigenschaft der Frist als verfahrensrechtliche Frist in Zweifel zu ziehen.
2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
2.1. § 1a Wr ParkometerG in der Fassung BGBl. Nr. 24/1987 lautet:
"(1) Der Zulassungsbesitzer und jeder, der einem Dritten das Lenken eines mehrspurigen Kraftfahrzeuges oder die Verwendung eines mehrspurigen Fahrzeuges überläßt, für deren Abstellen Parkometerabgabe zu entrichten war, hat, falls das Kraftfahrzeug oder das Fahrzeug in einer gebührenpflichtigen Kurzparkzone abgestellt war, dem Magistrat darüber Auskunft zu geben, wem er das Kraftfahrzeug oder das Fahrzeug zu einem bestimmten Zeitpunkt überlassen gehabt hat.
(2) Die Auskunft, welche den Namen und die Anschrift der betreffenden Person enthalten muß, ist unverzüglich, im Falle einer schriftlichen Aufforderung binnen zwei Wochen nach Zustellung zu erteilen; wenn eine solche Auskunft ohne entsprechende Aufzeichnungen nicht erteilt werden könnte, sind diese Aufzeichnungen zu führen."
2.2. Die praktische Funktion der Lenkerauskunft im Grunde des § 1a Wr ParkometerG ist - in aller Regel - die Ermittlung des Tatverdächtigen (vgl. die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom 27. Juni 1985, Slg. Nr. 10.505, und des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Jänner 1994, Zl. 93/17/0082). Das Auskunftsverlangen der Behörde stellt einen nicht bescheidförmigen Akt der Hoheitsverwaltung mit Anordnungscharakter dar (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 29. Jänner 1988, Zl. 87/17/0348, und vom 19. Jänner 1990, Zl. 87/17/0387).
Bei der Prüfung der zwischen den Verfahrensparteien strittigen Frage, ob es sich bei der in § 1a Abs. 2 leg. cit. vorgesehenen Frist für die Erteilung der Lenkerauskunft um eine materiell-rechtliche oder um eine verfahrensrechtliche Frist handelt, sind beim Verwaltungsgerichtshof Zweifel an der Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien zur Behandlung der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid, betreffend die Nichtbewilligung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der gesetzten Auskunftsfrist entstanden.
Gestützt auf § 35 Abs. 2 VwGG richtete der Verwaltungsgerichtshof folgende Anfrage an die belangte Behörde:
"Schon aus dem angefochtenen Bescheid könnte sich ... ergeben, daß dieser die beschwerdeführende Partei dadurch in ihren Rechten verletzt, daß er von dem in der vorliegenden Angelegenheit nicht zuständigen Unabhängigen Verwaltungssenat Wien erlassen wurde. Der Verwaltungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, daß im Gegenstand kein Verfahren wegen einer Verwaltungsübertretung im Sinne des Art. 129a Abs. 1 Z. 1 B-VG, auch nicht ein Annex oder Zwischenverfahren in einer solchen Angelegenheit, vorliegt. Nach vorläufiger Rechtsmeinung des Verwaltungsgerichtshofes dient das Auskunftsverlangen nach § 1a des Wiener Parkometergesetzes nämlich nicht ausschließlich der Ermittlung der Person des in einem Abgabenstrafverfahren in Betracht kommenden Beschuldigten, sondern auch der Ermittlung des Abgabenschuldners in der zugrundeliegenden Abgabensache selbst. Das Auskunftsverlangen läßt sich daher nicht ausschließlich und eindeutig einem Verwaltungsstrafverfahren zuordnen und erscheint vielmehr als ein gesetzlich vorgesehenes Auskunftsbegehren eigener Art, welches auch außerhalb, insbesondere auch vor Einleitung eines Verwaltungsstrafverfahrens von der Behörde gestellt werden kann. Eine andere, die Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates allenfalls begründende gesetzliche Bestimmung scheint nicht zu bestehen."
Die belangte Behörde hat in ihrer Stellungnahme nichts vorgebracht, was die Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes zerstreut hätte. Die belangte Behörde weist auf das bereits zitierte Erkenntnis VfSlg. 10.505/1985 hin, in welchem der Verfassungsgerichtshof herausgestellt habe, daß die praktische Funktion der Lenkerauskunft im Regelfall darin liege, den einer Verwaltungsübertretung Verdächtigen festzustellen. Es ist aber nach dem Wortlaut der Bestimmung nicht ausgeschlossen, dieses Instrumentarium auch zur Ausforschung des abgabenpflichtigen Lenkers zu verwenden. Darauf aber, daß in der Verwaltungspraxis von der Möglichkeit der Einholung von Lenkerauskünften nur zur Ermittlung des Tatverdächtigen hinsichtlich des Abgabenstraftatbestandes Gebrauch gemacht werde, nicht aber zum Zweck der Ermittlung des abgabepflichtigen Lenkers, kann es, entgegen der Ansicht der belangten Behörde, angesichts des gesetzlichen Anwendungsbereiches der Bestimmung nicht ankommen. Die belangte Behörde übersieht darüberhinaus in ihrer Stellungnahme, daß die Lenkerauskunft - wie auch der vorliegende Fall zeigt - noch vor Einleitung eines Verwaltungsstrafverfahrens (die gegen den Beschwerdeführer gerichtete Strafverfügung war wegen rechtzeitigen Einspruches außer Kraft getreten) dazu dient, den bis dahin der Behörde noch nicht bekannten Tatverdächtigen zu ermitteln. In diesem Sinn hat der Verwaltungsgerichtshof hinsichtlich der Lenkerauskunft nach § 103 Abs. 2 KFG 1967 - diese Regelung ist mit der vorliegenden in dieser Hinsicht vergleichbar - ausgesprochen, daß das Auskunftsverlangen nicht als Teil des Verwaltungsstrafverfahrens aufzufassen sei, insbesondere auch nicht als Verfolgungshandlung im Sinne des § 32 Abs. 2 VStG in Frage komme (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 7. Dezember 1984, Zl. 84/02/0209, und vom 11. November 1992, Zl. 92/02/0303).
2.3. Da sich somit schon aus dem angefochtenen Bescheid ergibt, daß der angefochtene Bescheid den Beschwerdeführer in seinem Recht auf Entscheidung durch die zuständige Berufungsbehörde verletzt, und die belangte Behörde nichts vorgebracht hat, was geeignet ist, das Vorliegen dieser Rechtsverletzung als nicht gegeben erkennen zu lassen, war der angefochtene Bescheid gemäß § 35 Abs. 2 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung aufzuheben.
2.4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit Art. I Z. 1 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.
2.5. Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 und 7 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1995170382.X00Im RIS seit
26.11.2001