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10/07 Verfassungs- und VerwaltungsgerichtsbarkeitNorm
B-VGLeitsatz
Auswertung in ArbeitSpruch
I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan und gegen die Setzung einer 14-tägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Leben gemäß Art2 EMRK sowie im Recht gemäß Art3 EMRK, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen zu werden, verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und stammt aus der Provinz Ghazni, Distrikt Gharabagh. Er gehört der Volksgruppe der Hazara an und ist schiitischer Moslem. Er stellte am 5. Mai 2015 als Minderjähriger einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Mit Bescheid vom 30. September 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte ihm jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 30. September 2017, welche in der Folge mit Bescheid vom 25. September 2017 bis zum 30. September 2019 verlängert wurde.
3. In der Folge wurde der mittlerweile volljährige Beschwerdeführer mehrfach von inländischen Gerichten rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt. Nach einem weiteren Antrag des Beschwerdeführers auf Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung wurde gegen ihn ein Aberkennungsverfahren eingeleitet. Mit Bescheid vom 19. Februar 2020 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten "gemäß §9 Abs1 AsylG 2005" von Amts wegen ab, entzog ihm die befristete Aufenthaltsberechtigung, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, legte die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest und erließ gegen den Beschwerdeführer ein auf fünf Jahre befristetes Einreiseverbot.
4. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 27. Juli 2021 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §9 Abs1 Z1 und Abs2 Z2 AsylG 2005 aberkannt werde.
Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, der Beschwerdeführer sei nach der letzten Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung volljährig geworden, habe die Schule besucht und Berufserfahrungen gesammelt. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten lägen daher nicht mehr vor. Zudem sei der Beschwerdeführer nach Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und vor allem auch nach der letzten Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung mehrfach von inländischen Gerichten rechtskräftig verurteilt worden. Auf Grund seines strafbaren Verhaltens (ua Straftaten nach dem Suchtmittelgesetz, mehrfache Körperverletzung, Nötigung, mehrfache gefährliche Drohung und Widerstand gegen die Staatsgewalt) stelle der Beschwerdeführer nunmehr auch eine Gefahr für die Allgemeinheit und die Sicherheit der Republik dar, zumal er wiederholt und rasch rückfällig geworden sei. Im Hinblick auf die Städte Herat oder Mazar-e Sharif stehe dem Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative in Afghanistan zur Verfügung, wo er sich eine Existenz aufbauen könne.
5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses in vollem Umfang beantragt wird. Der Beschwerdeführer bringt insbesondere vor, dass es das Bundesverwaltungsgericht unterlassen habe, seiner Entscheidung die aktuelle Sachlage betreffend die Situation in Afghanistan zu Grunde zu legen.
6. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie das Bundesverwaltungsgericht haben von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde entspricht hinsichtlich der Gründe für den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan in allen entscheidungswesentlichen Belangen der dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 30. September 2021, E3445/2021, zugrunde liegenden Beschwerde, die sich gegen eine – im hier maßgeblichen Teil – im Wesentlichen gleichlautende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes wendet.
2. Der Verfassungsgerichtshof kann sich daher darauf beschränken, insbesondere auf Rz 17 ff der Entscheidungsgründe seines zu E3445/2021 am 30. September 2021 gefällten Erkenntnisses hinzuweisen. Daraus ergibt sich auch für den vorliegenden Fall, dass das Bundesverwaltungsgericht im Zeitpunkt seiner Entscheidung jedenfalls das aktuellste, die jüngsten Entwicklungen – auf Grund derer der Verfassungsgerichtshof davon ausgeht, dass sich spätestens mit 12. Juni 2021 (s dazu VfGH 24.9.2021, E3047/2021) sowie mit 20. Juli 2021 (s dazu VfGH 30.9.2021, E3445/2021) wesentliche Veränderungen der Sachlage abgezeichnet haben – berücksichtigende Berichtsmaterial zur Sicherheitslage in Afghanistan heranziehen und würdigen hätte müssen. Da dies im vorliegenden Fall nicht geschehen ist, verletzt die angefochtene Entscheidung, soweit damit die Beschwerde gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan und gegen die damit in Zusammenhang stehende Setzung einer 14-tägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wird, den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Leben gemäß Art2 EMRK sowie im Recht gemäß Art3 EMRK, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen zu werden.
3. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde gegen die durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigte Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, die Entziehung der befristeten Aufenthaltsberechtigung, die Nichterteilung des Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung der Rückkehrentscheidung und die Verhängung eines auf die Dauer von fünf Jahren befristeten Einreiseverbotes richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, insoweit nicht anzustellen.
Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, insoweit sich die Beschwerde gegen die durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigte Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, die Entziehung der befristeten Aufenthaltsberechtigung, die Nichterteilung des Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung der Rückkehrentscheidung und die Verhängung eines auf die Dauer von fünf Jahren befristeten Einreiseverbotes richtet, abzusehen.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan und gegen die Setzung einer 14-tägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Leben gemäß Art2 EMRK sowie im Recht gemäß Art3 EMRK, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen zu werden, verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabegebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.
5. Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:E3073.2021Zuletzt aktualisiert am
24.01.2023