Index
10/07 Verfassungs- und VerwaltungsgerichtsbarkeitNorm
B-VGLeitsatz
Auswertung in ArbeitSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist pakistanischer Staatsangehöriger, bekennt sich zum schiitisch-muslimischen Glauben und gehört der Volksgruppe der Punjabi an. Am 22. Februar 2019 stellte er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz, weil er in seinem Herkunftsland auf Grund seiner Religionszugehörigkeit verfolgt werde.
2. Mit Bescheid vom 13. März 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab. Es erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung nach Pakistan zulässig sei, und gewährte eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise. Zudem erging an den Beschwerdeführer die Anordnung der Unterkunftnahme in einem näher bezeichneten Quartier.
3. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 13. Juni 2022 als unbegründet abgewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht erachtet das Fluchtvorbringen als unglaubwürdig und stellt fest, dass im Rahmen des Ermittlungsverfahrens auch sonst keine Anhaltspunkte hervorgetreten seien, die auf eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers hindeuteten. Des Weiteren vertritt das Bundesverwaltungsgericht die Ansicht, dass den Beschwerdeführer die Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht in seinen gemäß Art2 oder 3 EMRK und durch das 6. oder 13. ZPEMRK gewährleisteten Rechten verletzen werde.
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen und auf die Begründung in der angefochtenen Entscheidung verwiesen.
6. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat von der Erstattung einer Äußerung ebenfalls Abstand genommen.
II. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
2.1. Wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung seit VfSlg 11.196/1986 zum rechtsstaatlichen Prinzip festhält (vgl VfSlg 12.409/1990, 12.683/1991, 13.003/1992, 13.182/1992, 13.305/1992, 13.493/1993, 14.374/1995, 14.548/1996, 14.765/1997, 15.218/1998, 16.245/2001), müssen Rechtsschutzeinrichtungen ihrer Zweckbestimmung nach ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufweisen. Der Verfassungsgerichtshof hat vor diesem Hintergrund wiederholt die Auffassung vertreten, dass das Verfahren zur Gewährung von Asyl Besonderheiten aufweist, die ein Abweichen von den Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes erforderlich machen können (vgl VfSlg 13.831/1994, 13.834/1994, 13.838/1994, 15.218/1998). Im Erkenntnis VfSlg 15.218/1998 hat er ua auch darauf hingewiesen, dass dem rechtsschutzsuchenden Asylwerber neben dem sprachlichen grundsätzlich auch das rechtliche Verständnis der Entscheidung ermöglicht werden muss, und es ihm demnach möglich sein muss, sich "der Hilfe einer fachkundigen (wenngleich nicht notwendigerweise rechtskundigen) Person als Beistand" zu bedienen (vgl auch VfSlg 18.809/2009).
In seinem Erkenntnis VfSlg 19.490/2011 hat der Verfassungsgerichtshof unter Hinweis auf frühere Rechtsprechung (VfSlg 15.218/1998, 18.809/2009, 18.847/2009 sowie VfGH 2.10.2010, U3078/09 ua) zur Frage des Rechtsschutzes von Asylwerbern im Asylverfahren durch den damaligen Asylgerichtshof im Hinblick auf den damals in §66 AsylG 2005 (nunmehr §§48 bis 52 BFA-VG) normierten Rechtsberater ausgesprochen, dass es auf Grund des spezifischen Rechtsschutzbedürfnisses von Asylwerbern Sache des Asylgerichtshofes ist, dafür Sorge zu tragen, dass das einem Asylwerber zustehende Recht auf einen Rechtsberater auch tatsächlich in Anspruch genommen werden kann, wenn der Asylwerber ein solches Begehren stellt oder aufrecht hält. In diesem Sinne hat auch der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 3. Mai 2016, Ro 2016/18/0001, judiziert, dass es, auf Grund der aus dem rechtsstaatlichen Prinzip einerseits und den einschlägigen unionsrechtlichen Vorschriften andererseits resultierenden Verfahrensgarantien, auch Sache des Verwaltungsgerichtes ist, dafür Sorge zu tragen, dass das einem Asylwerber zustehende Recht auf einen Rechtsberater tatsächlich in Anspruch genommen werden kann.
2.2. Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13. März 2019 wurde dem Beschwerdeführer amtswegig die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberaterin zur Seite gestellt. Der Beschwerdeführer bevollmächtigte die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe mit seiner Vertretung im Verfahren und erhob durch seine bevollmächtigte Vertreterin Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
Mit Schreiben vom 11. Dezember 2020 zeigte die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe die Zurücklegung der Vollmacht mit 31. Dezember 2020 an.
Mit Mitteilung vom 2. Februar 2022, dem Beschwerdeführer zugestellt am 9. Februar 2022, wurde dieser über die Anberaumung und Ladung zur mündlichen Verhandlung am 19. April 2022 benachrichtigt. Der Ladung angeschlossen war ua ein als "Merkblatt" betiteltes Informationsblatt betreffend die Möglichkeit, sich zum Zwecke der Rechtsvertretung im Rahmen der mündlichen Verhandlung mit der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH in Verbindung zu setzen.
2.3. In der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 19. April 2022 wird keine Rechtsvertretung des Beschwerdeführers ausgewiesen. Es findet sich lediglich der Hinweis, dass die erkennende Richterin "nach Aufruf der Sache die Identität und Stellung der Anwesenden sowie etwaige Vertretungsbefugnisse wie oben eingetragen" geprüft habe. In der Folge wurde die mündliche Verhandlung durchgeführt, ohne den Beschwerdeführer – angesichts der Abwesenheit einer Rechtsvertretung – über ein allfälliges Vollmachtsverhältnis zu einer Rechtsberatung befragt und ohne ihn über seine Rechte gemäß §52 BFA-VG aufgeklärt, insbesondere über die Möglichkeit der Ladung einer Rechtsvertretung in Kenntnis gesetzt zu haben. Diese Handhabung des Verfahrensrechts stellt Willkür dar (vgl VfGH 28.2.2022, E2810/2021; 22.9.2021, E2594/2021; 8.6.2021, E3947/2020 jeweils mwN).
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe auch im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:E2016.2022Zuletzt aktualisiert am
24.01.2023