TE Vwgh Beschluss 2022/12/6 Ra 2022/14/0266

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Veröffentlicht am 06.12.2022
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E3L E19103010
41/02 Passrecht Fremdenrecht
49/01 Flüchtlinge

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §6 Abs1 Z1
EURallg
FlKonv Art1 AbschnD
32011L0095 Status-RL Art12 Abs1 litb
32011L0095 Status-RL Art12 Abs2
32011L0095 Status-RL Art12 Abs3

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des W Y in A, vertreten durch Mag. Wissam Barbar, Rechtsanwalt in 1110 Wien, Simmeringer Hauptstraße 99/2/10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. August 2022, W247 2248827-1/12E, betreffend Anerkennung als Flüchtling nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein staatenloser Palästinenser, stellte am 5. Februar 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Begründend brachte er im Wesentlichen vor, Syrien 2004 verlassen zu haben, um in Saudi-Arabien zu arbeiten. Zuletzt sei er im Jahr 2011 in Syrien zu Besuch gewesen. Im Jahr 2018 sei sein Aufenthaltstitel in Saudi-Arabien nicht mehr verlängert worden und er sei sodann in die Türkei zu seiner Familie gereist. Dort habe er sich neun Monate aufgehalten, bevor er nach einem einjährigen Aufenthalt in Griechenland über Albanien, den Kosovo und Serbien im Februar 2021 nach Österreich eingereist sei. In Syrien herrsche Krieg, er habe dort niemanden. Der Revisionswerber sei aufgrund seiner palästinensischen Herkunft in Syrien unerwünscht.

2        Mit Bescheid vom 1. November 2021 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine Aufenthaltsberechtigung befristet auf die Dauer eines Jahres (Spruchpunkt III.).

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen Spruchpunkt I. erhobene Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab, weiteres erklärte es die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4        Begründend hielt das BVwG unter Einbeziehung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Verweis auf EuGH, 13.1.2021, C-507/19, Bundesrepublik Deutschland gegen XT) fest, dass der Revisionswerber eine aufrechte Registrierung von UNRWA Syrien vorgelegt, seinen gewöhnlichen Aufenthalt aber in Saudi-Arabien gehabt habe und spätestens im Jahr 2004 freiwillig aus Syrien ausgereist sei. Es liege kein „ipso-facto Schutz“ des Revisionswerbers vor. Der Revisionswerber habe im gesamten Verfahren kein asylrelevantes Vorbringen im Hinblick auf das Land seines gewöhnlichen Aufenthalts, Saudi-Arabien, erbracht, weshalb die Beschwerde abzuweisen gewesen sei. Von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung habe abgesehen werden können, da der Sachverhalt aufgrund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt gewesen sei.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        Zur Begründung ihrer Zulässigkeit bringt die Revision vor, es fehle Rechtsprechung zur Frage, hinsichtlich welchen Landes und welchen Zeitpunktes eine mögliche Verfolgung im Falle des beim UNRWA registrierten Revisionswerbers geprüft werden müsse; zu dieser Frage widerspreche das angefochtene Erkenntnis dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom 13. Jänner 2021 in der Rechtssache C-507/19, Bundesrepublik Deutschland gegen XT. Zudem fehle Rechtsprechung zum „ipso-facto Schutz“ von staatenlosen Palästinensern durch die UNRWA im Zusammenhang mit § 8 AsylG 2005, wenn aufgrund der Situation in Syrien bereits subsidiärer Schutz gewährt worden sei. Weiters rügt die Revision das Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Zusammenhang mit einer Verfolgungsbehauptung aufgrund der Tätigkeit des Bruders des Revisionswerbers in Syrien.

9        Soweit die Revision pauschal fehlende Rechtsprechung im Hinblick auf das heranzuziehende Herkunftsgebiet von UNRWA-Registrierten sowie Fragen des „ipso-facto Schutzes“ moniert, ist sie auf Folgendes hinzuweisen:

10       Der Verwaltungsgerichtshof hat auf Grundlage der Bestimmungen des § 3 AsylG 2005, der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der Richtlinie 2011/95/EU bereits geklärt, dass Voraussetzungen für den „ipso-facto Schutz“ lediglich die Stellung eines Asylantrags sowie die Prüfung durch die Asylbehörden sind, ob der Beistand von UNRWA tatsächlich in Anspruch genommen wurde, dieser nicht länger gewährt wird und keiner der Ausschlussgründe nach Art. 12 Abs. 1 lit. b oder Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2011/95/EU vorliegt. Für die Frage der Zuerkennung des „ipso-facto Schutzes“ ist weiter maßgeblich, ob der Schutz bzw. Beistand von UNRWA als weggefallen im Sinn der Richtlinie 2011/95/EU anzusehen ist. Für die zur Klärung dieser Frage erforderliche Feststellung, ob dieser Beistand tatsächlich nicht länger gewährt wird, haben die nationalen Behörden und Gerichte zu prüfen, ob der Wegzug des Betroffenen durch nicht von ihm zu kontrollierende und von seinem Willen unabhängige Gründe gerechtfertigt ist, die ihn zum Verlassen dieses Gebietes zwingen und somit daran hindern, den von UNRWA gewährten Beistand zu genießen (vgl. zu allem VwGH 1.3.2018, Ra 2017/19/0273, mwN, unter anderem auf EuGH 19.12.2012, El Kott, C-364/11, Rn. 61; jüngst VwGH 15.2.2021, Ra 2021/01/0011, mwN).

11       Das BVwG hat im vorliegenden Fall verneint, dass sämtliche dieser Voraussetzungen vorliegen. Dem hält die Revision nichts Stichhaltiges entgegen. Zum einen wich das BVwG nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinsichtlich des zu prüfenden Herkunftsstaates ab (vgl. VwGH Ra 2021/01/0011). Zum anderen legte das BVwG nachvollziehbar dar, dass kein Asylgrund glaubhaft gemacht wurde (zum diesbezüglichen Maßstab für das Vorliegen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vgl. etwa VwGH 21.10.2022, Ra 2022/14/0253).

12       Soweit die Revision schließlich rügt, das BVwG habe rechtswidrigerweise von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung abgesehen, ist Folgendes festzuhalten:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinn des hier maßgeblichen § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) geklärt erscheint und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach dieser Bestimmung unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich: Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 bis 0018, sowie darauf Bezug nehmend aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 29.6.2022, Ra 2022/14/0024, mwN).

13       Dass das Bundesverwaltungsgericht von diesen Leitlinien abgewichen wäre, vermag die Revision mit ihrem pauschal gehaltenen Zulassungsvorbringen vor dem Hintergrund des Inhalts der Beschwerde und der Beschwerdeergänzung und unter Berücksichtigung des oben Ausgeführten nicht aufzuzeigen.

14       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 6. Dezember 2022

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022140266.L00

Im RIS seit

24.01.2023

Zuletzt aktualisiert am

24.01.2023
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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