Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §67a Abs1 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Stoll, Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Loibl, über die Beschwerde des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 27. Oktober 1993, Zl. UVS-02/11/58/93, betreffend Festnahme wegen des Verdachtes des Vorliegens einer Verwaltungsübertretung nach § 82 Abs. 1 iVm § 78 lit. c StVO (mitbeteiligte Partei: B in W, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in W), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Begründung
Am 7. Oktober 1993 wurde die mitbeteiligte Partei um 7.30 Uhr an einem näher bezeichneten Ort von Organen der Bundespolizeidirektion Wien festgenommen, weil sie auf dem Gehsteig vor einem Schulgebäude Flugblätter verteilte (Schulbeginn war um 7.50 Uhr). Die Flugzettel hatten keinen gewerbsmäßigen, sondern eindeutig politischen Inhalt (vermerkt in der Anzeige mit dem Wortlaut "mit linkem Inhalt"). Zwei Sicherheitswachebeamte forderten die mitbeteiligte Partei auf, eine Bewilligung nach § 82 StVO vorzuweisen. Die mitbeteiligte Partei erklärte den einschreitenden Beamten, daß sie keiner solchen Bewilligung bedürfe, weil das verfassungsmäßig gewährleistete Recht auf freie Meinungsäußerung vorgehe. Die mitbeteiligte Partei wurde wegen des Verdachtes des Vorliegens einer Verwaltungsübertretung nach § 82 Abs. 1 im Zusammenhang mit § 78 lit. c StVO gemäß § 35 Abs. 1 VStG festgenommen und sodann um 8.15 Uhr nach Klärung der Identität wieder entlassen.
Am 12. Oktober 1993 erhob die "Initiatitive XY" Beschwerde gegen vier Beamte des Polizeikommisariates Wien III wegen widerrechtlicher Amtshandlung und widerrechtlicher Festnahme an den Stadthauptmann des Bezirkspolizeikommissariates Landstraße.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 27. Oktober 1993 hat die belangte Behörde der Beschwerde der mitbeteiligten Partei vom 12. Oktober 1993 - nur diese Beschwerde ist Gegenstand dieses Bescheides - gemäß § 67c Abs. 3 AVG stattgegeben und die Festnahme der mitbeteiligten Partei am 7. Oktober 1993 von 7.45 Uhr bis 8.15 Uhr für rechtswidrig erklärt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art. 131 Abs. 1 Z. 2 B-VG gestützte Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser hat in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Soweit die mitbeteiligte Partei die Aktivlegitimation der beschwerdeführenden Partei bestreitet, ist ihr zu entgegnen, daß eine objektive Rechtsverletzung in einer Angelegenheit des Art. 11 B-VG (Straßenpolizei - Abs. 1 Z. 4 leg. cit) behauptet wird und die Parteien den Bescheid im Instanzenzug nicht mehr anfechten können.
Der beschwerdeführende Bundesminister bringt vor, daß ein Verfahren gemäß § 67a Abs. 1 Z. 2 AVG vor dem unabhängigen Verwaltungssenat eine Beschwerde vorausgesetzt hätte, die die inhaltlichen Erfordernisse des § 67c Abs. 2 AVG zu erfüllen gehabt hätte. Das in Telekopie eingebrachte Schreiben der "Initiative XY" vom 12. Oktober 1993 sei nicht als Beschwerde gemäß § 67a Abs. 1 Z. 2 AVG gegen die Festnahme der Mitbeteiligten und ihrer Schwester zu werten gewesen. Dieses Schreiben sei seinem Inhalt nach eindeutig nicht als solche Beschwerde zu verstehen und vermöge keinesfalls die in § 67c Abs. 2 AVG genannten Voraussetzungen zu erfüllen.
Ohne auf die (weiters) behaupteten inhaltlichen Mängel der Beschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat im einzelnen einzugehen, kommt bereits diesem Argument des beschwerdeführenden Bundesministers Berechtigung zu.
Bei dem Schreiben der "Initiatitive XY" vom 12. Oktober 1993 handelt es sich nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes um eine bloße Aufsichtsbeschwerde, die an den Stadthauptmann des Bezirkspolizeikommissariates Landstraße als (Dienst)Vorgesetzten gerichtet war, mit der Aufforderung, "mit der gebotenen Strenge vorzugehen und dafür zu sorgen, daß sich ein solcher Vorfall nicht mehr wiederholen kann". Der Hinweis der belangten Behörde in der Gegenschrift auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 15. März 1993, B 400-402/92, geht fehl, weil der Beschwerdefall mit dem dem zitierten Erkenntnis zugrundeliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar ist.
Die belangte Behörde war zur Entscheidung über eine Aufsichtsbeschwerde mit dem oben dargestellten Inhalt nicht zuständig. Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, auf die Frage der Aktivlegitimation der "Initiative XY" in Ansehung einer Beschwerde an den Unabhängigen Verwaltungssenates einzugehen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1994020031.X00Im RIS seit
12.06.2001