TE Vfgh Erkenntnis 2022/11/29 V227/2021

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Veröffentlicht am 29.11.2022
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Index

10/07 Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit

Norm

B-VG

Leitsatz

Auswertung in Arbeit

Spruch

I. 1. §2 der Verordnung der Burgenländischen Landesregierung vom 22. Dezember 2009 über die Höhe der Entschädigung für die Mitbenützung von Kanälen durch die Landesstraßenverwaltung, LGBl für das Burgenland Nr 3/2010, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

2. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. Juni 2023 in Kraft.

3. Die Burgenländische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt für das Burgenland verpflichtet.

II. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B-VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Burgenland, die Wortfolge "nach Inkrafttreten dieser Verordnung" in §2 Abs1 der Verordnung der Burgenländischen Landesregierung vom 22. Dezember 2009 über die Höhe der Entschädigung für die Mitbenützung von Kanälen durch die Landesstraßenverwaltung, LGBl 3/2010, in eventu §2 dieser Verordnung, als gesetzwidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar (die im Eventualantrag angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):

1. Die Verordnung der Burgenländischen Landesregierung vom 22. Dezember 2009 über die Höhe der Entschädigung für die Mitbenützung von Kanälen durch die Landesstraßenverwaltung (in der Folge: Bgld Entschädigungs-VO), LGBl 3/2010, lautet (samt Promulgationsklausel):

"Aufgrund des §12 Abs3 des Burgenländischen Straßengesetzes 2005, LGBl Nr 79, in der Fassung des Gesetzes LGBl Nr 11/2007 und der Kundmachung LGBl Nr 20/2007, wird verordnet:

§1.

(1) Die Höhe der Entschädigung für die Ableitung von auf Landesstraßen anfallenden Oberflächenwässern in Längskanäle der Gemeinde wird wie folgt festgelegt:

1. 132 Euro pro Straßenlaufmeter, wenn die Einleitung des Straßenoberflächenwassers direkt in den gemeindeeigenen Längskanal erfolgt;

2. 45 Euro pro Straßenlaufmeter,

a) wenn durch die Landesstraßenverwaltung ein eigener Regenwasserkanal errichtet wird,

b) das Oberflächenwasser zunächst in diesen und in weiterer Folge in den gemeindeeigenen Längskanal eingeleitet wird und

c) wenn der Regenwasserkanal und der gemeindeeigene Längskanal künftig von der Gemeinde erhalten werden.

(2) Für die Verrechnung des Entschädigungsbetrags ist jene Länge der Straße maßgebend, von der das Straßenoberflächenwasser in den gemeindeeigenen Längskanal eingeleitet wird. Die Beträge sind einmalige Zahlungen, mit denen alle Aufwendungen der jeweiligen Gemeinde für die Dauer des Bestandes der Straße abgegolten sind.

§2.

(1) Die Entschädigung ist für Längskanäle auf Landesstraßenabschnitten zu entrichten, bei denen der Vollausbau der Straße erstmals nach Inkrafttreten dieser Verordnung erfolgt ist.

(2) Unter einem "Vollausbau" im Sinne von Abs1 ist zu verstehen, dass bei einem im Wesentlichen nur aus einer Fahrbahn bestehenden Straßenabschnitt

1. der gesamte Oberbau erneuert und mit weiteren Straßenbestandteilen (zB Gehsteigen, Parkplätzen, Grünflächen, Randsteinen) ausgestattet wird, sowie

2. baulich eine gezielte Einleitung der Straßenoberflächenwässer in den gemeindeeigenen Längskanal hergestellt wird."

2. §12 Abs3 des Gesetzes vom 30. Juni 2005 über die öffentlichen Straßen mit Ausnahme der Bundesstraßen (Burgenländisches Straßengesetz 2005 – in der Folge: Bgld StraßenG 2005), LGBl 79/2005, lautet:

"§12

Straßenbaulast für Landesstraßen in Ortsgebieten

[…]

(3) Für die Ableitung der auf der Landesstraße anfallenden Oberflächenwässer haben die Gemeinden auf die Dauer des Bestandes der Straße einen ausreichend dimensionierten funktionstüchtigen Längskanal zur Verfügung zu stellen. Die Landesstraßenverwaltung hat den Gemeinden hiefür eine Entschädigung zu entrichten. Die Höhe der Entschädigung ist durch Verordnung der Landesregierung für das gesamte Landesgebiet festzulegen. In dieser Verordnung ist ein angemessener Beitrag für die Mitbenützung des Längskanales festzusetzen. Bei der Festsetzung der Höhe des Beitrages sind die durchschnittlichen Kosten für die Errichtung, den Betrieb und die Erneuerung des Längskanales einerseits und die Mehrbeanspruchung durch die auf der Landesstraße anfallenden Straßenabwässer andererseits zu berücksichtigen.

[…]"

III. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Mit Bescheid vom 27. Februar 2021 wies die Burgenländische Landesregierung den Antrag der Gemeinde Ollersdorf auf Entschädigung gemäß §12 Abs3 Bgld StraßenG 2005 für das Projekt "B 57, Güssinger Straße, Abschnitt 'OD Ollersdorf KM 9,963 – KM 11,596'" ab. Sie begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die Bgld Entschädigungs-VO eine Entschädigung nur für einen nach ihrem Inkrafttreten durchgeführten Vollausbau einer Straße vorsehe. Da die in der Gemeinde Ollersdorf vorgenommenen Straßenbauarbeiten (im Sinne eines Vollausbaus) bereits im September/Oktober 2009 abgeschlossen worden seien, stehe daher keine Entschädigung zu. Allein auf Basis des §12 Abs3 Bgld StraßenG 2005 sei von der Gemeinde noch kein Rechtsanspruch erworben worden.

         Gegen diesen Bescheid erhob die Gemeinde Ollersdorf Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Burgenland.

2. Aus Anlass dieses Beschwerdeverfahrens stellt das Landesverwaltungsgericht Burgenland den vorliegenden Verordnungsprüfungsantrag, in dem es seine Bedenken wie folgt darlegt (ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen):

"[…] Verletzung des Legalitätsprinzips des Art18 B-VG:

[…] Auf den gegenständlichen Straßenabschnitt der B 57 sind gemäß §1 Abs1 Bgld Straßengesetz 2005 die Bestimmungen dieses Gesetzes anzuwenden.

[…]

§12 Abs3 Bgld Straßengesetz 2005 enthält eine […] Sonderbestimmung für die Tragung der Straßenbaulast in Ortsgebieten und hier wieder für die für die Ableitung der auf der Landesstraße anfallenden Oberflächenwässer. Es besteht zunächst die Verpflichtung der Gemeinden auf die Dauer des Bestandes der Straße einen ausreichend dimensionierten funktionstüchtigen Längskanal zur Verfügung zu stellen. Für diese Leistung hat die Landesstraßenverwaltung den Gemeinden eine Entschädigung zu entrichten.

Zur Höhe dieser Entschädigung enthält das Gesetz selbst keine Bestimmungen. §12 Abs3 Bgld Straßengesetz 2005 beinhaltet vielmehr eine Verordnungsermächtigung, in der die Entschädigung zu regeln ist.

[…] §2 Abs1 der Verordnung LGBl Nr 3/2010 stellt hinsichtlich der Entschädigung darauf ab, ob der Vollausbau der Straße erstmals nach Inkrafttreten dieser Verordnung erfolgt ist. Die Verordnung ist am 06.01.2010 in Kraft getreten. Wie oben dargestellt, waren die Bauarbeiten im hier gegenständlichen Verfahren im Oktober 2009 abgeschlossen.

In §2 Abs2 der Verordnung wird der Begriff 'Vollausbau' definiert. Das Ende der Arbeiten, also der Vollausbau im Sinne des §2 Abs2 der Verordnung, erfolgte im gegenständlichen Fall im Jahr 2009. Das ergibt sich nachvollziehbar aus den von der Behörde vorgelegten Unterlagen und wurde im gesamten Verfahren nicht in Zweifel gezogen.

Die Verordnung war zum Zeitpunkt, als 'der Vollausbau der Straße' erfolgt ist, noch nicht in Kraft. Aus dem klaren Wortlaut des §2 der Verordnung ergibt sich daher, dass die Verordnung auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar ist. Bestimmungen, aus denen sich eine Rückwirkung der Verordnung ergeben, bestehen nicht.

Es besteht daher nach der derzeit geltenden Rechtslage kein Entschädigungsanspruch der Beschwerdeführerin aufgrund des §12 Abs3 Bgld Straßengesetz 2005 dieser Verordnung.

Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob sich aufgrund der Rechtslage vor Inkrafttreten der Verordnung ein Entschädigungsanspruch alleine aufgrund des §12 Abs3 Bgld Straßengesetz 2005, also der bis zum 05.01.2010 geltenden Rechtslage, ergeben kann. Das ist schon deshalb zu verneinen, weil von der Behörde jene Rechtslage anzuwenden ist, die zum Entscheidungszeitpunkt in Geltung steht. Das gilt auch für das Landesverwaltungsgericht (vgl zuletzt VwGH vom 20.11.2020, Ra 2020/20/0265).

[…] Eine Pflicht zur Erlassung einer Verordnung besteht alleine aufgrund des Art18 B-VG nicht. Es kann sich jedoch durch einfaches Gesetz eine Verpflichtung zur Erlassung einer Verordnung ergeben. Mit der am 22.12.2009 erlassenen und am 06.01.2010 in Kraft getretenen Verordnung ist der Verordnungsgeber seiner Verpflichtung, eine Verordnung nach §12 Abs3 Bgld Straßengesetz 2005 zu erlassen, nachgekommen. Da die Verordnung derzeit dem Rechtsbestand angehört, kann dahinstehen, ob die Verordnung 'zu spät' erlassen wurde. Relevant ist hier nicht, wann die Verordnung erlassen wurde, sondern, dass der Zeitpunkt ihres Inkrafttretens mit der Verwirklichung des Entschädigungsanspruchs verknüpft wird.

 

[…] Gemäß Art18 B-VG darf die gesamte staatliche Verwaltung nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden. Ferner können die Verwaltungsbehörden auf Grund der Gesetze innerhalb ihres Wirkungsbereichs Verordnungen erlassen. Gemäß Art18 Abs2 B-VG kann jede Verwaltungsbehörde aufgrund der Gesetze innerhalb ihres Wirkungsbereiches Verordnungen erlassen. Art18 Abs2 B-VG unterstreicht diese Gesetzesabhängigkeit (auch) der Verordnungen, indem er betont, dass diese nur 'aufgrund der Gesetze' erlassen werden können, was mit anderen Worten heißt, dass eine Verordnung nur präzisieren darf, was in den wesentlichen Konturen schon im Gesetz vorgezeichnet ist (VfSlg 11.574). Art18 Abs2 B-VG ermächtigt die Verwaltungsbehörden zur Erlassung von Verordnungen aufgrund der Gesetze, das heißt, dass Verordnungen Gesetze nur präzisieren dürfen (Prinzip der Vorausbestimmung des Verordnungsinhaltes durch das Gesetz; vgl die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes: VfSlg 4644/1964, 4662/1964, 5373/1966, 7169/1973, 7945/1976, 9227/1981, 11639/1988 u. a.). Durchführungsverordnungen dürfen den Regelungsbereich weder über- noch unterschreiten, wohl aber den Inhalt der gesetzlichen Regelung verdeutlichen (Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht5 Rz 781).

In seinem Erkenntnis vom 17.06.2009, Zahl: V6/09, u. a. hat der Verfassungsgerichtshof eine Bestimmung einer Verordnung als gesetzwidrig aufgehoben, weil diese über die gesetzliche Ermächtigung hinaus 'auch den Zeitpunkt für den Übergang des Eigentums festlegte'. Auch in seinem Erkenntnis vom 28.11.1987, Zahl: V69/87, hat der Verfassungsgerichtshof die Gesetzeswidrigkeit einer Verordnungsbestimmung festgestellt und dies damit begründet, dass in der Verordnung ein zeitliches Kriterium festgelegt wird, das der gesetzlichen Ermächtigung nicht zu entnehmen ist. In diesem Fall wurde die Wortfolge 'innerhalb einer Frist von einem Jahr' als gesetzwidrig aufgehoben, da für zeitlich befristete Ansuchen (um Ablegung einer letzten Wiederholungsprüfung), keine gesetzliche Grundlage bestand.

Im gegenständlichen Fall differenziert §2 Abs1 der Verordnung zwischen jenen Projekten, bei denen der Vollausbau nach Inkrafttreten der Verordnung (also vor dem 06.01.2010) erfolgt ist und jenen, bei denen dies bereits vor dem Inkrafttreten der Fall war. Darauf, warum die Verordnung ausdrücklich auf den Zeitpunkt ihres Inkrafttretens abstellt, wird in den Erläuterungen zur Verordnung mit keinem Wort Bezug genommen.

[…] Bei der antragsgegenständlichen Verordnung handelt es sich um eine Durchführungsverordnung zu §12 Abs3 Bgld Straßengesetz 2005.

Der Gesetzgeber bestimmt in §12 Abs3, 2. Satz, Bgld Straßengesetz 2005 zunächst grundlegend, dass die Landesstraßenverwaltung den Gemeinden hiefür (für die Zurverfügungstellung des Längskanals) eine Entschädigung zu entrichten hat.

Der 3. Satz des §12 Abs3 Bgld Straßengesetz 2005 enthält die ausdrückliche Ermächtigung zur Erlassung einer Durchführungsverordnung: 'Die Höhe der Entschädigung ist durch Verordnung der Landesregierung für das gesamte Landesgebiet festzulegen'. Die Verordnungsermächtigung nimmt ausschließlich auf die 'Höhe der Entschädigung' und nicht etwa auch auf den zeitlichen Rahmen, in dem ein Entschädigungsanspruch entstehen kann, Bezug. Der Zeitpunkt, ab dem ein Entschädigungsanspruch besteht, ergibt sich grundsätzlich aus dem Inkrafttreten des Gesetzes, das auch keine diesbezüglichen Übergangsbestimmungen enthält. Für das konkrete Projekt ergibt sich die Entstehung des Entschädigungsanspruchs aus dem Zeitpunkt zu dem die Gemeinde einen 'ausreichend dimensionierten funktionstüchtigen Längskanal' zur Verfügung gestellt hat (§12 Abs3, 1. Satz, Bgld Straßengesetz 2005).

Im 4. Satz des §12 Abs3 Bgld Straßengesetz 2005 werden die Parameter, die der Verordnungsgeber zu beachten hat, festgesetzt: 'ein angemessener Beitrag für die Mitbenützung des Längskanales', und die Berücksichtigung der 'durchschnittlichen Kosten für die Errichtung, den Betrieb und die Erneuerung des Längskanales einerseits und die Mehrbeanspruchung durch die auf der Landesstraße anfallenden Straßenabwässer andererseits'. Auch hier wird nur auf die Kostenaufteilung und auf keine zeitlichen Aspekte Bezug genommen.

Die Einschränkung auf Entschädigungen auf Sachverhalte nach Inkrafttreten der Verordnung findet weder in §12 Abs3 Bgld Straßengesetz 2005 noch einer sonstigen Bestimmung dieses Gesetzes Deckung. Der Verordnungsgeber war lediglich ermächtigt, die Höhe der Entschädigung zu präzisieren. Durch die Verordnungsermächtigung wird es dem Verordnungsgeber in die Hand gegeben, zu entscheiden, wann er die Verordnung erlässt, aber nicht, ab wann der Entschädigungsanspruch entsteht. Eine ausdrückliche Bestimmung, in welchem Zeitraum die Verordnung nach Kundmachung des Gesetzes zu erlassen ist, besteht ebenfalls nicht. Die Durchführungsverordnung überschreitet den aus der gesetzlichen Ermächtigung zu entnehmenden Regelungsbereich.

[…] Der Vollständigkeit halber wird festgehalten, dass in §1 der Verordnung die Höhe der Entschädigung mit einem Betrag pro Straßenlaufmeter, differenziert danach wie die Einleitung konkret erfolgt, bestimmt wird. Die Verordnungsermächtigung gemäß §12 Abs3 Bgld Straßengesetz 2005 'die Höhe der Entschädigung … festzulegen', wird in §1 der Verordnung umgesetzt.

[…] §2 Abs1 der Verordnung vom 22.12.2009 stellt auf den 'Vollausbau' der Straße ab, der Begriff wird in Abs2 dieser Bestimmung definiert. Die Erläuternden Bemerkungen verweisen dazu auf die RVS 01.02.11. §2 Abs2 der Verordnung erscheint sachgerecht. In §12 Abs3 Bgld Straßengesetz 2005 wird auf einen 'ausreichend dimensionierten funktionstüchtigen Längskanal' abgestellt. Ein solcher kann nur vorliegen, wenn ein Vollausbau im Sinne des §2 Abs2 der Verordnung vorliegt. 'Hierfür', also für die Zurverfügungstellung eines Längskanals gemäß §12 Abs3, 1. Satz, leg cit, haben die Gemeinden einen Anspruch auf Entschädigung. Wie in der Begründung des Anfechtungsumfangs ausgeführt, wäre die Höhe der Entschädigung aber auch alleine durch §1 der Verordnung ermittelbar.

[…] Dem Regelungsinhalt des §12 Abs3 Bgld Straßengesetz 2005 ist nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber die Entrichtung der Entschädigung durch die Landesstraßenverwaltung an die Gemeinden an eine Frist oder einen Zeitraum, der nach Inkrafttreten des Gesetzes liegt, binden wollte. Das ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut dieser Bestimmung, sondern auch aus den Erläuterungen zur Regierungsvorlage, in denen ausgeführt wird, dass die Änderung 'kostenneutral' ist und zu keiner stärkeren Belastung der Gemeinden führt. Im Anhang der Erläuterungen wird die vor Inkrafttreten des Bgld Straßengesetzes 2005 geltende Rechtslage der nach diesem Gesetz geltenden gegenübergestellt. Der Gesetzgeber ging daher davon aus, dass die betroffenen Gemeinden bei Fertigstellung ihres Projekts nach Inkrafttreten des Gesetzes nach der neuen Rechtslage genauso entschädigt werden wie zuvor, legte allerdings im Gegensatz den bis 2005 üblichen privatrechtlichen Vereinbarungen einen gesetzlichen Entschädigungsanspruch fest. Für das Bestehen eines Zeitraums, in dem Gemeinden trotz Bestehen eines gesetzlichen Entschädigungsanspruchs nach §12 Abs3 Bgld Straßengesetz 2005 im Ergebnis überhaupt nicht entschädigt werden, gibt es weder eine gesetzliche Grundlage noch eine sachliche Rechtfertigung.

 

[…] Verletzung des Gleichheitssatzes gemäß Art2 StGG und Art7 Abs1 B-VG:

[…]

[…] Im vorliegenden Fall wird das Bestehen eines Entschädigungsanspruchs in der Verordnung von deren Inkrafttreten abhängig gemacht. Dieser Zeitpunkt steht in keinem Zusammenhang mit einem sachlich nachvollziehbaren oder dem Gesetz, das die Verordnungsermächtigung enthält, zu entnehmenden Kriterium. Der Zeitpunkt zu dem ein Straßenbauvorhaben abgeschlossen wird, ist im Regelfall weder zu Beginn der Planung noch zu Beginn der tatsächlichen Arbeiten exakt vorhersehbar. Wie bereits ausgeführt, bestand aufgrund der Rechtlage vor Inkrafttreten des Bgld Straßengesetzes 2005 kein gesetzlicher Entschädigungsanspruch der Burgenländischen Gemeinden. Aus den Erläuternden Bemerkungen ergibt sich jedoch die Absicht des Gesetzgebers, dass es durch die neue Rechtslage im Ergebnis zu keiner stärkeren Belastung der Gemeinden kommen soll als vor Inkrafttreten des Gesetzes. Die Höhe des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs soll sich nach dem Willen des Gesetzgebers an der bisher tatsächlich zwischen Land und Gemeinden vereinbarten Entschädigung orientieren. Der Gesetzgeber hat damit die Entscheidung getroffen, die bisher übliche privatrechtliche Vereinbarung durch einen öffentlich-rechtlichen Entschädigungsanspruch zu ersetzen. Strittige Leistungspflichten sind fortan daher auch nicht zivilrechtlich durchzusetzen, sondern von der zuständigen Behörde (§15 Bgld Straßengesetz 2005) zu entscheiden.

Aufgrund der Verordnung der Bgld Landesregierung vom 22.12.2009 werden jedoch Gemeinden, deren Projekte zwischen dem 30.09.2005 und dem 05.01.2010 fertiggestellt wurden, unsachlich benachteiligt, da sie den dargestellten Entschädigungsanspruch nicht haben. In §12 Abs3, 3. Satz, Bgld Straßengesetz 2005 werden sachlich nachvollziehbare Kriterien für die Berechnung der Höhe der Entschädigung festgelegt. Von diesen Kriterien wird, dadurch, dass die Entschädigung alleine von einem zeitlichen Kriterium abhängig gemacht wird und für Projekte, die vor diesem Zeitpunkt liegen überhaupt kein Anspruch besteht, in unsachlicher Weise abgegangen."

3. Die Burgenländische Landesregierung hat als verordnungserlassende Behörde keine Akten über das Zustandekommen der angefochtenen Verordnung vorgelegt, jedoch eine Äußerung erstattet, in der den im Antrag erhobenen Bedenken wie folgt entgegengetreten wird (ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen):

"[…] Zur Zulässigkeit des Antrages

[…]

Weder §12 Bgld Straßengesetz 2005 noch eine andere Bestimmung erteilen eine […] Ermächtigung der Rückwirkung für die angefochtene Verordnung LGBl Nr 3/2010. Dass es sich bei der gewünschten Anwendung der Verordnung jedoch um eine Rückwirkung handelt, ergibt sich daraus, dass die Rechtsfolgen der Verordnung - offenbar - auf einen Sachverhalt angewendet werden sollen, der sich vor ihrem zeitlichen Geltungsbereich ereignet hat (Berka, Verfassungsrecht6 [2016], Rz 847; Mayer/Kucsko-Stadlmayer/Stöger, Bundesverfassungsrecht11 [2015] Rz 494) und - im für die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes wesentlichen Umfang - auch abgeschlossen worden ist.

Durch die dem Hauptantrag entsprechende Aufhebung der Wortfolge 'nach Inkrafttreten dieser Verordnung' in §2 Abs1 der Verordnung der Burgenländischen Landesregierung vom 22. Dezember 2009 über die Höhe der Entschädigung für die Mitbenützung von Kanälen durch die Landesstraßenverwaltung, LGBl Nr 3/2010, als gesetzwidrig wegen Widerspruchs zu §12 Abs3 Burgenländisches Straßengesetz 2005, LGBl Nr 79/2005, in der Fassung des Landesgesetzes LGBl Nr 80/2018, würde nach ha. Ansicht eine Rückwirkung der mit Verordnung festgelegten Bestimmungen über die Entschädigung bewirkt, der eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage fehlt (vgl VfSlg 13.370/1993, 15.675/1999, 20.127/2016 und VfGH 8.6.2020, V101/2019, zur Gesetzwidrigkeit einer Rückwirkung bei einer Kanalgebühren- bzw Kanalabgabenordnung; VfSlg 17.773/2006, 18.037/2006; zur Auslegung des Titels einer Verordnung nicht als Rückwirkung mangels ausdrücklicher Anordnung im Normtext: VfGH 2.10.2013, B790/2013; grundlegend: VfSlg 167/1922). Der verbleibende Teil der Verordnung würde aus ha. Sicht dadurch einen völlig veränderten, dem Gesetzgeber nicht mehr zusinnbaren Inhalt annehmen (vgl VfSlg 18.839/2009, 19.841/2014, 19.972/2015, 20.102/2016), sodass der im Hauptantrag vorgesehene Anfechtungsumfang zu eng gewählt worden sein dürfte. Ein zu enger Anfechtungsumfang hat nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes jedoch die Unzulässigkeit und Zurückweisung des Gerichtsantrages zur Folge.

Bei Aufhebung des gesamten §2 der Verordnung LGBl Nr 3/2010 im Sinne des Eventualantrages entfiele auch die Legaldefinition des Begriffes Vollausbau. Mangels ausdrücklicher Regelung wäre grundsätzlich in Anbetracht der soeben geschilderten Rechtsprechung ebenfalls von einem Inkrafttreten der Verordnung nach ihrer Kundmachung auszugehen, nicht von der im Gerichtsantrag unterstellten Anwendbarkeit auf alle Sachverhalte, die ab Inkrafttreten des Bgld Straßengesetzes 2005 verwirklicht wurden.

Im Bgld Straßengesetz 2005 ist keine Rückwirkung vorgesehen, sodass die Argumentation des Landesverwaltungsgerichtes nur zielführend erscheint, sofern man bereits - wie auch in der Beschwerde erfolgt - auf Grundlage des Gesetzes selbst den Entschädigungsanspruch bejaht und daraus schließt, dass die Entschädigung ab Inkrafttreten des Gesetzes gebühren sollte und die Behörde sich bei der Zuerkennung hinsichtlich der Höhe an den bisher gewährten Entschädigungshöhen von Seiten des vormals kompetenzrechtlich zuständigen Bundes orientieren hätte können. Dafür ergeben sich jedoch weder aus dem Gesetz und den Materialien noch aus der Verordnung selbst und den Erläuterungen dazu ausdrückliche Anhaltspunkte.

Falls vom antragstellenden Landesverwaltungsgericht die in der Beschwerde geltend gemachten Bedenken gegen die gesetzliche Grundlage der Verordnung LGBl Nr 3/2010 geteilt würden, hätte es diese selbst zum Inhalt seines Antrages erheben müssen, um dem Verfassungsgerichtshof die Möglichkeit zu eröffnen, die Frage nach dem Sitz einer allfälligen Verfassungs- oder Gesetzwidrigkeit im Rahmen des Antrages selbständig beurteilen zu können.

[…] In der Sache - zu den inhaltlichen Bedenken

[…]

Eine unsachliche Regelung wegen des zeitlichen Anwendungsbereiches der Verordnung, die gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verstößt, kann aus ha. Sicht - auch aus den zuvor genannten Gründen der Unzulässigkeit, in der Verordnung eine Rückwirkung auf bereits zuvor verwirklichte Sachverhalte vorzusehen - nicht erblickt werden. Bis zum Inkrafttreten der Verordnung fehlte die im Gesetz vorgesehene Grundlage für die Festsetzung der Höhe des Entschädigungsanspruches. Auch nach der Regelung des Bundesstraßengesetzes (dh vor Inkrafttreten des Bgld Straßengesetzes 2005) war gesetzlich kein Rechtsanspruch auf eine Entschädigung für die Kanalbenützung vorgesehen, Entschädigungen wurden ausschließlich auf Grund privatrechtlicher Vereinbarungen ausbezahlt. Dem Willen des Gesetzgebers entsprechend sollte die konkrete Ausgestaltung der Entschädigungshöhe erst mit Verordnung erfolgen, sodass auch zuvor keine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für die Zuerkennung mit Bescheid bestanden hätte.

Die Verordnung LGBl Nr 3/2010 definiert den Begriff Vollausbau in §2 Abs2 auch deshalb, weil nicht für jene Straßen neuerlich eine Entschädigung gewährt werden sollte, die bereits nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des Bgld Straßengesetzes 2005 diese Voraussetzungen erfüllten und allenfalls auf Grundlage einer privatrechtlichen Vereinbarung mit dem Bund bereits Zahlungen erhalten hatten. Der Vollausbau im Sinne der Verordnung stellt nach Erfahrung der ha. zuständigen Fachabteilung jedenfalls eine Ausnahme dar, weil die meisten Straßen im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung LGBl Nr 3/2010 bereits voll ausgebaut waren und diese Entschädigung ggf. noch auf Basis der zuvor bestehenden Rechtslage erhalten hatten.

Es darf darauf hingewiesen werden, dass auf Grund der dem Amt der Landesregierung vorliegenden Informationen keine weiteren Verfahren über Entschädigungen nach §12 Abs3 Bgld Straßengesetz 2005 anhängig sind und es bei keinem der übrigen seit Inkrafttreten von Gesetz und Verordnung voll ausgebauten Straßenabschnitte zu Unstimmigkeiten hinsichtlich der Gewährung und Festlegung der Höhe einer Entschädigung für die Benützung des Kanales gekommen ist."

4. Die Partei des Verfahrens vor dem antragstellenden Gericht hat als beteiligte Partei eine Äußerung erstattet, in der sie sich den Bedenken des antragstellenden Gerichtes anschließt.

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B-VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B-VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

1.2. Die Burgenländische Landesregierung hat die Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung nicht in Zweifel gezogen; es ist auch sonst nichts hervorgekommen, was an der Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung zweifeln ließe.

1.3. Das antragstellende Gericht bringt zum Anfechtungsumfang vor, dass zur Bereinigung der Rechtslage die Aufhebung der Wortfolge "nach Inkrafttreten dieser Verordnung" in §2 Abs1 Bgld Entschädigungs-VO notwendig sei. Aus dieser Wortfolge ergebe sich, dass für Sachverhalte zwischen dem Inkrafttreten des Bgld StraßenG 2005 am 1. Oktober 2005 und dem Inkrafttreten der Bgld Entschädigungs-VO am 6. Jänner 2010 kein Entschädigungsanspruch bestehe. Als entscheidungswesentlicher Sachverhalt werde in §2 Abs2 Bgld Entschädigungs-VO auf den Vollausbau der Straße abgestellt; im vorliegenden Fall sei weder die Durchführung des Vollausbaus noch das Datum des Vollausbaus strittig. Die Abweisung des Antrages auf Entschädigung sei alleine mit der Begründung erfolgt, dass der Vollausbau vor dem 6. Jänner 2010 erfolgt sei. Der Wegfall der angefochtenen Wortfolge würde daher zur Folge haben, dass der beantragte Entschädigungsanspruch zuzuerkennen wäre. Dem Wort "erstmals" würde auch nach der Aufhebung der angefochtenen Wortfolge ein zusinnbarer Inhalt zukommen, weil es auf §12 Abs3 erster Satz Bgld StraßenG 2005 Bezug nehme, wonach Gemeinden "auf die Dauer des Bestandes der Straße" einen Längskanal zur Verfügung zu stellen hätten.

Nach der im Eventualantrag begehrten gänzlichen Aufhebung des §2 Bgld Entschädigungs-VO könne die Höhe der Entschädigung alleine aus §1 Bgld Entschädigungs-VO ermittelt werden, da die in §12 Abs3 Bgld StraßenG 2005 verwendete Definition "ausreichend dimensionierten funktionstüchtigen Längskanal" ausreichend konkret sei und mit der Wortfolge "auf die Dauer des Bestandes der Straße" auch klargestellt werde, dass der Entschädigungsanspruch ab Fertigstellung bestehe und den Zeitraum des Bestandes der Straße abdecke.

1.4. Die Burgenländische Landesregierung erachtet den Hauptantrag als unzulässig, weil die Aufhebung allein der Wortfolge "nach Inkrafttreten dieser Verordnung" in §2 Abs1 Bgld Entschädigungs-VO eine Rückwirkung der mit der zugrunde liegenden Verordnung normierten Bestimmungen über die Entschädigung bewirken würde. Dafür fehle aber eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage. Der verbleibende Teil würde einen völlig veränderten Inhalt annehmen. Der Hauptantrag sei daher zu eng gefasst und deshalb zurückzuweisen. Auch der Eventualantrag sei unzulässig, weil – mangels Ermächtigung für eine rückwirkende Regelung – davon auszugehen sei, dass die Verordnung nach Aufhebung des gesamten §2 Bgld Entschädigungs-VO ebenso erst nach Kundmachung in Kraft trete.

1.5. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Gesetzmäßigkeit zu prüfenden Verordnungsbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Normenprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Teil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Stelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

Dieser Grundposition folgend hat der Verfassungsgerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Normenprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011, 20.154/2017). Das antragstellende Gericht hat all jene Normen anzufechten, die für das anfechtende Gericht präjudiziell sind und vor dem Hintergrund der Bedenken für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des antragstellenden Gerichtes teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 10.3.2015, G201/2014).

Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Rest einer Verordnungsstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 19.413/2011; VfGH 19.6.2015, G211/2014; 7.10.2015, G444/2015; VfSlg 20.082/2016), der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Gesetzwidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl zB VfSlg 18.891/2009, 19.933/2014), oder durch die Aufhebung bloßer Teile einer Verordnung dieser ein völlig veränderter, dem Verordnungsgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben würde (VfSlg 18.839/2009, 19.841/2014, 19.972/2015, 20.102/2016).

1.6. Zum Hauptantrag:

Die Aufhebung der Wortfolge "nach Inkrafttreten dieser Verordnung" in §2 Abs1 Bgld Entschädigungs-VO hätte zur Folge, dass ein Torso ("Die Entschädigung ist für Längskanäle auf Landesstraßenabschnitten zu entrichten, bei denen der Vollausbau der Straße erstmals erfolgt ist.") zurückbliebe. Das Wort "erstmals" ist mit dem aufzuhebenden Normteil untrennbar verbunden. Vor diesem Hintergrund erweist sich der Hauptantrag als zu eng gefasst und ist daher als unzulässig zurückzuweisen (vgl zB VfGH 19.6.2015, G211/2014).

1.7. Zum Eventualantrag:

Der Eventualantrag grenzt – anders als der Hauptantrag – die angefochtene Bestimmung nicht zu eng ab. Auch kann dem Vorbringen der Landesregierung zur Unzulässigkeit des Eventualantrages nicht gefolgt werden, weil im Falle einer Aufhebung von §2 Bgld Entschädigungs-VO keine – wie von der Landesregierung angenommen – gesetz- oder verfassungswidrige Rückwirkung der Verordnung bewirkt würde. §12 Abs3 Bgld StraßenG 2005 setzt die Zurverfügungstellung und damit das Vorhandensein eines Längskanales durch die Gemeinde für die Dauer des Bestandes einer Straße für die Ableitung von Oberflächenwässer auf Landesstraßen voraus, wofür eine Entschädigung vorgesehen ist. Die Höhe dieser Entschädigung ist §1 Bgld Entschädigungs-VO zu entnehmen. Im Falle einer Aufhebung von §2 Bgld Entschädigungs-VO wird daher an ein bestehendes Faktum und nicht an einen vor dem Inkrafttreten der Verordnung verwirklichten Sachverhalt angeknüpft.

Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Eventualantrag als zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den im Antrag dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

2.2. Der Antrag ist begründet.

2.3. Das antragstellende Landesverwaltungsgericht macht geltend, dass die Einschränkung der Entschädigung auf Sachverhalte nach Inkrafttreten der Verordnung durch die Bgld Entschädigungs-VO weder in §12 Abs3 Bgld StraßenG 2005 noch in einer anderen gesetzlichen Bestimmung Deckung finde. Mit diesem Vorbringen ist das Landesverwaltungsgericht im Recht:

2.4. Die Bgld Entschädigungs-VO ist auf Grund des §12 Abs3 Bgld StraßenG 2005 ergangen, der die Landesregierung dazu ermächtigt, die Höhe der im Gesetz normierten Entschädigung durch Verordnung festzulegen. In einer solchen Verordnung ist ein angemessener Beitrag für die Mitbenützung des Längskanales festzusetzen. Bei der Festsetzung der Höhe des Beitrages sind die durchschnittlichen Kosten für die Errichtung, den Betrieb und die Erneuerung des Längskanales einerseits und die Mehrbeanspruchung durch die auf der Landesstraße anfallenden Straßenabwässer andererseits zu berücksichtigen.

2.5. §12 Abs3 Bgld StraßenG 2005 sieht vor, dass Gemeinden für die Ableitung der auf der Landesstraße anfallenden Oberflächenwässer auf die Dauer des Bestandes der Straße einen ausreichend dimensionierten funktionstüchtigen Längskanal zur Verfügung zu stellen haben, wofür die Landesstraßenverwaltung den Gemeinden eine Entschädigung zu entrichten hat. Dass die Entschädigung für die Zurverfügungstellung eines ausreichend dimensionierten funktionstüchtigen Längskanales gebührt, ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut von §12 Abs3 Bgld StraßenG 2005 (arg. "hiefür" sowie "ist ein angemessener Beitrag für die Mitbenützung […] festzusetzen"); siehe dazu auch die Erläuterungen: "Die Entschädigung für die Einleitung der Straßenabwässer in den Längskanal der Gemeinde ist für alle Gemeinden einheitlich durch Verordnung festzulegen. Eine entschädigungslose Mitbenützung des Gemeindekanales erscheint nicht gerechtfertigt, weil durch die Einleitung der Straßenabwässer und den Streusplitt die Kanäle der Gemeinden mehr beansprucht werden." (RV 1093 BlgLT 18. GP, zu §12).

2.6. Die Burgenländische Landesregierung hat hingegen in §2 Bgld Entschädigungs-VO angeordnet, dass eine Entschädigung für Längskanäle auf Landesstraßenabschnitten nur dann zu entrichten ist, wenn der Vollausbau der Straße erstmals nach Inkrafttreten der Bgld Entschädigungs-VO erfolgt ist. Wenn §12 Abs3 Bgld StraßenG 2005 aber eine Entschädigung für die Zurverfügungstellung eines ausreichend dimensionierten funktionstüchtigen Längskanales vorsieht und die Landesregierung (lediglich) zur Festsetzung der Höhe der im Gesetz normierten Entschädigung ermächtigt, ist es der Landesregierung nicht gestattet, zusätzliche Voraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch festzulegen und diesen damit einzuschränken.

2.7. §2 Bgld Entschädigungs-VO überschreitet daher die gesetzliche Ermächtigung in §12 Abs3 Bgld StraßenG 2005 und findet auch sonst keine gesetzliche Grundlage.

V. Ergebnis

1. §2 der Verordnung der Burgenländischen Landesregierung vom 22. Dezember 2009 über die Höhe der Entschädigung für die Mitbenützung von Kanälen durch die Landesstraßenverwaltung, LGBl 3/2010, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren im Antrag dargelegten Bedenken.

Hinsichtlich des Hauptantrages ist der Antrag als unzulässig zurückzuweisen.

2. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Verordnungsstelle gründet sich auf Art139 Abs5 letzter Satz B-VG.

3. Die Verpflichtung der Burgenländischen Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B-VG und §59 Abs2 VfGG iVm §2 Abs1 Z6 Bgld VerlautG 2015.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:V227.2021

Zuletzt aktualisiert am

23.01.2023
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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