TE Vwgh Beschluss 2022/12/12 Ro 2021/10/0001

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Veröffentlicht am 12.12.2022
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Index

E1E
E3R E03070000
E3R E15203000
E6J
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
59/04 EU - EWR
82/05 Lebensmittelrecht

Norm

B-VG Art133 Abs4
LMSVG 2006 §39 Abs1
LMSVG 2006 §39 Abs1 Z1
LMSVG 2006 §5 Abs1
LMSVG 2006 §5 Abs2 Z2
LMSVG 2006 §5 Abs5
LMSVG 2006 §5 Abs5 Z2
12010E267 AEUV Art267
32002R0178 Lebensmittelsicherheit Art14 Abs1
32002R0178 Lebensmittelsicherheit Art14 Abs2
32002R0178 Lebensmittelsicherheit Art14 Abs2 litb
32002R0178 Lebensmittelsicherheit Art14 Abs3 litb
32002R0178 Lebensmittelsicherheit Art14 Abs5
62019CJ0836 Toropet VORAB
  1. B-VG Art. 133 heute
  2. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2019 bis 24.05.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 138/2017
  3. B-VG Art. 133 gültig ab 01.01.2019 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 22/2018
  4. B-VG Art. 133 gültig von 25.05.2018 bis 31.12.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 22/2018
  5. B-VG Art. 133 gültig von 01.08.2014 bis 24.05.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 164/2013
  6. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2014 bis 31.07.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  7. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2004 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.1975 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 444/1974
  9. B-VG Art. 133 gültig von 25.12.1946 bis 31.12.1974 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 211/1946
  10. B-VG Art. 133 gültig von 19.12.1945 bis 24.12.1946 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  11. B-VG Art. 133 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer, die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Derfler, über die Revision der R GmbH in I, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schottenring 19, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 21. Oktober 2020, Zl. LVwG-2020/34/1580-11, betreffend eine Maßnahme gemäß § 39 Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Landeshauptstadt Innsbruck), den Beschluss gefasst:

Spruch

Dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) werden nach Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Art. 14 Abs. 2 lit. b iVm Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl. L 31 vom 1.2.2002, S. 1) dahin auszulegen, dass er einer Regelung bzw. einer Auslegung eines Mitgliedstaates entgegensteht, wonach Lebensmittel dann als für den menschlichen Verzehr ungeeignet anzusehen sind, wenn deren bestimmungsgemäße Verwendbarkeit nicht gewährleistet ist, ohne dass die in Art. 14 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 genannten Gründe dafür, warum das Lebensmittel für den Verzehr durch den Menschen inakzeptabel geworden ist (eine durch Fremdstoffe oder auf andere Weise bewirkte Kontamination, durch Fäulnis, Verderb oder Zersetzung), vorliegen müssen?

Für den Fall der Verneinung der ersten Frage:

2. Ist Art. 14 Abs. 2 lit. b iVm Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl. L 31 vom 1.2.2002, S. 1) dahin auszulegen, dass von einem für den Verzehr durch den Menschen ungeeigneten Lebensmittel auszugehen ist, wenn das Lebensmittel bei bestimmungsgemäßem Verzehr zu einer massiven (bei einem Durchschnittserwachsenen von 70 kg Körpergewicht fünffachen) Überschreitung eines von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit im Rahmen der Bewertung eines (im Lebensmittel enthaltenen) Lebensmittelzusatzstoffes als Wert der zulässigen täglichen Aufnahmemenge (Acceptable Daily Intake - ADI) angesehenen Wertes führt?

Begründung

1. Sachverhalt und Ausgangsverfahren

1        Mit Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck (Behörde) vom 26. Juni 2020 wurde die revisionswerbende Partei gemäß § 39 Abs. 1 Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz (LMSVG) verpflichtet, das Inverkehrbringen des Produktes „Curcumin spezial bei Arthrose“ eines in Deutschland ansässigen Herstellers zu unterlassen und die in Verkehr gebrachten Produkte vom Markt zurückzunehmen.

2        Begründend führte die Behörde im Wesentlichen aus, das Produkt „Curcumin spezial bei Arthrose“ werde als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät) in Verkehr gebracht. Auf der Verpackung sei eine empfohlene Verzehrmenge von 3 Kapseln täglich angegeben. Eine Tagesdosis liefere laut Angabe auf der Verpackung 1500 mg Kurkuminextrakt, dies entspreche 1200 mg „Curcuminoiden“. Kurkumin (E 100) sei ein zulässiger Lebensmittelzusatzstoff, der als Farbstoff eingesetzt werde. Von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) sei der Wert der zulässigen täglichen Aufnahmemenge (Acceptable Daily Intake - ADI) mit 3 mg Kurkumin pro Kilogramm Körpergewicht und Tag festgelegt worden. Beim bestimmungsgemäßen Verzehr von drei Kapseln des Produktes täglich werde der ADI-Wert bei einem 60 kg schweren Durchschnittserwachsenen um mehr als das sechsfache (660 %) überschritten. Dabei werde die zusätzliche Aufnahme von Kurkumin, das als Farbstoff in den (sonstigen) täglich aufgenommenen Lebensmitteln vorhanden sei, noch nicht berücksichtigt; diese könne bei einem Erwachsenen laut EFSA bis zu 1,5 mg pro kg Körpergewicht und Tag betragen. Bei Kenntnis des Umstandes, dass schon durch den alleinigen, bestimmungsgemäßen Verzehr des Produkts der durch die EFSA festgelegte ADI-Wert um mehr als das Sechsfache überschritten werde, würde die Mehrzahl der Verbraucher und Verbraucherinnen den Verzehr dieses Lebensmittels ablehnen. Das Produkt sei daher gemäß § 5 Abs. 5 Z 2 LMSVG als für den menschlichen Verzehr ungeeignet einzustufen.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol (Verwaltungsgericht) vom 21. Oktober 2020 wurde die gegen diesen Bescheid von der revisionswerbenden Partei erhobene Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der revisionswerbenden Partei gemäß § 39 Abs. 1 Z 1 LMSVG das Inverkehrbringen der in Rede stehenden Ware untersagt wurde. Weiters wurde ausgesprochen, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei.

4        Begründend führte das Verwaltungsgericht - soweit hier von Relevanz - aus, bei der Entscheidung der Frage, ob das in Rede stehende Lebensmittel sicher oder nicht sicher sei, sei zu berücksichtigen, dass der Verbraucher bzw. der behandelnde Arzt nicht über den extrem hohen Kurkumingehalt, die mit dem Verzehr verbundene Überschreitung des ADI-Wertes und die damit einhergehenden Nebenwirkungen informiert und dem Verbraucher nicht vom Verzehr anderer Kurkumin enthaltender Speisen abgeraten werde. Bei Klärung der Frage, ob das in Rede stehende Lebensmittel für den menschlichen Verzehr ungeeignet sei, sei die Begriffsbestimmung in § 5 Abs. 5 Z 2 LMSVG und Art 14 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 entscheidend. Die Kriterien des Art. 14 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 bestimmten nicht abschließend, ob ein Lebensmittel zum Verzehr ungeeignet sei. Es könnten also auch andere Umstände diesen Tatbestand erfüllen (Verweis auf Rathke in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Rn. 56a). Das Österreichische Lebensmittelbuch könne als Auslegungsbehelf herangezogen werden (Verweis auf VwGH 19.4.1966, 0837/64 [ECLI:AT:VWGH:1966:1964000837.X01]). Es werde daher auf die Erläuterungen im Österreichischen Lebensmittelbuch zum Begriff „für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet“ zurückgegriffen. Nach diesen Erläuterungen sei als „für den menschlichen Verzehr ungeeignet“ ein Lebensmittel dann zu beurteilen, wenn es infolge einer durch Fremdstoffe oder auf andere Weise bewirkten Kontamination, durch Fäulnis, Verderb oder Zersetzung ausgehend von dem beabsichtigten Verwendungszweck für den Verzehr durch den Menschen inakzeptabel geworden sei. Eine Beurteilung als „gesundheitsschädlich“ schließe für den gleichen Mangel eine Beurteilung als „für den menschlichen Verzehr ungeeignet“ aus. Auch die ekelerregende Beschaffenheit eines Lebensmittels, die nicht so krass sei, dass sie seine Beurteilung als „gesundheitsschädlich“ rechtfertigen würde, könne die Beanstandung „für den menschlichen Verzehr ungeeignet“ ergeben, und zwar dann, wenn der Verbraucher bei Kenntnis der in Betracht kommenden ekelerregenden Beschaffenheit vom Genuss solcher Lebensmittel Abstand nehmen würde. Eine vollständige Aufzählung aller hier in Betracht kommenden Beeinträchtigungen sei im Hinblick auf deren Vielzahl ausgeschlossen. Es werde daher allgemein festgestellt, dass ein Lebensmittel, dessen Verzehr bei Kenntnis aller in Betracht kommenden Umstände vom Verbraucher abgelehnt würde, als „für den menschlichen Verzehr ungeeignet“ zu beanstanden sei.

5        Im vorliegenden Fall könne der bestimmungsgemäße Verzehr der Ware aufgrund der mehrfachen Überschreitung des ADI-Wertes unter anderem zu Magen- und Unterbauchschmerzen, Übelkeit und weichem Stuhl führen, in sehr wenigen Fällen würden Ödeme auftreten. Diese Gesundheitsschädlichkeit des Lebensmittels werde nicht durch Informationen im Sinne des Art. 14 Abs. 3 lit. b der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 ausgeschlossen. Die in Rede stehende Ware diene dem Diätmanagement bei arthrotischen Gelenksschmerzen und werde als pflanzliche Alternative zu Schmerzmitteln angeboten. Die Mehrzahl der Verbraucher würde den Verzehr des gegenständlichen Lebensmittels nach Kenntnis des Umstandes, dass schon durch den alleinigen, bestimmungsgemäßen Verzehr der gegenständlichen Ware ein auf europäischer (EFSA) und internationaler (JECFA- Joint FAO/WHO Expert Committee on Food Additives) Ebene festgelegter toxikologischer bzw. gesundheitsbezogener Kennwert (ADI) um mehr als das Fünffache bei 70 kg Körpergewicht überschritten werde und mit dem Verzehr der als pflanzlichen Alternative zu Schmerzmitteln ausgelobten Ware ähnliche Nebenwirkungen wie beim Schmerzmittel verbunden seien, ablehnen. Im Ergebnis sei das in Rede stehende Lebensmittel „folglich ‚gesundheitsschädlich‘ und/oder ‚für den menschlichen Verzehr ungeeignet‘“. In beiden Fällen sei das Inverkehrbringen des Lebensmittels zu untersagen.

6        Die Zulassung der Revision begründete das Verwaltungsgericht mit fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes u.a. zur Frage, ob die bestimmungsgemäße Verwendbarkeit gemäß § 5 Abs. 5 Z 2 LMSVG nur dann nicht gewährleistet sei, wenn das Lebensmittel infolge einer durch Fremdstoffe oder auf andere Weise bewirkten Kontamination, durch Fäulnis, Verderb oder Zersetzung ausgehend vom beabsichtigten Verwendungszweck für den Verzehr durch den Menschen inakzeptabel geworden sei (Verweis auf Art. 14 Abs. 5 der Verordnung [EG] Nr. 178/2002) oder ein Lebensmittel auch dann für den menschlichen Verzehr ungeeignet sei, wenn der Verzehr eines Lebensmittels bei Kenntnis aller in Betracht kommenden Umstände vom Verbraucher abgelehnt würde (Verweis auf die Erläuterungen zum Österreichischen Lebensmittelbuch).

7        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Revision, in der unter anderem ausgeführt wird, es gebe zu der hier relevanten Frage der Auslegung des Begriffs „für den menschlichen Verzehr ungeeignet“ gemäß Art. 14 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 keine Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes. Es stelle sich insbesondere die Frage, ob ein Lebensmittel „wegen der Überschreitung eines ausschließlich für die Beurteilung festgelegten Faktors“ (gemeint offenbar: des ADI-Wertes) als für den menschlichen Verzehr ungeeignet eingestuft werden dürfe. Diese verfehlte Rechtsansicht führe dazu, dass dieser Tatbestand zu einem Auffangbecken für nicht gesundheitsschädliche Lebensmittel, die man „nicht am Markt haben“ wolle, verkomme.

8        Die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Untersagung des Inverkehrbringens des in Rede stehenden Lebensmittels hängt davon ab, ob die Annahme des Verwaltungsgerichtes, das in Rede stehende Lebensmittel sei für den menschlichen Verzehr ungeeignet, weil der Verzehr des Lebensmittels bei Kenntnis aller in Betracht kommenden Umstände vom Verbraucher abgelehnt würde, ohne dass die in Art. 14 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 genannten Ursachen dafür, warum das Lebensmittel für den Verzehr durch den Menschen inakzeptabel geworden ist (eine durch Fremdstoffe oder auf andere Weise bewirkte Kontamination, durch Fäulnis, Verderb oder Zersetzung), vorliegen müssen, mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Falls diese Annahme dem Unionsrecht nicht widerspricht, hängt die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Untersagung des Inverkehrbringens des in Rede stehenden Lebensmittels auch davon ab, ob von einem für den Verzehr durch den Menschen ungeeigneten Lebensmittel deshalb auszugehen ist, weil das Lebensmittel bei bestimmungsgemäßem Verzehr zu einer massiven (bei einem Durchschnittserwachsenen von 70 kg Körpergewicht fünffachen) Überschreitung eines von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit im Rahmen der Bewertung eines (im Lebensmittel enthaltenen) Lebensmittelzusatzstoffes als Wert der zulässigen täglichen Aufnahmemenge (ADI) angesehenen Wertes führt.

2. Maßgebliche Bestimmungen des Unionsrechts

9        Die Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl. L 31 vom 1.2.2002, S. 1) lautet auszugsweise:

„Artikel 14

Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit

(1) Lebensmittel, die nicht sicher sind, dürfen nicht in Verkehr gebracht werden.

(2) Lebensmittel gelten als nicht sicher, wenn davon auszugehen ist, dass sie

a)   gesundheitsschädlich sind,

b)   für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet sind.

(3) Bei der Entscheidung der Frage, ob ein Lebensmittel sicher ist oder nicht, sind zu berücksichtigen:

a)   die normalen Bedingungen seiner Verwendung durch den Verbraucher und auf allen Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen sowie

b)   die dem Verbraucher vermittelten Informationen einschließlich der Angaben auf dem Etikett oder sonstige ihm normalerweise zugängliche Informationen über die Vermeidung bestimmter die Gesundheit beeinträchtigender Wirkungen eines bestimmten Lebensmittels oder einer bestimmten Lebensmittelkategorie.

(4) Bei der Entscheidung der Frage, ob ein Lebensmittel gesundheitsschädlich ist, sind zu berücksichtigen

a)   die wahrscheinlichen sofortigen und/oder kurzfristigen und/oder langfristigen Auswirkungen des Lebensmittels nicht nur auf die Gesundheit des Verbrauchers, sondern auch auf nachfolgende Generationen,

b)   die wahrscheinlichen kumulativen toxischen Auswirkungen,

c)   die besondere gesundheitliche Empfindlichkeit einer bestimmten Verbrauchergruppe, falls das Lebensmittel für diese Gruppe von Verbrauchern bestimmt ist.

(5) Bei der Entscheidung der Frage, ob ein Lebensmittel für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet ist, ist zu berücksichtigen, ob das Lebensmittel infolge einer durch Fremdstoffe oder auf andere Weise bewirkten Kontamination, durch Fäulnis, Verderb oder Zersetzung ausgehend von dem beabsichtigten Verwendungszweck nicht für den Verzehr durch den Menschen inakzeptabel geworden ist.

...“

3. Maßgebliche Bestimmungen des nationalen Rechts

10       Das Bundesgesetz über Sicherheitsanforderungen und weitere Anforderungen an Lebensmittel, Gebrauchsgegenstände und kosmetische Mittel zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher (Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz - LMSVG), BGBl. I Nr. 13/2006 in der Fassung BGBl. I Nr. 39/2019, lautet auszugsweise:

„Lebensmittel

Allgemeine Anforderungen

§ 5. (1) Es ist verboten, Lebensmittel, die

1.   nicht sicher gemäß Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 sind, d.h. gesundheitsschädlich oder für den menschlichen Verzehr ungeeignet sind, oder

...

in Verkehr zu bringen.

...

(5) Lebensmittel sind

1.   gesundheitsschädlich, wenn sie geeignet sind, die Gesundheit zu gefährden oder zu schädigen;

2.   für den menschlichen Verzehr ungeeignet, wenn die bestimmungsgemäße Verwendbarkeit nicht gewährleistet ist;

...

Maßnahmen

§ 39. (1) Bei Wahrnehmung von Verstößen gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften hat der Landeshauptmann mit Bescheid, gegebenenfalls unter einer gleichzeitig zu setzenden angemessenen Frist und unter Ausspruch der notwendigen Bedingungen oder Auflagen, die nach Art des Verstoßes und unter Berücksichtigung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit erforderlichen Maßnahmen zur Mängelbehebung oder Risikominderung anzuordnen, wie insbesondere:

1.   die Einschränkung oder das Verbot des Inverkehrbringens oder der Verwendung;

...“

4. Vorlageberechtigung

11       Der Verwaltungsgerichtshof ist ein Gericht im Sinne des Art. 267 AEUV, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechtes angefochten werden können.

12       Bei der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über die vorliegende Revision und damit über die Rechtmäßigkeit der Untersagung des Inverkehrbringens des in Rede stehenden Lebensmittels stellen sich die im gegenständlichen Ersuchen um Vorabentscheidung angeführten und im Folgenden näher erläuterten Fragen der Auslegung des Unionsrechts.

5. Erläuterungen zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage:

13       Im Ausgangsverfahren gehen sowohl die revisionswerbende Partei und die belangte Behörde als auch das Verwaltungsgericht davon aus, dass keiner der in Art. 14 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 genannten Gründe (eine durch Fremdstoffe oder auf andere Weise bewirkte Kontamination, durch Fäulnis, Verderb oder Zersetzung) dafür, warum das Lebensmittel für den Verzehr durch den Menschen inakzeptabel geworden ist, vorliegt. Letzteres ergebe sich nach Ansicht des Verwaltungsgerichts vielmehr aus einem anderen Grund.

14       Nach Art. 14 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 dürfen Lebensmittel, die nicht sicher sind, nicht in Verkehr gebracht werden. Nach Art. 14 Abs. 2 lit. b der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 gelten Lebensmittel als nicht sicher, wenn davon auszugehen ist, dass sie für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet sind. Nach Art. 14 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 ist bei der Entscheidung der Frage, ob ein Lebensmittel für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet ist, zu berücksichtigen, ob das Lebensmittel infolge einer durch Fremdstoffe oder auf andere Weise bewirkten Kontamination, durch Fäulnis, Verderb oder Zersetzung ausgehend von dem beabsichtigten Verwendungszweck nicht für den Verzehr durch den Menschen inakzeptabel geworden ist.

15       Der Wortlaut des Art. 14 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 verlangt bei der Entscheidung der Frage, ob ein Lebensmittel für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet ist, eine „Berücksichtigung“ der dort genannten Gründe dafür, warum das Lebensmittel für den Verzehr durch den Menschen inakzeptabel geworden ist.

16       Aus dieser Wortwahl des Unionsgesetzgebers wurde im Schrifttum der Schluss gezogen, dass die dort genannten Umstände „nicht abschließend bestimmen, ob ein Lebensmittel zum Verzehr ungeeignet ist, dass also auch andere Umstände den Tatbestand des Abs. 5 erfüllen können“ (so Rathke in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Art. 14 BasisVO, Rn. 56a). Dieses Verständnis liegt der beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtes zugrunde und entspricht dem Wortlaut des § 5 Abs. 5 Z 2 LMSVG, der - ohne Bezugnahme auf die in Art. 14 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 genannten Gründe - ein Lebensmittel dann als für den menschlichen Verzehr ungeeignet definiert, wenn „die bestimmungsgemäße Verwendbarkeit“ nicht gewährleistet ist.

17       Allerdings lässt sich auch die gegenteilige Ansicht vertreten, wonach die in Art. 14 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 genannten Gründe dafür, warum das Lebensmittel für den Verzehr durch den Menschen inakzeptabel geworden ist, bei der Entscheidung der Frage, ob ein Lebensmittel für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet ist, dahin zu berücksichtigen sind, dass diese Gründe zwingend vorliegen müssen. Dafür könnte bereits der Umstand sprechen, dass die Bestimmung eine Berücksichtigung verlangt („ist zu berücksichtigen“) und nicht bloß eine Berücksichtigung freistellt („kann berücksichtigt werden“); auch die sonstige Wortwahl des Unionsgesetzgebers, die nicht zum Ausdruck bringt, dass es sich um eine bloß demonstrative Aufzählung jener Gründe, warum das Lebensmittel für den Verzehr durch den Menschen inakzeptabel geworden ist, handelt, könnte für ein derartiges Verständnis sprechen. Schließlich könnte die Verwendung der Wortfolge „für den Verzehr durch den Menschen inakzeptabel geworden ist“ nahelegen, dass der Unionsgesetzgeber lediglich auf eine Änderung der stofflichen Zusammensetzung eines Lebensmittels durch die in Art. 14 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 genannten Gründe abstellt, nicht aber auf andere mögliche Gründe, warum ein Lebensmittel für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet ist. In diesem Sinne wird im Schrifttum daher auch die Ansicht vertreten, der Anwendungsbereich des Art. 14 Abs. 2 lit. b der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 sei „dahingehend eingeschränkt, dass er nur Fälle einer Änderung der stofflichen Zusammensetzung eines Lebensmittels erfasst“, namentlich durch Kontamination, Fäulnis, Verderb oder Zersetzung (vgl. Meyer in Meyer/Streinz, LFGB BasisVO2, Art. 14 BasisVO, Rn. 38). Anzumerken ist, dass der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 2. September 2021, Toropet Ltd., C-836/19, Rn. 48 [ECLI:EU:C:2021:668], kein davon abweichendes Verständnis zu erkennen gegeben hat, wenn er davon ausgeht, dass nach Art. 14 Abs. 5 der Verordnung Nr. 178/2002 ein Lebensmittel dann für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet ist, „wenn es infolge einer durch Fremdstoffe oder auf andere Weise bewirkten Kontamination, durch Fäulnis, Verderb oder Zersetzung für den Verzehr durch den Menschen inakzeptabel geworden ist“.

18       Die erste Vorlagefrage zielt daher darauf ab zu klären, ob die in Art. 14 Abs. 5 der Verordnung Nr. 178/2002 genannten Ursachen dafür, warum das Lebensmittel für den Verzehr durch den Menschen inakzeptabel geworden ist (eine durch Fremdstoffe oder auf andere Weise bewirkte Kontamination, durch Fäulnis, Verderb oder Zersetzung), vorliegen müssen, um ein Lebensmittel als im Sinne des Art. 14 Abs. 2 lit. b iVm Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 für den menschlichen Verzehr ungeeignet beurteilen zu können.

Zur zweiten Frage:

19       Im Ausgangsverfahren ist unstrittig, dass das in Rede stehende Lebensmittel bei bestimmungsgemäßem Verzehr zu einer massiven (bei einem Durchschnittserwachsenen von 70 kg Körpergewicht fünffachen) Überschreitung jenes Wertes führt, der von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit im Rahmen der Bewertung eines (im Lebensmittel enthaltenen) Lebensmittelzusatzstoffes als Wert der zulässigen täglichen Aufnahmemenge (ADI) angesehen wird.

20       Für den Fall der Verneinung der ersten Frage stellt sich - abseits der in Art. 14 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 genannten Gründe - die Frage nach den sonstigen Gründen dafür, warum ein Lebensmittel für den menschlichen Verzehr ungeeignet ist.

21       Nach § 5 Abs. 5 Z 2 LMSVG sind Lebensmittel für den menschlichen Verzehr ungeeignet, wenn die bestimmungsgemäße Verwendbarkeit nicht gewährleistet ist. Im Schrifttum wird dazu die Ansicht vertreten, die Frage, wann die bestimmungsgemäße Verwendbarkeit eines Lebensmittels nicht mehr gewährleistet sei, sei unter ausgewogener, alle Umstände berücksichtigender Betrachtung unter Zugrundelegung der „berechtigten Verbrauchererwartung“ zu beantworten (vgl. Blass u.a., Lebensmittelrecht3, § 5 LMSVG, Rn. 20). Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung zu lebensmittelrechtlichen Fragestellungen - wenngleich nicht zu der hier maßgeblichen Bestimmung des § 5 Abs. 2 Z 2 LMSVG - die Ansicht vertreten, dass die maßgebliche Erwartung eines durchschnittlich informierten aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers im vom (damaligen) Bundesministerium für Gesundheit herausgegebenen Österreichischen Lebensmittelbuch, das den Charakter eines objektivierten Sachverständigengutachtens hat, widerlegbar wiedergegeben wird (vgl. VwGH 26.9.2011, 2010/10/0145, VwSlg. 18217 A, mwN [ECLI:AT:VWGH:2011:2010100145.X00]).

22       Das Österreichische Lebensmittelbuch geht insofern davon aus, dass eine vollständige Aufzählung aller hier in Betracht kommenden Beeinträchtigungen im Hinblick auf deren Vielzahl ausgeschlossen sei, sodass allgemein festgestellt werde, dass ein Lebensmittel, dessen Verzehr bei Kenntnis aller in Betracht kommenden Umstände vom Verbraucher abgelehnt würde, als „für den menschlichen Verzehr ungeeignet“ zu beanstanden sei. Die Annahme, dass unter Zugrundelegung berechtigter Verbrauchererwartungen von einem für den Verzehr durch den Menschen ungeeigneten Lebensmittel auszugehen ist, wenn das Lebensmittel bei bestimmungsgemäßem Verzehr zu einer massiven (bei einem Durchschnittserwachsenen von 70 kg Körpergewicht fünffachen) Überschreitung eines von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit im Rahmen der Bewertung eines (im Lebensmittel enthaltenen) Lebensmittelzusatzstoffes als Wert der zulässigen täglichen Aufnahmemenge (ADI) angesehenen Wertes führt, bewegt sich innerhalb dieses Beurteilungsrahmens und wird vom Verwaltungsgerichtshof nicht von vornherein als unvertretbar angesehen.

23       Es stellt sich daher die Frage, ob eine derartige Beurteilung mit den unionsrechtlichen Vorgaben im Einklang steht, wenn jene in Art. 14 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 genannten Gründe, warum das Lebensmittel für den Verzehr durch den Menschen inakzeptabel geworden ist, keine abschließende Aufzählung der zu berücksichtigenden Gründe darstellen. Diese Frage wurde in der Rechtsprechung anderer EU-Länder bereits verneint (vgl. VGH Baden-Württemberg, 17.9.2020, 9 S 2343/20, Rn. 10, das verfahrensgegenständliche „Kurkuma“ betreffend). Ob eine massive (bei einem Durchschnittserwachsenen von 70 kg Körpergewicht fünffache) Überschreitung eines von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit im Rahmen der Bewertung eines (im Lebensmittel enthaltenen) Lebensmittelzusatzstoffes als Wert der zulässigen täglichen Aufnahmemenge (ADI) angesehenen Wertes als ein den in Art. 14 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 genannten Gründen gleichzuhaltender Fall anzusehen ist, soll mit der zweiten Vorlagefrage geklärt werden.

6. Ergebnis

24       Da die richtige Anwendung des Unionsrechts nicht als derart offenkundig erscheint, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt, werden die eingangs formulierten Vorlagefragen gemäß Art. 267 AEUV mit dem Ersuchen um Vorabentscheidung vorgelegt.

Wien, am 12. Dezember 2022

Gerichtsentscheidung

EuGH 62019CJ0836 Toropet VORAB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RO2021100001.J00

Im RIS seit

23.01.2023

Zuletzt aktualisiert am

23.01.2023
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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