TE Vwgh Erkenntnis 1995/12/19 95/20/0118

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Veröffentlicht am 19.12.1995
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §14 Abs1;
AsylG 1991 §19 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs1;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Händschke als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 24. Jänner 1995, Zl. 4.340.143/9-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.740,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, ist am 18. Juli 1992 in das Bundesgebiet eingereist und stellte am 23. Juli 1992 durch seinen rechtsanwaltlichen Vertreter Dr. K einen schriftlichen Asylantrag. Mit Ladung vom 24. Juli 1992 (einem an die Bestimmungen des Asylgesetz 1991 noch unangepaßten Formular 4 zu § 19 AVG) wurde der Beschwerdeführer zu Handen seines ausgewiesenen Vertreters für den 11. August 1992, 8 Uhr geladen. Mit Schreiben vom 27. Juli 1992 wurde der Beschwerdeführer von seinem rechtsanwaltlichen Vertreter über den Termin seiner voraussichtlichen Einvernahme informiert und in Kenntnis gesetzt, daß sich sein Rechtsfreund in der Zeit vom 7. bis 17. August auf Urlaub befinde. Aufgrund dieser Ladung erschien der Berufungswerber zum angegebenen Zeitpunkt beim Bundesasylamt, zu einer Einvernahme kam es jedoch nicht. Darüber wurde in einem Aktenvermerk vom 11. August 1992 festgehalten:

"Es wurde ihm (Anm.: dem Bfr) aus diesem Grund ausgefolgt ein Merkblatt für Asylwerber in türkischer Sprache, sowie das Formblatt F 1 des Bundesasylamtes ebenfalls in türkischer Sprache, und wurde er mittels ha. anwesenden Dolmetsch Fr. M, aufgefordert, das FBl. F 1 auszufüllen; diese Daten sind erforderlich, um eine Neuaufnahme und Speicherung des AW im AIS durchzuführen. Trotz mehrerer Aufforderungen weigert sich der Asylwerber, das FBl. F 1 auszufüllen bzw. sonstige Angaben ohne Rechtsanwalt zu machen.

Befragt, ob er aufgrund des Schreibens seines Rechtsanwaltes vom 27. 7. 1992 (siehe beiliegende Kopie) mit diesem Kontakt aufgenommen hat, gibt (erg.: er) an, daß er mit seinem Rechtsanwalt im Beisein eines Dolmetsch gesprochen habe. Er habe dem Rechtsanwalt gegen Quittung einen Betrag von S 2.000,-- (erg.: gegeben) und habe ihm dieser angeblich erklärt, wenn er angehalten wird, bräuchte er keine Angst zu haben, es kann ihm nichts passieren.

Während der mehrmaligen Aufforderung, laut dem im Merkblatt angeführten Bestimmungen am Asylverfahren mitzuwirken, waren weiters im Journalzimmer 6 bis 8 anwesend: Ref. P, VB X und der Bezirksinspektor des Kriminaldienstes BzIdKD S."

Mit Bescheid vom selben Tag wies das Bundesasylamt daraufhin den Asylantrag des Beschwerdeführers "gemäß § 3 in Verbindung mit § 14 Abs. 2 des Asylgesetzes 1991" im wesentlichen mit der Begründung ab, der Beschwerdeführer habe sich geweigert, die erforderlichen Auskünfte zu erteilen, die in seinem Besitz befindlichen Urkunden und Unterlagen, soweit sie für das Verfahren von Belang sind, vorzulegen und an der erkennungsdienstlichen Behandlung mitzuwirken.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung mit der Behauptung, seine Weigerung, das Formblatt F 1 in Abwesenheit seines Rechtsanwaltes auszufüllen, sei insoweit ein Mißverständnis gewesen, als er von seinem Anwalt tatsächlich darauf hingewiesen worden sei, daß er selbst keinen Bescheid über Zuerkennung oder Ablehnung seines Asylantrages übernehmen solle, sondern vielmehr verlangen müsse, daß ihm ein derartiger Bescheid ausschließlich zuhanden seines ausgewiesenen Anwaltes zuzustellen sei. Er sei der Meinung gewesen, daß es sich bei dem ihm vorgelegten Formblatt bereits um eine Entscheidung in seinem Asylverfahren gehandelt habe, die, wie sein Anwalt ihm gesagt habe, nur an diesen zuzustellen gewesen sei. Er habe keine andere Ursache gehabt, seine Mitwirkung am Asylverfahren abzulehnen bzw. eine erkennungsdienstliche Behandlung zu verweigern. Allein der Umstand dieses Mißverständnisses könne jedenfalls nicht zum Anlaß genommen werden, ihm das beantragte Asyl zu verweigern und auf die von ihm geltend gemachten Asylgründe näher einzugehen.

Mit Bescheid vom 18. Oktober 1993 wies die belangte Behörde den Antrag auf Gewährung von Asyl vom 24. Juli 1992 gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 im wesentlichen mit der Begründung ab, der Beschwerdeführer sei gemäß § 2 Abs. 2 Z. 3 leg.cit bereits in einem anderen Land - im vorliegenden Fall Rumänien - vor Verfolgung sicher gewesen. Infolge der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof diesen mit Erkenntnis vom 6. Juli 1994, Zl. 94/20/0064 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.

Mit dem nunmehr bekämpften Ersatzbescheid der belangten Behörde vom 24. Jänner 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG erneut abgewiesen. Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung nach Darstellung der Ereignisse anläßlich des Termins 11. August 1992 sowie nach Wiedergabe des Inhaltes der Berufungsschrift sowie Zitierung der Gesetzesbestimmungen und Judikatur zur Frage des Flüchtlingsbegriffes im wesentlichen damit, gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 habe der Bundesminister für Inneres seiner Entscheidung regelmäßig das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrundezulegen, er "finde denn eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen"; dies gemäß Abs. 2 jedoch nur, wenn es mangelhaft gewesen sei, der Asylwerber Bescheinigungsmittel vorlege, die ihm im Verfahren erster Instanz nicht zugänglich gewesen seien oder sich der der Entscheidung erster Instanz zugrundeliegende Sachverhalt in der Zwischenzeit geändert habe. Keine dieser drei Alternativen liege im Fall des Beschwerdeführers vor, insbesondere bezögen sich die neuen Angaben auf Ereignisse vor der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides und könne das Ermittlungsverfahren des Bundesasylamtes Außenstelle Wien nicht als mangelhaft bezeichnet werden, zumal dem Bfr Gelegenheit gegeben worden sei, im Rahmen der Parteienvernehmung unter Beiziehung eines Dolmetschers sämtliche Gründe vorzutragen, deretwegen er Verfolgung durch seinen Heimatstaat habe befürchten müssen. Daß er sich aus der erkennenden Behörde nicht nachvollziehbaren Gründen geweigert habe, ein Formblatt auszufüllen und vor allem sich zu seinen Fluchtgründen befragen zu lassen, habe dazu führen müssen, daß das Bundesasylamt - die Parteienvernehmung stelle im Asylverfahren ja regelmäßig das zentrale Bescheinigungsmittel dar, um die Behauptungen, die der Asylwerber im Rahmen des Vorbringens (im technischen Sinn) aufstelle, auf ihre Glaubhaftigkeit zu überprüfen und die Vernehmung der Person "nun eben die von ihm durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter aufgestellten Behauptungen nicht zu bescheinigen versucht habe" - überhaupt keinen entscheidungsrelevanten Sachverhalt für bescheinigt habe halten können, und "im Sinne der auch im Offizialverfahren bestehenden objektiven Beweislast sein Antrag abzuweisen schon von gesetzeswegen gehalten gewesen" sei. Ein Verfahrensmangel könne, da er durch seine Weigerung die ihn treffende Mitwirkungsobliegenheit grob verletzt habe, nicht festgestellt werden. Ein je zentraleres Beweismittel in einem, obgleich der Offizialmaxime verpflichteten, behördlichen Ermittlungsverfahren die Vernehmung der Partei selbst darstelle, umso stärkere prozessuale Mitwirkungspflichten träfen die Partei. Der Behörde erster Instanz könne somit nicht entgegengetreten werden, wenn sie nach fruchtloser Einleitung aller ihr zumutbaren Schritte, um ihm (dem Beschwerdeführer) Gelegenheit zur Aussage zu geben, letztlich sein Vorbringen nicht für bescheinigt habe halten können. Das Asylgesetz 1991 zeige schon durch seinen § 19 die strengeren Anforderungen des Gesetzgebers an die Mitwirkungspflicht einer Partei im Asylverfahren, und es sei dem Gesetz die Wertung zu entnehmen, daß im Falle des Beschwerdeführers weitere Schritte nicht zumutbar gewesen seien. Der Behauptung in der Berufung, es sei ein Mißverständnis unterlaufen, sei entgegenzuhalten, daß dieses Mißverständnis aus der Perspektive der Behörde nicht erkennbar gewesen sei, weswegen dem Verfahren auch kein ersichtlicher Mangel "attribuiert" werden könne. Da der Beschwerdeführer anläßlich seiner versuchten erstinstanzlichen Befragung offensichtlich keine asylrechtlich relevanten Sachverhaltselemente zu bescheinigen vermocht habe, erscheine es der erkennenden Behörde nicht plausibel, daß er sich aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Heimatlandes befände.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Vorauszuschicken ist, daß sowohl das Bundesasylamt als auch die belangte Behörde den Asylantrag inhaltlich negativ beschieden, also eine materielle Entscheidung gefällt haben. Dies obwohl ein "Ermittlungsverfahren" im Sinne der Grundlage für eine Sachentscheidung gar nicht stattgefunden hat. Wie vielmehr aus dem Begründungsduktus der Bescheide sowohl des Bundesasylamtes als auch der belangten Behörde in ihrem Ersatzbescheid hervorgeht, gründeten beide Behörden unter Abstandnahme von weiteren Erhebungen ihre negative Entscheidung jeweils im Sinne des § 19 Abs. 1 Asylgesetz 1991 auf die Weigerung des Asylwerbers, das ihm vorgelegte Formblatt F 1 auszufüllen bzw. an der erkennungsdienstlichen Behandlung mitzuwirken. Die Bestimmung des § 19 Abs. 1 Asylgesetz 1991 ermöglicht es der Behörde, von Amts wegen ein anhängiges Asylverfahren mit einem negativen Bescheid abzuschließen, ohne in die Sache selbst eingehen zu müssen, weil in diesen Fällen der Asylwerber zu erkennen gibt, daß er, aus welchen Gründen immer, an einer Asylgewährung offenbar nicht mehr interessiert ist (vgl. EB zur Regierungsvorlage 270 BlG NR 18. GP). Die Ermöglichung einer Formalentscheidung nach § 19 Asylgesetz 1991 (vgl. hiezu das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 30. Juni 1994, B 1219/93, u.a.) berührt schon aus diesem Grunde nicht die Bestimmung des § 20 Asylgesetz 1991, die die materiell-rechtlichen Grundlagen für eine Sachentscheidung und deren Gewinnung im Ermittlungsverfahren zum Gegenstand hat. Die diesbezüglichen Ausführungen der belangten Behörde gehen daher am Kern des Problems vorbei. Zu Unrecht hat sie sich auch mit der bereits in der Berufung aufgestellten Behauptung des Beschwerdeführers nicht befaßt, seine Weigerung an der asylrechtlichen Behandlung mitzuwirken, sei nicht auf den Willen, diese zu behindern, sondern auf ein Mißverständnis gegründet gewesen, welches er auch in seiner Berufung zu erklären versucht habe. Hätte die belangte Behörde daher Zweifel an der Richtigkeit seines diesbezüglichen Vorbringens gehegt, so hätte sie - nach den Bestimmungen der allgemeinen Verfahrensgesetze - durch Vernehmung der bei der versuchten Vernehmung des Beschwerdeführers anwesenden Personen, allenfalls seines Rechtsvertreters, in einem Zwischenverfahren zu klären gehabt, ob das behauptete Mißverständnis vorlag oder aus welchen Gründen für eine derartige Annahme kein Raum bliebe. Erst dann hätte sich herausgestellt, ob dem Verfahren ein Mangel "attribuiert" werden kann, ganz davon abgesehen, daß es nicht darauf ankommt, ob ein derartiges Mißverständnis aus der Perspektive der Behörde erkennbar gewesen war, sondern vielmehr, ob ein solches objektiv vorgelegen ist oder nicht.

Da die belangte Behörde ihrer Entscheidung einen nur unvollständigen Sachverhalt zugrunde gelegt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens gründet sich darauf, daß gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG von der beantragten mündlichen Verhandlung abgesehen wurde.

Schlagworte

Beweismittel Zeugenbeweis Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Zeugenbeweis Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Rechtsmittelverfahren Berufung Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1995200118.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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