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E000 EU- Recht allgemeinNorm
AsylG 2005 §3 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das am 3. Oktober 2022 mündlich verkündete und am 8. November 2022 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, W250 2249626-1/8E, betreffend eine Asylangelegenheit (mitbeteiligte Partei: M F), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Syriens, stellte am 23. Juli 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz, welchen er damit begründete, dass er zum Wehrdienst einberufen worden sei. Er habe zunächst im Ausland gelebt und immer wieder (durch Bestechungszahlungen) einen Aufschub vom Wehrdienst erwirken können; schließlich habe er Syrien endgültig verlassen, um nicht zum Militär eingezogen zu werden. Bei einer Rückkehr fürchte er, verhaftet und eingezogen zu werden.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Antrag mit Bescheid vom 21. Oktober 2021 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte dem Mitbeteiligten den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für die Dauer eines Jahres.
3 Der dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem am 3. Oktober 2022 mündlich verkündeten und am 8. November 2022 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis statt, erkannte dem Mitbeteiligten den Status eines Asylberechtigten zu und stellte fest, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.
4 In der Begründung des Erkenntnisses führte das BVwG - soweit für das Revisionsverfahren von Belang - aus, der Mitbeteiligte sei seit seinem 18. Lebensjahr immer wieder vom syrischen Regime aufgefordert worden, den Militärdienst abzuleisten. Er habe sich dem zunächst durch Auslandsaufenthalte entzogen und habe mehrmals die Regierung bestochen, um einen Aufschub zu erhalten. Im Jahr 2001 und 2010 seien seine Versuche, sich freizukaufen, gescheitert. Durch seine endgültige Ausreise habe er die Ableistung des Militärdienstes verweigert. Die Wehrdienstentziehung werde vom syrischen Regime als oppositionelle Gesinnung gewertet. Zudem drohe dem Mitbeteiligten - welcher weitgehend gesund sei - angesichts seiner Wehrdienstentziehung in der Vergangenheit auch im Alter von 44 Jahren noch eine Einziehung zum Wehrdienst bei seiner Rückkehr. Aufgrund des anhaltenden Konflikts um die Herkunftsregion des Mitbeteiligten, des Mangels an Soldaten sowie des willkürlichen Vorgehens bei der Einberufung liege eine erhebliche Wahrscheinlichkeit vor, dass er bei seiner Rückkehr zum Wehrdienst eingezogen würde; die Absolvierung des Wehrdienstes für das syrische Regime lehne er jedoch ab. Er habe sein Fluchtvorbringen gleichbleibend glaubhaft angegeben und durch die Vorlage seines Wehrbuches belegt. Bei einer Rückkehr drohe ihm als Deserteur und Wehrdienstverweigerer Verfolgung aufgrund seiner oppositionellen Gesinnung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK).
5 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision des BFA, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, das BVwG habe aktenwidrig angenommen, dass der Mitbeteiligte Syrien erst im Jahr 2011 und nicht - wie vor dem BFA angegeben - bereits lange vor Ausbruch des Bürgerkrieges Syrien verlassen habe, was für die Annahme einer unterstellten oppositionellen Gesinnung Bedeutung habe. Zudem sei die Schlussfolgerung des BVwG, dass dem Mitbeteiligten aufgrund seiner Ausreise und der dadurch bewirkten Entziehung von der Ableistung des Militärdienstes vom syrischen Regime eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werde, zu pauschal erfolgt, habe das BVwG doch zur Situation in Syrien auch festgestellt, dass eine Wehrdienstverweigerung „nicht unbedingt“ als Oppositionsnähe betrachtet werde. Entscheidend seien die Umstände des Einzelfalls. In diesem Zusammenhang habe das BVwG gegen seine Begründungspflicht verstoßen und sich nicht mit sämtlichen Umständen auseinandergesetzt, welche dagegen sprächen, dass dem Mitbeteiligten eine asylrelevante Verfolgung drohe. Zudem habe das BVwG im Widerspruch zu den Länderfeststellungen angenommen, dass dem Mitbeteiligten noch im Alter von 44 Jahren die Gefahr einer Einberufung zum Wehrdienst drohe.
6 Mit diesem Vorbringen wird eine Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Die Revision rügt zunächst, das BVwG habe aktenwidrig - entgegen der Feststellung des BFA und der Angaben der mitbeteiligten Partei im Administrativverfahren - angenommen, dass der Mitbeteiligte Syrien erst im Jahr 2011 verlassen habe; tatsächlich habe dieser das Land bereits vor Ausbruch des Bürgerkrieges verlassen, was für die Annahme einer unterstellten oppositionellen Gesinnung Bedeutung habe.
11 Eine Aktenwidrigkeit liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur dann vor, wenn sich die Behörde bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts mit dem Akteninhalt hinsichtlich der dort festgehaltenen Tatsachen in Widerspruch gesetzt hat, wenn also der Akteninhalt unrichtig wiedergegeben wurde, nicht aber, wenn Feststellungen getroffen wurden, die aufgrund der Beweiswürdigung oder einer anders lautenden rechtlichen Beurteilung mit den Behauptungen einer Partei nicht übereinstimmen (vgl. VwGH 10.11.2022, Ra 2022/18/0203, mwN).
12 Gegenständlich lässt die Amtsrevision außer Acht, dass sich das BVwG in seiner Beweiswürdigung auf die als glaubhaft beurteilten Angaben des Mitbeteiligten in der mündlichen Verhandlung stützte, wonach er sich bereits vor 2011 vermehrt im Ausland aufgehalten habe, jedoch 2010 in der Hoffnung, sich durch Schmiergeldzahlungen vom Wehrdienst befreien zu können, nach Syrien zurückgekehrt sei, bevor er endgültig ausgereist sei.
13 Die Revision, welche diese Begründung des BVwG übergeht, vermag schon deswegen weder eine Aktenwidrigkeit aufzuzeigen, noch mit dem pauschalen Vorbringen, das Vorbringen des Mitbeteiligten verstoße gegen das Neuerungsverbot, darzulegen, dass und warum das BVwG in diesem Zusammenhang von der Absicht einer missbräuchlichen Verlängerung des Asylverfahrens ausgehen hätte müssen.
14 Die Revision wendet sich zudem gegen einzelne Argumente der Beweiswürdigung des BVwG und bringt vor, das BVwG habe aufgrund einer unzureichenden Auseinandersetzung mit näher genannten und von der revisionswerbenden Amtspartei gegenteilig gewürdigten Umständen gegen seine Begründungspflicht verstoßen.
15 Der EuGH hat in seinem - Syrien betreffenden - Urteil vom 19. November 2020, C-238/19, Rs. EZ, zu einem deutschen Vorabentscheidungsersuchen ausgesprochen, dass eine Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlungen und dem Konventionsgrund der politischen Gesinnung nicht allein deshalb als gegeben angesehen werden kann, weil Strafverfolgung oder Bestrafung wegen einer Wehrdienstverweigerung erfolgen. Allerdings spreche eine starke Vermutung dafür, dass die Verweigerung des Militärdienstes unter den in Art. 9 Abs. 2 lit. e Statusrichtlinie genannten Voraussetzungen (also eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Bürgerkrieg, wenn der Militärdienst u.a. Kriegsverbrechen umfassen würde) mit einem Konventionsgrund in Zusammenhang stehe. Es sei Sache der zuständigen nationalen Behörden, in Anbetracht sämtlicher in Rede stehender Umstände die Pausibilität dieser Verknüpfung zu prüfen.
Im Sinne dieser unionsrechtlichen Vorgaben hat auch das BVwG im gegenständlichen Fall geprüft, ob eine Verknüpfung der dem Mitbeteiligten drohenden Verfolgungshandlungen mit dem Konventionsgrund der politischen Gesinnung besteht und es hat diesen Konnex beweiswürdigend bejaht.
Diese einfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. VwGH 24.8.2022, Ra 2022/19/0018, mwN). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung nämlich im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 10.11.2022, Ra 2022/18/0250, mwN). Der Verwaltungsgerichtshof ist sohin nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 2.9.2022, Ra 2021/14/0373, mwN).
16 Eine vom Verwaltungsgerichtshof nach diesem Maßstab aufzugreifende Unvertretbarkeit vermag die Amtsrevision nicht aufzuzeigen.
17 Im angefochtenen Erkenntnis führte das BVwG aus, dass der Mitbeteiligte über das Verfahren hinweg glaubhaft angegeben habe, Syrien 2011 endgültig verlassen zu haben, nachdem in Syrien der Krieg und Demonstrationen begonnen hätten und er gefürchtet habe, zum Wehrdienst einberufen zu werden. In Ergänzung der bereits vorgelegten Unterlagen habe er bei der mündlichen Verhandlung sein syrisches Wehrdienstbuch im Original und vollständig vorgelegt. Das Wehrbuch sei in der mündlichen Verhandlung dem für die Sprache Arabisch anwesenden und beeideten Dolmetscher zur Übersetzung vorgelegt worden. Dem Wehrdienstbuch seien der Name, das Geburtsdatum, sowie die Eltern des Mitbeteiligten, die Rekrutierungsstelle, die Blutgruppe sowie der Ausstellungsort zu entnehmen, und dass er verpflichtet sei, sich bei der Rekrutierungsstelle zu melden. Im Wehrbuch sei auch eine Verweigerung des Mitbeteiligten einzurücken eingetragen. Die jeweiligen Datumsangaben im Wehrbuch seien unleserlich, jedoch sei ersichtlich, dass im Jahr 2001 eine medizinische Untersuchung stattgefunden habe. Aus dem Wehrdienstbuch ergebe sich außerdem, dass der Mitbeteiligte noch keinen Wehrdienst abgeleistet habe („Vermerkt wurde, dass der BF nicht eingerückt ist.“).
18 Auch zu der von der Revision angesprochenen Passausstellung des Mitbeteiligten im Jahr 2017 durch das syrische Konsulat in Dubai führte das BVwG umfangreich aus, dass die Passausstellung auch unter Berücksichtigung der Länderinformationen im konkreten Fall nicht gegen eine unterstellte oppositionelle Gesinnung des Mitbeteiligten spreche. Der Mitbeteiligte habe dargelegt, dass er den Pass aufgrund guter Kontakte seiner Frau und nur befristet auf zwei Jahre erhalten habe. Zudem lasse sich aus der Passausstellung im Jahr 2017 ebenso wie aus der legalen Ausreise des Mitbeteiligten nicht auf das aktuelle (Nicht-)Vorliegen einer ihm drohenden Gefahr schließen.
19 Gestützt auf die Beweisergebnisse gelangte das BVwG insgesamt zum Ergebnis, dass sich der Mitbeteiligte dem Wehrdienst entzogen habe und ihm daher aufgrund einer unterstellten oppositionellen Gesinnung asylrelevante Verfolgung als Deserteur, nämlich eine Gefängnisstrafe verbunden mit Folter, bei einer Rückkehr nach Syrien drohe.
20 Dass die beweiswürdigenden Erwägungen des BVwG, die zu dieser Einschätzung geführt haben, auf unvertretbare Weise vorgenommen worden wären, vermag die Revision nicht darzulegen. Insbesondere ist weder erkennbar, dass sich das BVwG in seiner besonders ausführlichen Beweiswürdigung ohne Begründung über die Argumente der revisionswerbenden Amtspartei hinweggesetzt hätte, noch warum sich das BVwG mit dem vorgelegten Wehrbuch nicht beweiswürdigend auseinander setzen (und zu anderen Schlüssen als das BFA kommen) hätte dürfen.
21 Die Revision macht darüber hinaus geltend, das BVwG habe im Widerspruch zu den Länderfeststellungen angenommen, dass dem bereits 44-jährigen Mitbeteiligten bei seiner Rückkehr noch mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Einberufung zum Wehrdienst drohe. Dazu ist festzuhalten, dass das BVwG - wie zuvor bereits erwähnt - davon ausgegangen ist, dass dem Mitbeteiligten bei Rückkehr asylrelevante Bestrafung wegen der bereits erfolgten Wehrdienstverweigerung droht. Dass diese Gefahr aufgrund des fortschreitenden Alters des Mitbeteiligten nicht mehr gegeben wäre, legt die Revision nicht dar, weshalb es auf die von ihr aufgeworfene Frage, ob der Mitbeteiligte nachwievor zum Wehrdienst eingezogen würde, nicht ankommt. Ungeachtet dessen hat das BVwG - zumindest vertretbar - beweiswürdigend angenommen, dass dem Mitbeteiligten aufgrund des willkürlichen Verhaltens der syrischen Behörden trotz seines Alters sogar noch eine Einberufung zum Wehrdienst drohen könnte.
22 Eine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Unschlüssigkeit dieser Darlegungen vermag die Amtsrevision nicht aufzuzeigen.
23 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 21. Dezember 2022
Gerichtsentscheidung
EuGH 62019CJ0238 EZ / Bundesrepublik Deutschland VORABSchlagworte
Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022180318.L00Im RIS seit
23.01.2023Zuletzt aktualisiert am
23.01.2023