Kopf
Das Landesgericht für ZRS Wien als Rekursgericht fasst durch den Richter Mag. Ulf Marschner als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. Ingeborg Hawlicek und Dr. Julia Kömürcü-Spielbüchler in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. *****, vertreten durch die Nemetz & Nemetz Rechtsanwalts-KG in Wien, wider die beklagte Partei ***** GmbH, *****, vertreten durch die HSP Rechtsanwälte GmbH in Wien, und der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagen Partei ***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Claudia Vitek, Rechtsanwältin in Wien, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Endbeschluss des Bezirksgerichts Hernals vom 12.9.2022, 16 C 457/21p-40, in nichtöffentlicher Sitzung den
B e s c h l u s s :
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei sowie der Nebenintervenientin deren jeweils mit 280,54 Euro bestimmte Kosten des Rekursverfahrens (darin jeweils 46,76 Euro USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig (§ 528 Abs 2 Z 6 ZPO).
Text
B e g r ü n d u n g :
Der Kläger sowie die Beklagte sind Eigentümer benachbarter Liegenschaften. Auf beiden Liegenschaften ist ein Haus errichtet; zwischen den beiden Häusern befindet sich eine Feuermauer.
Die Beklagte ließ auf dem ihr gehörigen Haus weitere Geschosse errichten und die Feuermauer erhöhen. Die auf der Feuermauer angebrachte Wärmedämmung überragt den Luftraum über dem Haus des Klägers um ca 7 cm. Der Kläger hatte einer Überbauung im Ausmaß von mehr als 2 cm nicht zugestimmt. Die Wiederherstellungskosten für den Rückbau der überragenden Wärmedämmung würden 60.000 bis 80.000 Eur betragen.
Der Überstand der Wärmedämmung ist für den Kläger mit folgenden Nachteilen verbunden: im Fall der Aufstockung seines Gebäudes wäre die erzielbare Wohnnutzfläche geringer, es würden Kosten durch ein Vertragswerk entstehen, es würde ein Anschlussproblem geben und es könnten Risse sowie Wasserschäden im Fugenbereich entstehen.
Der Kläger begehrte die Feststellung, die Beklagte habe dadurch, dass sie durch Anbringen einer Wärmeschutzfassade an der Feuermauer die Grundstücksgrenze um 7 cm überschritten habe, den ruhigen Besitz des Klägers gestört; sie sei schuldig, den vorherigen Zustand durch Entfernung des Überbaues wiederherzustellen und sich jeder weiteren derartigen Störung zu enthalten.
Mit dem angefochtenen Endbeschluss stellte das Erstgericht die Besitzstörung fest, untersagte der Beklagten jede weitere derartige Störung, wies jedoch das Wiederherstellungsbegehren ab. Ausgehend von dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt folgerte es rechtlich – soweit für das Rekursverfahren noch relevant -, dass es sich beim Wiederherstellungsanspruch um einen Unterfall des Beseitigungsanspruchs handle. Er richte sich nicht auf Ausgleich des eingetretenen Nachteils, sondern auf Ausschaltung der Störungsquelle. Ein Wiederherstellungsanspruch bestehe nicht, wenn dessen Erfüllung mit erheblichen Kosten oder der endgültigen Vernichtung erheblicher wirtschaftlicher Werte verbunden wäre und leicht einer Korrektur im Petitorium zugänglich sei (vgl Kodek in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 339 Rz 16). Aufgrund der Höhe der mit der Erfüllung des Wiederherstellungsbegehrens verbundenen Kosten sei dieses abzuweisen.
Gegen diese Abweisung richtet sich der Rekurs des Klägers. Er strebt die Stattgebung seines Wiederherstellungsbegehrens an; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.
Die Beklagte sowie die Nebenintervenientin beantragen, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
Der Kläger argumentiert zusammengefasst, das Wiederherstellungsbegehren bestehe jedenfalls dann, wenn die Sache des Beeinträchtigten noch faktisch von einer fremden Sphäre überlagert werde und die Sphäre von derjenigen des Besitzers faktisch und rechtlich abgrenzbar sei; dies sei hier der Fall.
Dazu wurde erwogen:
Nach einhelliger Auffassung hat der Gestörte grundsätzlich einen verschuldensunabhängigen Anspruch auf Wiederherstellung des vorigen Zustands, der aus § 346 ABGB (bei der Besitzstörung ieS – wie hier - per analogiam) abgeleitet wird (Kodek, Die Besitzstörung 439, 457 f; Anzenberger in Schwimann/Kodek5 § 339 Rz 29; Welser/Klete?ka, Bürgerliches Recht I15 Rz 877).
Strittig ist, ob die Wiederherstellung der Naturalresitution iSd § 1323 ABGB gleichzuhalten ist (so RS0030104, RS0010302; LGZ Wien 38 R 197/00b = MietSlg 52.020, 39 R 289/07z = MietSlg 59.633; LG Eisenstadt, R 103/94 = MietSlg 46.008; LGZ Graz, 3 R 267/85 = MietSlg 37.758; MietSlg 32.704), oder ob es sich beim Wiederherstellungsanspruch um einen Unterfall des Beseitigungsanspruchs handelt, der sich nicht auf den Ausgleich des eingetretenen Nachteils, sondern auf Ausschaltung der Störungsquelle richtet (LG Leoben, 1 R 147/15g = RLE0000037 = JBl 2016, 38 unter Berufung auf Kodek in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³, § 339 Rz 158 ff; zustimmend Holzner in Rummel/Lukas, ABGB4 § 339 Rz 18; Anzenberger aaO; Welser/Klete?ka aaO; vgl auch LG Eisenstadt 13 R 178/20d; LGZ Wien 64 R 23/20k, 36 R 41/17x ua). Der erkennende Rechtsmittelsenat hat sich der zuletzt referierten Auffassung angeschlossen (34 R 89/18t). Beim Wiederherstellungsanspruch handelt es sich demnach um einen Unterfall des Beseitigungsanspruchs, der sich nicht auf den Ausgleich des eingetretenen Nachteils richtet, sondern auf Ausschaltung der Störungsquelle (Kodek aaO Rz 159; ders in in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 339 Rz 16). Andernfalls könnte der vorläufige possessorische Schutz weiter gehen als der endgültige Schutz im petitorischen Verfahren, ohne dass ein Grund für diese Ausgestaltung ersichtlich wäre (Kodek Besitzstörung 439 ff).
Während bei der Entziehung einer körperlichen Sache, die den Kernbereich des § 345 ABGB darstellt (Kodek in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³, § 339 Rz 161), eine „Wiederherstellung“ durch Herausgabe unproblematisch erscheint, stellt sich bei anderen Formen der Besitzstörung, insbesondere der Bauführung, das Problem, dass mit einer „Zurücksetzung in die vorige Lage“ oftmals nicht nur erhebliche Kosten verbunden sind, sondern auch wirtschaftliche Werte vernichtet werden (ders Besitzstörung 449). Dies ist vor allem dann problematisch, wenn der im Besitzstörungsverfahren unterlegene Störer im Petitorium zu Recht geltend macht, ein Recht zum Besitz bzw zu der vorgenommenen Handlung zu haben (was auf Grund des vorläufigen Charakters der Entscheidung im Besitzstörungsverfahren möglich ist: RS0041645; RS0041648). Dass dies gerade im Zusammenhang mit der Bauführung der Fall sein kann, hat Kodek überzeugend nachgewiesen (Besitzstörung 447 ff). Der im Besitzstörungsverfahren unterlegene Beklagte, der im Petitorium die Rechtmäßigkeit seiner „Störung“ nachweisen kann, müsste uU die Kosten der im Besitzstörungsverfahren aufgetragenen „Wiederherstellung“ endgültig selbst tragen (Kodek aaO 443, 447). Die aus der Trennung von Possesorium und Petitorium resultierende Zweispurigkeit des Rechtsschutzsystems (vgl § 459 ZPO) zwingt daher dazu, bei der Beurteilung der Reichweite des possessorischen Schutzes auf die Möglichkeit der Korrektur der possessorischen Entscheidung im späteren Petitorium Rücksicht zu nehmen (ders aaO 441). Das auf die Erörterung und den Beweis der Tatsache des letzten Besitzstandes und der erfolgten Störung beschränkte Besitzstörungsverfahren, in welchem eine Erörterung eines Rechts zu der vorgenommenen Handlung ausgeschlossen ist, ist nicht geeignet, um über die endgültige Vernichtung wirtschaftlicher Werte zu entscheiden; die Einräumung eines Wiederherstellungsbegehrens im Falle einer Besitzstörung im engeren Sinn durch Bauführung durch analoge Anwendung des § 346 ABGB kann daher nicht vom Willen des Gesetzgebers umfasst sein.
Der erkennende Rechtsmittelsenat hat sich daher der auf Kodek (Besitzstörung 456; ders in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³, § 346 Rz 7) zurückgehenden Auffassung angeschlossen, dass außerhalb des Kernbereichs des § 345 ABGB (dazu oben) ein possessorischer Wiederherstellungsanspruch nach § 346 (analog) ABGB nur dann anzuerkennen ist, wenn er nicht mit besonderen Kosten verbunden ist und nicht zu einer endgültigen Vernichtung wirtschaftlicher Werte führt (34 R 89/18t; vgl auch LG Leoben 1 R 147/15g = RLE0000037, 1 R 246/21z; LGZ Wien 36 R 41/17x, 36 R 77/21x, 64 R 23/20k; LG Korneuburg 21 R 401/14i; LG Eisenstadt 13 R 221/19a, 13 R 178/20d; LG Salzburg 53 R 73/22z; LG Feldkirch 2 R 94/21w; LG Wels 22 R 237/10z; Obermaier in Höllwerth/Ziehensack ZPO-Taschenkommentar § 454 Rz 3; obiter offenbar LGZ Wien 39 R 289/07z = Miet 59.633). Aus diesem Grund ist eine Beseitigung der Bauführung im Besitzstörungsverfahren nicht (also weder nach § 339 ABGB noch nach § 340 ABGB) möglich (vgl Kodek Besitzstörung 453; LG Eisenstadt 13 R 178/20d). Das gilt bei der Besitzstörung im engeren Sinn unabhängig von dem - vom Rekurswerber ins Treffen geführten - Erfordernis der Überlagerung der Sache des Beeinträchtigten von einer fremden Sphäre (dazu Kodek in Fasching/Konecny3 § 454 ZPO Rz 106).
Das Erstgericht hat daher die begehrte Wiederherstellung zu Recht abgewiesen, weil diese mit der Zerstörung der auf der Feuermauer angebrachten Wärmedämmung verbunden wäre und 60.000 bis 80.000 Euro an Kosten verursachen würde.
Wenn der Kläger unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Erstgerichts, der Wiederherstellungsanspruch bestehe nicht, wenn ua eine Korrektur im Petitorium (richtig: nicht) leicht möglich sei, vorbringt, eine Durchsetzung des Wiederherstellungsanspruchs im Petitorium sei wegen der beabsichtigten Begründung von Wohnungseigentum an dem auf der Liegenschaft der Beklagten befindlichen Haus nicht leicht möglich, liegt ein Missverständnis vor. Nach der von Kodek vertretenen Auffassung, auf die sich das Erstgericht stützt, setzt die Bejahung des Wiederherstellungsanspruchs im Besitzstörungsverfahren ua voraus, dass die im Possesorium getroffene Anordnung der Wiederherstellung im Petitorium relativ leicht korrigiert werden kann (Besitzstörung 443; ders in Fasching/Konecny3 § 454 ZPO Rz 103). Dies ist hier offenkundig nicht der Fall. Denn die Entfernung des Überbaues kann, sollte die Beklagte im Petitorium ein Recht zum Überbau nachweisen können, nicht wieder leicht korrigiert werden. Die Belastung des Besitzstörungsverfahren mit der vom Rekurswerber erörterten Frage, welche Rechte die Beklagte im Petitorium geltend machen kann, widerspräche dem Ziel eines beschleunigten Verfahrens (vgl § 457 ZPO).
Die vom Kläger geltend gemachte Gefahr der Ersitzung mangels Wiederherstellung besteht schon wegen des unechten Besitzerwerbs (vgl § 345 ABGB) durch die Beklagte nicht (§ 1464 ABGB).
Dem Rekurs musste daher ein Erfolg versagt bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Textnummer
EWZ0000226European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LG00003:2022:03400R00176.22T.1213.000Im RIS seit
20.01.2023Zuletzt aktualisiert am
20.01.2023