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82/02 Gesundheitsrecht allgemeinNorm
B-VG Art18 Abs1Leitsatz
Aufhebung eines Satzes einer Bestimmung des EpidemieG 1950 betreffend die Zuständigkeit der Bezirksgerichte zur Entscheidung über die Absonderung kranker Personen mangels Einhaltung des Rechtsstaatsprinzips; Verstoß gegen die Pflicht des Gesetzgebers zu einer – strengen Prüfungsmaßstäben standhaltenden – präzisen Regelung der Behördenzuständigkeit bzw die Pflicht, eine klare Regelung hinsichtlich des anzuwendenden Verfahrensrechts vorzunehmenRechtssatz
Aufhebung des §7 Abs1a zweiter Satz Epidemiegesetz 1950 (EpiG) idF BGBl I 63/2016. Die antragstellenden Gerichte haben in den bei ihnen anhängigen Verfahren §7 Abs1a zweiter Satz EpiG (nicht jedoch dessen dritten und vierten Satz) anzuwenden. Mangels untrennbaren Zusammenhangs des zweiten mit dem dritten und vierten Satz dieser Bestimmung mussten die letztgenannten Sätze auch nicht mitangefochten werden. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweisen sich die jeweils auf die Aufhebung von §7 Abs1a zweiter Satz EpiG, der auf BGBl I 63/2016 zurückgeht und durch BGBl I 104/2020 nicht geändert worden ist, gerichteten Hauptanträge als zulässig. Ausdehnung der Anlassfallwirkung gemäß der Ermächtigung des Art140 Abs7 zweiter Satz B-VG auf die beim VfGH zu KI13/2020, E2375/2020 anhängige Rechtssache.
§7 Abs1a zweiter Satz EpiG verweist (im Unterschied zu dessen viertem Satz) hinsichtlich der Überprüfung der Zulässigkeit der Freiheitsbeschränkung durch das Bezirksgericht auf die "Maßgabe des 2. Abschnitts des Tuberkulosegesetzes" insgesamt. Der 2. Abschnitt des Tuberkulosegesetzes sieht aber nicht bloß ein anderes System zur Verfügung und Kontrolle von Freiheitsbeschränkungen, sondern in diesem System wiederum unterschiedliche Verfahrensarten vor. Der VfGH vermag angesichts des pauschalen Verweises in §7 Abs1a zweiter Satz EpiG auf den 2. Abschnitt des Tuberkulosegesetzes schon nicht mit der für die Festlegung von Behördenzuständigkeiten erforderlichen Deutlichkeit zu erkennen, worin der Prüfungsgegenstand des Bezirksgerichts - und damit dessen Zuständigkeitsumfang - genau liegen soll, insbesondere, ob sich die Prüfung des Bezirksgerichts auch auf einen allfälligen Bescheid der Bezirksverwaltungsbehörde oder lediglich auf eine nachfolgende Anhaltung zu beziehen hat und gegebenenfalls in welchem Verhältnis die Kognitionsbefugnis des Bezirksgerichts zu einer allenfalls verbleibenden Prüfungsbefugnis der Verwaltungsgerichte steht.
Selbst wenn man den Verweis auf den 2. Abschnitt des Tuberkulosegesetzes bloß als Verweis auf das Verfahren nach §17 Abs4 Tuberkulosegesetz und die daran anknüpfenden Regeln beziehen wollte (wobei unklar bliebe, warum dies - im Unterschied zu §7 Abs1a vierter Satz EpiG - durch einen Verweis auf den gesamten 2. Abschnitt des Tuberkulosegesetzes angeordnet werden sollte), wäre der genaue Prüfungsgegenstand nicht mit hinreichender Deutlichkeit erkennbar; weiters bliebe unklar, ob die Sondervorschriften des §20 Tuberkulosegesetz allgemein oder aber nur in Fällen von Freiheitsentziehungen in Form der Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt zur Anwendung kommen sollten.
Entscheidungstexte
Schlagworte
COVID (Corona), Legalitätsprinzip, Gericht Zuständigkeit - Abgrenzung von Verwaltung, Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, VfGH / Gerichtsantrag, VfGH / Anlassfall, Bezirksgericht, DeterminierungsgebotEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:G380.2020Zuletzt aktualisiert am
17.01.2023