Diskriminierungsgrund
GeschlechtDiskriminierungstatbestand
Mangelnde Abhilfe, sexuelle Belästigung durch Dritten, Verletzung des BenachteiligungsverbotesText
Senat I der Gleichbehandlungskommission
Prüfungsergebnis gemäß § 12 GBK/GAW-Gesetz
(BGBl Nr 108/1979 idgF)
Der Senat I der Gleichbehandlungskommission (GBK) gelangte am 12. Juli 2022 über den am 16. April 2021 eingelangten Antrag der Gleichbehandlungsanwaltschaft (GAW) für A (Antragstellerin) betreffend die Überprüfung einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes durch eine sexuelle Belästigung durch Dritte gemäß § 6 Abs 1 Z 3 GlBG (BGBl I Nr 66/2004 idgF) durch Z (Zweitantragsgegner) und durch schuldhaftes Unterlassen des Arbeitgebers/der Arbeitgeberin im Falle einer sexuellen Bela?stigung durch Dritte eine nach den gesetzlichen Bestimmungen, Normen der kollektiven Rechtsgestaltung oder des Arbeitsvertrages angemessene Abhilfe zu schaffen gemäß § 6 Abs 1 Z 2 GlBG sowie durch eine Verletzung des Benachteiligungsverbotes gemäß § 13 GlBG durch Y (Erstantragsgegner) nach Durchführung eines Verfahrens gemäß § 12 GBK/GAW-Gesetz iVm § 11 der Gleichbehandlungskommissions-GO (BGBl II Nr 396/2004 idgF), zu GZ GBK I/1001/21, zu folgendem
PRÜFUNGSERGEBNIS:
1. A ist aufgrund des Geschlechtes durch eine sexuelle Belästigung durch Dritte gemäß § 6 Abs 1 Z 3 GlBG durch Z diskriminiert worden.
2. A ist aufgrund des Geschlechtes durch schuldhaftes Unterlassen des Arbeitgebers/der Arbeitgeberin im Falle einer Bela?stigung durch Dritte eine nach den gesetzlichen Bestimmungen, Normen der kollektiven Rechtsgestaltung oder des Arbeitsvertrages angemessene Abhilfe zu schaffen gemäß § 6 Abs 1 Z 2 GlBG durch Y diskriminiert worden.
3. A ist aufgrund des Geschlechtes durch eine Verletzung des Benachteiligungsverbotes gemäß § 13 GlBG durch Y diskriminiert worden.
Dies ist eine gutachterliche Feststellung. Es handelt sich hierbei im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes1 nicht um einen Bescheid.
VORBRINGEN
Im Antrag wurde im Wesentlichen Folgendes vorgebracht:
Die Antragstellerin sei seit 2019 beim Erstantragsgegner, dessen Geschäftsführer X sei, als Telefonistin im Kundensupport beschäftigt gewesen.
Der Zweitantragsgegner sei der ehemalige Geschäftsführer des Erstantragsgegners. Er sei regelmäßig in der Zentrale anwesend, da er nach seiner Pensionierung für den Erstantragsgegner weiterhin als Konsulent tätig sei.
Am 8. September 2020 habe sich die Antragstellerin während einer Arbeitspause im Aufenthaltsraum aufgehalten und auf ihr Handy geschaut, als der Zweitantragsgegner in den Aufenthaltsraum hereingekommen sei, um im Getränkelager etwas zu verräumen. Dann sei er plötzlich auf die Antragstellerin zugegangen und habe mit seiner Hand vorne in die Hose der Antragstellerin gegriffen. Die Antragstellerin sei völlig überrumpelt und sprachlos gewesen und habe sich hilflos und ausgeliefert gefühlt. Sie habe die Hand des Zweitantragsgegners herausgezogen und geschockt den Raum verlassen. Sie habe über den Vorfall mit jemanden sprechen wollen. Da am Arbeitsplatz Videoüberwachung bestünde, sei sie zu einer Arbeitskollegin gegangen und habe dieser flüsternd über den Vorfall erzählt.
In weiterer Folge habe die Antragstellerin auch ihrer Dienstablöse, B über den Vorfall erzählt. Diese sei über das Verhalten des Zweitantragsgegners sehr empört gewesen und habe der Antragstellerin ihre Unterstützung versprochen.
Auch im Vorfeld des körperlichen Übergriffes sei es immer wieder zu verbalen Anzüglichkeiten und für die Antragstellerin unangebrachten Aussagen seitens des Zweitantragsgegners gekommen, wie beispielsweise „Wenn du schwanger wirst, mache ich die Kürettage eigenhändig.“ oder „Hast du einen Platz im Bett für mich?“. Die Antragstellerin habe sich jedoch nicht in der Position gesehen, etwas darauf zu erwidern.
Der Vorfall vom 8. September 2020 sei schließlich durch den Lebensgefährten von B, der damals Obmann-Stellvertreter gewesen sei, im Vorstand des Erstantragsgegners thematisiert und im weiteren Verlauf vom Obmann W auch gegenüber dem Geschäftsführer X angesprochen worden, dies ohne vorherige Absprache mit der Antragstellerin.
Infolgedessen sei die Antragstellerin am Arbeitsplatz unter massivem Druck gesetzt worden. Schließlich sei sie am 5. Jänner 2021 gezwungen gewesen, eine schriftliche Rücknahmeerklärung in Bezug auf die Belästigungsvorwürfe abzugeben. Die Antragstellerin habe sich aus finanziellen Gründen gezwungen gesehen, an ihrem Arbeitsplatz zu verbleiben, insbesondere da sie befürchtet habe, dass sich aufgrund der Corona-Situation die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz schwierig gestalten könne. Den Vorwurf der Belästigung habe die Antragstellerin am 5. Jänner 2021 nur aus Angst vor Arbeitsplatzverlust widerrufen. Die Berührung durch den Zweitantragsgegner sei in diesem „Widerruf“ allerdings nicht gänzlich negiert worden.
Dem Erstantragsgegner seien die Belästigungsvorwürfe bekannt gewesen, da die Information über den Vorfall in den Vorstand des Erstantragsgegners und damit auch zum Geschäftsführer X als Vertreter des Arbeitgebers gelangt sei. Anstelle angemessene Abhilfe zu leisten, habe der Geschäftsführer des Erstantragsgegners die Antragstellerin jedoch am 18. Jänner 2021 bis zum Ablauf der Kurzarbeit dienstfrei gestellt und in weiterer Folge am 3. Mai 2021 gekündigt. Die Antragstellerin habe die ungerechtfertigte Kündigung nur wegen der ausweglosen Situation mit dem Zweitantragsgegner gegen sich gelten lassen, infolge der sie einem enormen psychischen Druck ausgesetzt gewesen sei.
Die Antragstellerin sei durch die sexuelle Belästigung und den Arbeitsplatzverlust sehr belastet gewesen, sodass sie sich in die ärztliche Behandlung begeben habe müssen.
B, die die Antragstellerin unterstützt habe, sei ebenfalls aufgrund angeblicher Störung des Betriebsklimas freigestellt und gekündigt worden.
In der auf Ersuchen des Senates I der GBK von der rechtsfreundlichen Vertretung des Erstantragsgegners übermittelten Stellungnahme vom 1. Juni 2021 bestritt dieser die im Antrag vorgebrachten Vorwürfe und trat ihnen zusammengefasst wie folgt entgegen:
Der Vorstand eines Vereines sei das Leitungsorgan eines jeden Vereins nach dem Vereinsgesetz und nicht ein angestellter Geschäftsführer. Es sei unerheblich, ob der Vorstand des Erstantragsgegners bereits zuvor Kenntnis von den Belästigungsvorwürfen hatte, zumal der Geschäftsführer kein Mitglied des Vorstandes sei und er keine Kenntnis über die Aktivitäten des Vorstands habe.
Die Antragstellerin habe sich niemals an den Geschäftsführer des Erstantragsgegners gewandt. Der Geschäftsführer habe vielmehr erst vier Monate nach dem angeblichen Vorfall von diesem gerüchteweise Kenntnis erlangt. Er habe daraufhin sofort das Gespräch mit der Antragstellerin gesucht. Im Zuge des Gesprächs habe die Antragstellerin entschieden in Abrede gestellt, dass es jemals zu sexuellen Berührungen bzw. verbalen sexuellen Belästigungen durch den Zweitantragsgegner gekommen wäre. Die Antragstellerin habe daraufhin aus eigenen Stücken eine Erklärung, wonach es seitens des Zweitantragsgegners zu keiner sexuellen Belästigung gekommen sei, verfasst und dem Geschäftsführer des Erstantragsgegners übergeben.
In weiterer Folge habe der Geschäftsführer des Erstantragsgegners die Antragstellerin zu ihrem eigenen Schutz dienstfrei gestellt. Damit sei der Geschäftsführer einer allfälligen Fürsorgepflicht durch eigenes Verhalten unverzüglich nachgekommen.
Der Geschäftsführer X habe die Antragstellerin stets sowohl in finanzieller als auch in faktischer Hinsicht unterstützt, wie zB durch Gewährung von Vorschüssen und Hilfestellung bei der Wohnungssuche. Die Antragstellerin sei nicht im Zusammenhang mit der Dienstfreistellung und losgelöst von der Thematik der sexuellen Belästigung im Mai 2021 gekündigt worden.
Ergänzend führte der Erstantragsgegner aus, dass er über etliche Räumlichkeiten verfüge, der Zweitantragsgegner den der Telefonzentrale gewidmeten Raum mangels Erfordernisses niemals betreten würde und er somit mit den Telefonistinnen üblicherweise keinen Kontakt habe.
Es sei in der etwa 60-jährigen Vereinsgeschichte niemals zu sexuellen Belästigungen, egal ob physisch oder verbal, gekommen. Es würde im Betrieb des Erstantragsgegners ein hervorragendes Arbeitsklima bestehen, es herrsche Gleichbehandlung und etliche Mitarbeiterinnen seien über viele Jahre bis zu ihrer Pensionierung im Unternehmen beschäftigt gewesen.
Zum Motiv der Antragstellerin verwies der Erstantragsgegner auf die Stellungnahme des Zweitantragsgegners. Die Antragstellerin habe – unbestätigt – vermutlich auch in der Vergangenheit strafbare Handlungen zum finanziellen Nachteil ihres früheren Arbeitgebers begangen. Es sei bestätigt, dass die Antragstellerin finanzielle Motive verfolgen würde, da sie aufgrund einer Vielzahl von Gehaltsexekutionen mit dem Existenzminimum auszukommen habe.
Der weitere Hintergrund sei der Umstand, dass die drei erst im Juli 2020 gewählten Vorstandsmitglieder den Verein im eigenen finanziellen Interesse übernehmen und den Zweitantragsgegner sowie den Geschäftsführer X „loswerden“ hätten wollen.
In der auf Ersuchen des Senates I der GBK von der rechtsfreundlichen Vertretung des Zweitantragsgegners übermittelten Stellungnahme vom 1. Juni 2021 bestritt dieser die im Antrag vorgebrachten Vorwürfe.
Der Inhalt der Stellungnahme des Zweitantragsgegners entspricht in weiten Teilen dem Vorbringen des Erstantragsgegners in dessen Stellungnahme vom 1. Juni 2021, sodass zuerst auf die obigen Ausführungen verwiesen werden kann.
Ergänzend brachte der Zweitantragsgegner vor, dass die Antragstellerin zwischenzeitig ob des angeblich inkriminierenden Sachverhaltes eine Sachverhaltsmitteilung bei der Staatsanwaltschaft … eingebracht habe. Das Verfahren sei bei der Staatsanwaltschaft … zu GZ 000 anhängig. Gemäß dem Grundsatz ne bis in idem, welcher nicht nur eine doppelte Bestrafung ausschließe, sondern auch eine doppelte Verfolgung, beantrage der Zweitantragsgegner die Einstellung des gegenständlichen Verfahrens.
Außerdem führte der Zweitantragsgegner aus, dass die Antragstellerin ihre Behauptungen stets erweitert und ausgedehnt habe. So sei zunächst von einer Berührung am Bauch die Rede gewesen, welche dann zur Berührung am Gürtel, und sodann zum Griff in die Hose und letztlich zum Griff in die Unterhose bis zur Scheide mutiert sei. Daraus sei zu schließen, dass die Antragstellerin zur wahrheitsgemäßen Weitergabe eines Sachverhalts nicht in der Lage sei und zudem psychiatrisch relevante Defizite aufweisen würde, welche sich zum Nachteil des Zweitantragsgegners auswirken sollen. Es werde daher die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens angeregt.
Nachweislich falsch sei auch die Behauptung, die Antragstellerin sei im Zusammenhang mit der Dienstfreistellung gekündigt worden, doch gehe dies den Zweitantragsgegner nichts an, da er mit dem Personalwesen nichts zu tun habe.
Im Übrigen verwies der Zweitantragsgegner auf seine Stellungnahme an die Gleichbehandlungsanwaltschaft vom 31. März 2021 sowie auf seine Gegendarstellung an die Staatsanwaltschaft … vom 25. Mai 2021, in welchen zusammengefasst Folgendes vorgebracht wurde:
Der Zweitantragsgegner sei bis zu seinem Pensionsantritt 36 Jahre beim Erstantragsgegner beschäftigt gewesen, davon 33 Jahre als dessen Geschäftsführer. Es habe weder in dieser Zeit noch danach irgendeine sexuelle Belästigung oder Anzüglichkeit egal welcher Art, gegenüber wem auch immer, gegeben, was nicht nur alle derzeitigen Mitarbeiterinnen bestätigt hätten, sondern auch alle früheren Mitarbeiterinnen zeugenschaftlich bestätigen würden.
Die Verdienste des Zweitantragsgegners seinen letztlich mit der Verleihung des Titels Kommerzialrat gewürdigt worden. Seit 2017 berate und betreue er den Erstantragsgegner als Konsulent, sein Aufgabengebiet sei darin zu sehen, den Markt zu beobachten, künftige Marktchancen auszuloten, die elektronische Entwicklung zu forcieren, um dem Erstantragsgegner auch künftig die Position eines „Marktführers“ zu erhalten. Seit 2017 sei der Zweitantragsgegner nicht mehr mit den Agenden eines Geschäftsführers befasst und habe mit dem Tagesgeschehen sowie mit den Personalangelegenheiten nicht mehr zu tun.
Der Umgangston sowohl untern den Mitarbeiterinnen als auch gegenüber dem Geschäftsführer X und den Funktionären könne als „einfach, locker, jovial“ bezeichnet werden. Die Ausführung punkto „Kürettage“ habe es wirklich gegeben, diese sei vom ehemaligen, längst verstorbenen Obmann in den späten 1970er Jahren geprägt und scherzhaft verwendet worden. Der Ausdruck habe sich offenbar bis heute erhalten.
Der Zweitantragsgegner sei durch die unglaublichen und wahrheitswidrigen Anschuldigungen persönlich zutiefst betroffen und erschüttert. Er könne sich über die unbegreiflichen und gemeinen Anschuldigungen nur wundern, zumal gerade die Antragstellerin durch den Geschäftsführer des Erstantragsgegners mehr als üblich in ihrer tristen, persönlichen Situation (zB Unterkunftsprobleme, überdimensionale Schulden, Exekutionsverfahren) unterstützt worden sei. Allerdings habe die Antragstellerin auch mehrfach verwarnt werden müssen, da sie sich nicht an den Dienstvertrag oder Weisungen gehalten habe, weshalb sie dienstfrei gestellt werden habe müssen.
Tatsache sei, dass die Antragstellerin ihren Dienst am Tag des Vorfalls, als auch die Tage danach, uneingeschränkt verrichtet habe, als sei nichts geschehen. Es habe kein Gespräch mit ihren Kolleginnen gegeben, sie habe sich weder krank gemeldet noch an den Geschäftsführer oder andere Funktionäre gewandt.
Der Geschäftsführer des Erstantragsgegners habe aufgrund der im Betrieb verbreiteten Gerüchte mit der Antragstellerin ein Gespräch geführt, bei welchem diese unmissverständlich erklärt habe, zu keiner Zeit physisch oder verbal sexuell belästigt worden zu sein. Die Antragstellerin habe aus freien Stücken angeboten, die Unrichtigkeit der Gerüchte schriftlich festzuhalten. In einem ihrer nachfolgenden Nachtdienste habe sie eine Erklärung verfasst und dem Geschäftsführer des Erstantragsgegners übergeben. Der Zweitantragsgegner sei weder dabei gewesen noch habe er die Antragstellerin zur Abgabe der Erklärung aufgefordert, noch habe er davon gewusst. Die Antragstellerin habe auch keinen Kontakt mit dem Zweitantragsgegner gesucht und er auch nicht mit ihr.
Die Verbündete der Antragstellerin, B, habe ebenfalls dienstfrei gestellt werden müssen, da sie eine Beziehung mit dem Obmann-Stellvertreter V begonnen habe und von diesem zu unerwünschten und nicht angeordneten Kontrolltätigkeiten instrumentalisiert worden sei. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass V als eine Art Rache für seine unrühmliche Entfernung aus dem Vereinsvorstand die Antragstellerin und B „angestiftet“ habe. Neben V gehöre auch U zu der Gruppe der im Jahre 2020 neu gewählten Funktionäre („Gruppe 2020“), welche beabsichtigt hätten, den Zweitantragsgegner und den Geschäftsführer X aus dem Verein zu entfernen. Diese Personen würden auch die rechtsfreundliche Vertretung der Antragstellerin finanzieren.
Es würde der Antragstellerin und B alleine darum gehen, ihren ohnedies großzügigen Arbeitgeber zu beschmutzen, um aus dieser Beschmutzung finanzielle Vorteile lukrieren zu können. Der Hintergrund der Attacke der Antragstellerin sei leicht zu durchschauen, zumal dem Arbeitgeber eine Vielzahl von Gehaltsexekutionsverfahren bekannt sei. Diese Vorgangsweise sei einzigartig in der grob 60-jährigen Vereinsgeschichte, in welcher es niemals verbale oder physische sexuelle Übergriffe gegeben habe.
PRÜFUNGSGRUNDLAGEN
Der Senat I der GBK stützt seine Erkenntnis auf das schriftliche Vorbringen der Antragstellerin, des Erstantragsgegners und des Zweitantragsgegners sowie die mündliche Befragung der Antragstellerin vom 14. Juni 2022, von Geschäftsführer X (informierter Vertreter des Antragsgegners) und des Zweitantragsgegners vom 12. Juli 2022. Als weitere Auskunftspersonen wurden am 12. Juli 2022 W und B befragt. Des Weiteren bezieht sich der Senat in seiner Entscheidungsfindung auf die Sachverhaltsdarstellung der Rechtsvertretung der Antragstellerin an die Staatsanwaltschaft … vom 30. April 2021, die Gegendarstellung der Rechtsvertretung des Zweitantragsgegners an die Staatsanwaltschaft …, die Zeugeneinvernahme von X vom 18. Mai 2021, die Teileinstellung der Staatsanwaltschaft … vom 15. Dezember 20221, das freisprechende Urteil des Bezirksgerichts … vom 8. April 2022, das Kündigungsschreiben vom 3. Mai 2021 sowie die Rücknahmeerklärung der Antragstellerin vom 5. Jänner 2021.
BEGRÜNDUNG2
Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen des Gleichbehandlungsgesetzes, BGBl I Nr 66/2004 idgF, lauten:
„§ 6. (1) Eine Diskriminierung auf Grund des Geschlechtes liegt auch vor, wenn eine Person
[…]
2. durch den/die Arbeitgeber/in dadurch diskriminiert wird, indem er/sie es schuldhaft unterlässt, im Falle einer sexuellen Belästigung durch Dritte (Z 3) eine auf Grund gesetzlicher Bestimmungen, Normen der kollektiven Rechtsgestaltung oder des Arbeitsvertrages angemessene Abhilfe zu schaffen,
3. durch Dritte in Zusammenhang mit seinem/ihrem Arbeitsverhältnis belästigt wird oder
[…]
(2) Sexuelle Belästigung liegt vor, wenn ein der sexuellen Sphäre zugehöriges Verhalten gesetzt wird, das die Würde einer Person beeinträchtigt oder dies bezweckt, für die betroffene Person unerwünscht, unangebracht oder anstößig ist und
1. eine einschüchternde, feindselige oder demütigende Arbeitsumwelt für die betroffene Person schafft oder dies bezweckt oder
2. der Umstand, dass die betroffene Person ein der sexuellen Sphäre zugehöriges Verhalten seitens des/der Arbeitgebers/Arbeitgeberin oder von Vorgesetzten oder Kolleg/inn/en zurückweist oder duldet, ausdrücklich oder stillschweigend zur Grundlage einer Entscheidung mit Auswirkungen auf den Zugang dieser Person zur Berufsausbildung, Beschäftigung, Weiterbeschäftigung, Beförderung oder Entlohnung oder zur Grundlage einer anderen Entscheidung in der Arbeitswelt gemacht wird.
[…]“
„§13. Als Reaktion auf eine Beschwerde darf ein/e Arbeitnehmer/in durch den/die Arbeitgeber/in innerhalb des betreffenden Unternehmens (Betriebes) oder auf die Einleitung eines Verfahrens zur Durchsetzung des Gleichbehandlungsgebotes nicht entlassen, gekündigt oder anders benachteiligt werden. Auch ein/e andere/r Arbeitnehmer/in, der/die als Zeuge/Zeugin oder Auskunftsperson in einem Verfahren auftritt oder eine Beschwerde eines/einer anderen Arbeitnehmers/Arbeitnehmerin unterstützt, darf als Reaktion auf eine solche Beschwerde oder auf die Einleitung eines solchen Verfahrens zur Durchsetzung des Gleichbehandlungsgebotes nicht entlassen, gekündigt oder anders benachteiligt werden. § 12 gilt sinngemäß.“
Generell ist zur Frage des Beweismaßes und der Beweislastverteilung im GBK-Verfahren anzumerken, dass eine betroffene Person, die sich auf einen Diskriminierungstatbestand im Sinne der §§ 6 und 13 GlBG beruft, diesen glaubhaft zu machen hat. Insoweit genügt daher nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (OGH) eine „Bescheinigung“ der behaupteten Tatsachen, wobei jedoch der bei der GBK zu erreichende Überzeugungsgrad gegenüber der beim „Regelbeweis“ geforderten „hohen Wahrscheinlichkeit“ auf eine „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ herabgesenkt ist.
Vereinfacht gesagt muss mehr für die Darstellung des Antragstellers/der Antragstellerin sprechen als dagegen.3 Dem Antragsgegner/der Antragsgegnerin obliegt dann zu beweisen, dass es bei Abwägung aller Umstände wahrscheinlicher ist, dass ein anderes von ihm/ihr glaubhaft gemachtes Motiv für die unterschiedliche Behandlung ausschlaggebend war oder ein Rechtfertigungsgrund vorliegt.
Bei einer (sexuellen) Belästigung gilt davon abweichend, dass es dem Antragsgegner/der Antragsgegnerin zu beweisen obliegt, dass es bei Abwägung aller Umstände wahrscheinlicher ist, dass die von ihm/ihr glaubhaft gemachten Tatsachen der Wahrheit entsprechen.
Der Senat I der GBK führte zwecks Überprüfung des Vorwurfes, der Zweitantragsgegner habe die Antragstellerin durch einen Griff in ihre Hose sowie durch wiederholte verbale Anzüglichkeiten sexuell belästigt, sowie des Vorwurfs, der Erstantragsgegner habe keine angemessene Abhilfe geleistet, sondern im Gegenteil die Antragstellerin infolge ihrer Beschwerde über den Zweitantragsgegner vom Dienst freigestellt, ein Ermittlungsverfahren im Sinne des GBK/GAW-Gesetzes durch und geht von folgendem Sachverhalt aus:
Die Antragstellerin war seit 2019 beim Erstantragsgegner als Telefonistin im Kundensupport beschäftigt.
Der Erstantragsgegner ist eine Vereinigung der Taxiunternehmer in der Rechtsform eines Vereins. Die Vertretung des Erstantragsgegners nach außen obliegt grundsätzlich dem Obmann/der Obfrau, teilweise gemeinsam mit dem Vorstand (organschaftliche Vertreter). Gemäß der statutenmäßigen Vertretungsregelung kann der Erstantragsgegner aber auch einem oder mehreren Geschäftsführern Handlungs- und/oder Spezialvollmacht(en) erteilen. Die Geschäftsführung hat den Erstantragsgegner behördlich und gerichtlich zu vertreten.
Der zum vertretungsbefugten Geschäftsführer des Erstantragsgegners bestellte X ist im Unternehmen des Erstantragsgegners ausschließlich für das Personal zuständig und tritt somit als Arbeitgeber bzw. verantwortlicher Vertreter des Arbeitgebers auf.
Der Zweitantragsgegner war bis 2017 Geschäftsführer des Erstantragsgegners. Er ist nach seiner Pensionierung im Jahre 2017 für den Erstantragsgegner weiterhin als Konsulent in einer beratenden Funktion tätig. Der Zweitantragsgegner ist regelmäßig in der Zentrale anwesend.
Am 8. September 2020 hielt sich die Antragstellerin während einer Arbeitspause im Aufenthaltsraum auf und schaute auf ihr Handy, als der Zweitantragsgegner in den Aufenthaltsraum hereinkam, um etwas im Getränkelager zu verräumen. Die Antragstellerin fühlte sich ertappt, da es im Betrieb des Erstantragsgegners nicht erlaubt ist, das Privathandy während der Dienstzeit zu benutzen. Aus diesem Grund fragte die Antragstellerin den Zweitantragsgegner, ob er ihre Hilfe benötige. Der Zweitantragsgegner ging daraufhin plötzlich auf die Antragstellerin zu und griff mit seiner Hand vorne in die Hose der Antragstellerin. Die Antragstellerin war völlig überrumpelt und sprachlos und wusste nicht was sie sagen oder machen soll. Schließlich zog die Hand des Zweitantragsgegners heraus und verließ geschockt den Raum. Die Antragstellerin fühlte sich hilflos und ausgeliefert und wollte über den Vorfall mit jemandem sprechen. Sie ging daher zu einer Arbeitskollegin und erzählte dieser flüsternd – da am Arbeitsplatz Videoüberwachung besteht – über den Vorfall.
In weiterer Folge erzählte die Antragstellerin auch ihrer Dienstablöse, B, mit der sie sich gut verstand, was am Vormittag geschehen ist. Diese war über das Verhalten des Zweitantragsgegners sehr empört und versprach der Antragstellerin ihre Unterstützung.
Auch im Vorfeld des körperlichen Übergriffes kam es immer wieder zu verbalen Anzüglichkeiten und herabwürdigenden und für die Antragstellerin unangebrachten Aussagen seitens des Zweitantragsgegners, wie beispielsweise „Wenn du schwanger wirst, mache ich die Kürettage eigenhändig.“, „Hast du einen Platz im Bett für mich?“ oder „Soll ich am Abend vorbeischauen?“. Da der Zweitantragsgegner im Unternehmen eine starke berufliche Position hat, sah sich die Antragstellerin nicht in der Lage, etwas darauf zu erwidern. Die unangebrachten Äußerungen des Zweitantragsgegners gingen auch nach dem Vorfall vom 8. September 2020 weiter.
Der Ausdruck „Kürettage“ wurde im Unternehmen des Erstantragsgegners seit den 1970er Jahren scherzhaft verwendet und hat sich über Jahre im Sprachgebrauch eingeprägt. Die Antragstellerin hat die diesbezüglichen Aussagen des Zweitantragsgegners aber auf sich bezogen, da sie selbst einmal davon betroffen war.
Die Antragstellerin hat sich mit dem Vorwurf der sexuellen Belästigung nicht von alleine an ihren Vorgesetzten X gewandt, da sie Angst vor Arbeitsplatzverlust hatte. Sie hat auch ihre Kollegin, B ersucht, niemanden über die Situation mit dem Zweitantragsgegner zu erzählen.
Der Vorfall vom 8. September 2020 wurde aber dennoch durch den Lebensgefährten von B, der damals Obmann-Stellvertreter war, im Vorstand des Erstantragsgegners thematisiert. Am 9. September 2020 schickte der Obmann W dem Obmann-Stellvertreter V eine Sprachnachricht, in welcher er u.a. sinngemäß sagte, dass niemand mehr Angst wegen seinem Job haben müsse, weil er sexuell belästigt worden sei, dass jetzt die Chance bestehe, gegen die Belästigungen aktiv zu werden und dass er die Aussage der Antragstellerin nicht verstehe, wonach sie Angst um ihren Job habe.
Im weiteren Verlauf wurde der Belästigungsvorwurf im Dezember 2020 – ohne vorherige Absprache mit der Antragstellerin – vom Obmann W auch gegenüber dem Geschäftsführer X angesprochen, welcher für die Personalangelegenheiten ausschließlich zuständig war.
Infolgedessen wurde die Antragstellerin am Arbeitsplatz unter massivem Druck gesetzt. Sie wurde von den anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterin sowie von ihren Vorgesetzten ignoriert, nicht mehr gegrüßt etc. Zudem fürchtete sie sich vor jeder weiteren Begegnung mit dem Zweitantragsgegner. Am 21. Dezember 2020 bekam sie eine Abmahnung aufgrund ihrer geringfügigen Nebentätigkeit, welche sie dem Vorgesetzten bereits zuvor mündlich gemeldet hat. In der Zeit zwischen 21. Dezember und 30. Dezember 2020 wurden die übrigen Mitarbeiterinnen zudem aufgefordert, Fragebögen auszufüllen, in welchen u.a. gefragt wurde, ob die Mitarbeiterinnen jemals durch den Zweitantragsgegner bedrängt oder belästigt worden seien.
Die Antragstellerin befindet sich in einer sehr schwierigen finanziellen Lage, es behängen gegen sie zahlreiche Exekutionsverfahren. Die Antragstellerin sah sich daher aus finanziellen Gründen gezwungen, an ihrem Arbeitsplatz zu verbleiben, insbesondere da sie befürchtete, dass sich aufgrund der Corona-Situation die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz schwierig gestalten kann.
Am 4. Jänner 2021 wurde die Antragstellerin von X in sein Büro gerufen und von diesem aufgefordert, eine schriftliche Rücknahmeerklärung in Bezug auf die Belästigungsvorwürfe abzugeben, da sie sonst ihren Arbeitsplatz nicht behalten wird können – dies obwohl sie dem Geschäftsführer gegenüber bestätigte, dass sich der Vorfall tatsächlich ereignet hat. Während dieses Gesprächs hat X der Antragstellerin weder Aufmerksamkeit geschenkt noch hat er nach der Wahrheit gesucht.
Am 5. Jänner 2021 hat die Antragstellerin sodann aus Angst vor Arbeitsplatzverlust den Vorwurf der Belästigung schriftlich widerrufen. Die Berührung durch den Zweitantragsgegner wurde in der „Widerrufserklärung“ der Antragstellerin allerdings nicht gänzlich negiert. Vielmehr hielt die Antragstellerin fest, dass „es im Spaß zu einer Situation kam, die sie mit Kolleginnen besprochen habe“.
Die Antragstellerin wurde am 18. Jänner 2021 trotz Zurücknahme des Belästigungsvorwurfes bis zum Ablauf der Kurzarbeit dienstfrei gestellt und in weiterer Folge am 3. Mai 2021 gekündigt. Es wurde der Antragstellerin u.a. zur Last gelegt, dass sie während der Arbeitszeit ihr Privathandy benutzt hätte. Sie hätte außerdem gegen den Dienstvertrag verstoßen, indem sie einer Nebentätigkeit nachging. Nach ihrer Freistellung am 18. Jänner 2021 kündigte die Antragstellerin sogleich ihren Nebenjob, um weitere diesbezügliche Unannehmlichkeiten zu vermeiden.
B, die die Antragstellerin unterstützte, wurde ebenfalls aufgefordert, eine schriftliche Erklärung abzugeben, dass die Belästigungsvorwürfe nicht der Wahrheit entsprechen, was sie jedoch nicht getan hat. Sie wurde sodann im Jänner 2021, also beinahe zeitgleich wie die Antragstellerin, aufgrund angeblicher Störung des Betriebsklimas freigestellt und gekündigt.
Die Antragstellerin war durch die sexuelle Belästigung und den Arbeitsplatzverlust sehr belastet, sodass sie sich in die ärztliche Behandlung begeben musste. Sie befand sich sodann bis zum 30. Mai 2021 in Krankenstand. Die Antragstellerin akzeptierte die ungerechtfertigte Kündigung nur wegen der ausweglosen Situation mit dem Zweitantragsgegner, infolge der sie einem enormen psychischen Druck ausgesetzt war.
Am 1. Juni 2021 nahm die Antragstellerin ihren Nebenjob aus finanziellen Gründen wieder auf. Am 2. Juni 2021 sprach der Erstantragsgegner eine fristlose Beendigung des Dienstverhältnisses aufgrund der Ausübung einer Nebentätigkeit während der Kündigungsfrist aus.
Die Antragstellerin brachte am 30. April 2021 den gegenständlichen Sachverhalt bei der Staatsanwaltschaft … zur Anzeige. Es wurde in der Folge ein Ermittlungsverfahren gegen den Zweitantragsgegner eingeleitet, welches am 15. Dezember 2021 bezüglich des Verdachtes der Nötigung, der geschlechtlichen Nötigung und der öffentlichen geschlechtlichen Handlungen gemäß § 190 StPO eingestellt wurde. Hinsichtlich des Verdachtes der geschlechtlichen Belästigung gemäß § 218 StGB wurde der Zweitantragsgegner mangels Schuldbeweis mit Urteil des Bezirksgerichts … vom 8. April 2022 freigesprochen. Das freisprechende Urteil ist in Rechtskraft erwachsen.
In rechtlicher Hinsicht ist der Sachverhalt wie folgt zu beurteilen:
In Hinblick auf den vom Zweitantragsgegner erhobenen Einwand des rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahrens ist vorab festzuhalten, dass freisprechende Strafurteile nach der ständigen Rechtsprechung des OGH keine Bindungswirkung für einen nachfolgenden Zivilprozess entfalten. So sprach der OGH in der Entscheidung 7 Ob 2309/96a aus, dass eine Bindung an freisprechende Urteile nicht besteht und die Feststellungswirkung des Strafurteils auf verurteilende Entscheidungen beschränkt ist.
Kann dem Angeklagten mangels Vorliegens der für das Strafverfahren erforderlichen Sicherheit die ihm vorgeworfene Handlung nicht nachgewiesen werden, so kommt – aufgrund des anderen Beweismaßes im Zivilprozess – eine Bindung des Zivilgerichts nämlich nicht in Frage.4
Freisprechende Urteile entfalten aber selbst dann keine Bindungswirkung, wenn aufgrund des Beweisverfahrens vom Strafgericht festgestellt wurde, dass der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Tat zweifellos nicht begangen hat.5
Selbiges gilt für die bloße Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 190 StPO durch die Staatsanwaltschaft.6
Hinzukommt, dass der Tatbestand der sexuellen Belästigung gemäß § 218 StGB und jener der sexuellen Belästigung gemäß § 6 GlBG nicht deckungsgleich sind. Im Gegenteil ergibt sich aus den Materialien zu § 218 StGB eine bewusste Abgrenzung zum Tatbestand der sexuellen Belästigung im GlBG: tatbestandsmäßig iSd § 218 StGB sind nur Belästigungen durch geschlechtliche Handlungen im engeren Sinn; gemeint sind alle nicht bloß zufälligen Berührungen jener Körperteile, die der Geschlechtssphäre zuzurechnen sind. Verbale Äußerungen oder Gesten, wie sie dem in dem Gleichbehandlungsgesetz verwendeten Begriff des „der sexuellen Sphäre zugehörigen Verhaltens“ inhärent sind, sind vom Tatbestand des § 218 StGB hingegen nicht erfasst.
Soweit es sich somit um Sachverhalte handelt, die zwar außerhalb des strafrechtlichen Tatbestandes, jedoch innerhalb des gleichbehandlungsrechtlichen liegen, bleibt die im GlBG vorgesehene Sanktion des Ersatzes des erlittenen Schadens nach § 12 GlBG.7 Im Verfahren vor der Gleichbehandlungskommission ist eine allfällige Diskriminierung auf Grundlage des GlBG – unabhängig von den parallel geführten Gerichtsverfahren – zu untersuchen. Insofern steht das abgeschlossene Strafverfahren der Überprüfung des gegenständlichen Sachverhaltes durch die Gleichbehandlungskommission nicht entgegen.
1. Es liegt eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes durch eine sexuelle Belästigung durch Dritte gemäß § 6 Abs 1 Z 3 GlBG vor.
Sexuelle Belästigung liegt vor, wenn ein objektiv der sexuellen Sphäre zugehöriges Verhalten, das die Würde einer Person beeinträchtigt oder dies bezweckt, gesetzt wird und dieses Verhalten objektiv eine einschüchternde, feindselige oder demütigende Arbeitsumwelt für die betroffene Person schafft oder dies bezweckt. Hinzu kommt das subjektive Kriterium, dass dieses Verhalten für die betroffene Person unerwünscht, unangebracht oder anstößiges ist.
Unter dem Begriff des der sexuellen Sphäre zugehörigen Verhaltens sind nach den Erläuterungen zum GlBG „körperliche, verbale und nicht verbale Verhaltensweisen“ zu verstehen. Ein Verhalten ist dann der sexuellen Sphäre zugehörig, wenn es das biologische Geschlecht der betroffenen Person, deren Intimsphäre oder die biologische Geschlechtlichkeit betreffende Sachverhalte anspricht. Darunter fallen jedenfalls körperliche Kontakte und Berührungen gegen den Willen der Betroffenen Person („Begrapschen“), sowie jene Handlungen – wie zB sexuell gefärbte Äußerungen, das Erzählen freizügiger Witze8– die geeignet sind, die soziale Wertschätzung der Betroffenen durch Verletzung ihrer Intimsphäre und deren sexuelle Integrität im Betrieb herabzusetzen als auch deren Ehrengefühl grob zu verletzten.9 Letztlich ist einzelfallabhängig, ob ein bestimmtes Verhalten bereits der sexuellen Sphäre zugehörig ist, wobei auf eine Betrachtung des Gesamtgeschehens abzustellen ist10. Zu beachten ist allerdings, dass es nicht nur um den Schutz der körperlichen Integrität vor unerwünschten sexuellen Handlungen geht, sondern auch um die psychische Verletzbarkeit, die Beeinträchtigung der Würde und Persönlichkeitsverletzungen. Auch im Gebrauch ordinärer Worte sowie in unsittlichen Anträgen trotz Aufforderung, dieses Verhalten abzustellen, oder sonst erkennbarer Unerwünschtheit kann bereits eine sexuelle Belästigung liegen.11 Derartige Verhaltensweisen können auch geeignet sein, das Ansehen und die soziale Wertschätzung einer Person durch Geringschätzung, mangelnden Respekt oder Verspottung herabzusetzen und auf diese Weise das Ehrgefühl zu verletzen.12
Der Zweitantragsgegner setzte ein der sexuellen Sphäre zugehöriges Verhalten, indem er die Antragstellerin ohne deren Einwilligung in einem sensiblen Körperbereich wie dem Unterbauch in Richtung Schamhügel unter der Hose berührte und der Antragstellerin gegenüber wiederholt sexuell gefärbte Äußerungen, wie beispielsweise „Hast du einen Platz im Bett für mich?“ oder „Wenn du schwanger wirst, mache ich die Kürettage eigenhändig.“, tätigte.
Um von einer sexuellen Belästigung iSd § 6 Abs 2 GlBG sprechen zu können, muss durch ein der sexuellen Sphäre zugehöriges Verhalten des Weiteren die Würde einer Person beeinträchtigt oder deren Beeinträchtigung zumindest bezweckt werden.13 Ein die Würde verletzendes Verhalten liegt erst ab einem gewissen Mindestmaß an Intensität vor. Nach den Gesetzesmaterialien zum ArbBG14 sollen Beispiele wie das Nachpfeifen oder die unerwünschte Einladung zum Kaffee oder zum Essen „grundsätzlich“ nicht genügen, um bereits die Voraussetzung der Verletzung der Würde und damit den Tatbestand der sexuellen Belästigung zu erfüllen. Anders zu sehen ist dies aber unter Umständen dann, wenn zwar die einzelnen Belästigungshandlungen nicht das gebotene Mindestmaß an Intensität erreichen, dafür aber immer wieder erfolgen.15 Durch körperliche Kontakte gegen den Willen der betroffenen Person (sog. „Begrapschen“) wird im Allgemeinen die Toleranzgrenze überschritten. Ob die Würde einer Person beeinträchtigt wird, ist nach einem objektiven Maßstab zu beurteilen.
Objektiv betrachtet war das Verhalten des Zweitantragsgegners jedenfalls geeignet, die Würde der Antragstellerin zu beeinträchtigen. Besonders die überraschende Berührung war für die Antragstellerin schockierend und verletzte ihre Intimsphäre. Der Zweitantragsgegner kann nicht davon ausgehen, dass es in Ordnung ist, einer anderen Person ohne deren Einwilligung mit der Hand in die Hose zu greifen. Aber auch durch die wiederkehrenden, herabwürdigenden und für die Antragstellerin unangebrachten Äußerungen des Zweitantragsgegners für sich alleine kann nach Ansicht des Senats die geforderte Intensität als gegeben angesehen werden.
Hinzu kommt das subjektive Kriterium, dass nach § 6 Abs 2 GlBG das belästigende Verhalten für die betroffene Person unerwünscht, unangebracht oder anstößig sein muss. Ein Verhalten ist dann unerwünscht, wenn es gegen den Willen oder ohne Einverständnis der betroffenen Person erfolgt. Einzelne Menschen sollen selbst bestimmen, welches Verhalten für sie noch akzeptabel ist und welches Verhalten sie bereits als beleidigend empfinden. Durch die Unerwünschtheit wird eine sexuelle Belästigung von freundschaftlichem Verhalten, das willkommen und gegenseitig ist, unterschieden.16 Es muss allerdings für den Belästiger/die Belästigerin erkennbar sein, dass das Verhalten für die betroffene Person unerwünscht ist, wobei dies aus der Sicht eines objektiven Betrachters zu beurteilen ist.17
Was das ablehnende Verhalten der betroffenen Person betrifft, so dürfen an dieses keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden. Die ausdrückliche oder stillschweigende Zurückweisung oder Ablehnung eines sexuell belästigenden Verhaltens durch die betroffene Person ist nämlich keine Tatbestandsvoraussetzung der sexuellen Belästigung iSd GlBG. Eine irgendwie geartete Verpflichtung oder Obliegenheit der betroffenen Person, ein auf die sexuelle Sphäre bezogenes Verhalten abzulehnen, besteht daher nicht.18 Demnach ist ein Verhalten nicht erst dann abgelehnt und somit unerwünscht, wenn sich die betroffene Person lautstark zur Wehr setzt.19
In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass die Haftung des/der unmittelbaren Belästigers/Belästigerin grundsätzlich verschuldensunabhängig ist. Subjektive Elemente auf Seite des Belästigers/der Belästigerin bleiben daher außer Betracht. Es ist demnach unerheblich, ob er/sie die Absicht hatte, zu belästigen.20
Das Verhalten des Zweitantragsgegners war auch unerwünscht für die Antragstellerin, was sich unter anderem darin zeigte, dass sie die Hand des Zweitantragsgegners aus ihrer Hose herauszog, geschockt den Raum verließ und sich weiters ihrer Kollegin B anvertraute.
In Bezug auf die sexuell gefärbten Äußerungen des Zweitantragsgegners hat die Antragstellerin im Zuge ihrer Befragung vor dem Senat glaubhaft dargelegt, dass sie diese als äußerst unangebracht und unerwünscht empfand. Insbesondere hat sie aber die Aussagen betreffend die „Kürettage“ auf sich bezogen, da sie selber einmal davon betroffen war. Die Tatsache, dass die Antragstellerin sich nicht lautstark zur Wehr setzte, sondern versuchte die Äußerungen des Zweitantragsgegners zu ignorieren, ändert an der Unerwünschtheit nichts.
Der Zweitantragsgegner gab in seiner Gegendarstellung an die Staatsanwaltschaft … zu, dass der Ausdruck „Kürettage“, der im Betrieb des Erstantragsgegners seit den 1970er Jahren scherzhaft verwendet wird, tatsächlich gefallen ist. Ob die Äußerungen des Zweitantragsgegners nur als Spaß gemeint waren, spielt dabei keine Rolle, da die subjektiven Elemente des Zweitantragsgegners als Belästigers außer Betracht zu bleiben haben. Es ist demnach unerheblich, ob der Zweitantragsgegner die Absicht hatte, die Antragstellerin zu belästigen.
Das Verhalten muss weiters eine einschüchternde, feindselige oder demütigende Arbeitsumwelt für die betroffene Person schaffen oder dies bezwecken. Die „Arbeitsumwelt“ wird häufig erst durch mehrere Belästigungshandlungen im beschriebenen Sinn beeinflusst und verändert. Allerdings kann auch schon eine einzelne Belästigungshandlung derart schwerwiegend und in ihren Auswirkungen nachhaltig sein, dass damit für die betroffene Person ein einschüchterndes, feindseliges oder demütigendes Umfeld geschaffen wird.21
Die Antragstellerin fühlte sich, wie festgestellt, aufgrund des belästigenden Verhaltens des Zweitantragsgegners nicht mehr wohl in der Arbeit, sie fürchtete sich vor jeder weiteren Begegnung mit dem Zweitantragsgegner, welcher in der Telefonzentrale regelmäßig anwesend war. Die Antragstellerin hatte Angst, den Vorfall bei ihrem Vorgesetzten zu melden, weil sie einen Arbeitsplatzverlust befürchtete. Nachdem die Situation mit dem Zweitantragsgegner im Betrieb bekannt geworden ist, wurde die Antragstellerin an ihrem Arbeitsplatz unter Druck gesetzt. Sie wurde von den anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie den Vorgesetzten ignoriert und nicht mehr gegrüßt. Es wurde darüber hinaus Druck auf die Antragstellerin ausgeübt, den Vorwurf zurückzunehmen. Dass dadurch ein feindseliges Arbeitsumfeld geschaffen wurde, das die Antragstellerin belastete, zeigte sich auch darin, dass sie sich in ärztliche Behandlung begeben musste.
Als Dritte iSd § 6 GlBG kommen vom Arbeitgeber/von der Arbeitgeberin und der belästigten Person verschiedene Personen in Betracht. Im Fall des § 6 Abs 1 Z 3 GlBG sind das zB Arbeitskollegen/Arbeitskolleginnen der belästigten Person, Vorgesetzte, Geschäftspartner/Geschäftspartnerinnen oder Kunden/Kundinnen des Arbeitgebers/der Arbeitgeberin.22
Der Zweitantragsgegner ist Dritter iSd § 6 Abs 1 Z 3 GlBG, da er zum Zeitpunkt der vorgebrachten Vorfälle für den Arbeitgeber der Antragstellerin als Konsulent tätig war und somit als dessen Geschäftspartner auftrat. Die Belästigung erfolgte ebenfalls im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis.
Die Auskunftsperson B, welche dem Senat als besonders glaubwürdig erschien, bestätigte darüber hinaus das Vorbringen der Antragstellerin. Sie sagte aus, dass die Antragstellerin ihr von dem Vorfall vom 8. September 2021 erzählt habe und dabei ziemlich aufgelöst gewirkt habe. Die Schilderung des Vorfalls vom 8. September 2022 durch B entsprach im Wesentlichen der Schilderung der Antragstellerin. Sie schilderte auch sehr überzeugend, dass es bereits in der Vergangenheit seitens des Zweitantragsgegners immer wieder zu unangebrachten, der sexuellen Sphäre zugehörigen Verhaltensweisen gekommen sei, von denen sie zum Teil auch persönlich betroffen gewesen sei. Das von B gezeichnete Bild des Zweitantragsgegners stimmte mit jenem der Antragstellerin überein.
Die vom Zweitantragsgegner vorgelegten Fragebögen, mit welchen die beim Erstantragsgegner beschäftigten Mitarbeiterinnen erklären, vom Zweitantragsgegner niemals belästigt worden zu sein, haben nach Ansicht des Senats nur eine geringe Beweiskraft, nicht zuletzt da diese Mitarbeiterinnen zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärungen in einem aufrechten Dienstverhältnis zum Erstantragsgegner standen.
Die Antragstellerin legte sehr glaubhaft dar, dass sie die schriftliche Rücknahmeerklärung nur deshalb abgegeben hat, weil sie aufgrund der vielen Lohnexekutionen den Arbeitsplatzverlust nicht riskieren wollte. Es erscheint dem Senat nicht lebensnah, dass die Antragstellerin das Schreiben aus „freien Stücken“ und ohne Druckausübung aufgesetzt hätte. Schließlich wurde die Auskunftsperson B ihrer Aussage nach ebenfalls aufgefordert, eine Erklärung abzugeben, wonach die Belästigungsvorwürfe nicht der Wahrheit entsprechen.
Hinzukommt, dass die Berührung durch den Zweitantragsgegner in der Widerrufserklärung nicht gänzlich negiert wurde. Zudem gab der Geschäftsführer des Erstantragsgegners im Rahmen seiner Zeugeneinvernahme vom 18. Mai 2021 an, dass laut Aussage der Antragstellerin „eine Berührung stattgefunden hat aber sie dies nicht als sexuelle Belästigung gewertet hätte“ und dass der Zweitantragsgegner sie „nur am Bauch berührt hätte“. Auch daraus ergibt sich, dass es tatsächlich zu einer Berührung seitens des Zweitantragsgegners kam.
Somit gelang es der Antragstellerin, im vorliegenden Fall den glaubhaften Anschein einer sexuellen Belästigung darzulegen. Daher verlagerte sich die Beweislast auf den Zweitantragsgegner.
Der Zweitantragsgegner vermochte den Senat nicht von seiner Glaubwürdigkeit zu überzeugen. Er hat sich nach einer kurzen Aussage, in der er insbesondere seine Stellung im Unternehmen des Erstantragsgegners sowie seine Funktion als Kammerfunktionär betonte, dem Verfahren in dem Sinne entzogen, dass er die weitere Aussage unter Berufung auf das abgeschlossene Strafverfahren verweigerte, dies obwohl der rechtsfreundlichen Vertretung des Zweitantragsgegners bereits im Vorfeld der Befragung mitgeteilt wurde, dass nach Ansicht des Senats keine Bindungswirkung besteht. Die Aussageverweigerung wurde von dem Senat daher zum Nachteil des Zweitantragsgegners gewürdigt.
Insgesamt entstand bei dem Senat durch das Auftreten des Zweitantragsgegners der Eindruck, dass der Zweitantragsgegner dazu tendiert, seine machtvolle Position auszunutzen.
Der von dem Zweitantragsgegner gewonnene Eindruck und die Aussageverweigerung führte im Hinblick auf die Beweislastregeln des § 12 Abs 12 GlBG zu der Ansicht, dass es dem Zweitantragsgegner nicht gelungen ist zu beweisen, dass es bei Abwägung aller Umstände wahrscheinlicher ist, dass die von ihm vorgebrachten Tatsachen der Wahrheit entsprechen.
Zusammengefasst geht der Senat somit davon aus, dass der Zweitantragsgegner durch die von ihm getätigten Äußerungen und Handlungen objektiv ein der sexuellen Sphäre zugehöriges Verhalten gesetzt hat, das aufgrund der Intensität geeignet war, die Würde der Antragstellerin zu beeinträchtigen, für die Antragstellerin persönlich unerwünscht war und zudem objektiv geeignet war, eine einschüchternde, feindselige oder demütigende Arbeitsumwelt zu schaffen.
2. Es liegt eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes durch schuldhaftes Unterlassen des Arbeitgebers/der Arbeitgeberin im Falle einer sexuellen Bela?stigung durch Dritte eine nach den gesetzlichen Bestimmungen, Normen der kollektiven Rechtsgestaltung oder des Arbeitsvertrages angemessene Abhilfe zu schaffen gemäß § 6 Abs 1 Z 2 GlBG vor.
§ 6 Abs 1 Z 2 GlBG enthält eine Konkretisierung der allgemeinen Fürsorgepflicht. Danach haben Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen auch dafür zu sorgen, dass die Persönlichkeitssphäre der in den Betrieb eingegliederten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen nicht durch Belästigungen durch Dritte beeinträchtigt wird. Sie sind zum unverzüglichen Einschreiten verpflichtet, wenn sexuelle Belästigungen hervorkommen, zum einen, um die Betroffenen nicht der Gefahr weiterer Belästigungen auszusetzen, zum anderen aber auch, um sich nicht selbst dem Vorwurf auszusetzen, nicht wirksam für angemessene Abhilfe gesorgt zu haben. „Angemessen“ ist die Abhilfe dann, wenn sie geeignet ist, die belästigte Person vor weiteren Belästigungen zu schützen.23
Um ein schuldhaftes Unterlassen annehmen zu können, muss dem Arbeitgeber/der Arbeitgeberin das Vorliegen einer Abhilfe gebietenden Situation entweder bekannt oder zumindest erkennbar sein. Der Arbeitgeber/die Arbeitgeberin haftet daher nicht, wenn er/sie von der Belästigung eines Arbeitnehmers/einer Arbeitnehmerin weder wusste noch wissen musste. Für eine Haftung des Arbeitgebers genügt Fahrlässigkeit. Bei „Erkennbarkeit“ kommt es auf eine besondere „Bekanntgabe“ durch die betroffene Person nicht mehr an.24
Der Begriff „Arbeitgeber/Arbeitgeberin“ ist im Arbeitsrecht kaum determiniert, auch nicht im GlBG. Nach dem hier durch die Bezugnahme auf das Arbeitsverhältnis zu Grunde zu legenden arbeitsvertraglichen Arbeitgeber-Begriff ist als Arbeitgeber/Arbeitgeberin jede Person anzusehen, die im Rahmen des Arbeitsvertrags über die Arbeitskraft einer anderen Person verfügt. Ist der Arbeitgeber/die Arbeitgeberin eine juristische Person, ist dieser das Verhalten ihrer vertretungsbefugten Organe (Vorstandsmitglieder, Geschäftsführer etc.) unmittelbar zuzurechnen (§ 6 Abs 1 Z 1 und 2 GlBG). Nimmt eine juristische Person als Arbeitgeberin ihre vertraglichen Fürsorgepflichten nicht (nur) durch ihre Organe wahr, sondern überträgt die Erfüllung dieser Pflichten auf Gehilfen (ausdrücklich oder stillschweigend), so sind jene Handlungen von Gehilfen, die in einem inneren Zusammenhang mit der übertragenen Fürsorgepflicht stehen, dem Arbeitgeber/der Arbeitgeberin ebenfalls, und zwar gemäß § 1313a ABGB zuzurechnen.25 Wird also die Abhilfeverpflichtung von einem/einer mit der Fürsorge/Abhilfe betrauten Gehilfen/Gehilfin verletzt, dann ist von einem Schaden auszugehen, für den Arbeitgeber/die Arbeitgeberin gemäß § 1313a ABGB iVm § 12 Abs 11 GlBG einzustehen haben. Denn es bleibt den Arbeitgebern/Arbeitgeberinnen unbenommen, die Abhilfeverpflichtung zu delegieren; der allfälligen Haftung für die unterlassene Abhilfe können sie sich damit aber nicht „entledigen“.26
Im vorliegenden Fall ging es für den Senat aus dem Vorbringen des Erstantragsgegners sowie aus der Befragung der Auskunftsperson W hervor, dass der Erstantragsgegner seine vertraglichen Fürsorgepflichten als Arbeitgeber nicht (nur) durch seine Organe wahrnimmt, sondern die Erfüllung dieser Pflichten auf den Geschäftsführer übertrug, der zur selbständigen Ausübung von Arbeitgeberfunktionen berechtigt ist. Das Verhalten des Geschäftsführers X, welcher zum Zeitpunkt der Vorwürfe im Unternehmen des Erstantragsgegners für die Personalangelegenheiten ausschließlich zuständig war und den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen gegenüber als Arbeitgeber auftrat, ist dem Erstantragsgegner somit direkt zuzurechnen.
Als Vorfrage war in diesem Zusammenhang zunächst zu klären, ob der Vorfall als sexuelle Belästigung eingestuft werden konnte. Wie unter Punkt 1. festgehalten, konnte die zugrundeliegende sexuelle Belästigung nach Sicht des Senates festgestellt und geglaubt werden.
Es war daher im Weiteren zu überprüfen, ob der Arbeitgeber von der vermuteten sexuellen Belästigung durch den Zweitantragsgegner gewusst hat oder wissen hätte müssen.
Unbestritten ist, dass die Information über den Vorfall am 8. September 2020 in den Vorstand des Erstantragsgegners und in weiterer Folge zum Geschäftsführer X, welcher mit Arbeitgeberfunktionen betraut war, gelangte. Dem Erstantragsgegner waren die Belästigungsvorwürfe daher jedenfalls – spätestens mit der Bekanntgabe an den verantwortlichen Vertreter des Arbeitgebers – bekannt. Wie oben ausgeführt, ist in diesem Zusammenhang eine besondere „Bekanntgabe“ durch die betroffene Person nicht erforderlich.
In der Zeit zwischen der erstmaligen Thematisierung der Belästigungsvorwürfe im Vorstand des Erstantragsgegners im September 2020 und deren Bekanntgabe an den Geschäftsführer im Dezember 2020 wurden seitens des Erstantragsgegners keine Maßnahmen getroffen. In diesem Zeitraum war die Antragstellerin, wie vom Senat festgestellt, weiteren Belästigungshandlungen seitens des Zweitantragsgegners ausgesetzt.
Zwar hat die Antragstellerin ausdrücklich erklärt, keine Handlungen seitens des Vorstandes zu wünschen, doch war es eindeutig erkennbar, dass der einzige Grund dafür ihre Angst vor einem Arbeitsplatzverlust war. Es wäre für den Vorstand zumutbar gewesen, bereits zu diesem Zeitpunkt allgemeine präventive Maßnahmen zu treffen, die keinen Aufschluss über die konkret betroffene Person geben. Denn auch Maßnahmen, die Belästigungen hintanhalten (Schulungen, Sensibilisierungsmaßnahmen) oder zur Abwehr beitragen können (empowerment), können aus der Fürsorgepflicht geboten sein.27 Es ist für den Senat außerdem klar ersichtlich, dass im Unternehmen ein reglementierter Prozess bzw. gewisse Vorgaben fehlen, wie in einem Belästigungsfall zu verfahren ist. Auch diesbezüglich besteht ein klarer Handlungsbedarf seitens des Erstantragsgegners.
Nachdem die Information über den Belästigungsvorwurf im Dezember 2020 dennoch zum verantwortlichen Arbeitgebervertreter, Geschäftsführer X gelangte, war der Erstantragsgegner spätestens zu diesem Zeitpunkt zur Vornahme entsprechender Handlungen verpflichtet.
Die Antragstellerin legte glaubhaft dar, dass der Geschäftsführer keine Handlungen gesetzt hat, um ihren Wunsch nach einem diskriminierungsfreien Arbeitsumfeld zu unterstützen und sie vor weiteren Belästigungshandlungen zu schützen. Im Gegenteil hat der Geschäftsführer X als verantwortlicher Vertreter des Arbeitgebers im Zuge des Gesprächs am 5. Jänner 2021 Druck auf die Antragstellerin ausgeübt und eine schriftliche Zurücknahme des Belästigungsvorwurfes verlangt. Er hat der Antragstellerin weder Aufmerksamkeit geschenkt, noch hat er versucht, die Situation aufzuklären. In weiterer Folge stellte er die Antragstellerin am 18. Jänner 2021 dienstfrei und kündigte sie am 3. Mai 2021.
Die Antragstellerin konnte somit den Vorwurf der mangelnden Abhilfe durch den Erstantragsgegner in ihrem schriftlichen Vorbringen sowie ihrer mündlichen Befragungen glaubhaft darlegen. Daher verlagerte sich die Beweislast auf den Erstantragsgegner, dem es jedoch nicht gelang, den Gegenbeweis zu erbringen.
Der Geschäftsführer des Erstantragsgegners brachte in diesem Zusammenhang vor, dass die Antragstellerin im Rahmen des Gesprächs am 4. Jänner 2021 mündlich sowie am 5. Jänner 2021 schriftlich bestätigt hätte, dass es zu keiner Belästigung gekommen sei, sodass er in weiterer Folge keinen Anlass gesehen habe, Abhilfemaßnahmen zu setzen.
Wie bereits unter Punkt 1. ausgeführt, vermochte die Argumentation des Geschäftsführers den Senat nicht davon zu überzeugen, dass die Antragstellerin das Widerrufsschreiben ohne Druckausübung durch den Geschäftsführer aufgesetzt hätte, zumal auch die Auskunftsperson B aufgefordert wurde, eine vergleichbare Erklärung abzugeben.
Die Aussage des Geschäftsführers, wonach die Antragstellerin ihm gegenüber ausdrücklich erklärt habe, dass an den Gerüchten überhaupt nichts dran sei, ist auch insofern widersprüchlich, als er im Rahmen seiner Zeugeneinvernahme vor der Landespolizei … vom 18. Mai 2021 angegeben hat, dass es laut Antragstellerin zu einer Berührung am Bauch gekommen sei, die sie jedoch „nicht als sexuelle Belästigung gewertet hätte“. Bei der Befragung vor dem Senat hat der Geschäftsführer diese von der Antragstellerin zugestandene Berührung am Bauch nicht mehr erwähnt.
In seiner Stellungnahme vom 1. Juni 2021 brachte der Erstantragsgegner überdies vor, dass die Antragstellerin „zu ihrem eigenen Schutz“ dienstfrei gestellt worden sei und der Erstantragsgegner auf diese Weise seiner Fürsorgepflichten nachgekommen sei.
In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass die sexuelle Belästigung uU den Arbeitgeber/die Arbeitgeberin im Einzelfall zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit der belästigenden Person – aber niemals mit der belästigten Person – berechtigen kann. Die Freistellung und Kündigung der Antragstellerin kann daher keineswegs als eine geeignete und dem Gesetzeszweck entsprechende Maßnahme zur Beendigung der Belästigung angesehen werden.
Zusammengefasst bestand nach Ansicht des Senats seitens des Erstantragsgegners keinerlei Bereitschaft, geeignete Maßnahmen zu se