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82/02 Gesundheitsrecht allgemeinNorm
B-VG Art139 Abs1 Z3Leitsatz
Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung (von Teilen) der COVID-19-ÖffnungsV mangels Geltung der Verordnung im Zeitpunkt der Anfechtung und mangels Darlegung eines bestimmten BegehrensSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
I. Antrag
1. Gestützt auf Art139 Abs1 Z3 B-VG begehrt die Antragstellerin mit ihrem am 22. Juli 2021 eingebrachten Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge
"[d]ie Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz mit der die Verordnung über erste Öffnungsschritte in Bezug auf die COVID-19-Pandemie vom 10.05.2021, BGBl II Nr 214/2021, in der Fassung der Kundmachung BGBl II Nr 278/2021, (28.06.2021) zur Gänze, in eventu
den §7 Abs2 der genannten Verordnung, in eventu
den §8 Abs2 der genannten Verordnung, in eventu
den §7 Abs2 und §8 Abs2 der genannten Verordnung;"
kostenpflichtig als verfassungs- und gesetzwidrig aufheben.
2. An anderer Stelle des Antrages heißt es, es werde der Antrag auf Verordnungsprüfung "der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz über erste Öffnungsschritte in Bezug auf die COVID-19-Pandemie (2. COVID-19-Öffnungsverordnung), BGBl II Nr 214/2021, zuletzt geändert durch BGBl II Nr 278/2021, und insbesondere der darin normierten §§7 und 8" gestellt.
II. Rechtslage
Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
1. Die Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, mit der die Verordnung über erste Öffnungsschritte in Bezug auf die COVID-19-Pandemie erlassen wird (COVID-19-Öffnungsverordnung – COVID-19-ÖV), BGBl II 214/2021, trat gemäß ihrem §24 Abs1 am 19. Mai 2021 in Kraft und (nach Novellierungen durch BGBl II 214/2021, BGBl II 223/2021, BGBl II 242/2021, BGBl II 247/2021 und BGBl II 256/2021) mit Ablauf des 30. Juni 2021 außer Kraft.
2. Mit BGBl II 278/2021 erging die Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, mit der die Verordnung über weitere Öffnungsschritte in Bezug auf die COVID-19-Pandemie (2. COVID-19-Öffnungsverordnung) erlassen und geändert wird; diese Verordnung trat am 1. Juli 2021 in Kraft und mit Ablauf des 31. August 2021 außer Kraft.
3. Die 2. COVID-19-Öffnungsverordnung stand am 22. Juli 2021 idF der Novellen BGBl II 278/2021 (siehe dessen Art2), BGBl II 321/2021 und BGBl II 328/2021 in Geltung.
III. Zur Zulässigkeit
1. Der Antrag ist nicht zulässig:
2. Gemäß Art139 Abs1 Z3 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg 8058/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, dass die Verordnung in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie – im Fall ihrer Gesetzwidrigkeit – verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art139 Abs1 Z3 B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl zB VfSlg 8594/1979, 15.527/1999, 16.425/2002 und 16.426/2002).
Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art139 Abs1 Z3 B-VG ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch die angefochtene Verordnung – im Hinblick auf deren Gesetzwidrigkeit – in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass die Verordnung für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist also, dass die Verordnung in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese – im Falle ihrer Gesetzwidrigkeit – verletzt.
Es ist darüber hinaus erforderlich, dass die Verordnung selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch die Verordnung selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 13.944/1994, 15.234/1998, 15.947/2000).
3. Nach §57 Abs1 VfGG muss der Antrag, eine Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben, begehren, dass entweder die Verordnung ihrem ganzen Inhalte nach oder dass bestimmte Stellen der Verordnung als gesetzwidrig aufgehoben werden. Ein Antrag, der sich gegen den ganzen Inhalt einer Verordnung richtet, muss insbesondere auch dartun, inwieweit alle angefochtenen Verordnungsregelungen unmittelbar und aktuell in die Rechtssphäre des Antragstellers eingreifen. Um das strenge Erfordernis des §57 Abs1 VfGG zu erfüllen, darf weiters nicht offen bleiben, welche Vorschriften aufgehoben werden sollen. Der Verfassungsgerichtshof ist nämlich nicht befugt, Verordnungsbestimmungen auf Grund bloßer Vermutungen darüber, welche Normen der Antragsteller ins Auge gefasst haben könnte, in Prüfung zu ziehen (vgl VfSlg 16.533/2002). Anträge, die dem Erfordernis des §57 Abs1 VfGG nicht entsprechen, sind nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (vgl VfSlg 14.320/1995, 14.526/1996, 15.977/2000, 18.235/2007) nicht im Sinne von §18 VfGG verbesserungsfähig, sondern als unzulässig zurückzuweisen (vgl etwa VfSlg 12.797/1991, 13.717/1994, 17.111/2004, 18.187/2007, 19.505/2011, 19.721/2012 und zuletzt etwa VfGH 1.10.2020, V405/2020; 1.10.2020, V463/2020; 18.3.2022, V264/2021).
4. Diesen Anforderungen wird der vorliegende Antrag nicht gerecht.
4.1. Die Antragstellerin begehrt mit ihrem Hauptantrag die Aufhebung der "Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz mit der die Verordnung über erste Öffnungsschritte in Bezug auf die COVID-19-Pandemie vom 10.05.2021, BGBl II Nr 214/2021, in der Fassung der Kundmachung BGBl II Nr 278/2021, (28.06.2021) zur Gänze", in eventu näher bezeichneter Bestimmungen dieser Verordnung.
4.2. Die Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz über "erste Öffnungsschritte" in Bezug auf die COVID-19-Pandemie (COVID-19-Öffnungsverordnung), BGBl II 214/2021, stand im Zeitpunkt der Antragstellung (22. Juli 2021) nicht mehr in Geltung. An ihre Stelle trat mit 1. Juli 2021 die Verordnung über "weitere Öffnungsschritte" in Bezug auf die COVID-19-Pandemie (2. COVID-19-Öffnungsverordnung), BGBl II 278/2021.
4.3. Wird eine Verordnung mit Individualantrag angefochten, die im Zeitpunkt der Antragstellung bereits außer Kraft getreten ist, fehlt es idR an der Zulässigkeitsvoraussetzung einer – aktuellen – Beeinträchtigung von rechtlich geschützten Interessen des Antragstellers im Zeitpunkt der Antragstellung (vgl VfGH 29.9.2021, V571/2020; 16.12.2021, V302/2021; 23.2.2022, V315/2021), sofern der Antragsteller nicht das Vorliegen besonderer Umstände darlegen kann, die aus rechtsstaatlichen Gründen die Zulässigkeit der Stellung eines Individualantrages auf Verordnungsprüfung auch noch nach Außerkrafttreten der Verordnung verlangen. Solche besonderen Umstände macht die Antragstellerin nicht geltend.
4.4. Sollte die Antragstellerin mit ihrem Antrag hingegen die – im Zeitpunkt der Antragstellung (bereits in mehrfach novellierter Fassung) in Geltung gestandene – 2. COVID-19-Öffnungsverordnung, BGBl II 278/2021, zu bekämpfen beabsichtigt haben, so kommt dies in ihrem – widersprüchlichen – Antrag, der die angefochtene Verordnung auch nicht wörtlich wiedergibt, nicht mit hinreichender, den Anforderungen des §15 Abs2 iVm §57 Abs1 VfGG ("bestimmtes Begehren") genügender Klarheit zum Ausdruck. Dem Verfassungsgerichtshof ist es verwehrt, Bestimmungen auf Grund bloßer Vermutungen darüber, welche Rechtsvorschrift (und in welcher Fassung) angefochten werden soll, zu prüfen und im Falle des Zutreffens der geltend gemachten Bedenken aufzuheben (vgl etwa VfSlg 14.040/1995, 14.261/1995).
4.5. Der Hauptantrag und die Eventualanträge sind daher schon aus diesen Gründen zurückzuweisen.
IV. Ergebnis
1. Der Antrag ist als unzulässig zurückzuweisen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
COVID (Corona), VfGH / Individualantrag, Geltungsbereich (zeitlicher) einer VerordnungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:V203.2021Zuletzt aktualisiert am
16.01.2023