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82/02 Gesundheitsrecht allgemeinNorm
B-VG Art139 Abs1 Z3Leitsatz
Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung einer Legaldefinition der 2. COVID-19-MaßnahmenV wegen zu engen AnfechtungsumfangsSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Antrag
Gestützt auf Art139 Abs1 Z3 B-VG, begehrt der Antragsteller, die Wortfolge "zentral zugelassenen" in §1 Abs2 Z2 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 ergriffen werden (2.COVID-19-Maßnahmenverordnung — 2.COVID-19-MV), BGBl II 278/2021, idF BGBl. II 394/2021 als gesetzwidrig aufzuheben.
II. Rechtslage
1. §1 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 ergriffen werden (2. COVID-19-Maßnahmenverordnung — 2. COVID-19-MV), BGBl II 278/2021, idF BGBl II394/2021 lautet (die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben):
"Allgemeine Bestimmungen
§1. (1) Als Maske im Sinne dieser Verordnung gilt eine Atemschutzmaske der Schutzklasse FFP2 (FFP2-Maske) ohne Ausatemventil oder eine Maske mit mindestens gleichwertig genormtem Standard.
(2) Als Nachweis über eine geringe epidemiologische Gefahr im Sinne dieser Verordnung gilt:
1. ein Nachweis
a) über ein negatives Ergebnis eines SARS-CoV-2-Antigentests zur Eigenanwendung, der in einem behördlichen Datenverarbeitungssystem erfasst wird und dessen Abnahme nicht mehr als 24 Stunden zurückliegen darf,
b) einer befugten Stelle über ein negatives Ergebnis eines Antigentests auf SARS-CoV-2, dessen Abnahme nicht mehr als 24 Stunden zurückliegen darf,
c) einer befugten Stelle über ein negatives Ergebnis eines molekularbiologischen Tests auf SARS-CoV-2, dessen Abnahme nicht mehr als 72 Stunden zurückliegen darf,
d) gemäß §4 Z1 der COVID-19-Schulverordnung 2021/22 (C-SchVO 2021/22), BGBl II Nr 374/2021 (Corona-Testpass),
2. ein Nachweis über eine mit einem zentral zugelassenen Impfstoff gegen COVID-19 erfolgte
a) Zweitimpfung, wobei diese nicht länger als 360 Tage zurückliegen darf und zwischen der Erst- und Zweitimpfung mindestens 14 Tage verstrichen sein müssen, oder
b) Impfung ab dem 22. Tag nach der Impfung bei Impfstoffen, bei denen nur eine Impfung vorgesehen ist, wobei diese nicht länger als 270 Tage zurückliegen darf, oder
c) Impfung, sofern mindestens 21 Tage vor der Impfung ein positiver molekularbiologischer Test auf SARS-CoV-2 bzw vor der Impfung ein Nachweis über neutralisierende Antikörper vorlag, wobei die Impfung nicht länger als 360 Tage zurückliegen darf, oder
d) weitere Impfung, wobei diese nicht länger als 360 Tage zurückliegen darf und zwischen dieser und einer Impfung im Sinne der lita, b oder c mindestens 120 Tage verstrichen sein müssen,
3. ein Genesungsnachweis über eine in den letzten 180 Tagen überstandene Infektion mit SARS-CoV-2 oder eine ärztliche Bestätigung über eine in den letzten 180 Tagen überstandene Infektion mit SARS-CoV-2, die molekularbiologisch bestätigt wurde,
4. ein Nachweis über neutralisierende Antikörper, der nicht älter als 90 Tage ist,
5. ein Absonderungsbescheid, wenn dieser für eine in den letzten 180 Tagen vor der vorgesehenen Testung nachweislich mit SARS-CoV-2 infizierte Person ausgestellt wurde.
Kann ein Nachweis nicht vorgelegt werden, ist ausnahmsweise ein SARS-CoV-2-Antigentest zur Eigenanwendung unter Aufsicht des Betreibers einer Betriebsstätte gemäß den §§4 bis 6, einer nicht öffentlichen Sportstätte gemäß §7, einer Freizeiteinrichtung gemäß §8, eines Alten- und Pflegeheims oder einer stationären Wohneinrichtung der Behindertenhilfe (§10), einer Krankenanstalt, Kuranstalt oder eines sonstigen Ortes, an dem eine Gesundheitsdienstleistung erbracht wird (§11) oder des für eine Zusammenkunft Verantwortlichen (§§12 bis 16) durchzuführen. Das negative Testergebnis ist für die Dauer des Aufenthalts bereitzuhalten.
(3) Nachweise gemäß Abs2 sind in lateinischer Schrift in deutscher oder englischer Sprache oder in Form eines Zertifikats gemäß §4b Abs1 des Epidemiegesetzes 1950 (EpiG), BGBl Nr 186/1950, vorzulegen.
(4) Sofern in dieser Verordnung ein Nachweis gemäß Abs2 vorgesehen ist, ist der Inhaber einer Betriebsstätte, der Verantwortliche für einen bestimmten Ort oder der für eine Zusammenkunft Verantwortliche zur Ermittlung folgender personenbezogener Daten der betroffenen Person ermächtigt:
1. Name,
2. Geburtsdatum,
3. Gültigkeit bzw Gültigkeitsdauer des Nachweises und
4. Barcode bzw QR-Code.
Darüber hinaus ist er berechtigt, Daten zur Identitätsfeststellung zu ermitteln. Eine Vervielfältigung oder Aufbewahrung der Nachweise und der in den Nachweisen enthaltenen personenbezogenen Daten ist mit Ausnahme der Erhebung von Kontaktdaten gemäß §17 ebenso unzulässig wie die Verarbeitung der im Rahmen der Identitätsfeststellung erhobenen Daten. Dies gilt sinngemäß auch für Zertifikate nach §4b Abs1 EpiG.
(5) Sofern in dieser Verordnung ein COVID-19-Präventionskonzept vorgeschrieben wird, ist ein dem Stand der Wissenschaft entsprechendes Konzept zur Minimierung des Infektionsrisikos mit SARS-CoV-2 auszuarbeiten und umzusetzen. Das COVID-19-Präventionskonzept hat insbesondere zu enthalten:
1. spezifische Hygienemaßnahmen,
2. Regelungen zum Verhalten bei Auftreten einer SARS-CoV-2-Infektion,
3. Regelungen betreffend die Nutzung sanitärer Einrichtungen,
4. gegebenenfalls Regelungen betreffend die Konsumation von Speisen und Getränken,
5. Regelungen zur Steuerung der Personenströme und Regulierung der Anzahl der Personen,
6. Regelungen betreffend Entzerrungsmaßnahmen, wie Absperrungen und Bodenmarkierungen,
7. Vorgaben zur Schulung der Mitarbeiter in Bezug auf Hygienemaßnahmen und die Aufsicht der Durchführung eines SARS-CoV-2-Antigentests zur Eigenanwendung.
(6) Als COVID-19-Beauftragte dürfen nur geeignete Personen bestellt werden. Voraussetzung für eine solche Eignung sind zumindest die Kenntnis des COVID-19-Präventionskonzepts sowie der örtlichen Gegebenheiten und der organisatorischen Abläufe. Der COVID-19-Beauftragte ist Ansprechperson für die Behörden und hat die Umsetzung des COVID-19-Präventionskonzepts zu überwachen."
III. Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Der Antragsteller bringt zu seiner Antragslegitimation der Sache nach vor, er habe sich in einer Privatklinik in Moskau im März und im April 2021 nachweisbar mit dem Impfstoff "Sputnik V" impfen lassen; ein Antikörpertest habe in der Folge das Vorhandensein neutralisierender Antikörper ergeben. Dennoch werde er in Österreich nicht als geimpft anerkannt. Da der Impfstoff "Sputnik V" in Österreich nicht als "zentral zugelassener" Impfstoff qualifiziert werde, sei es ihm, obwohl von ihm tatsächlich eine bloß geringe epidemiologische Gefahr ausgehe, nicht möglich, einen Nachweis iSd §1 Abs2 Z1 der 2. COVID-19-MV zu erbringen. Eine neuerliche Impfung mit einem weiteren Impfstoff sei "allein aus medizinischen Gründen ausgeschlossen". Daher greife die angefochtene Bestimmung unmittelbar nachteilig in die Rechtssphäre des Antragstellers, konkret in seine verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Freizügigkeit und auf Freiheit der Erwerbsbetätigung, ein. Der Antragsteller sei im Anlagenbau tätig und vertreibe Anlagen "auf der ganzen Welt"; auf Grund seines "in Österreich nicht anerkannten Impfstatus" seien Besprechungen und Besichtigungen nicht möglich gewesen; die "aus dem Gesetz resultierenden Reisebeschränkungen" würden sich erheblich nachteilig auf seine Erwerbstätigkeit auswirken. Ein anderer Weg, die Bedenken gegen die Verordnung an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, bestehe nicht.
2. In der Sache bringt der Antragsteller auf das Wesentliche zusammengefasst vor, die angefochtene Regelung verstoße gegen das Sachlichkeitsgebot, den Gleichheitssatz, das Recht auf Freizügigkeit, die Freiheit der Erwerbsbetätigung und stehe in Widerspruch zu ihren gesetzlichen Grundlagen. Es sei nicht hinreichend determiniert, was unter "zentral zugelassen" zu verstehen sei. Der Verordnungsgeber habe es gänzlich unterlassen, die maßgeblichen Umstände der Verordnungserlassung festzuhalten. Ausschlaggebend für eine geringe epidemiologische Gefahr sei nicht nur ein "zentral zugelassener" Impfstoff, sondern jeder Impfstoff gegen COVID-19, der bereits eine Zulassung oder Anerkennung – gleichgültig in welchem Staat – erhalten habe bzw der "Nachweis der Immunisierung per neutralisierendem Antikörpertest".
3. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz hat als verordnungserlassende Behörde die Akten betreffend das Zustandekommen der angefochtenen Verordnung vorgelegt und eine Äußerung erstattet, in der die Zulässigkeit des Antrages bestritten und den Bedenken des Antragstellers in der Sache entgegengetreten wird.
IV. Zur Zulässigkeit
Der Antrag ist unzulässig:
1.1. Gemäß Art139 Abs1 Z3 B?VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.
Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art139 Abs1 Z3 B-VG ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch die angefochtene Verordnung – im Hinblick auf deren Gesetzwidrigkeit – in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass die Verordnung für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass die Verordnung in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese – im Falle ihrer Gesetzwidrigkeit – verletzt.
Es ist darüber hinaus erforderlich, dass die Verordnung selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch die Verordnung selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 13.944/1994, 15.234/1998, 15.947/2000).
1.2. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Gesetzmäßigkeit zu prüfenden Verordnungsbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Normenprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Teil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Stelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.
Dieser Grundposition folgend hat der Verfassungsgerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Normenprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011; VfGH 14.3.2017, G311/2016). Der Antragsteller hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des Antragstellers teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 10.3.2015, G201/2014).
Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Rest einer Verordnungsstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 19.413/2011; VfGH 19.6.2015, G211/2014; 7.10.2015, G444/2015; VfSlg 20.082/2016), der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Gesetzwidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl zB VfSlg 18.891/2009, 19.933/2014), oder durch die Aufhebung bloßer Teile einer Verordnung dieser ein völlig veränderter, dem Verordnungsgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben würde (vgl VfSlg 18.839/2009, 19.841/2014, 19.972/2015, 20.102/2016).
1.3. Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes kommt Legaldefinitionen in der Regel keine eigenständige normative Bedeutung zu, eine solche wird vielmehr grundsätzlich (zu besonderen Konstellationen siehe VfSlg 20.393/2020) erst im Zusammenhang mit anderen Regelungen, die diesen Begriff verwenden, bewirkt (vgl VfSlg 17.340/2004, 18.087/2007; VfGH 12.12.2016, G105/2016; 24.11.2020, G319/2020 ua).
1.4. Der Antragsteller ficht eine Wortfolge in §1 Abs2 Z2 der 2. COVID-19-Maßnahmenverordnung, BGBl II 278/2021, idF BGBl II 394/2021 an. §1 Abs2 der 2. COVID-19-Maßnahmenverordnung enthält eine Begriffsbestimmung des "Nachweises über eine geringe epidemiologische Gefahr im Sinne dieser Verordnung" und damit eine Legaldefinition im Sinne der oben genannten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes.
1.5. Die angefochtene Legaldefinition greift für sich allein nicht in die Rechtssphäre des Antragstellers ein. Eingriffe in die Rechtssphäre des Antragstellers wie die von ihm vorgebrachten Einschränkungen seiner Reise- und Erwerbsfreiheit ergeben sich allenfalls in Verbindung mit anderen Bestimmungen der 2. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung, die der Antragsteller jedoch nicht mitangefochten hat.
1.6. Der Antrag ist daher schon wegen des zu eng gewählten Anfechtungsumfanges als unzulässig zurückzuweisen.
V. Ergebnis
1. Der Antrag ist als unzulässig zurückzuweisen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
COVID (Corona), VfGH / Individualantrag, VfGH / PrüfungsumfangEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:V246.2021Zuletzt aktualisiert am
13.01.2023