TE Vfgh Erkenntnis 2022/6/13 E2710/2021

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Veröffentlicht am 13.06.2022
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
FremdenpolizeiG 2005 §52
AsylG 2005 §12a
VfGG §7 Abs2
  1. AsylG 2005 § 12a heute
  2. AsylG 2005 § 12a gültig von 01.11.2017 bis 31.10.2017 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 84/2017
  3. AsylG 2005 § 12a gültig ab 01.11.2017 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 145/2017
  4. AsylG 2005 § 12a gültig von 20.07.2015 bis 31.10.2017 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 70/2015
  5. AsylG 2005 § 12a gültig von 19.06.2015 bis 19.07.2015 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 70/2015
  6. AsylG 2005 § 12a gültig von 01.01.2014 bis 18.06.2015 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 144/2013
  7. AsylG 2005 § 12a gültig von 01.01.2014 bis 31.07.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 87/2012
  8. AsylG 2005 § 12a gültig von 01.08.2013 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 144/2013
  9. AsylG 2005 § 12a gültig von 01.07.2011 bis 31.07.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 38/2011
  10. AsylG 2005 § 12a gültig von 01.01.2010 bis 30.06.2011 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 122/2009
  1. VfGG § 7 heute
  2. VfGG § 7 gültig ab 22.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 16/2020
  3. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 21.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 101/2014
  4. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 92/2014
  5. VfGG § 7 gültig von 01.03.2013 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  6. VfGG § 7 gültig von 01.07.2008 bis 28.02.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  7. VfGG § 7 gültig von 01.01.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. VfGG § 7 gültig von 01.10.2002 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 123/2002
  9. VfGG § 7 gültig von 01.01.1991 bis 30.09.2002 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 329/1990
  10. VfGG § 7 gültig von 01.07.1976 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 311/1976

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Erlassung einer Rückkehrentscheidung betreffend eine — mit einem Österreicher verheiratete sowie Mutter eines österreichischen Staatsbürgers — Staatsangehörige der Ukraine; mangelhafte Auseinandersetzung mit der familiären Situation im Hinblick darauf, dass Rückkehrentscheidungen trotz erfolgter Ausreise 18 Monate aufrecht bleiben und die besonderen Bedürfnisse eines zweieinhalb jährigen Kindes

Spruch

I. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführerin ist ukrainische Staatsbürgerin und mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet, mit dem sie einen gemeinsamen, im August 2018 in der Ukraine geborenen Sohn hat, der ebenfalls österreichischer Staatsbürger ist.

2. Im Zuge einer Ausreisekontrolle am Flughafen Wien-Schwechat am 22. November 2020 wurde festgestellt, dass die Beschwerdeführerin, ohne im Besitz eines Aufenthaltstitels zu sein, die sichtvermerksfreie Dauer ihres Aufenthaltes überschritten habe und sich seit 28. Februar 2020 im Bundesgebiet aufgehalten habe. Aus diesem Grund wurde ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eingeleitet. Die Beschwerdeführerin reiste am 22. November 2020 aus dem Bundesgebiet aus.

3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 3. Februar 2021 wurde gegen die Beschwerdeführerin gemäß §9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs1 Z2 FPG erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß §46 FPG in die Ukraine zulässig ist (Spruchpunkt II.) und gemäß §53 Abs1 iVm Abs2 Z6 FPG gegen die Beschwerdeführerin ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.).

4. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 31. Mai 2021 wurde der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde hinsichtlich des Spruchpunktes III. stattgegeben und das Einreiseverbot behoben, im Übrigen wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens sowie auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem zweieinhalbjährigen, die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden Sohn bestehe, weshalb mit der Rückkehrentscheidung auch der Sohn der Beschwerdeführerin faktisch zur Ausreise gezwungen werde. Damit habe sich das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung ebensowenig auseinandergesetzt wie mit der konkreten Lebenssituation der Beschwerdeführerin und dem Kindeswohl.

6. Das Bundesverwaltungsgericht und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl haben die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt. Eine Gegenschrift wurde nicht erstattet.

II. Rechtslage

Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

1. §52 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl I 100/2005, idF BGBl I 110/2019 lautet:

"8. Hauptstück

Aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen Fremde

1. Abschnitt

Aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen Drittstaatsangehörige

Rückkehrentscheidung

§52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich

1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder

2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.

(2) […]"

2. §12a Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl I 100/2005, idF BGBl I 145/2017 lautet:

"Faktischer Abschiebeschutz bei Folgeanträgen

§12a. (1) - (5) […]

(6) Rückkehrentscheidungen gemäß §52 FPG bleiben 18 Monate ab der Ausreise des Fremden aufrecht, es sei denn es wurde ein darüber hinausgehender Zeitraum gemäß §53 Abs2 und 3 FPG festgesetzt. Anordnungen zur Außerlandesbringung gemäß §61 FPG, Ausweisungen gemäß §66 FPG und Aufenthaltsverbote gemäß §67 FPG bleiben 18 Monate ab der Ausreise des Fremden aufrecht. Dies gilt nicht für Aufenthaltsverbote gemäß §67 FPG, die über einen darüber hinausgehenden Zeitraum festgesetzt wurden."

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. In seinem Erkenntnis stellt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass die Beschwerdeführerin, eine ukrainische Staatsbürgerin, mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet ist und mit diesem einen gemeinsamen Sohn hat, der im August 2018 in der Ukraine geboren wurde und ebenfalls die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt.

Das Bundesverwaltungsgericht stellt weiters fest, dass sich die Beschwerdeführerin von 28. Februar 2020 bis 22. November 2020 in Österreich aufgehalten habe, und geht in weiterer Folge davon aus, dass die Beschwerdeführerin am 22. November 2020 aus Österreich ausgereist sei und sich zum Entscheidungszeitpunkt außerhalb Österreichs aufgehalten habe.

Betreffend die Zulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung trotz bereits erfolgter Ausreise der Beschwerdeführerin stützt sich das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der rechtlichen Beurteilung auf §52 Abs1 Z2 FPG und gibt einen Auszug aus den Entscheidungsgründen des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. Dezember 2017, Ra 2017/21/0234, wieder, darunter unter anderem Folgendes:

"Die Rückkehrentscheidung nach §52 Abs1 FPG ist die Reaktion auf den unrechtmäßigen Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen. Dazu sei angemerkt, dass sie nach Neufassung dieser Bestimmung durch das FNG nicht mehr zwingend an einen aktuellen inländischen Aufenthalt des betreffenden Drittstaatsangehörigen anknüpft. Eine Rückkehrentscheidung ist nämlich gemäß §52 Abs1 Z2 FPG seither auch dann anzuordnen, wenn sich der Drittstaatsangehörige bereits außerhalb des Bundesgebietes befindet, sofern er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde. Die in §52 Abs8 erster Satz FPG umschriebene normative Wirkung einer Rückkehrentscheidung (Verpflichtung des Drittstaatsangehörigen zur (unverzüglichen) Ausreise) steht dazu nur scheinbar in einem Spannungsverhältnis. Gemäß §12a Abs6 AsylG 2005 bleiben – ua – Rückkehrentscheidungen gemäß §52 FPG nämlich 18 Monate ab der Ausreise des Fremden aufrecht (zum Verständnis dieser Anordnung im Detail siehe VwGH 30.7.2015, Ra 2014/22/0131, Punkt 5.5. der Entscheidungsgründe), sodass die angesprochene Wirkung auch bei bereits erfolgter Ausreise – im Falle einer neuerlichen Einreise des Fremden nach Österreich – nicht von vornherein ins Leere geht."

In weiterer Folge zitiert das Bundesverwaltungsgericht Judikatur zu der im Rahmen einer Rückkehrentscheidung durchzuführenden Interessenabwägung nach Art8 EMRK. In Bezug auf die Beschwerdeführerin führt das Bundesverwaltungsgericht sodann Folgendes aus:

"Den privaten Interessen der Beschwerdeführerin an einem weiteren Aufenthalt in Österreich standen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art8 Abs2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (zB VwGH 16.1.2001, 2000/18/0251). Dass der Aufenthalt zum Zeitpunkt der Ausreisekontrolle seit Monaten illegal war, wird im Ergebnis nicht substantiiert bestritten.

Auch nach Maßgabe einer Interessenabwägung im Sinne des §9 BFA-VG ist die belangte Behörde somit zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet ihr persönliches Interesse am Verbleib im Bundesgebiet überwog und daher allein durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art8 EMRK nicht vorliegt.

Festzuhalten ist auch, dass es der Beschwerdeführerin bei Erfüllung der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Regelungen des FPG bzw NAG auch nicht verwehrt ist, wieder in das Bundesgebiet zurückzukehren (so auch VfSlg 19.086/2010 unter Hinweis auf Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art8 MRK, in ÖJZ2007, 861).

Der Verwaltungsgerichtshof hat ausgesprochen, dass der Umstand, dass Rückkehrentscheidungen von Gesetzes wegen 18 Monate ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht bleiben, nicht mit einem für diese Dauer bestehenden Einreiseverbot gleichzusetzen sei. Würde man der Anordnung des §75 Abs23 AsylG 2005 (und damit auch des §12a Abs6 AsylG 2005) die Bedeutung beimessen, dass mit der Anordnung des 'Aufrecht-Bleibens' der Ausweisung bzw Rückkehrentscheidung binnen 18 Monaten ab Ausreise die gleiche Wirkung verbunden ist wie mit einem 18-monatigen Einreiseverbot, stünde dies in einem Spannungsverhältnis zur eben dargestellten Novellierung des §53 FrPolG 2005 durch BGBl I Nr 68/2013, mit der die im Erkenntnis 2011/21/0237 aufgezeigten unionsrechtlichen Probleme offenbar saniert werden sollten. Dieses Spannungsverhältnis lässt sich vermeiden, indem die Anordnung ('bleiben binnen 18 Monaten ... aufrecht') nicht mit einem Einreiseverbot gleichgesetzt wird; diesfalls wird die Rückkehrentscheidung durch eine Ausreise zwar nicht konsumiert, allerdings ist damit keine absolute 18-monatige Sperrwirkung hinsichtlich der Erteilung eines Aufenthaltstitels verbunden (vgl VwGH 30.7.2015, Ra 2014/22/0131).

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß §52 FPG stellt sohin keine Verletzung des Rechts der Beschwerdeführerin auf Privat- und Familienleben gemäß §9 Abs2 BFA-VG iVm Art8 EMRK dar."

3.2. In seinem Erkenntnis zitiert das Bundesverwaltungsgericht somit Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 21.12.2017, Ra 2017/21/0234; 30.7.2015, Ra 2014/22/0131), nach der eine Rückkehrentscheidung zwar kein absolutes Hindernis für die Erteilung eines Aufenthaltstitels darstellt, – in Hinblick auf §12a Abs6 AsylG 2005, der bestimmt, dass Rückkehrentscheidungen 18 Monate ab der Ausreise des Fremden aufrecht bleiben – die "Rückkehrentscheidung durch eine Ausreise [jedoch] nicht konsumiert" wird und die "Wirkung [der Rückkehrentscheidung] auch bei bereits erfolgter Ausreise – im Falle einer neuerlichen Einreise des Fremden nach Österreich – nicht von vornherein ins Leere geht". Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es nicht nachvollziehbar, warum das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Rückkehrentscheidung keinerlei Überlegungen zur familiären Situation der Beschwerdeführerin anstellt und diese im Rahmen der Rückkehrentscheidung nicht in eine Abwägung nach Art8 EMRK einbezieht, zumal es sich bei der Beschwerdeführerin nicht nur um die Ehefrau eines österreichischen Staatsbürgers, sondern auch um die Mutter eines zum Entscheidungszeitpunkt zweieinhalbjährigen österreichischen Staatsbürgers handelt.

Das Bundesverwaltungsgericht setzt sich insofern weder damit auseinander, ob – in Hinblick auf die besonderen Bedürfnisse eines Kindes in der ersten Lebensphase (vgl VfGH 9.6.2016, E2617/2015) – eine Trennung des zweieinhalbjährigen
Sohnes von seiner Mutter zumutbar wäre, noch berücksichtigt es, dass im Falle einer Unzumutbarkeit einer Trennung durch die Rückkehrentscheidung gegen die Beschwerdeführerin für ihren Sohn, welcher die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, ein faktischer Zwang zur Ausreise geschaffen wird (vgl VfGH 9.6.2016, E2617/2015 mwN und unter Bezug auf EuGH 8.3.2011, Rs C-34/09, Gerardo Ruiz Zambrano, Rz 43). Im Übrigen geht das Bundesverwaltungsgericht unter der Annahme einer Rückkehr der Beschwerdeführerin mit ihrem Sohn auch in keiner Weise auf die damit verbundene Trennung des Sohnes von seinem Vater, dem Ehemann der Beschwerdeführerin, ein. Auch finden sich in der Begründung keinerlei Überlegungen dazu, ob (auch) der Ehemann und damit letztlich die gesamte engere Familie der Beschwerdeführerin in die Ukraine übersiedeln könnte (vgl dazu etwa VfGH 1.3.2022, E4229/2021 mwN).

3.3. Indem das Bundesverwaltungsgericht die dargelegten Aspekte nicht berücksichtigt hat, hat es eine Auseinandersetzung mit dem wesentlichen Sachverhalt unterlassen und das Erkenntnis mit Willkür belastet.

IV. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (

ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

Fremdenrecht, Privat- und Familienleben, Kinder

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:E2710.2021

Zuletzt aktualisiert am

12.01.2023
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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