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41/01 SicherheitsrechtNorm
B-VG Art11 Abs2Leitsatz
Auswertung in ArbeitSpruch
I. Soweit sich der Antrag gegen §88 Abs4 erster und zweiter Satz SPG, BGBl Nr 566/1991, in der Fassung BGBl I Nr 161/2013 richtet, wird er abgewiesen.
II. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Antrag
Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 lita B-VG gestützten Antrag begehrt das Verwaltungsgericht Wien, den ersten Satz in §88 Abs4 SPG, BGBl 566/1991, idF BGBl I 161/2013, in eventu den ersten und den zweiten Satz in §88 Abs4 SPG, BGBl 566/1991, idF BGBl I 161/2013, in eventu §88 Abs4 SPG, BGBl 566/1991, idF BGBl I 161/2013 zur Gänze als verfassungswidrig aufzuheben.
II. Rechtslage
Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar (die im ersten Eventualantrag angefochtenen Teile der Bestimmung sind hervorgehoben):
1. §88 des Bundesgesetzes über die Organisation der Sicherheitsverwaltung und die Ausübung der Sicherheitspolizei (Sicherheitspolizeigesetz – SPG), BGBl 566/1991, idF BGBl I 161/2013 lautet:
"Beschwerden wegen Verletzung subjektiver Rechte
§88. (1) Die Landesverwaltungsgerichte erkennen über Beschwerden von Menschen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer sicherheitsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt worden zu sein (Art130 Abs1 Z2 B-VG).
(2) Außerdem erkennen die Landesverwaltungsgerichte über Beschwerden von Menschen, die behaupten, auf andere Weise durch die Besorgung der Sicherheitsverwaltung in ihren Rechten verletzt worden zu sein, sofern dies nicht in Form eines Bescheides erfolgt ist.
(3) Beschwerden gemäß Abs1, die sich gegen einen auf dieses Bundesgesetz gestützten Entzug der persönlichen Freiheit richten, können während der Anhaltung bei der Sicherheitsbehörde eingebracht werden, die sie unverzüglich dem Landesverwaltungsgericht zuzuleiten hat.
(4) Die Frist zur Erhebung einer Beschwerde beträgt sechs Wochen. Sie beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Betroffene Kenntnis von der Rechtsverletzung erlangt hat, wenn er aber durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt behindert war, von seinem Beschwerderecht Gebrauch zu machen, mit dem Wegfall dieser Behinderung. Die Beschwerde ist beim Landesverwaltungsgericht einzubringen."
2. §7 des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl I 33/2013 idF BGBl I 109/2021 lautet:
"Beschwerderecht und Beschwerdefrist
§7. (1) Gegen Verfahrensanordnungen im Verwaltungsverfahren ist eine abgesonderte Beschwerde nicht zulässig. Sie können erst in der Beschwerde gegen den die Sache erledigenden Bescheid angefochten werden.
(2) Eine Beschwerde ist nicht mehr zulässig, wenn die Partei nach der Zustellung oder Verkündung des Bescheides ausdrücklich auf die Beschwerde verzichtet hat. (3) Ist der Bescheid bereits einer anderen Partei zugestellt oder verkündet worden, kann die Beschwerde bereits ab dem Zeitpunkt erhoben werden, in dem der Beschwerdeführer von dem Bescheid Kenntnis erlangt hat.
(4) Die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid einer Behörde gemäß Art130 Abs1 Z1 B-VG oder wegen Rechtswidrigkeit des Verhaltens einer Behörde in Vollziehung der Gesetze gemäß Art130 Abs2 Z1 B-VG beträgt vier Wochen. Die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art130 Abs1 Z2 B-VG beträgt sechs Wochen. Sie beginnt
1. in den Fällen des Art132 Abs1 Z1 B-VG dann, wenn der Bescheid dem Beschwerdeführer zugestellt wurde, mit dem Tag der Zustellung, wenn der Bescheid dem Beschwerdeführer nur mündlich verkündet wurde, mit dem Tag der Verkündung,
2. in den Fällen des Art132 Abs1 Z2 B-VG dann, wenn der Bescheid dem zuständigen Bundesminister zugestellt wurde, mit dem Tag der Zustellung, sonst mit dem Zeitpunkt, in dem der zuständige Bundesminister von dem Bescheid Kenntnis erlangt hat,
3. in den Fällen des Art132 Abs2 B-VG mit dem Zeitpunkt, in dem der Betroffene Kenntnis von der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erlangt hat, wenn er aber durch diese behindert war, von seinem Beschwerderecht Gebrauch zu machen, mit dem Wegfall dieser Behinderung, und
4. in den Fällen des Art132 Abs4 B-VG dann, wenn der Bescheid dem zur Erhebung der Beschwerde befugten Organ zugestellt wurde, mit dem Tag der Zustellung, sonst mit dem Zeitpunkt, in dem dieses Organ von dem Bescheid Kenntnis erlangt hat."
III. Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Beim Verwaltungsgericht Wien ist eine Beschwerde nach §88 Abs2 SPG anhängig, in der die Verletzung in subjektiven Rechten in Besorgung der Sicherheitsverwaltung auf andere Weise als durch die Ausübung unmittelbarer sicherheitsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ("Verhaltensbeschwerde") geltend gemacht wird, nämlich durch den Abgleich von Lichtbildern der Beschwerdeführerin vor dem Verwaltungsgericht Wien aus der Zentralen erkennungsdienstlichen Evidenz (EDE) nach §75 SPG mit Lichtbildern von unbekannten Tatverdächtigen zur Ausforschung unbekannter Tatverdächtiger.
2. Aus Anlass dieser Beschwerde sind beim Verwaltungsgericht Wien Bedenken gegen die Frist für die Erhebung von Verhaltensbeschwerden in Besorgung der Sicherheitsverwaltung von sechs Wochen in §88 Abs4 SPG entstanden. Diese Frist weiche nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes Wien von der im VwGVG in §7 Abs4 festgelegten Frist von vier Wochen für die Erhebung einer Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Verhaltens einer Behörde in Vollziehung der Gesetze gemäß Art130 Abs2 Z1 B-VG ("Verhaltensbeschwerde") ab, ohne dass die Voraussetzungen für eine abweichende Regelung nach Art136 Abs2 B-VG vorlägen.
Der Wegfall der sechswöchigen Beschwerdefrist hätte zur Folge, dass die Beschwerde im Anlassfall vom Verwaltungsgericht Wien als verspätet zurückzuweisen wäre, weil sie nach Ablauf der vierwöchigen Beschwerdefrist des §7 Abs4 VwGVG eingebracht wurde.
3. Im Einzelnen legt das Verwaltungsgericht Wien seine Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, wie folgt dar:
Gemäß Art136 Abs2 B-VG werde das Verfahren der Verwaltungsgerichte (mit Ausnahme des Verfahrens des Verwaltungsgerichtes des Bundes für Finanzen) durch ein besonderes Bundesgesetz einheitlich geregelt. Der Bund habe den Ländern Gelegenheit zu geben, an der Vorbereitung solcher Gesetzesvorhaben mitzuwirken. Durch Bundes- oder Landesgesetz könnten Regelungen über das Verfahren der Verwaltungsgerichte getroffen werden, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich seien oder soweit das im ersten Satz genannte besondere Bundesgesetz dazu ermächtige.
In dem auf Grundlage des Art136 Abs2 B-VG erlassenen Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG, BGBl I 33/2013, idF BGBl I 109/2021 werde die Frist zur Erhebung einer Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Verhaltens einer Behörde in Vollziehung der Gesetze gemäß Art130 Abs2 Z1 B-VG (Verhaltensbeschwerde) mit vier Wochen festgelegt. In §88 Abs4 SPG werde die Frist zur Erhebung einer Verhaltensbeschwerde in Besorgung der Sicherheitsverwaltung mit sechs Wochen festgelegt. Diese Frist weiche von der in §7 Abs4 VwGVG festgelegten Beschwerdefrist von vier Wochen ab.
Anhaltspunkte für eine Erforderlichkeit der Abweichung im Sinne des Art136 Abs2 letzter Satz B-VG seien nicht ersichtlich.
Die Materialien zu §88 Abs4 SPG idF des Verwaltungsgerichtsbarkeits-Anpassungsgesetzes-Inneres – VwGAnpG-Inneres zeigten, dass die Gesetz gewordene Fassung des §88 Abs4 SPG auf eine Änderung im Ausschuss für innere Angelegenheiten zurückgehe. Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage hätten noch den Entfall des vormals geltenden §88 Abs4 SPG ("Über Beschwerden gemäß Abs1 und Abs2 entscheidet der unabhängige Verwaltungssenat durch eines seiner Mitglieder. Im übrigen gelten die §§67c bis 67g und 79a AVG.") vorgesehen, mit dem Hinweis in den Materialien, dass mit den vorgeschlagenen Bestimmungen Anpassungen an die Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl I 51, und das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013, BGBl I 33, erfolgen sollten (RV 2211 BlgNR 24. GP, 8). Im Bericht des Ausschusses für innere Angelegenheiten sei zu den vorgeschlagenen Änderungen (ua des §88 Abs4 SPG) ausgeführt, dass die Beschwerdefrist von sechs Wochen für Beschwerden nach Abs1 (Maßnahmenbeschwerden) und Abs2 (Verhaltensbeschwerden) des §88 SPG gelte und diese beim Landesverwaltungsgericht einzubringen seien (AB 2547 BlgNR 24. GP, 3). Konkrete Bezugnahmen und Erwägungen, warum bei Verhaltensbeschwerden nach §88 Abs2 SPG in §88 Abs4 SPG eine von §7 Abs4 erster Satz VwGVG abweichende Frist festgelegt worden sei, ließen sich aus den Materialen nicht festmachen.
Das Verwaltungsgericht Wien verkenne nicht, dass die Frist zur Erhebung einer Beschwerde nach §88 Abs2 SPG an die vormaligen unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern in §88 Abs4 SPG idF bis 31. Dezember 2013 in Verbindung mit (dem in §88 Abs4 zweiter Satz aF SPG als geltend bestimmten) §67c Abs1 AVG idF bis 31. Dezember 2013 mit sechs Wochen bestimmt gewesen sei. Die Zuständigkeit der vormaligen unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern zur Entscheidung über derartige Beschwerden habe sich auf Art129a Abs1 Z3 B-VG idF bis 31. Dezember 2013 ("in sonstigen Angelegenheiten, die ihnen durch die die einzelnen Gebiete der Verwaltung regelnden Bundes- oder Landesgesetze zugewiesen werden") gestützt. Das Verfahrensrecht der unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern sei im Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG (ArtI Abs2 litA Z2 EGVG) geregelt gewesen. Im AVG idF bis 31. Dezember 2013 seien für Beschwerden nach Art129a Abs1 Z3 B-VG – anders als für "Maßnahmenbeschwerden" gemäß Art129a Abs1 Z2 B-VG idF bis 31. Dezember 2013, für die in §67c Abs1 AVG eine Frist von sechs Wochen vorgesehen gewesen sei – keine einheitlichen Regelungen im Sinne das Art11 Abs2 B-VG festgelegt worden. Mangels Inanspruchnahme der Bedarfskompetenz zur vereinheitlichenden Regelung im Sinne des Art11 Abs2 B-VG seien folglich verfahrensbezogene Regelungen entsprechend dem Prinzip der Adhäsion an der Sachmaterie folgend für die den unabhängigen Verwaltungssenaten in den Ländern gemäß Art129a Abs1 Z3 B-VG idF bis 31. Dezember 2013 zugewiesenen Angelegenheiten bei der zuständigen Gesetzgebung – hier des Sicherheitspolizeigesetzes – verblieben. Vermutlich sei die ursprünglich in §88 Abs4 SPG festgelegte Frist für Verhaltensbeschwerden von der Intention getragen gewesen, diese an die Frist für Maßnahmenbeschwerden anzupassen.
Der (verfassungs-)gesetzliche Rahmen habe sich jedoch, so das antragstellende Gericht, in Folge der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 grundlegend geändert, was der geltende §88 Abs4 SPG im Ergebnis nicht berücksichtige. Dieser normiere letztlich die "Weitergeltung" (der Beschwerdefrist) des §67c Abs1 AVG aF einerseits für Beschwerden gemäß Art130 Abs1 Z2 B-VG (Beschwerden nach §88 Abs1 SPG) und andererseits für Beschwerden gemäß Art130 Abs2 Z1 B-VG (Beschwerden gemäß §88 Abs2 SPG), ohne jedoch zu berücksichtigen, dass von der zuständigen Gesetzgebung in §7 Abs4 erster und zweiter Satz VwGVG gerade andere Beschwerdefristen festgelegt seien und letztere Bestimmung auch nicht subsidiär gelte (Art136 Abs2 letzter Satz B-VG "oder soweit das im ersten Satz genannte besondere Bundesgesetz dazu ermächtigt").
4. Die Bundesregierung hat zum Gegenstand keine Äußerung erstattet. Für den Fall der Aufhebung stellt sie den Antrag, der Verfassungsgerichtshof wolle gemäß Art140 Abs5 B-VG für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr bestimmen. Diese Frist erscheine erforderlich, um die legistischen Vorkehrungen zur Schaffung einer Nachfolgebestimmung treffen zu können.
IV. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit des Antrages
Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art140 Abs1 Z1 lita B-VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 12.189/1989, 16.245/2001 und 16.927/2003).
Beim Verwaltungsgericht Wien ist eine Beschwerde nach §88 Abs2 SPG anhängig, in der die Verletzung in subjektiven Rechten in Besorgung der Sicherheitsverwaltung auf andere Weise als durch die Ausübung unmittelbarer sicherheitsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ("Verhaltensbeschwerde") geltend gemacht wird. Da die Frist zur Erhebung einer Verhaltensbeschwerde nach dem ersten Satz in §88 Abs4 SPG sechs Wochen beträgt, bildet die Frist in §88 Abs4 erster Satz SPG denkmöglich eine Voraussetzung für die Entscheidung über die Beschwerde im Anlassfall vor dem Verwaltungsgericht Wien. Der mit dem Hauptantrag angefochtene erste Satz in §88 Abs4 SPG ist daher präjudiziell.
Allerdings erweist sich der Hauptantrag als zu eng gefasst:
Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.
Aus dieser Grundposition folgt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011). Das antragstellende Gericht hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des antragstellenden Gerichtes teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 10.3.2015, G201/2014).
Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Rest einer Gesetzesstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 19.413/2011; VfGH 19.6.2015, G211/2014; 7.10.2015, G444/2015; VfSlg 20.082/2016), der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Verfassungswidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl zB VfSlg 18.891/2009, 19.933/2014), oder durch die Aufhebung bloßer Teile einer Gesetzesvorschrift dieser ein völlig veränderter, dem Gesetzgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben würde (VfSlg 18.839/2009, 19.841/2014, 19.972/2015, 20.102/2016).
Unter dem Aspekt einer nicht trennbaren Einheit in Prüfung zu ziehender Vorschriften ergibt sich ferner, dass ein Prozesshindernis auch dann vorliegt, wenn es auf Grund der Bindung an den gestellten Antrag zu einer in der Weise isolierten Aufhebung einer Bestimmung käme, dass Schwierigkeiten bezüglich der Anwendbarkeit der im Rechtsbestand verbleibenden Vorschriften entstünden, und zwar in der Weise, dass der Wegfall der angefochtenen (Teile einer) Gesetzesbestimmung den verbleibenden Rest unverständlich oder auch unanwendbar werden ließe. Letzteres liegt dann vor, wenn nicht mehr mit Bestimmtheit beurteilt werden könnte, ob ein der verbliebenen Vorschrift zu unterstellender Fall vorliegt (VfSlg 16.869/2003 mwN).
Der Wegfall des ersten Satzes in §88 Abs4 SPG ("Die Frist zur Erhebung einer Beschwerde beträgt sechs Wochen.") ließe den zweiten Satz in §88 Abs4 SPG mit einem bezuglosen "Sie" beginnen und damit unverständlich zurück. Da zwischen dem ersten und dem zweiten Satz in §88 Abs4 SPG – wie das Verwaltungsgericht Wien in seinem ersten Eventualantrag zutreffend annimmt – ein untrennbarer Zusammenhang besteht, erweist sich der erste Eventualantrag – zumal auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind – als zulässig, sodass auf den zweiten Eventualantrag nicht einzugehen ist (vgl VfGH 27.9.2021, G98/2021).
2. In der Sache
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den im Antrag dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).
2.2. Das Verwaltungsgericht Wien hegt das Bedenken, dass die Frist von sechs Wochen für die Erhebung einer Beschwerde wegen eines (sonstigen) Verhaltens in Besorgung der Sicherheitsverwaltung nach §88 Abs4 SPG verfassungswidrig sei, weil diese von der vierwöchigen Frist für die Erhebung von Verhaltensbeschwerden in §7 Abs4 VwGVG abweiche, ohne dass dafür die Voraussetzungen des Art136 Abs2 B-VG vorlägen. Weder bestünden Anhaltspunkte für die Erforderlichkeit einer von §7 Abs4 VwGVG abweichenden Fristenregelung, noch gelte §7 Abs4 VwGVG mangels einer Regelung im Hinblick auf den Materiengesetzgeber bloß subsidiär.
Die "Weitergeltung" der alten (vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 bestehenden) sechswöchigen Frist in §88 Abs4 SPG berücksichtige nicht, dass sich der (verfassungs-)gesetzliche Rahmen durch die Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 geändert habe und in §7 Abs4 VwGVG gerade eine andere Beschwerdefrist als in §88 Abs4 SPG vorgesehen worden sei.
2.3. Die Bedenken treffen nicht zu:
2.3.1. Mit Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz sollten die Beschwerdefristen für Verfahren vor den Verwaltungsgerichten erster Instanz vereinheitlicht werden (s StenProtNR, 24. GP, 187. Sitzung, 120 ff.). Sah §7 Abs4 VwGVG in der Fassung der Regierungsvorlage und des Ausschussberichtes zum Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013, BGBl I 33, noch eine einheitliche Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen Bescheide einer Behörde gemäß Art130 Abs1 Z1 B-VG, (damals noch, vgl Art1 Z13 und Art5 Z2 BGBl I 138/2017) gegen Weisungen gemäß Art130 Abs1 Z4 B-VG und wegen Rechtswidrigkeit eines Verhaltens einer Behörde in Vollziehung der Gesetze gemäß Art130 Abs2 Z1 B-VG von zwei Wochen vor (Gesetzestext zur RV und zum AB, 2009 BlgNR 24. GP, 5, bzw 2112 BlgNR 24. GP, 5), wurde im Plenum des Nationalrates – im Wesentlichen aus Gründen der Rechtsschutzfreundlichkeit und der Angleichung an die Beschwerdefrist der ordentlichen Gerichtsbarkeit (vgl StenProtNR, 24. GP, 187. Sitzung, 118 ff.) – eine Verlängerung dieser Frist auf vier Wochen beschlossen (vgl Abänderungen im Plenum des NR, 8882 BlgBR 24. GP, 5). Im Unterschied zu dieser vierwöchigen Beschwerdefrist für Bescheid-, Weisungs- und Verhaltensbeschwerden war für die Erhebung einer Maßnahmenbeschwerde ("einer Beschwerde gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art130 Abs1 Z2 B-VG") in §7 Abs4 VwGVG von Beginn an eine Frist von sechs Wochen vorgesehen (s Gesetzestext zur RV, 2009 BlgNR 24. GP, 5).
Auf verfassungsrechtlicher Ebene wurde mit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl I 51, in Art136 Abs2 B-VG – neben der Grundsatzentscheidung, das Verfahren der Verwaltungsgerichte (mit Ausnahme desjenigen des Verwaltungsgerichtes des Bundes für Finanzen) durch ein besonderes Bundesgesetz, das VwGVG, einheitlich zu regeln – bestimmt, unter welchen Voraussetzungen der Materiengesetzgeber von diesen Regelungen des VwGVG abweichen darf. Demnach darf der Materiengesetzgeber das Verfahren der Verwaltungsgerichte betreffende Regelungen nur vorsehen, wenn sie entweder zur Regelung des Gegenstandes erforderlich sind oder das VwGVG selbst dazu ermächtigt. Beide Bestimmungen – sowohl Art136 Abs2 B-VG als auch §7 Abs4 VwGVG – traten mit 1. Jänner 2014 in Kraft.
§88 Abs4 SPG, der vormals für Verhaltensbeschwerden über den Verweis auf §67c AVG eine sechswöchige Frist vorsah, wurde mit dem Verwaltungsgerichtsbarkeits-Anpassungsgesetz-Inneres – VwGAnpG-Inneres, BGBl I 161/2013, geändert. Dieses Gesetz verfolgte das Ziel, Bundesgesetze, deren Regelungsinhalte gemäß dem Bundesministeriengesetz 1986 – BMG, BGBl 76, dem Wirkungsbereich des Bundesministeriums für Inneres zur Besorgung zugewiesen sind, an die Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 anzupassen (Erläut zur RV, 2211 BlgNR, 24. GP, 1). So war etwa eine Anpassung all jener Regelungen vorgesehen, die Verweise auf Verfahrensgesetze, wie das AVG, enthielten (s Erläut zur RV, 2211 BlgNR, 24. GP, 6). Während in der Regierungsvorlage in §88 SPG noch der Entfall des Abs4 SPG vorgesehen war (Gesetzestext zur RV, 2211 BlgNR, 24. GP, 9), wurde im Ausschuss für innere Angelegenheiten Abs4 in der geltenden Fassung neu gefasst und für beide Beschwerden – sowohl für die Maßnahmenbeschwerde als auch für die Verhaltensbeschwerde – eine Frist von sechs Wochen vorgesehen (Gesetzestext zum AB, 2547 BlgNR, 24. GP, 9). Es sollte festgelegt werden, dass die Beschwerdefrist sowohl für Beschwerden nach Abs1 (Maßnahmenbeschwerden) als auch für Beschwerden nach Abs2 (Verhaltensbeschwerden) sechs Wochen beträgt (AB, 2547 BlgNR, 24. GP, 3). Gegen sicherheitsbehördliche Bescheide findet – mangels Sonderregelung – die allgemeine Beschwerdefrist von vier Wochen gemäß §7 Abs4 VwGVG Anwendung.
Mit dieser Regelung sah der Materiengesetzgeber in Abweichung von den Beschwerdefristen in §7 Abs4 VwGVG nicht die einheitliche Vier-Wochen-Frist, sondern – aus Sicht des VwGVG – die längere "Ausnahmefrist" für Maßnahmenbeschwerden von sechs Wochen auch für die Verhaltensbeschwerde nach §88 Abs4 SPG vor. Der Gesetzgeber sah sohin keine Notwendigkeit, die Beschwerdefrist der allgemeinen Frist für Verhaltensbeschwerden in §7 Abs4 VwGVG anzupassen; er gibt vielmehr zu erkennen, dass er die um zwei Wochen "verlängerte", daher sechswöchige, Beschwerdefrist auch für Verhaltensbeschwerden in der Sicherheitsverwaltung mit der – ebenfalls am 1. Jänner 2014 – in Kraft getretenen Anpassung des §88 Abs4 SPG bewusst beschloss.
2.3.2. Die von §7 Abs4 VwGVG abweichende Frist in §88 Abs4 SPG erfüllt das Kriterium der Erforderlichkeit im Sinne des Art136 Abs2 B-VG:
2.3.2.1. Das Verwaltungsgericht Wien geht zunächst unter Hinweis auf Art136 Abs2 dritter Satz 2. Alt. B-VG ("soweit das im ersten Satz genannte besondere Bundesgesetz dazu ermächtigt") zutreffend davon aus, dass §7 Abs4 VwGVG keine Regelung enthält, durch Materiengesetz eine vom VwGVG abweichende Beschwerdefrist für Verhaltensbeschwerden zu treffen, die sie nur subsidiär gelten ließe. Daher ist die ei