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10/07 Verfassungs- und VerwaltungsgerichtsbarkeitNorm
B-VGLeitsatz
Auswertung in ArbeitSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
I. Antrag
Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 lita B-VG gestützten Antrag begehrt das Oberlandesgericht Wien, "in §31 Abs4 KBGG idF BGBl I Nr 53/2016 den Satz 'Abweichend von §89 Abs4 letzter Satz ASGG obliegt den Gerichten in Angelegenheiten der Leistungen nach diesem Bundesgesetz nicht das Recht, Ratenzahlungen anzuordnen, sondern ist dies ausschließlich dem Krankenversicherungsträger im nachgeschalteten Verwaltungsverfahren vorbehalten.' als verfassungswidrig aufzuheben."
II. Rechtslage
1. §31 des Kinderbetreuungsgeldgesetzes (KBGG), BGBl I 103/2001, idF BGBl I 53/2016 lautete auszugsweise wie folgt (die angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):
"Rückforderung
§31. (1) Bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung einer Leistung ist der Leistungsbezieher zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unrichtige Angaben oder durch Verschweigung von Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte.
(2) Die Verpflichtung zum Ersatz der empfangenen Leistung besteht auch dann, wenn hervorkommt, dass eine oder mehrere Anspruchsvoraussetzungen bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht vorgelegen oder nachträglich weggefallen sind, oder die Auszahlung von Leistungen irrtümlich erfolgte, oder die zur Ermittlung des Gesamtbetrages der maßgeblichen Einkünfte (§§8, 8b) erforderliche Mitwirkung trotz Aufforderung innerhalb angemessener Frist verweigert wird. Der Empfänger einer Leistung nach diesem Bundesgesetz ist auch dann zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn sich ohne dessen Verschulden auf Grund des von der Abgabenbehörde an die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse übermittelten Gesamtbetrages der maßgeblichen Einkünfte ergibt, dass die Leistung nicht oder nicht in diesem Umfang gebührt hat.
[…]
(4) Rückforderungen, die gemäß den Abs1 bis 3 vorgeschrieben wurden, können auf die zu erbringenden Leistungen bis zur Hälfte derselben aufgerechnet werden; sie vermindern den Leistungsanspruch entsprechend. Zum Zwecke der Forderungssicherung kann eine vorläufige Aufrechnung bis zur Hälfte der zu erbringenden Leistungen erfolgen. Der Krankenversicherungsträger kann unter Berücksichtigung der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Empfängers
1. die Erstattung des zu Unrecht gezahlten Betrages in Teilbeträgen (Ratenzahlungen) zulassen,
2. die rechtskräftige Rückforderung stunden,
3. auf die rechtskräftige Rückforderung ganz oder teilweise verzichten.
Dabei sind die §§72 bis 74 des Bundeshaushaltsgesetzes 2013 (BHG 2013), BGBl I Nr 139/2009, anzuwenden, sofern in diesem Bundesgesetz keine abweichenden Regelungen vorgesehen sind. Abweichend von §89 Abs4 letzter Satz ASGG obliegt den Gerichten in Angelegenheiten der Leistungen nach diesem Bundesgesetz nicht das Recht, Ratenzahlungen anzuordnen, sondern ist dies ausschließlich dem Krankenversicherungsträger im nachgeschalteten Verwaltungsverfahren vorbehalten.
(5) Ratenzahlungen sind zu gewähren, wenn auf Grund der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners die Hereinbringung der rechtskräftigen Forderung in einem Betrag nicht möglich ist. Die Höhe der Raten ist unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners festzusetzen.
(6) Werden Ratenzahlungen bewilligt oder Rückforderungen gestundet, so dürfen keine Zinsen ausbedungen werden.
(7) Die Ausstellung von Bescheiden über Rückforderungen von Leistungen nach diesem Bundesgesetz ist nur binnen 7 Jahren, gerechnet ab Ablauf des Kalenderjahres, in welchem diese Leistungen zu Unrecht bezogen wurden, zulässig. Ein Bescheid über eine Rückforderung tritt nach Ablauf von 3 Jahren ab dem Eintritt der Rechtskraft außer Kraft, wenn er bis zu diesem Zeitpunkt nicht vollzogen wurde; §68 Abs2 ASVG zweiter und dritter Satz gelten sinngemäß. Das Recht auf Berichtigung (§30) der vorläufigen Auszahlung gemäß §33 Abs5 mangels Vorliegen eines erlassenen Einkommensteuerbescheides für das betreffende Kalenderjahr sowie das Recht auf Berichtigung aufgrund Abänderungen und Aufhebungen des Einkommensteuerbescheides nach §24a Abs2 verjähren nach Ablauf von 3 Jahren ab Bezugsbeginn."
2. §31 Abs4 und §50 Abs28 KBGG, BGBl I 103/2001, idF BGBl I 61/2022 – kundgemacht am 14. April 2022 – lauten wie folgt:
"Rückforderung
§31. […]
(4) Rückforderungen, die gemäß den Abs1 bis 3 vorgeschrieben wurden, können auf die zu erbringenden Leistungen bis zur Hälfte derselben aufgerechnet werden; sie vermindern den Leistungsanspruch entsprechend. Zum Zwecke der Forderungssicherung kann eine vorläufige Aufrechnung bis zur Hälfte der zu erbringenden Leistungen erfolgen. Der Krankenversicherungsträger kann unter Berücksichtigung der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Empfängers
1. die Erstattung des zu Unrecht gezahlten Betrages in Teilbeträgen (Ratenzahlungen) zulassen,
2. die rechtskräftige Rückforderung stunden,
3. auf die rechtskräftige Rückforderung ganz oder teilweise verzichten.
Dabei sind die §§72 bis 74 des Bundeshaushaltsgesetzes 2013 (BHG 2013), BGBl I Nr 139/2009, anzuwenden, sofern in diesem Bundesgesetz keine abweichenden Regelungen vorgesehen sind. Abweichend von §89 Abs4 ASGG obliegt den Gerichten in Angelegenheiten der Leistungen nach diesem Bundesgesetz nicht das Recht, die Erstattung des zu Unrecht gezahlten Betrages in Teilbeträgen anzuordnen und auch nicht das Recht, die Rückersatzpflicht zum Teil oder zur Gänze entfallen zu lassen, sondern ist dies ausschließlich dem Krankenversicherungsträger im nachgeschalteten Verwaltungsverfahren vorbehalten.
[…]
§50. […]
(28) §31 Abs4 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 61/2022 tritt mit 1. Mai 2022 in Kraft."
3. §89 des Bundesgesetzes vom 7. März 1985 über die Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit (Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz – ASGG), BGBl 104, idF BGBl I 21/2021 lautete wie folgt:
"Urteile
§89. (1) Urteile in Rechtsstreitigkeiten nach §65 Abs1 Z1 und 6 bis 8 können auch Leistungen auferlegen, die erst nach Erlassung des Urteils fällig werden.
(2) Ergibt sich in einer Rechtsstreitigkeit nach §65 Abs1 Z1, 6 oder 8, in der das Klagebegehren auf eine Geldleistung gerichtet und dem Grunde und der Höhe nach bestritten ist, daß das Klagebegehren in einer zahlenmäßig noch nicht bestimmten Höhe gerechtfertigt ist, so kann das Gericht die Rechtsstreitigkeit dadurch erledigen, daß es das Klagebegehren als dem Grunde nach zu Recht bestehend erkennt und dem Versicherungsträger aufträgt, dem Kläger bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Zahlung zu erbringen; deren Ausmaß hat das Gericht unter sinngemäßer Anwendung des §273 Abs1 ZPO festzusetzen; bei Fehlen eines solchen Auftrags ist insoweit das Urteil jederzeit auf Antrag oder von Amts wegen zu ergänzen. Wird danach die dem Kläger zustehende Leistung rechtskräftig in einer geringeren Höhe festgesetzt, als die vorläufig festgesetzte, so gilt für seine Pflicht zur Rückzahlung des Mehrbetrages der §91 Abs2 bis 5 sinngemäß.
(3) Wird in einer Rechtsstreitigkeit nach §65 Abs1 Z1 der Klage stattgegeben, so hat das Gericht für die vom Beklagten zu erbringenden Leistungen aus der Krankenversicherung eine kürzere als die im §409 ZPO angeordnete Leistungsfrist nach Billigkeit zu bestimmen.
(4) Wird in einer Rechtsstreitigkeit über die Kostenersatzpflicht des Versicherten nach §65 Abs1 Z5 die Klage abgewiesen, weil eine Kostenersatzpflicht des Klägers besteht, so ist ihm unter einem der Kostenersatz an den Beklagten aufzuerlegen. Hiebei ist die Leistungsfrist unter Berücksichtigung der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers nach Billigkeit zu bestimmen; insoweit kann das Gericht die Zahlung auch in Raten anordnen."
III. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
1.1. Die Klägerin beantragte zunächst pauschales Kinderbetreuungsgeld für eine Anspruchsdauer von 730 Tagen. Später stellte sie gemäß §5a Abs1 KBGG einen Antrag auf Änderung der Anspruchsdauer auf 390 Tage. Auf Grund dieses Antrages wurde der Klägerin ein dementsprechend höheres Kinderbetreuungsgeld ausgezahlt. Mittels Bescheid wies die Österreichische Gesundheitskasse sodann den Antrag der Klägerin auf Änderung der Variante des Kinderbetreuungsgeld-Kontos von 730 auf 390 Tage ab und forderte die – ihrer Ansicht nach – zu Unrecht ausbezahlten Beträge an Kinderbetreuungsgeld von der leistungsempfangenden Klägerin zurück. Die Rückforderung gründet sich auf §31 KBGG.
1.2. Die Klägerin bekämpfte diesen Bescheid mit Klage. Das Erstgericht stellte unter anderem fest, dass der Rückforderungsanspruch der Beklagten (= Österreichische Gesundheitskasse) nicht zu Recht bestehe. Gegen diese Entscheidung erhob die Beklagte Berufung an das Oberlandesgericht Wien, das aus Anlass dieser Berufung den vorliegenden Gesetzesprüfungsantrag stellt.
2. Das Oberlandesgericht Wien legt die Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, wie folgt dar (ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen):
"[…] Zur Präjudizialität der angefochtenen Gesetzesbestimmung:
[…] ASGG:
Gemäß §65 Abs1 Z2 ASGG sind Rechtsstreitigkeiten über die Pflicht zum Rückersatz einer zu Unrecht empfangenen Versicherungsleistung oder eines zu Unrecht empfangenen Pflegegeldes (§354 Z2 ASVG, §194 GSVG, §182 BSVG, §65 NVG 1972, §129 B-KUVG, §84 StVG bzw §11 Abs3 zweiter Halbsatz und Abs4 BPGG sowie Z6 bis 8 und §§89 und 91) Sozialrechtssachen. Gemäß §65 Abs1 Z8 ASGG sind unter anderem auch Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche auf Kinderbetreuungsgeld und auf Zuschuss zum Kinderbetreuungsgeld nach dem KBGG Sozialrechtssachen. Aus dem Klammerzitat 'Z6 bis 8' in §65 Abs1 Z2 ASGG folgt, dass unter anderem auch strittige Rückersatzpflichten hinsichtlich Leistungen nach dem KBGG Sozialrechtssachen sind (10 ObS 43/09k; RIS-Justiz RS0124711; Neumayr in ZellKomm3 §65 ASGG Rz 25).
In einer solchen Rechtsstreitigkeit darf vom Versicherten nur Klage erhoben werden, wenn der Versicherungsträger hierüber bereits mit Bescheid entschieden hat (§69 ASGG). Bei rechtzeitiger Klageerhebung tritt der Bescheid des Versicherungsträgers im Umfang des Klagebegehrens außer Kraft (§71 Abs1 ASGG). Das Klagebegehren lautet dabei auf Feststellung, dass die vom beklagten Versicherungsträger bescheidmäßig festgelegte Rückersatzpflicht nicht zu Recht besteht. Wird diese negative Feststellungsklage mit der Begründung abgewiesen, dass die Pflicht doch besteht, ist dem Kläger der Rückersatz im Urteil aufzuerlegen. Wird dies vom Gericht unterlassen, kann der Ausspruch nur aufgrund einer entsprechenden Rüge im Rechtsmittel nachgetragen werden (RIS-Justiz RS0109892, RS0128675; Neumayr aaO §65 ASGG Rz 15 und §89 ASGG Rz 21 mwN).
Dabei ist die Bestimmung des §89 Abs4 ASGG anzuwenden, die in der bis 31.12.2021 geltenden Fassung BGBl 1994/624 wie folgt lautet […]:
'Wird in einer Rechtsstreitigkeit nach §65 Abs1 Z2 oder über die Kostenersatzpflicht des Versicherten nach §65 Abs1 Z5 die Klage abgewiesen, weil eine Rückersatz- oder Kostenersatzpflicht des Klägers besteht, so ist ihm unter einem der Rück(Kosten)ersatz an den Beklagten aufzuerlegen. Hiebei ist die Leistungsfrist unter Berücksichtigung der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers nach Billigkeit zu bestimmen; insoweit kann das Gericht die Zahlung auch in Raten anordnen.'
Bei Auferlegung des Rückersatzes sind sowohl Leistungsfrist als auch Ratenzahlung von Amts wegen zu prüfen, und zwar unabhängig davon, ob der bekämpfte Bescheid über die Einräumung derartiger Erleichterungen abgesprochen hat (RIS-Justiz RS0124711). Auch das Vorliegen der Billigkeitsvoraussetzungen ist von Amts wegen zu prüfen, da von der klagenden Partei, die die Pflicht zum Rückersatz überhaupt bestreitet, nicht verlangt werden kann, ein Eventualvorbringen dahin zu erstatten, dass ihre Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse eine Ratenzahlung erfordern (10 ObS 43/09k). Nach ständiger Rechtsprechung ermöglicht jedoch §89 Abs4 ASGG idF BGBl 1994/624 den Arbeits- und Sozialgerichten keine gänzliche oder teilweise Nachsicht der Rückzahlungspflicht (RIS-Justiz RS0085706). Insoweit bleibt die Bestimmung hinter der Regelung des §107 Abs3 ASVG, wonach der Versicherungsträger bei Vorliegen berücksichtigungswürdiger Umstände, insbesondere in Berücksichtigung der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Empfängers nicht nur die Erstattung des zu Unrecht gezahlten Betrages in Teilbeträgen zulassen, sondern auch auf die Rückforderung verzichten kann, zurück.
Diese Diskrepanz wurde vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig erachtet, da die verfassungsgemäße Ausgestaltung der sukzessiven Kompetenz der ordentlichen Gerichte in Rückforderungsangelegenheiten voraussetzt, dass diesen im Rahmen ihrer Entscheidung über Rückforderungsansprüche auch die Kognition über den gänzlichen oder teilweisen Verzicht nach §76 Abs3 Z1 GSVG (entspricht §107 Abs3 Z1 ASVG) offensteht (VfGH 11.12.2020, G264/2019; BGBl I 2021/21). Durch die ersatzlose Streichung [bestimmter] Wortfolgen in §89 Abs4 ASGG wird mit Ablauf des 31.12.2021 ein verfassungskonformer Rechtszustand hergestellt, demgemäß die Arbeits- und Sozialgerichte die Rückersatzpflicht in einer dem Vorgehen des Sozialversicherungsträgers entsprechenden Weise mindern können (VfGH 11.12.2020, G264/2019 Punkt 2.2. und 2.3.).
[…] KBGG:
Die Bestimmung über die Rückforderung in §31 KBGG ist eine gegenüber der Rückforderungsregelung des §107 ASVG vorgehende spezielle Norm (RIS-Justiz RS0125687). […]
Die Bestimmung des §31 Abs4 letzter Satz KBGG wurde mit der Novelle BGBl I 2007/76 insofern geändert, als an die Stelle der Verordnungsermächtigung der Verweis auf die §§60 bis 62 des Bundeshaushaltsgesetzes (BHG) trat. Nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage dieser Novelle wurde durch die neue Einschleifregelung bei Überschreitung der Zuverdienstgrenze der erste Teil der KBGG-Härtefälle-Verordnung obsolet; der verbleibende Inhalt der Verordnung wurde daher direkt in das Gesetz übernommen; damit besteht für den Krankenversicherungsträger weiterhin die Möglichkeit, in Härtefällen Zahlungserleichterungen unter Anwendung der Schadensrichtlinien des Bundes zu gewähren, sobald die der Rückforderung zugrundeliegende Entscheidung in Rechtskraft erwachsen ist (229 BlgNR 23.GP 7). Die Sozialgerichte hatten weiterhin gemäß §89 Abs4 ASGG bei Festlegung einer Zahlungsverpflichtung von Amts wegen eine Ratengewährung oder längere Leistungsfrist (Stundung) zu prüfen.
Mit der Novelle BGBl I 2009/116 wurde in §31 Abs4 und 5 KBGG klargestellt, dass die Anwendung der Schadensrichtlinien des Bundes die Rechtskraft der Rückforderung voraussetzt (ErläutRV 340 BlgNR 24.GP 20). In der Rechtsprechung wurde auch nach dieser Novellierung an der Rechtsansicht festgehalten, dass die Befugnis des Gerichts zur Bestimmung der Leistungsfrist und einer möglichen Anordnung einer Ratenzahlung gemäß §89 Abs4 ASGG unabhängig davon besteht, ob der bekämpfte Bescheid über die Einräumung derartiger Erleichterungen abgesprochen hat (RIS-Justiz RS0124711; 10 ObS 133/18h).
Mit der Novelle BGBl I 2016/53 wurde unter anderem der nun angefochtene Satz in §31 Abs4 KBGG aufgenommen […].
Nach dieser Novellierung erkannte der Oberste Gerichtshof, dass die Sozialgerichte bei Anordnung einer Zahlungsverpflichtung nur mehr die Festsetzung der Leistungsfrist (nicht mehr auch eine Ratengewährung) nach Billigkeit gemäß §89 Abs4 ASGG von Amts wegen zu prüfen haben, dies aber weiterhin unabhängig davon, ob der bekämpfte Bescheid über die Einräumung einer derartigen Erleichterung abgesprochen hat (10 ObS 133/18h).
[…] Ergebnis:
Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass die Sozialgerichte in einer Rückersatzstreitigkeit nach dem KBGG im Falle der urteilsmäßigen Verpflichtung der klagenden Partei zur Zahlung des Rückersatzbetrages gemäß §89 Abs4 ASGG (in der bis zum 31.12.2021 geltenden Fassung) die Leistungsfrist nach Billigkeit zu bestimmen haben; dies von Amts wegen und auch wenn der Krankenversicherungsträger in seinem Bescheid nicht über die Einräumung einer Zahlungserleichterung abgesprochen hat. Dabei können sie aber weder eine Ratenzahlung anordnen, noch einen (teilweisen) Erlass aussprechen.
Aus dieser auch für den vorliegenden Fall anzuwendenden Rechtslage folgt die Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung: Im Falle einer urteilsmäßigen Zahlungsverpflichtung müsste das antragstellende Gericht eine Zahlungserleichterung nach Billigkeit gemäß §89 Abs4 ASGG prüfen und gegebenenfalls anordnen, dürfte dabei jedoch gemäß §31 Abs4 KBGG keine Ratenzahlungen anordnen.
[…] Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken:
[…] Rechtsstaatsgebot
In dem bereits oben erwähnten Erkenntnis vom 11.12.2020, G264/2019, hat der Verfassungsgerichtshof die Regelung des §89 Abs4 ASGG, soweit sie den Arbeits-und Sozialgerichten die Möglichkeit nimmt, die Rückersatzpflicht bei Vorliegen der Voraussetzungen des §76 Abs3 Z1 GSVG (entsprechend §107 Abs3 Z1 ASVG) in einer dem Vorgehen des Sozialversicherungsträgers entsprechenden Weise mindern zu können, als verfassungswidrig beurteilt, da die Regelung den vor den Arbeits- und Sozialgerichten Rechtsschutzsuchenden in rechtsstaatswidriger Weise einseitig mit dem Rechtsschutzrisiko belastet (G 264/2019 Punkt 2.2.4.). Im Ergebnis hat der Verfassungsgerichtshof somit die Regelung, wonach das Arbeits- und Sozialgericht 'bloß' eine Ratenzahlungspflicht oder eine längere Leistungsfrist anordnen kann, nicht jedoch wie der Sozialversicherungsträger auch einen (teilweisen) Entfall der Rückersatzpflicht, als verfassungswidrig beurteilt.
Diese Bedenken treffen umso stärker auf die Regelung der Rückforderung in §31 Abs4 KBGG zu, die – über die Rechtslage bei einer Rückforderung nach §107 ASVG hinausgehend – auch noch die Möglichkeit einer Ratenzahlungsanordnung durch das Arbeits- und Sozialgericht ausschließt.
[…] Gleichheitsgrundsatz
Sollte die angefochtene Bestimmung dahin auszulegen sein, dass der Gesetzgeber die Anordnungsbefugnis für eine Rateneinräumung hinsichtlich einer berechtigten Rückforderung nach dem KBGG – anders als im Bereich des ASVG – dem Rechtsstaatsprinzip entsprechend ausschließlich als Verwaltungssache der Kompetenz des Sozialversicherungsträgers zugeordnet hat, so bestehen gegen diese Regelung Bedenken unter dem Aspekt des aus dem Gleichheitssatz (Art7 B-VG; Art2 StGG) abgeleiteten Sachlichkeitsgebots, das es dem Gesetzgeber verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen.
Insbesondere verpflichtet der Gleichheitsgrundsatz den Gesetzgeber, an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen zu knüpfen und wesentliche Unterschiede im Tatsachenbereich durch entsprechende rechtliche Regelungen zu berücksichtigen (VfSlg 11.369; 17.931; 17.315).
Im Schrifttum wurden gegen die angefochtene Bestimmung mehrfach verfassungsrechtliche Bedenken formuliert:
Sonntag (Unions-, verfassungs- und verfahrensrechtliche Probleme der KBGG-Novelle 2016 und des Familienzeitbonusgesetzes, ASoK 1/2017) führt aus, das Kinderbetreuungsgeld und der Familienzeitbonus seien die einzigen Leistungen, bei denen dem Sozialgericht keine Befugnis zu Ratenanordnungen zukomme. Die Regelung hätte systematisch ins ASGG gehört. Behänge der Rückforderungsstreit ohnedies beim Sozialgericht, so wäre es ökonomischer, dieses auch gleich über die Ratengewährung entscheiden zu lassen und nicht die Betroffenen auf ein weiteres (Verwaltungs-)Verfahren zu verweisen. Die Beschneidung des gerichtlichen Rechtsschutzes in Fragen der Ratengewährung nur beim Kinderbetreuungsgeld und Familienzeitbonus sei auch unter dem Aspekt des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes bedenklich, weil das Rechtfertigungselement nicht erkennbar sei, gerade diese Leistungen aus dem wohldurchdachten und bewährten Rechtsschutzsystem des ASGG partiell herauszulösen, das sich etwa bei häufig vorkommenden Rückforderungen von Ausgleichszulagen und Hinterbliebenenpensionen ausgezeichnet bewährt habe. Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten sei die erkennbare Tendenz der Novelle 2016, angesichts nicht genehmer gerichtlicher Entscheidungen ein Sonderverfahrensrecht für zwei sozialrechtliche Familienleistungen zu schaffen, höchst problematisch (so auch in Sonntag/Schober/Konecny, KBGG2 §31 Rz 32a).
Klicka äußert in seiner Besprechung der Entscheidung 10 ObS 133/18h (Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld: Gerichtliche Stundung zulässig, EvBl 2019/148) Bedenken 'zu dieser punktuellen und letztlich willkürlichen Ausnahmevorschrift in Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz im Vergleich zu anderen Sozialrechtsangelegenheiten'.
Auch Burger-Ehrnhofer (Kinderbetreuungsgeldgesetz und Familienzeitbonusgesetz, §31 KBGG Rz 39) kritisiert die 'rechtsstaatlich nicht nachvollziehbare gesetzliche Festschreibung, dass von Gerichten in diesen Belangen keine Ratenzahlungen angeordnet werden dürfen'.
Diese Bedenken hinsichtlich einer unterschiedlichen Rechtslage bei vergleichbaren Sachverhalten werden bei einem Weiterbestehen der angefochtenen Vorschrift nach dem 31.12.2021 noch verstärkt: Wie bereits oben aufgezeigt, hätten die Sozialgerichte in jeder anderen Rückersatzstreitigkeit bei Auferlegung einer Zahlungsverpflichtung nicht nur eine Stundung oder eine Ratenverpflichtung, sondern sogar einen (teilweisen) Entfall der Verpflichtung nach Billigkeit entsprechend dem für den Sozialversicherungsträger geltenden Ermessen zu prüfen, wohingegen in einer Rückersatzstreitigkeit nach dem KBGG jedenfalls die gesamte Zahlung aufzutragen wäre und lediglich eine längere Leistungsfrist (Stundung) festgesetzt werden könnte."
3. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie den im Antrag erhobenen Bedenken wie folgt entgegentritt (ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen):
"[…] Zum Anlassverfahren und zur Zulässigkeit:
[…]
Das antragstellende Gericht führt als Begründung aus, dass berufungsgegenständlich die Frage der anzuwendenden Kinderbetreuungsgeldvariante (730 Tage mit 14,53 Euro täglich oder 390 Tage mit 31,71 Euro täglich) 'sowie der aus dieser Differenz resultierende Rückforderungsanspruch' sei. Das antragstellende Gericht habe gegen die für die Beurteilung dieser Rechtsfragen 'maßgebende Gesetzeslage' verfassungsrechtliche Bedenken. Die aufzuhebende Bestimmung steht jedoch in keinem Zusammenhang mit der Klärung der vom antragstellenden Gericht zu entscheidenden Rechtsfrage, welche Kinderbetreuungsgeld-Variante im Anlassfall zur Anwendung kommt, und mit der Entscheidung, ob das Gericht das erstinstanzliche Urteil aufhebt und eine Rückforderung anordnet.
Darüber hinaus liegt auch deshalb keine Präjudizialität vor, weil die Anwendbarkeit des §31 Abs4 letzter Satz KBGG – wie der Verfassungsgerichtshof jüngst im Erkenntnis G108/2021 ua vom 28. September 2021 ausgesprochen hat – einen 'rechtskräftigen Abspruch über das Bestehen eines Rückforderungsanspruches' voraussetzt, der hier fehlt. Das Erstgericht hat vielmehr ausgesprochen, es liege keine Rückforderungspflicht der Klägerin vor, das Oberlandesgericht hat noch keine Entscheidung dazu getroffen.
Die angefochtene Bestimmung ist dementsprechend im Anlassverfahren nicht präjudiziell (§62 Abs2 VfGG).
[…] Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes soll ein Gesetzesprüfungsverfahren dazu dienen, die behauptete Verfassungswidrigkeit – wenn sie tatsächlich vorläge – zu beseitigen. Unzulässig ist ein Antrag daher dann, wenn die Aufhebung einer Bestimmung beantragt wird, welche die angenommene Verfassungswidrigkeit gar nicht beseitigen würde (VfSlg 16.191/2001, 18.397/2008, 18.891/2009, 19.178/2010, 19.674/2012; VfGH 26.11.2015, G179/2015; 14.12.2016, G573/2015 ua; jeweils mwN).
Ein solcher Fall liegt hier vor: Eine Aufhebung von §31 Abs4 letzter Satz KBGG führt nicht zu dem vom antragstellenden Gericht angestrebten Ergebnis, nämlich dem, dass das Gericht bei nicht rechtskräftigen Forderungen Ratenzahlungen festlegen darf. Stellt doch §31 Abs4 KBGG zum einen auf das BHG ab und bestimmt das BHG, dass eine Forderung dann vorliegt, wenn sie rechtskräftig ist. Zum anderen setzt der Wortlaut des §31 Abs5 KBGG ausdrücklich die Rechtskraft der Forderung voraus. Dementsprechend ist die Anordnung von Ratenzahlungen erst zulässig, wenn eine rechtskräftige Forderung vorliegt. Ratenanordnungen vor Rechtskraft der Forderung sind unzulässig. Das Oberlandesgericht oder die Arbeits- und Sozialgerichte haben keine Möglichkeit, im nachgeschalteten Verwaltungsverfahren tätig zu werden, damit wären gerichtliche Ratenanordnungen auch im Falle einer Aufhebung der angefochtenen Bestimmung ausgeschlossen.
Das Ziel des Aufhebungsbegehrens würde somit durch Aufhebung der angefochtenen Bestimmungen nicht erreicht, weshalb der Antrag bereits aus diesem Grund unzulässig ist (vgl VfSlg 18.397/2008, 19.178/2010).
[…] Der Verfassungsgerichtshof hat über bestimmt umschriebene Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes nur ein einziges Mal zu entscheiden (vgl VfSlg 5872/1968; 10.311/1984; 15.293/1998; 20.011/2015; 25.11.2016, G380/2016 ua jeweils mwN). Entschiedene Sache liegt im Verhältnis zwischen einem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes und einem weiteren Gesetzesprüfungsantrag dann vor, wenn zum einen zwischen der seinerzeit geprüften und der nunmehr zur Prüfung gestellten Norm Identität besteht und zum anderen über das im neuen Antrag vorgetragene Bedenken vom Verfassungsgerichtshof bereits im Vorerkenntnis abgesprochen wurde (vgl VfSlg 11.646/1988; 20.011/2015).
Im bereits erwähnten Erkenntnis G108/2021 ua vom 28. September 2021 hat der Verfassungsgerichtshof bereits über jene Bedenken gegen die angefochtene Bestimmung abgesprochen, die das Oberlandesgericht sub titulo '2.1. Rechtsstaatsgebot' formuliert. In diesem Umfang ist der vorliegende Antrag wegen entschiedener Sache als unzulässig zurückzuweisen (grundlegend VfSlg 5872/1968).
[…] Aus diesen Gründen ist die Bundesregierung der Auffassung, dass der Antrag zur Gänze unzulässig ist.
Für den Fall, dass der Verfassungsgerichtshof den Antrag dennoch als zulässig erachten sollte, nimmt die Bundesregierung im Folgenden in der Sache Stellung:
[…] In der Sache:
[…]
[…] Zu den Bedenken im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip:
Die Bedenken im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip hat der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis G108/2021 ua vom 28. September 2021 verworfen, weshalb die Bundesregierung von einer weiteren Stellungnahme in diesem Punkt absieht.
[…] Zu den Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz:
Bei der Entscheidung, welche Ziele die Gesetzgebung mit ihren Regelungen verfolgt, ist ihr innerhalb der verfassungsrechtlichen Schranken ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum eingeräumt (VfSlg 11.483/1987, 12.481/1990). Dem Verfassungsgerichtshof kommt daher grundsätzlich nicht die Beurteilung zu, ob die Verfolgung eines bestimmten Zieles zweckmäßig ist. Er kann der Gesetzgebung nur entgegentreten, wenn diese Ziele verfolgt, die keinesfalls als im öffentlichen Interesse liegend anzusehen sind (VfSlg 9911/1983, 11.483/1987, 11.652/1988, 12.082/1989).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist der Gesetzgebung im Bereich der Familienpolitik im Allgemeinen sowie im Beihilfenrecht im Besonderen generell ein weiter rechtspolitischer Spielraum zuzubilligen (vgl VfSlg 19.411/2011). Die Gesetzgebung ist bei Verfolgung familienpolitischer Ziele grundsätzlich frei (VfSlg 8541/1979). Sie ist insbesondere nicht gehalten, Beihilfen in unbeschränkter Weise zu gewähren (VfSlg 5972/1969; VfSlg 14.694/1996). Der der Gesetzgebung grundsätzlich zustehende Gestaltungsspielraum wird durch das Gleichheitsgebot nur insofern beschränkt, als es ihr verwehrt ist, Regelungen zu treffen, für die eine sachliche Rechtfertigung nicht besteht (VfSlg 8073/1977).
Das antragstellende Gericht sieht somit offenbar eine Ungleichbehandlung zwischen dem besonderen Rechtsschutzsystem nach dem KBGG hinsichtlich Zahlungserleichterungen und dem Rechtsschutzsystem des Arbeits- und Sozialgerichtsgesetzes – ASGG, BGBl Nr 104/1985. Der Verfassungsgerichtshof sieht es in ständiger Rechtsprechung als sachlich gerechtfertigt an, in unterschiedlichen Verfahrensbereichen unterschiedliche Ordnungssysteme vorzusehen, die deren jeweiligen Erfordernissen und Besonderheiten Rechnung tragen, sofern nur die betreffenden Verfahrensgesetze in sich gleichheitskonform gestaltet sind (vgl VfSlg 10.770/1986, 13.420/1993, 15.493/1999, 19.202/2010, 19.762/2013). Vor diesem Hintergrund lassen sich die Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitssatz nicht aufrechterhalten. Der Gesetzgebung ist es nicht verwehrt, Entscheidungen über Zahlungserleichterungen bezüglich rechtskräftiger Forderungen des Bundes einem anderen Rechtsschutzregime zu unterwerfen als Entscheidungen, die Versicherungsleistungen betreffen, die Versicherten gegenüber einem Versicherungsträger zustehen. Das gilt ungeachtet des Umstandes, dass beide Entscheidungen vom zuständigen Versicherungsträger getroffen werden, lässt sich doch der angeschlossene, divergierende Rechtsschutzweg auch dadurch rechtfertigen, dass Leistungen nach dem KBGG – anders als die genannten Versicherungsleistungen – im übertragenen Wirkungsbereich nach den Weisungen des Bundeskanzlers zu vergeben oder zurückzufordern sind (§25 Abs2 KBGG). Wenn zudem die Gesetzgebung die besondere Situation einer Personengruppe, der Eltern von Kleinkindern, die sich häufig in einer veränderlichen Lebens-, Einkommens- und Vermögenssituation befinden, würdigt, indem ein erhöhter Rechtsschutzstandard festgelegt wird (näher dazu auch ErläutRV 1291 BlgNR 27. GP 37), kann daran nach Ansicht der Bundesregierung vor dem Hintergrund des Art7 B-VG nicht Anstoß genommen werden."
IV. Zur Zulässigkeit
1. Ein von Amts wegen oder auf Antrag eines Gerichtes eingeleitetes Gesetzesprüfungsverfahren dient der Herstellung einer verfassungsrechtlich einwandfreien Rechtsgrundlage für das Anlassverfahren (vgl VfSlg 11.506/1987, 13.701/1994).
2. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B-VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B-VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).
3. Während des Gesetzesprüfungsverfahrens wurde durch die Zivilverfahrens-Novelle 2022, BGBl I 61/2022, unter anderem der vom antragstellenden Gericht als verfassungswidrig erachtete letzte Satz in §31 Abs4 KBGG zur Gänze neu erlassen. Gemäß §50 Abs28 KBGG (s II.2.) ist diese Änderung mit 1. Mai 2022 in Kraft getreten.
4. Das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht hat auf eine Änderung der Rechtslage Bedacht zu nehmen, sofern die neuen Bestimmungen nach ihrem Inhalt auf das umstrittene Rechtsverhältnis anzuwenden sind (OGH 14.9.2004, 10 ObS 281/03a; vgl auch Kodek, §482, in: Rechberger/Klicka [Hrsg.], ZPO5, 2019, Rz 13). Diese Gesetzesänderung bewirkt, dass das antragstellende Oberlandesgericht – mangels anders anordnender Übergangsvorschriften – §31 Abs4 letzter Satz KBGG idF BGBl I 53/2016, auf den sich seine Bedenken ob der Verfassungskonformität beziehen, bei seiner Entscheidung nicht mehr anzuwenden hat.
5. Es ist somit offenbar ausgeschlossen, dass die angefochtene Bestimmung als eine Voraussetzung für die Entscheidung des antragstellenden Oberlandesgerichtes nunmehr in Betracht kommen kann (vgl VfGH 8.3.2016, G480/2015, mwN).
6. Der Antrag ist daher schon mangels der auch im Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes noch erforderlichen Präjudizialität der zur Aufhebung beantragten Norm als unzulässig zurückzuweisen (vgl VfSlg 16.136/2001, 18.487/2008).
7. Bei diesem Ergebnis kann dahinstehen, ob das antragstellende Gericht vor dem Hintergrund der vorgebrachten Bedenken, die sich gegen das System der ausschließlichen Zuständigkeit des Krankenversicherungsträgers, Ratenzahlungen in einem nachgeschalteten Verwaltungsverfahren gewähren zu können, richten, den Anfechtungsumfang zutreffend gewählt hat.
V. Ergebnis
1. Der Antrag ist daher als unzulässig zurückzuweisen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:G377.2021Zuletzt aktualisiert am
11.01.2023