TE Vfgh Beschluss 2022/12/6 G240/2022

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Veröffentlicht am 06.12.2022
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Index

10/07 Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit

Norm

B-VG

Leitsatz

Auswertung in Arbeit

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 lita B-VG gestützten Antrag begehrt das Verwaltungsgericht Wien die Aufhebung von §38a Abs8 SPG und die Wortfolge "über die Verpflichtung gemäß Abs8 und die Rechtsfolgen einer Zuwiderhandlung sowie" in §38a Abs2 Z4 SPG wegen Verfassungswidrigkeit.

II. Rechtslage

1. Die relevanten Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Organisation der Sicherheitsverwaltung und die Ausübung der Sicherheitspolizei (Sicherheitspolizeigesetz – SPG), BGBl 566/1991 idF BGBl I 147/2022 (die angefochtene Bestimmung idF BGBl I 124/2021), lauten auszugsweise wie folgt (die angefochtene Bestimmung bzw Wortfolge ist jeweils hervorgehoben):

"Sicherheitspolizeiliche Beratung

§25. (1) Den Sicherheitsbehörden obliegt zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe gegen Leben, Gesundheit und Vermögen von Menschen die Förderung der Bereitschaft und Fähigkeit des Einzelnen, sich über eine Bedrohung seiner Rechtsgüter Kenntnis zu verschaffen und Angriffen entsprechend vorzubeugen. Zu diesem Zweck können die Sicherheitsbehörden Plattformen auf regionaler Ebene unter Beiziehung von Menschen, die an der Erfüllung von Aufgaben im öffentlichen Interesse mitwirken, einrichten, in deren Rahmen erforderliche Maßnahmen erarbeitet und koordiniert werden (Sicherheitsforen).

(2) Darüber hinaus obliegt es den Sicherheitsbehörden, Vorhaben, die der Vorbeugung gefährlicher Angriffe auf Leben, Gesundheit oder Vermögen von Menschen dienen, zu fördern.

(3) Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, bewährte geeignete Opferschutzeinrichtungen vertraglich damit zu beauftragen, Menschen, die von Gewalt einschließlich beharrlicher Verfolgung (§107a StGB) bedroht sind, zum Zwecke ihrer Beratung und immateriellen Unterstützung anzusprechen (Interventionsstellen). Sofern eine solche Opferschutzeinrichtung überwiegend der Beratung und Unterstützung von Frauen dient, ist der Vertrag gemeinsam mit dem Bundesminister für Gesundheit und Frauen abzuschließen, sofern eine solche Einrichtung überwiegend der Beratung und Unterstützung von Kindern dient, gemeinsam mit dem Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz.

(4) Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, bewährte geeignete Einrichtungen für opferschutzorientierte Täterarbeit vertraglich damit zu beauftragen, Gefährder gemäß §38a Abs8 zu beraten (Beratungsstellen für Gewaltprävention). Die Beratung dient der Hinwirkung auf die Abstandnahme von Gewaltanwendung im Umgang mit Menschen und soll mindestens sechs Beratungsstunden umfassen (Gewaltpräventionsberatung).

[…]

Verhältnismäßigkeit

§29. (1) Erweist sich ein Eingriff in Rechte von Menschen als erforderlich (§28a Abs3), so darf er dennoch nur geschehen, soweit er die Verhältnismäßigkeit zum Anlaß und zum angestrebten Erfolg wahrt.

(2) Insbesondere haben die Sicherheitsbehörden und die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes

1.von mehreren zielführenden Befugnissen jene auszuwählen, die voraussichtlich die Betroffenen am wenigsten beeinträchtigt;

2.darauf Bedacht zu nehmen, ob sich die Maßnahme gegen einen Unbeteiligten oder gegen denjenigen richtet, von dem die Gefahr ausgeht oder dem sie zuzurechnen ist;

3.darauf Bedacht zu nehmen, daß der angestrebte Erfolg in einem vertretbaren Verhältnis zu den voraussichtlich bewirkten Schäden und Gefährdungen steht;

4.auch während der Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt auf die Schonung der Rechte und schutzwürdigen Interessen der Betroffenen Bedacht zu nehmen;

5.die Ausübung der Befehls- und Zwangsgewalt zu beenden, sobald der angestrebte Erfolg erreicht wurde oder sich zeigt, daß er auf diesem Wege nicht erreicht werden kann.

[…]

Betretungs- und Annäherungsverbot zum Schutz vor Gewalt

§38a. (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, einem Menschen, von dem auf Grund bestimmter Tatsachen, insbesondere wegen eines vorangegangenen gefährlichen Angriffs, anzunehmen ist, dass er einen gefährlichen Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit, insbesondere in einer Wohnung, in der ein Gefährdeter wohnt, begehen werde (Gefährder), das Betreten einer Wohnung, in der ein Gefährdeter wohnt, samt einem Bereich im Umkreis von hundert Metern zu untersagen (Betretungsverbot). Mit dem Betretungsverbot verbunden ist das Verbot der Annäherung an den Gefährdeten im Umkreis von hundert Metern (Annäherungsverbot).

(2) Bei Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbots haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes

1. dem Gefährder den Verbotsbereich nach Abs1 zur Kenntnis zu bringen;

2. dem Gefährder alle in seiner Gewahrsame befindlichen Schlüssel zur Wohnung gemäß Abs1 abzunehmen und ihn zu diesem Zweck erforderlichenfalls zu durchsuchen; §40 Abs3 und 4 gilt sinngemäß;

3. dem Gefährder Gelegenheit zu geben, dringend benötigte Gegenstände des persönlichen Bedarfs mitzunehmen und sich darüber zu informieren, welche Möglichkeiten er hat, unterzukommen;

4. den Gefährder über die Verpflichtung gemäß Abs8 und die Rechtsfolgen einer Zuwiderhandlung sowie über die Möglichkeit eines Antrags gemäß Abs9 zu informieren;

5. vom Gefährder die Bekanntgabe einer Abgabestelle für Zwecke der Zustellung von Schriftstücken nach dieser Bestimmung oder der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr 79/1896, zu verlangen; unterlässt er dies, kann die Zustellung solcher Schriftstücke so lange durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch erfolgen, bis eine Bekanntgabe erfolgt; darauf ist der Gefährder hinzuweisen;

6. den Gefährder bei Aufenthalt in einem Verbotsbereich nach Abs1 wegzuweisen.

(3) Betrifft das Betretungsverbot eine vom Gefährder bewohnte Wohnung, ist besonders darauf Bedacht zu nehmen, dass dieser Eingriff in das Privatleben des Gefährders die Verhältnismäßigkeit (§29) wahrt. Sofern keine Ausnahme gemäß Abs9 vorliegt, darf der Gefährder den Verbotsbereich gemäß Abs1 nur in Gegenwart eines Organs des öffentlichen Sicherheitsdienstes aufsuchen.

(4) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind verpflichtet, den Gefährdeten über die Möglichkeit einer einstweiligen Verfügung nach §§382b und 382c EO und geeignete Opferschutzeinrichtungen (§25 Abs3) zu informieren. Darüber hinaus sind sie verpflichtet,

1. sofern der Gefährdete minderjährig ist und es im Einzelfall erforderlich erscheint, jene Menschen, in deren Obhut er sich regelmäßig befindet, sowie

2. sofern ein Minderjähriger in der vom Betretungsverbot erfassten Wohnung wohnt, unverzüglich den örtlich zuständigen Kinder- und Jugendhilfeträger

über die Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbots zu informieren.

(5) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, den Gefährder bei Verstoß gegen das Betretungs- und Annäherungsverbot wegzuweisen. Die Einhaltung eines Betretungsverbots ist zumindest einmal während der ersten drei Tage seiner Geltung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu kontrollieren.

(6) Bei der Dokumentation der Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbots ist auf die für das Einschreiten maßgeblichen Umstände sowie auf jene Bedacht zu nehmen, die für ein Verfahren nach §§382b und 382c EO oder für eine Abklärung der Gefährdung des Kindeswohls durch den zuständigen Kinder- und Jugendhilfeträger von Bedeutung sein können.

(7) Die Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbots ist der Sicherheitsbehörde unverzüglich bekanntzugeben und von dieser binnen drei Tagen zu überprüfen. Stellt die Sicherheitsbehörde fest, dass das Betretungs- und Annäherungsverbot nicht hätte angeordnet werden dürfen, so hat sie unverzüglich den Gefährdeten über die beabsichtigte Aufhebung zu informieren und das Verbot gegenüber dem Gefährder aufzuheben. Die Information des Gefährdeten sowie die Aufhebung des Betretungs- und Annäherungsverbots haben nach Möglichkeit mündlich oder schriftlich durch persönliche Übergabe zu erfolgen.

(8) Der Gefährder hat binnen fünf Tagen ab Anordnung des Betretungs- und Annäherungsverbots eine Beratungsstelle für Gewaltprävention zur Vereinbarung einer Gewaltpräventionsberatung (§25 Abs4) zu kontaktieren und an der Beratung aktiv teilzunehmen, sofern das Betretungs- und Annäherungsverbot nicht gemäß Abs7 aufgehoben wird. Die Beratung hat längstens binnen 14 Tagen ab Kontaktaufnahme erstmals stattzufinden. Nimmt der Gefährder keinen Kontakt auf oder nicht (aktiv) an einer Gewaltpräventionsberatung teil, ist er zur Sicherheitsbehörde zum Zweck der Ermöglichung der Durchführung der Gewaltpräventionsberatung durch die Beratungsstelle für Gewaltprävention zu laden; §19 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 – AVG, BGBl Nr 51/1991, gilt.

(9) Die Sicherheitsbehörde ist ermächtigt, bei Vorliegen zwingender Notwendigkeit auf begründeten Antrag des Gefährders mit Bescheid örtliche oder zeitliche Ausnahmen von dem Betretungs- und Annäherungsverbot festzulegen, sofern schutzwürdige Interessen des Gefährdeten dem nicht entgegenstehen; zu diesem Zweck ist dem Gefährdeten Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Ausnahmen für die Wohnung, die vom Betretungsverbot betroffen ist, sind nicht zulässig. Die Entscheidung der Behörde ist dem Gefährdeten unverzüglich zur Kenntnis zu bringen.

(10) Das Betretungs- und Annäherungsverbot endet zwei Wochen nach seiner Anordnung oder, wenn die Sicherheitsbehörde binnen dieser Frist vom ordentlichen Gericht über die Einbringung eines Antrags auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach §§382b und 382c EO informiert wird, mit dem Zeitpunkt der Zustellung der Entscheidung des ordentlichen Gerichts an den Antragsgegner, längstens jedoch vier Wochen nach seiner Anordnung. Im Falle einer Zurückziehung des Antrags endet das Betretungs- und Annäherungsverbot sobald die Sicherheitsbehörde von der Zurückziehung durch Mitteilung des ordentlichen Gerichts Kenntnis erlangt, frühestens jedoch zwei Wochen nach seiner Anordnung.

(11) Die nach Abs2 abgenommenen Schlüssel sind mit Aufhebung oder Beendigung des Betretungsverbots zur Abholung durch den Gefährder bereit zu halten und diesem auszufolgen. Werden die Schlüssel trotz nachweislicher Information des Gefährders über die Abholungsmöglichkeit nicht binnen einer Frist von zwei Wochen abgeholt, können die Schlüssel auch einem sonstigen Verfügungsberechtigten ausgefolgt werden. Sechs Wochen nach Aufhebung oder Beendigung des Betretungsverbots gelten diese als verfallen; §43 Abs2 gilt sinngemäß. Im Falle eines Antrags auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach §§382b und 382c EO sind die nach Abs2 abgenommenen Schlüssel beim ordentlichen Gericht zu erlegen.

(12) Die Berechnung von Fristen nach dieser Bestimmung richtet sich nach §§32 und 33 Abs1 AVG.

[…]

Sonstige Verwaltungsübertretungen

§84. […]

(1b) Ein Gefährder (§38a), der

1. den vom Betretungsverbot gemäß §38a umfassten Bereich betritt,

2. sich sonst trotz Annäherungsverbots gemäß §38a einem Gefährdeten annähert,

3. einer Verpflichtung gemäß §38a Abs8 zur Kontaktaufnahme mit einer Beratungsstelle für Gewaltprävention oder zur (aktiven) Teilnahme an einer Gewaltpräventionsberatung nicht nachkommt,

begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 2 500 Euro, im Wiederholungsfall mit Geldstrafe bis zu 5 000 Euro, im Falle ihrer Uneinbringlichkeit mit Ersatzfreiheitsstrafe bis zu sechs Wochen, zu bestrafen.

[…]

2. §382f der Exekutionsordnung, RGBl. 79/1896 idF BGBl I 202/2021 [im Folgenden: EO] lautet:

"Verfahrensbestimmungen

§382f. (1) Gefährdete Parteien können sich bei einem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zum Schutz vor Gewalt (§§382b, 382c) oder zum Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre (§382d) sowie bei weiteren Schriftsätzen im Verfahren erster Instanz durch eine geeignete Opferschutzeinrichtung (§25 Abs3 SPG) vertreten lassen. Die Opferschutzeinrichtung kann sich auf die erteilte Vollmacht berufen.

(2) Von der Anhörung des Antragsgegners vor Erlassung der einstweiligen Verfügung zum Schutz vor Gewalt ist insbesondere abzusehen, wenn eine weitere Gefährdung durch den Antragsgegner unmittelbar droht. Dies kann sich vor allem aus einem Bericht der Sicherheitsbehörde ergeben, den das Gericht von Amts wegen beizuschaffen hat; die Sicherheitsbehörden sind verpflichtet, solche Berichte den Gerichten unverzüglich zu übersenden. Wird der Antrag bei aufrechtem Betretungs- und Annäherungsverbot gestellt (§38a Abs10 SPG), so ist dieser dem Antragsgegner unverzüglich zuzustellen.

(3) Der Auftrag zum Verlassen der Wohnung ist, wenn der Antragsteller nichts anderes beantragt, dem Antragsgegner durch das Vollstreckungsorgan beim Vollzug zuzustellen. Dieser Zeitpunkt ist dem Antragsteller mitzuteilen.

(4) Das Gericht kann in Verfahren nach den §§382b und 382c einem Antragsgegner, der noch nicht an einer Gewaltpräventionsberatung nach §38a Abs8 SPG teilgenommen hat, auf Antrag der gefährdeten Partei oder von Amts wegen auftragen, binnen fünf Tagen ab Erlassung einer einstweiligen Verfügung eine Beratungsstelle für Gewaltprävention (Abs6) zur Vereinbarung einer Beratung zu kontaktieren und aktiv an einer Beratung zur Gewaltprävention teilzunehmen. Die Beratung hat längstens innerhalb von 14 Tagen ab Kontaktaufnahme erstmals stattzufinden.

(5) Die Kosten der Teilnahme an einer Beratung nach Abs4 trägt der Bund. Der Antragsgegner hat dem Gericht eine Bestätigung über die Teilnahme vorzulegen.

(6) Die Bundesministerin für Justiz wird ermächtigt, für die in Abs4 vorgesehene Beratung bewährte geeignete Einrichtungen für opferschutzorientierte Täterarbeit im Wege von Förderverträgen vertraglich zu beauftragen."

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Beim Verwaltungsgericht Wien ist eine Beschwerde gemäß Art130 Abs1 Z2 B-VG anhängig, welche sich gegen die Verhängung eines Betretungs- und Annäherungsverbots gemäß §38a SPG gegen die Beschwerdeführerin vor dem Verwaltungsgericht Wien vom 20. März 2022 durch die Organe der Landespolizeidirektion Wien richtet. Dieser Maßnahme lag ein heftiger Streit zweier Eheleute zugrunde, im Zuge dessen der Ehegatte – nach Aussage der Ehegattin – diese gewürgt habe und die Ehegattin – nach Aussage des Ehegatten – einen Schuh nach diesem geworfen habe. Weitere – behauptete – Gewalttätigkeiten seien bis zur Verhängung der Maßnahme nicht belegt worden.

Der Beschwerdeführerin vor dem Verwaltungsgericht Wien sei nicht nur das Betreten der gemeinsamen Wohnung untersagt worden, sondern – wie durch die Novelle BGBl I 105/2019 (Gewaltschutzgesetz 2019) vorgesehen – auch die Annäherung an die Wohnung bzw an den Ehegatten und die gemeinsame unmündige Tochter in einem Umkreis von 100 Metern untersagt worden. Überdies sei ex lege die vorbeugende Maßnahme des §38a Abs8 SPG mitverhängt worden.

2. Das Verwaltungsgericht Wien legt die Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, wie folgt dar:

Der ursprüngliche Charakter des §38a SPG sei jener einer bloßen Sicherheitsmaßnahme gewesen, welche den vorläufigen Schutz einer an Leib, Leben oder Freiheit mutmaßlich gefährdeten Person von einer anderen Person (dem Gefährder) gewährleisten sollte. Daher sei in einer eskalierenden Situation hinzunehmen, dass die einschreitenden Beamten auf Grund ihres ersten Eindrucks allenfalls auch der unschuldigen Streitpartei die Verantwortung als "Gefährder" zuweisen und diese zur Entfernung veranlassen.

Nach der angefochtenen Bestimmung werde allerdings nunmehr die Sicherheitsmaßnahme mit einer vorbeugenden, einer Bestrafung gleichkommenden Maßnahme verknüpft, ohne dass dem ein faires Verfahren vorangegangen sei.

In dem dem Antrag zugrunde liegenden Sachverhalt sei daher einer der beiden gleichwertig am Streit beteiligten Eheleute in die Rolle eines Täters gedrängt worden und es seien unüberprüft Rechtsfolgen zur Anwendung gelangt, so dass letztlich die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme in Frage stehe.

Die Verpflichtung zur aktiven, nicht nur einmaligen Teilnahme an einer Gewaltpräventionsberatung greife sowohl in das Recht auf persönliche Freiheit, als auch in das Recht auf Achtung des Privatlebens in einer Weise sei, wie sie für eine bloße Sicherungsmaßnahme zugunsten anderer nicht erforderlich und unverhältnismäßig sei. Die Verknüpfung eines solchen Eingriffs mit einer – an sich unbedenklichen – Sicherungsmaßnahme, die allein auf Grund einer vorläufigen Einschätzung unter Zeitdruck getroffen werde, genüge nach Ansicht des antragstellen Gerichts nicht den rechtsstaatlichen Anforderungen.

Hinzu komme, dass auf Grund der rezenten Novellierung der Exekutionsordnung durch das Budgetbegleitgesetz 2022, BGBl I 202/2021, mit §382f Abs4 EO die Möglichkeit geschaffen worden sei, dass der für Einstweilige Verfügungen im Anschluss an die Maßnahme nach §38a Abs1 SPG zuständige Richter die Teilnahme des Antragsgegners an einer Gewaltpräventionsberatung nach seinem Ermessen anordnen könne. Da die Stellung eines Antrags unverzüglich möglich sei, bedürfe es somit nicht (mehr) der automatischen Verknüpfung einer lediglich von Exekutivbeamten getroffenen vorläufigen Sicherheitsmaßnahme mit weitergehenden vorbeugenden Maßnahmen. Im Gegensatz zur neuen Bestimmung des §382f EO widerspreche die angefochtene Gesetzesbestimmung dem Art6 EMRK und greife zudem unverhältnismäßig und ohne Notwendigkeit in die durch Art5 und 8 EMRK gewährleisteten Rechte ein.

In Bezug auf Art13 EMRK führt das antragstellende Verwaltungsgericht aus, dass keine Notwendigkeit bestünde, die Verpflichtung des §38a Abs8 SPG als Teil einer Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt auszugestalten und damit dem Betroffenen jede Möglichkeit zu nehmen, die Rechtmäßigkeit der Auferlegung dieser Maßnahme vor deren Wirksamwerden überprüfen zu lassen. §38a Abs9 SPG sehe etwa die Möglichkeit einer Antragsstellung auf Gewährung von zeitlichen oder örtlichen Ausnahmen mit Bescheid vor. Eine vergleichbare Bestimmung für das vorläufige Absehen – zB bis zu einer behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung – vor der automatisch mit dem Verbot verknüpften Verpflichtung des §38a Abs8 SPG existiere jedoch nicht.

3. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie den im Antrag erhobenen Bedenken wörtlich wie folgt entgegentritt (ohne die Hervorhebungen im Original):

"[…]

I. Zur Rechtslage:

1. Mit seinem auf Art140 Abs1 Z1 lita B-VG gestützten Antrag begehrt das Verwaltungsgericht Wien aus Anlass einer bei ihm anhängigen Beschwerde gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt die Aufhebung des §38a Abs8 des Sicherheitspolizeigesetzes – SPG, BGBl Nr 566/1991, und der Wortfolge 'über die Verpflichtung gemäß Abs8 und die Rechtsfolgen einer Zuwiderhandlung sowie' in §38a Abs2 Z4 SPG, jeweils in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 124/2021.

[…]

3. Die Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

3.1 Zur Entwicklung der Rechtslage:

3.1.1. Gemäß §22 Abs2 und 4 SPG kommt den Sicherheitsbehörden die Aufgabe des vorbeugenden Schutzes von Rechtsgütern zu, wenn gefährliche Angriffe (ua) gegen Leben, Gesundheit und Freiheit von Menschen wahrscheinlich sind. Gemäß §28 SPG ist bei der Erfüllung sicherheitspolizeilicher Aufgaben dem Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen Vorrang gegenüber dem Schutz anderer Rechtsgüter einzuräumen.

Bis zur Einführung des §38a SPG konnte diese Aufgabe – der vorbeugende Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen – bei Gewaltakten, die sich in der häuslichen Sphäre ereigneten, nur eingeschränkt erfüllt werden: Das SPG bot vor der Einführung des §38a SPG nämlich in Fällen, in denen der Verdacht bestand, dass es zu Gewaltakten in der Wohnsphäre gekommen war und mit weiteren gefährlichen Angriffen gerechnet werden musste, kein ausreichendes Instrumentarium zur Gewährleistung eines angemessenen vorbeugenden Schutzes der gefährdeten Menschen. Die Möglichkeiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes waren in solchen Situationen vielfach darauf beschränkt, dem Opfer lediglich zu raten, sich in Sicherheit zu bringen.

Durch ArtIII des Bundesgesetzes zum Schutz vor Gewalt in der Familie (GeSchG), BGBl Nr 759/1996, wurde mit §38a SPG die Organbefugnis zur Anordnung einer Wegweisung und eines Rückkehrverbots bei Gewalt in Wohnungen eingeführt. Das GeSchG trat mit 1. Mai 1997 in Kraft. Damit waren die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstmals gesetzlich zur Wegweisung von Personen befugt, von denen (weitere) gefährliche Angriffe gegen die körperliche Sicherheit von mit ihnen wohnenden Menschen angenommen werden konnten (Gefährder). Die Wegweisung konnte erforderlichenfalls mit einem Verbot verbunden werden, zur Wohnung und deren unmittelbarer Umgebung zurückzukehren (Rückkehrverbot).

§38a SPG wurde danach mehrmals mit dem Ziel novelliert, den Schutz der gefährdeten Person(en) zu erweitern (vgl etwa BGBl I Nr 146/1999, BGBl I Nr 151/2004, BGBl I Nr 40/2009, BGBl I Nr 72/2009, BGBl I Nr 152/2013, BGBl I Nr 161/2013, BGBl I Nr 61/2016).

3.1.2. Im Jahr 2018 wurde zur Umsetzung des Regierungsprogramms 2017 – 2022 die Task Force Strafrecht zum besseren Schutz von Frauen und Kindern in der zahlreiche Experten Empfehlungen nicht nur für den Bereich des Strafrechts, sondern auch zu den Themenbereichen Opferschutz und Täterarbeit erarbeiteten.

Der von der Task Force aufgezeigte Handlungsbedarf wurde von der Bundesregierung in ihrer Sitzung vom 13. Februar 2019 (vgl MR 45/17) aufgegriffen und es wurde ein umfassender Maßnahmenkatalog beschlossen.

Der Maßnahmenkatalog sah ua vor, analog zur bereits bestehenden bundesweiten Institutionalisierung der Interventionsstellen und der Gewaltschutzzentren zum Schutz und zur Beratung von Opfern nach Fällen von Gewalt in der Privatsphäre (vgl §25 Abs3 SPG) bundesweit Gewaltpräventionszentren (Beratungsstellen für Gewaltprävention) einzurichten und nachhaltig zu etablieren. Diese Beratungsstellen für Gewaltprävention sollten Gefährder nach einem polizeilichen Betretungsverbot gemäß §38a SPG betreuen. Die dahinterstehende Idee war, durch die zeitnahe und unmittelbare Kontaktaufnahme durch den Gefährder ('Weggewiesenenberatung') nach einem Betretungsverbot zur Deeskalation beizutragen und einen Gewaltstopp und eine Verhaltensänderung zu bewirken. Zudem ist die Arbeit mit den Gefährdern in den Beratungsstellen für Gewaltprävention Teil der Interventionskette und leistet einen wesentlichen Beitrag zum Opferschutz, da sie ein möglichst frühzeitiges Durchbrechen der Gewaltspirale erzielen soll.

3.1.3. Im Anschluss an die Arbeiten in der Task Force Strafrecht wurde durch das Gewaltschutzgesetz 2019, BGBl I Nr 105/2019, das Betretungsverbot des §38a SPG um ein Annäherungsverbot und die Verpflichtung des Gefährders zur Teilnahme an einer Gewaltschutzberatung (Abs8) ergänzt sowie der Verwaltungsstraftatbestand des §84 Abs1b SPG eingefügt. Mit der Verpflichtung zur Teilnahme an einer Gewaltschutzberatung durch geeignete Beratungsstellen für Gewaltprävention wurde eine neue, besondere Maßnahme zur Vorbeugung künftiger Gewalttaten durch opferschutzorientierte Täterarbeit geschaffen, um nach der Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbots durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes das 'window of opportunity' zu nützen und eine rasche Beratung des Gefährders zur Deeskalation und Vorbeugung von Gewalt zu bewirken. Ziel der Gewaltpräventionsberatung ist es, auf die Abstandnahme von (weiterer) Gewaltanwendung im Umgang mit Menschen hinzuwirken und eine nachhaltige Veränderung im Verhalten der Klienten zu erreichen, die zu Gewaltstopp und Deeskalation führt.

Die Verpflichtung zur Teilnahme an einer Gewaltschutzberatung nach §38a Abs8 SPG sowie der korrespondierende Straftatbestand des §84 Abs1b Z3 SPG traten mit 1. September 2021 in Kraft.

3.2. Zum Regelungsinhalt:

3.2.1. Gemäß §38a Abs1 SPG sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes unter den dort angeführten Voraussetzungen ermächtigt, einer Person (Gefährder) das Betreten einer Wohnung, in der ein Gefährdeter wohnt, samt einem Bereich im Umkreis von hundert Metern zu untersagen (Betretungsverbot). Mit dem Betretungsverbot verbunden ist – seit dem Gewaltschutzgesetz 2019 – auch das Verbot der Annäherung an den Gefährdeten im Umkreis von hundert Metern (Annäherungsverbot).

3.2.2. Voraussetzung für die Verhängung eines Betretungs- und Annäherungsverbots gemäß §38a Abs1 SPG ist die Annahme, dass ein gefährlicher Angriff gegen Leben, Gesundheit oder Freiheit bevorstehe; diese Annahme muss 'auf Grund bestimmter Tatsachen, insbesondere wegen eines vorangegangenen gefährlichen Angriffs' bestehen. Aufgrund der Tatsachen, also aufgrund des sich den einschreitenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bietenden Gesamtbildes, muss mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, dass 'ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit' durch den Gefährder bevorstehe (vgl Keplinger/Pühringer, SPG20 §38a Anm. 8 ff mit weiteren Hinweisen auf die Rechtsprechung). In diese gesamthafte Betrachtung sind auch die Angaben des Gefährders miteinzubeziehen, dem gemäß §30 Abs1 Z4 SPG das Recht zukommt, für die Amtshandlung bedeutsame Tatsachen vorzubringen und deren Feststellung zu verlangen. Dem Gefährder ist daher vor Verhängung des Betretungsverbots die Möglichkeit einzuräumen, zu den festgestellten Tatsachen Stellung zu beziehen (VwG Wien 25.09.2014, VGW-102/013/24669/2014; 27.10.2021, VGW-102/067/9055/2021).

§38a Abs1 SPG 'ermächtigt' die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zur Verhängung eines Betretungsverbots. Aus der Systematik des SPG, das zwischen Aufgaben und Befugnissen unterscheidet, bedeutet diese 'Ermächtigung' aber keinesfalls die Einräumung eines 'freien Ermessens'. Vielmehr müssen die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes von der Befugnis des §38a Abs1 SPG Gebrauch machen, wenn ihre Voraussetzungen vorliegen und die Aufgabe nicht mit gelinderen Mitteln gleichwertig erfüllt werden kann (vgl Keplinger/Pühringer, SPG20 §38a Anm. 4).

3.2.3. Die Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbots durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ist der zuständigen Sicherheitsbehörde unverzüglich bekanntzugeben (§38a Abs7 SPG). Die Sicherheitsbehörde hat die Zulässigkeit der Verhängung des Betretungs- samt Annäherungsverbots binnen drei Tagen zu überprüfen.

Mit §38a Abs7 SPG wird somit eine sicherheitsbehördliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung des Betretungs- und Annäherungsverbots normiert.

Prüfungsmaßstab für die Sicherheitsbehörde ist dabei gemäß §38a Abs7 SPG die rechtliche Zulässigkeit der Verhängung des Betretungs- und Annäherungsverbots zum Zeitpunkt der Befugnisausübung durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Ex-ante-Betrachtung). Die Überprüfung hat das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen nach §38a Abs1 SPG, die Verhältnismäßigkeit des Betretungs- und Annäherungsverbots und die Befugnisausübung durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu umfassen. Die Sicherheitsbehörde hat zu prüfen und festzustellen, ob die einschreitenden Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Zeitpunkt der Befugnisausübung vertretbar vom Vorliegen der Voraussetzungen des §38a Abs1 SPG ausgehen konnten (Bauer/Keplinger, Gewaltschutzgesetz6 §38a Anm. 97). Stellt die Sicherheitsbehörde fest, dass das Betretungs- und Annäherungsverbot nicht hätte angeordnet werden dürfen, dann hat sie unverzüglich den Gefährdeten über die beabsichtigte Aufhebung zu informieren und das Verbot dem Gefährder gegenüber aufzuheben. Auch wenn zum Zeitpunkt der Verhängung des Betretungs- und Annäherungsverbotes die Voraussetzungen iSd. Abs1 zwar vorgelegen sind, mittlerweile aber nicht mehr bestehen (etwa, weil die gefährdete Person endgültig nicht mehr in der gegenständlichen Wohnung wohnt) hat die Sicherheitsbehörde das Betretungs- und Annäherungsverbot aufzuheben (vgl §29 Abs2 Z5 SPG; zur 'fortlaufenden Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes' siehe VfGH 25.09.2018, G414/2017). Die Information des Gefährdeten sowie die Aufhebung des Betretungs- und Annäherungsverbots haben nach Möglichkeit mündlich oder schriftlich durch persönliche Übergabe zu erfolgen.

3.2.4. Wird ein Betretungs- und Annäherungsverbot durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes verhängt und dieses im Zuge der zwingend durchzuführenden behördlichen Überprüfung gemäß §38a Abs7 SPG nicht aufgehoben, dann trifft den Gefährder gemäß §38a Abs8 SPG ex lege die Verpflichtung, sich binnen fünf Tagen mit einer Beratungsstelle für Gewaltprävention in Verbindung zu setzen, um einen längstens binnen 14 Tagen nach Kontaktaufnahme stattfindenden Termin für eine erstmalige Gewaltpräventionsberatung zu vereinbaren (vgl §38a Abs8 SPG sowie IA 970/A XXVI. GP 26 f).

Über diese Verpflichtung zur Kontaktaufnahme mit einer Beratungsstelle für Gewaltprävention sowie zur aktiven Teilnahme an der Gewaltpräventionsberatung inklusive der Rechtsfolgen bei Zuwiderhandeln ist der Gefährder bei Verhängung des Betretungs- und Annäherungsverbots gemäß §38a Abs2 Z4 SPG in Kenntnis zu setzen.

3.2.5. Nimmt der Gefährder nach §38a Abs8 SPG nicht binnen fünf Tagen nach Anordnung des Betretungs- und Annäherungsverbots Kontakt mit der Beratungsstelle für Gewaltprävention auf oder erscheint er nicht zum vereinbarten Termin bzw nimmt an der Beratung nicht aktiv teil, hat die Beratungsstelle für Gewaltprävention die Sicherheitsbehörde darüber zu informieren (IA 970/A XXVI. GP 27). Durch die Nichtkontaktaufnahme bzw Nicht(aktive)-Teilnahme an einer Gewaltpräventionsberatung verwirklicht der Betroffene eine Verwaltungsübertretung gemäß §84 Abs1b Z3 SPG und ist mit Geldstrafe bis zu 2 500 Euro, im Wiederholungsfall mit Geldstrafe bis zu 5 000 Euro, im Falle ihrer Uneinbringlichkeit mit Ersatzfreiheitsstrafe bis zu sechs Wochen, zu bestrafen.

II. Zum Anlassverfahren und zur Zulässigkeit:

1. Zum Anlassverfahren:

1.1. Dem Gerichtsantrag liegt eine Beschwerde gemäß Art130 Abs1 Z2 B-VG gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zugrunde. Am 20. März 2022 verhängten Organe der Landespolizeidirektion Wien über die Beschwerdeführerin des Anlassverfahrens ein Betretungs- und Annäherungsverbot gemäß §38a Abs1 SPG, das von der sachlich und örtlich zuständigen Sicherheitsbehörde – der Landespolizeidirektion Wien – nach Durchführung der behördlichen Überprüfung gemäß §38a Abs7 SPG nicht aufgehoben wurde.

1.2. Aus Anlass des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens stellte das Verwaltungsgericht Wien den vorliegenden Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 lita B-VG.

2. Zur Zulässigkeit:

2.1. Zur Präjudizialität:

Die Bundesregierung verweist auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach dieser nicht berechtigt ist, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag auf Aufhebung einer generellen Norm nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl zB VfSlg 19.824/2013 und 19.833/2013).

Dies ist hier aus folgenden Gründen der Fall:

§38a Abs1 SPG dient als Sicherungsmaßnahme der Vorbeugung gefährlicher Angriffe iSd.§22 Abs2 und 4 SPG (Bauer/Keplinger, Gewaltschutzgesetz6 §38a Anm. 8). Zur Erfüllung dieser sicherheitspolizeilichen Aufgabe wird die Organbefugnis zur Verhängung eines Betretungsverbotes samt Annäherungsverbot gemäß §38a Abs1 SPG eingeräumt. Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes haben von der Befugnis des §38a Abs1 SPG Gebrauch zu machen, wenn ihre Voraussetzungen vorliegen und die Aufgabe nicht mit gelinderen Mitteln gleichwertig erfüllt werden kann (vgl Keplinger/Pühringer, SPG20 §38a Anm. 1 und 4). Im Falle der Anordnung eines Betretungsverbots entsteht für den Gefährder gemäß §38a Abs8 SPG ex lege die Verpflichtung zur Absolvierung einer Gewaltpräventionsberatung.

Gemäß §38a Abs7 SPG obliegt der Sicherheitsbehörde die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung des Betretungsverbots. Die Überprüfung hat daher insbesondere das Vorliegen aller Tatbestandsmerkmale des §38a Abs1 SPG, die Verhältnismäßigkeit und die korrekte Verhängung zu umfassen (Bauer/Keplinger, Gewaltschutzgesetz6 §38a Anm. 97).

Im Rahmen eines Maßnahmenbeschwerdeverfahrens ist Gegenstand der Prüfung durch das Verwaltungsgericht alleine, ob der angefochtene Verwaltungsakt für rechtswidrig zu erklären ist. Das Verwaltungsgericht hat somit die Rechtmäßigkeit eines gemäß §38a SPG angeordneten Betretungs- und Annäherungsverbots im Sinne einer objektiven Ex-ante-Betrachtung aus dem Blickwinkel der eingeschrittenen Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zum Zeitpunkt ihres Einschreitens zu prüfen. Dabei hat es zu beurteilen, ob die eingeschrittenen Organe entsprechend der oben unter Punkt I.3.2.2. dargelegten Grundsätze vertretbar annehmen konnten, dass ein vom Gefährder ausgehender gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit bevorsteht (vgl VwGH 4.12.2020, Ra 2019/01/0163).

Auf Grund der Ausgestaltung der Gewaltpräventionsberatung als Ex-lege-Verpflichtung ist bei der Abwägung der Verhältnismäßigkeit der Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbots nach §38a Abs1 erster Satz SPG die Bestimmung des §38a Abs8 SPG nicht anzuwenden. Folglich erfolgt auch die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung des Betretungs- und Annäherungsverbots durch die Sicherheitsbehörde gemäß §38a Abs7 SPG lediglich in Hinblick auf die Anordnung nach §38a Abs1 SPG und nicht auch in Hinblick auf die Rechtsfolge der Verpflichtung zur Gewaltpräventionsberatung nach §38a Abs8 SPG. Dies bringt auch dessen Formulierung unmissverständlich zum Ausdruck, wonach die Verpflichtung zur Gewaltpräventionsberatung nur besteht, wenn das Betretungs- und Annäherungsverbot bei der behördlichen Überprüfung gemäß Abs7 nicht aufgehoben wird. Bereits aus dem systematischen Zusammenhang erhellt also, dass die Überprüfung durch die Sicherheitsbehörde nach Abs7 eine Bedingung für den Eintritt der in Abs8 normierten gesetzlichen Rechtsfolge bildet, umgekehrt der etwaige Eintritt dieser Rechtsfolge jedoch nicht Gegenstand der Überprüfung ist.

Da das Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, das ein Betretungs- und Annäherungsverbot anordnet, ebenso wie die zu dessen Überprüfung berufene Sicherheitsbehörde die Rechtsfolge des §38a Abs8 SPG nicht in die Beurteilung der Erforderlichkeit dieser Maßnahme miteinzubeziehen hat, kommt auch für das die Rechtmäßigkeit der Verhängung der Maßnahme prüfende Verwaltungsgericht eine Anwendung von §38a Abs8 SPG nicht in Frage. Insofern mangelt es der angefochtenen Bestimmung an Präjudizialität.

2.2. Zum Anfechtungsumfang:

[…]

Das antragstellende Gericht begehrt die Aufhebung von §38a Abs8 SPG sowie der – damit im untrennbaren Zusammenhang stehenden – Wortfolge 'über die Verpflichtung gemäß Abs8 und die Rechtsfolgen einer Zuwiderhandlung sowie' in §38a Abs 2 Z4 SPG. Die mit §38a Abs8 SPG in untrennbarem Zusammenhang stehende Strafbestimmung des §84 Abs1b Z3 SPG wurde jedoch nicht (mit)angefochten; nach Auffassung der Bundesregierung ist der Antrag daher zu eng gefasst.

2.3. Zur Darlegung der Bedenken:

[…]

4. Die Partei des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht Wien hat als beteiligte Partei eine Äußerung erstattet, in der sie sich den Bedenken des Verwaltungsgerichtes Wien anschließt.

IV. Erwägungen

1. Zur Rechtslage:

1.1. Mit seinem Gerichtsantrag begehrt das Verwaltungsgericht Wien die Aufhebung von §38a Abs8 SPG sowie der Wortfolge "über die Verpflichtung gemäß Abs8 und die Rechtsfolgen einer Zuwiderhandlung sowie" in §38a Abs2 Z4 SPG, BGBl 566/1991 idF BGBl I 124/2021.

1.2. Die Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

Das Betretungs- und Annäherungsverbot zum Schutz vor Gewalt wurde im Rahmen der Beschlussfassung über das "Gewaltpräventionspaket" mit BGBl 759/1996 eingeführt. Gemäß §38a SPG sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ausdrücklich ermächtigt, Personen, von denen auf Grund bestimmter Tatsachen, insbesondere wegen eines vorangegangenen gefährlichen Angriffs, anzunehmen ist, dass ein weiterer Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit, insbesondere auch in einer Wohnung, in der ein Gefährdeter lebt, begangen werden könnte, das Betreten dieser Wohnung sowie die Annäherung an diese Wohnung zu untersagen. §38a SPG wurde in Folge mehrmals novelliert, stets mit Blick darauf, den Schutz gefährdeter Personen zu erweitern.

§38a Abs8 SPG wurde mit BGBl I 105/2019 (Gewaltschutzgesetz 2019) erstmals eingeführt, trat jedoch erst mit 1. September 2021 nach Anpassungen durch BGBl I 144/2020 bzw BGBl I 124/2021 in Kraft.

§38a Abs1 SPG in der angefochtenen, aktuell geltenden Fassung BGBl I 124/2021 regelt zunächst die Befugnis zur Verhängung eines Betretungs- und Annäherungsverbotes. Dieses Betretungs- und Annäherungsverbot stellt einen Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt iSv Art130 Abs1 Z2 B-VG und §88 Abs1 SPG dar. Gegen dieses Verbot steht daher das Rechtsmittel der Maßnahmenbeschwerde offen.

§38a Abs2 bis 5 SPG präzisiert die Rechte und Pflichten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes. §38a Abs6 SPG sei hervorgehoben, regelt dieser doch die Dokumentationspflicht der Sicherheitsorgane, die insbesondere für die Überprüfung der Verhängung eines Betretungs- und Annäherungsverbotes (§38a Abs7 SPG) besonders bedeutend ist: Die Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbotes durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ist gemäß §38a Abs7 SPG der Sicherheitsbehörde unverzüglich bekannt zu geben, welche dieses auch innerhalb von drei Tagen zu überprüfen und allenfalls aufzuheben hat.

Ungeachtet dieser "amtlichen" Abläufe verpflichtet §38a Abs8 SPG den Gefährder, über den gemäß Abs1 leg cit ein Betretungs- und Annäherungsverbot verhängt wurde, binnen fünf Tagen mit einer Gewaltpräventionsberatungsstelle in Verbindung zu treten, um einen Termin für eine Gewaltpräventionsberatung (§25 Abs4 SPG) zu vereinbaren und an einer solchen Beratung binnen 14 Tagen nach Kontaktaufnahme aktiv teilzunehmen, sofern das Betretungs- und Annäherungsverbot nicht von der Bezirksverwaltungsbehörde gemäß Abs7 leg cit aufgehoben wird.

Zur Sicherstellung der Durchsetzung der in §38a Abs8 SPG normierten Verpflichtung zur Kontaktaufnahme mit einer Beratungsstelle oder zur aktiven Teilnahme an einer Gewaltpräventionsberatung sieht die Bestimmung des §84 Abs1b Z3 SPG vor, dass der Gefährder mit einer "Geldstrafe bis zu 2500 Euro […], im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Ersatzfreiheitsstrafe bis zu sechs Wochen, zu bestrafen" ist.

1.3. Zusammenfassend stellt sich die durch diese Rechtslage bedingte zeitliche Abfolge also wie folgt dar:

Das auf Grund der Lage vor Ort verhängte Betretungs- und Annäherungsverbot ist sofort wirksam, jedoch unverzüglich der zuständigen Sicherheitsbehörde bekannt zu geben. Diese hat die Verhängung des Verbotes innerhalb von drei Tagen zu überprüfen.

Kommt die Sicherheitsbehörde im Rahmen ihrer Überprüfung zu dem Ergebnis, dass ein Betretungs- und Annäherungsverbot zu Unrecht ausgesprochen wurde, hat sie dies unverzüglich dem Gefährdeten kundzutun und das Verbot gegenüber dem Gefährder zu beheben. Für den Gefährder, über den das Verbot – unrechtmäßig – verhängt wurde, fällt mit dieser Entscheidung auch die Verpflichtung, sich gemäß §38a Abs8 SPG einer Gewaltpräventionsberatung zu unterziehen, weg (§38a Abs8 erster Satz, zweiter Halbsatz leg cit). Damit ist dann auch die Anwendung des §38a SPG erschöpft.

Wird das Betretungs- und Annäherungsverbot jedoch nicht behoben, bleiben die Verpflichtungen gemäß Abs8 leg cit aufrecht und der Betroffene (= Gefährder) hat binnen fünf Tagen, dies allerdings gerechnet ab Anordnung des Betretungs- und Annäherungsverbotes, sohin binnen der "real" verbleibenden weiteren zwei Tage, eine Beratungsstelle für Gewaltprävention zu kontaktieren. Längstens 14 Tage ab Kontaktaufnahme, also spätestens am 19. Tag nach Verhängung des Betretungs- und Annäherungsverbotes, hat er aktiv an einer Beratung teilzunehmen.

Nimmt der Betroffene binnen fünf Tagen keinen Kontakt mit der Gewaltpräventionsberatung auf, hat – so der Wortlaut des §38a Abs8 SPG – eine Ladung (gemäß §19 AVG) zur Teilnahme an einer Gewaltpräventionsberatung zu erfolgen.

Allerdings wurde – wie §84 SPG verdeutlicht – zu diesem Zeitpunkt bereits allein durch die nicht erfolgte Kontaktaufnahme eine strafbewehrte Verwaltungsübertretung begangen, für die ungeachtet einer allfälligen zeitlich späteren im Verfahren getroffenen Feststellung, dass die Anordnung des Betretungsverbotes rechtswidrig war, eine Strafe bis 2 500 Euro verhängt werden darf bzw werden muss.

2. Zur Zulässigkeit des Antrages

2.1. Präjudizialität

Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd des Art140 Abs1 Z1 lita B-VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

2.1.1. Das Verwaltungsgericht Wien begehrt nun in seinem auf Art140 Abs1 B-VG gestützten Gerichtsantrag die Aufhebung von §38a Abs8 SPG sowie der Wortfolge "über die Verpflichtung gemäß Abs8 und die Rechtsfolgen einer Zuwiderhandlung sowie" in §38a Abs2 Z4 SPG und begründet diesen Antrag im Wesentlichen damit, dass es sich bei dieser Bestimmung um eine Sanktion handle, die unüberprüft, ohne Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips und ohne jede Möglichkeit, eine Ausnahme oder eine aufschiebende Wirkung zu erwirken, ohne jegliches (faires) Verfahren zusätzlich zum im Rahmen einer Prognoseentscheidung verhängten Betretungs- und Annäherungsverbot hinzutrete.

Das antragstellende Verwaltungsgericht ist in Bezug auf die Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung der Auffassung, dass es im Maßnahmenbeschwerdeverfahren gegen die Verhängung eines Betretungs- und Annäherungsverbotes auch die automatisch mit Verhängung dieses Verbotes verknüpfte Rechtsfolge der verpflichtenden Teilnahme an der Gewaltpräventionsberatung im weiteren Sinn anzuwenden hat.

2.1.2. Die Bundesregierung zieht in ihrer Äußerung demgegenüber die Präjudizialität des §38a Abs8 SPG in Zweifel und begründet dies im Wesentlichen damit, dass die Überprüfung der Zulässigkeit des Betretungs- und Annäherungsverbotes durch die Sicherheitsbehörde nach Abs7 leg cit eine Bedingung für den Eintritt der in Abs8 leg cit normierten gesetzlichen Rechtsfolge bilde, umgekehrt jedoch der etwaige Eintritt dieser Rechtsfolge nicht Gegenstand der Überprüfung sei. Prüfungsmaßstab einer Maßnahmenbeschwerde nach §38a Abs7 SPG sei daher – lediglich – die rechtliche Zulässigkeit des Betretungs- und Annäherungsverbotes zum Zeitpunkt der Befugnisausübung unabhängig von der Erforderlichkeit einer Maßnahme nach §38a Abs8 SPG, weshalb auch für das die Rechtmäßigkeit der Verhängung der Maßnahme prüfende Verwaltungsgericht eine Anwendung von §38a Abs8 SPG nicht in Frage komme.

2.1.3. Dieser Auffassung der Bundesregierung ist jedoch nicht zuzustimmen:

2.1.3.1. Vorauszuschicken ist zunächst, dass im Allgemeinen im Rahmen eines Maßnahmenbeschwerdeverfahrens nach Art130 Abs1 Z2 B-VG Gegenstand der Überprüfung allein die Frage ist, ob der angefochtene Verwaltungsakt rechtmäßig erfolgt ist. Dabei ist im vorliegenden Fall allein darauf abzustellen, ob die einschreitenden Sicherheitsorgane auf Grund des sich ihnen bietenden Gesamtbildes vertretbar davon ausgehen konnten, dass eine Gefährdung (weiterhin) vorliegt.

Rechtsfolge eines ausgesprochenen Betretungs- und Annäherungsverbotes ist gemäß der angefochtenen Bestimmung allerdings die Organisation (Terminvereinbarung) und die verpflichtende Teilnahme an einer Gewaltpräventionsberatung. Dem Gefährder sind somit ab Verhängung des Betretungs- und Annäherungsverbotes Verpflichtungen auferlegt. Zwar könnte diese Verpflichtung nachträglich wegfallen, wenn innerhalb der behördlichen Überprüfungsfrist von drei Tagen das Betretungs- und Annäherungsverbot für rechtswidrig erklärt und aufgehoben wird, dennoch entsteht die Verpflichtung grundsätzlich bereits im Zeitpunkt der Verhängung des Verbotes.

Dass allenfalls ein Ladungsbescheid ein geeignetes Mittel zur Normanfechtung darstellen könnte, ist für die Frage, ob die angefochtene Regelung vom antragstellenden Gericht anzuwenden ist, hier ohne Belang.

Dem Verwaltungsgericht Wien ist daher vorerst im Ergebnis zuzustimmen, wenn es auch mit Blick auf die in §38a SPG gewählte Rechtstechnik, die damit normierten Verpflichtungen und deren zeitliche Gestaltung in §38a Abs8 SPG im vorliegenden Fall als präjudiziell ansieht.

2.2. Anfechtungsumfang

2.2.1. Das antragstellende Verwaltungsgericht begehrt die Aufhebung des §38a Abs8 SPG sowie der Wortfolge "über die Verpflichtung gemäß Abs8 und die Rechtsfolgen einer Zuwiderhandlung sowie" in §38a Abs2 Z4 SPG.

2.2.2. Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass dieser Anfechtungsumfang zu eng gewählt ist, weil ihrer Meinung nach eine präzise Ausbreitung der für die Verfassungswidrigkeit des §38a Abs8 SPG sprechenden Gründe dem Antrag nicht zu entnehmen sei, sondern sich der Antrag auf die Behauptung beschränke, §38a Abs8 SPG stelle eine verfassungswidrige sanktionsähnliche Maßnahme dar, welche – vor dem Hintergrund der durch §382f Abs4 EO eingeräumten Möglichkeit des für einstweilige Verfügungen zuständigen Richters, die Teilnahme an einer Gewaltpräventionsberatung nach seinem Ermessen anzuordnen – entbehrlich sei.

2.2.3. Ein von Amts wegen oder auf Antrag eines Gerichtes eingeleitetes Gesetzesprüfungsverfahren dient der Herstellung einer verfassungsrechtlich einwandfreien Rechtsgrundlage für das Anlassverfahren (vgl VfSlg 11.506/1987, 13.701/1994).

Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

Dieser Grundposition folgend hat der Verfassungsgerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011; VfGH 14.3.2017, G311/2016). Das antragstellende Gericht hat all jene Normen anzufechten, die für das anfechtende Gericht präjudiziell sind und vor dem Hintergrund der Bedenken für die

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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