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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
B-VG Art144 / AnlassfallLeitsatz
Aufhebung des Erkenntnisses im AnlassfallSpruch
I. Die beschwerdeführenden Parteien sind durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den beschwerdeführenden Parteien zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 3.096,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei so
Begründung
Entscheidungsgründe
1. Die beschwerdeführenden Parteien sind irakische Staatsangehörige und übten ab dem Jahr 2019 jeweils ein freies Gewerbe aus. Gegen die beschwerdeführenden Parteien wurde in Ermangelung eines aufrechten Aufenthaltstitels im Jahr 2021 jeweils ein Gewerbeentziehungsverfahren eingeleitet. Sie gaben im Jahr 2021 beide einen freiwilligen Verzicht auf Grundversorgungsleistungen ab.
2. Die beschwerdeführenden Parteien stellten im Jahr 2015 jeweils einen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz, dem rechtskräftig nicht stattgegeben wurde.
Am 23. Juni 2021 stellten die beschwerdeführenden Parteien (zum zweiten Mal) Anträge auf internationalen Schutz, welche vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) jeweils sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des bzw der Asylberechtigten als auch des Status des bzw der subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurden; weiters wurden jeweils keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, jeweils eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie festgestellt, dass die Abschiebung in den Irak zulässig ist und ausgesprochen, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht. Zudem erließ das BFA gestützt auf "§53 Absatz 1 iVm Absatz 2 Ziffer 6 Fremdenpolizeigesetz, BGBl Nr 100/2005 (FPG) idgF" ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot.
Die dagegen erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht als unbegründet ab. Das Einreiseverbot begründet das Bundesverwaltungsgericht damit, dass das beharrliche Verbleiben der beschwerdeführenden Parteien in Österreich trotz Ausreiseverpflichtung, die Mittellosigkeit und die unrechtmäßige Fortsetzung der Erwerbstätigkeit nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens die Annahme rechtfertigten würden, dass ein Verbleib im Bundesgebiet eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstelle.
Zur festgestellten Mittellosigkeit gemäß §53 Abs2 Z6 FPG führt das Bundesverwaltungsgericht unter anderem aus, dass auf Grund des Umstandes, dass die beschwerdeführenden Parteien nach der rechtskräftigen Entscheidung ihrer ersten Anträge auf internationalen Schutz ihre selbstständigen Tätigkeiten fortsetzten und in der Folge Gewerbeentziehungsverfahren eingeleitet wurden, zu befürchten sei, dass sie künftig kein Einkommen aus legalen Quellen erzielen könnten und weiterhin Grundversorgungsleistungen beziehen würden. Insoweit sich die beschwerdeführenden Parteien darauf stützen, von ihrem Ersparten zu leben, sei dies nicht konkret nachgewiesen worden. Es sei daher davon auszugehen, dass die beschwerdeführenden Parteien – trotz eines im Jahr 2021 abgegebenem freiwilligen Verzichtes auf Grundversorgungsleistungen – in kürzester Zeit wieder Grundversorgungsleistungen beziehen würden. Der Umstand, dass einer fremden Person Grundversorgung gewährt werde, bestätige zudem geradezu die Beurteilung, dass der auf die Mittellosigkeit abstellende Tatbestand des §53 Abs2 Z6 FPG erfüllt sei.
3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. In der Beschwerde wird unter anderem vorgebracht, dass sich die beschwerdeführenden Parteien seit über fünf Jahren im Bundesgebiet aufhielten und von Beginn an bestrebt gewesen seien, eine Arbeit zu finden und selbsterhaltungsfähig zu sein. Zudem würden die unbescholtenen beschwerdeführenden Parteien keine Grundversorgung beziehen.
Aus Anlass dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 Z1 litb B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §53 Abs2 Z6 des Bundesgesetzes über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG), BGBl I 100/2005, idF BGBl I 87/2012 ein. Mit Erkenntnis vom 6. Dezember 2022, G264/2022, hob er diese Regelung als verfassungswidrig auf.
4. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:
Das Bundesverwaltungsgericht hat eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung angewendet. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung der beschwerdeführenden Parteien nachteilig war.
Die beschwerdeführenden Parteien wurden also durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg 10.404/1985).
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Schlagworte
VfGH / Anlassfall, Einreiseverbot, FremdenrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:E3763.2021Zuletzt aktualisiert am
11.01.2023