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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §69 Abs1 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla, Händschke, Dr. Baur und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. König, über die Beschwerde des M in L, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 27. Juni 1995, Zl. 4.344.516/3-III/13/95, betreffend Wiederaufnahme eines Asylverfahrens, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 27. Oktober 1994 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines iranischen Staatsangehörigen, der am 12. Mai 1994 in das Bundesgebiet eingereist und am 16. Mai 1994 den Asylantrag gestellt hat, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 25. Mai 1994, mit dem sein Asylantrag abgewiesen worden war, abgewiesen. Die dagegen erhobene Verwaltungsgerichtshofbeschwerde wurde mit hg. Erkenntnis vom 16. Jänner 1996, Zl. 95/20/0121, als unbegründet abgewiesen.
Mit Schreiben vom 1. März 1995 brachte der Beschwerdeführer beim Bundesasylamt einen Antrag auf Wiederaufnahme seines Asylverfahrens ein, den er damit begründete, am 15. Februar 1995 in den Besitz einer Urkunde gelangt zu sein, die er im Asylverfahren nicht habe vorlegen können, aus der sich aber ergebe, daß er in seinem Heimatland aus politischen Gründen rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden sei.
Die belangte Behörde wies mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid den Antrag des Beschwerdeführers vom 1. März 1995 auf Wiederaufnahme des mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 27. Oktober 1994 rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens "gemäß § 66 Abs. 4" AVG im wesentlichen mit der Begründung ab, die vom Beschwerdeführer vorgelegte Urkunde könne nicht als "neue Tatsache und Beweismittel" im Sinne des § 69 AVG angesehen werden, weil die vom Beschwerdeführer neu behauptete Verurteilung im Zeitpunkt der Erlassung des das Asylverfahren abschließenden Bescheides bereits vorgelegen sei, er daher eine behauptete politische Verfolgung bzw. die sich aus den Urkunden ergebende Verurteilung bereits schon vorher hätte geltend machen können. Demgegenüber habe er jedoch lediglich angegeben, aus religiösen Gründen allein verfolgt worden zu sein und sich weder politisch betätigt noch einer politischen Partei angehört zu haben. Daher treffe ihn an der Nichtgeltendmachung der sich aus den neu vorgelegten Urkunden ergebenden Verurteilung ein Verschulden, was die Wiederaufnahme ausschließe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
In der Beschwerde wiederholt der Beschwerdeführer seine Ansicht, daß die von ihm vorgelegten Urkunden "neu" im Sinne des § 69 AVG seien und ohne sein Verschulden während des Verfahrens nicht hätten vorgelegt werden können. Es sei auch unrichtig, daß er politische Verfolgung nicht geltend gemacht habe, da nach der Diktion des iranischen Staates auch die ihm in der Anklage zum Vorwurf gemachte "Zusammenarbeit mit antirevolutionären Kräften" die aktive Betätigung in einer vom Staat verfolgten religiösen Gemeinschaft darstelle. Die Anklageerhebung sei erst am 3. August 1994, die Verurteilung am 13. Dezember 1994 erfolgt, jeweils zu Zeitpunkten also, zu denen sich der Beschwerdeführer bereits in Österreich befunden habe.
Gemäß § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Parteien nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätten.
Voraussetzung für die Wiederaufnahme eines Verwaltungsverfahrens ist daher das Vorliegen von neuen Tatsachen und Beweismitteln, die bei Abschluß des seinerzeitigen Verfahrens schon vorhanden waren, deren Verwertung der Partei aber ohne ihr Verschulden erst nachträglich ermöglicht worden ist ("nova reperta"). Der das Asylverfahren abschließende Bescheid wurde dem Beschwerdeführer bzw. seinem Rechtsvertreter am 3. November 1994 zugestellt. Nach den unwiderlegten Angaben des Beschwerdeführers in seinem Wiederaufnahmeantrag wurden ihm die in Rede stehenden Urkunden erst nach diesem Zeitpunkt, nämlich am 15. Februar 1995, zugänglich gemacht. Da die sich aus der Urkunde vom 3. August 1994 ergebende Anklageerhebung gegen den Beschwerdeführer grundsätzlich asylrelevant sein kann, hätte die belangte Behörde dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens stattgeben müssen. Erst im Zuge dieses Verfahrens hätte sie sodann zu prüfen gehabt, inwieweit dem Beschwerdeführer allenfalls die sich aus der Urkunde ergebende Anklageerhebung bereits bekannt gewesen ist bzw. hätte sein müssen, bzw. aus welchen anderen Gründen er diese und eine allenfalls daran geknüpfte Verurteilung im Asylverfahren nicht geltend gemacht hat. Erst aufgrund derartiger Ermittlungsergebnisse kann von einem Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Verschuldens im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG ausgegangen werden.
Da die belangte Behörde auf Grund der vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht den Sachverhalt nicht zur Gänze erhoben hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995200433.X00Im RIS seit
20.11.2000