Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 23. November 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz-Hummel LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Mag. Buttinger in der Verbandsverantwortlichkeitssache der L* GmbH wegen des Verbrechens des Abgabenbetrugs nach §§ 33 Abs 1, 39 Abs 1 lit a und b und Abs 3 lit c FinStrG aF sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen des belangten Verbandes und des N* N* sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 15. Februar 2021, GZ 124 Hv 8/18g-637, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen des belangten Verbandes und des N* N* werden zurückgewiesen.
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Ausspruch der Verbandsverantwortlichkeit für die §§ 33 Abs 1, 39 Abs 1 lit a und b und Abs 3 lit c FinStrG aF unterstellten Taten seines Entscheidungsträgers L* N* (1), demzufolge auch im Ausspruch der Verbandsgeldbuße aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
Die Staatsanwaltschaft wird mit ihrer Berufung auf die Aufhebung des Ausspruchs der Verbundsgeldbuße verwiesen.
Dem belangten Verband fallen auch die Kosten des Rechtmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde die L* GmbH gemäß § 3 Abs 1 Z 1 (und 2) und Abs 2 VbVG iVm § 28a Abs 1 FinStrG für ein Verbrechen des Abgabenbetrugs nach §§ 33 Abs 1, 39 Abs 1 lit a „und b“ und Abs 3 lit c FinStrG (1), ein „Finanzvergehen des Abgabenbetruges nach §§ 13, 33 Abs 1, 39 Abs 1 lit a FinStrG“ (2 I A) und ein Verbrechen des Abgabenbetrugs nach §§ 33 Abs 2 lit a, 39 Abs 1 lit a und Abs 3 lit c FinStrG (2 I B), jeweils (erkennbar gemeint) idF vor BGBl I 2019/62, verantwortlich erkannt, die ein Entscheidungsträger dieser Gesellschaft, nämlich deren Geschäftsführer L* N*, als solcher rechtswidrig und schuldhaft zu ihren Gunsten begangen und dadurch die Gesellschaft treffende Pflichten verletzt hat.
[2] Dabei ging das Erstgericht (zusammengefasst) davon aus, es haben vorsätzlich unter Verwendung von Scheinrechnungen (mehrerer im Ersturteil genannter Scheinunternehmen), somit (richtig nur) falscher Beweismittel (RIS-Justiz RS0131592 [T1], zur rechtlichen Gleichwertigkeit der Qualifikationsfälle des § 39 Abs 1 FinStrG siehe RIS-Justiz RS0130666),
(1) im Bereich des (ehemaligen) Zollamts Wien unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht Verkürzungen an Mineralölsteuer um 3.799.808,98 Euro bewirkt, und zwar
L* N* „als Geschäftsführer der L* GmbH und N* N* sowie Lu* N* als Inhaber ihrer Einzelfirmen im bewussten und gewollten Zusammenwirken“, indem sie „im Zeitraum 2. November 2012 bis 26. November 2013 in 324 Importvorgängen“ „insgesamt 8,940.727 Liter“ „unversteuertes Mineralöl des Typs „PROTECTIVE OIL CR-7“ von Polen und der Slowakei in das österreichische Steuergebiet einführten bzw. verbrachten und verbringen ließen, und sie es in der Folge unterließen, ordnungsgemäße Anzeige iSd § 23 Abs 5 MinStG zu erstatten,“ weiters
(2) L* N* als Geschäftsführer der L* GmbH im Bereich des (ehemaligen) Finanzamts Wien 3/5/6/7/11/15 Schwechat Gerasdorf Verkürzungen an Umsatzsteuer teils bewirkt, teils dies versucht (§ 13 FinStrG), und zwar
(I A) unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht am 4. November 2013 durch die Abgabe einer unrichtigen Jahressteuererklärung für das Jahr 2012 um 84.446,46 Euro, wobei es beim Versuch (§ 13 FinStrG) blieb, sowie
(I B) unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von § 21 UStG entsprechenden Voranmeldungen für jeden einzelnen der Kalendermonate Jänner bis Juli 2013 um (im Ersturteil nach Entrichtungszeiträumen aufgegliedert) zusammen 760.271,63 Euro, wobei er das Bewirken der Abgabenverkürzung nicht nur für möglich, sondern für gewiss hielt (US 49).
Zu den Rechtsmitteln:
Rechtliche Beurteilung
[3] Vorangestellt sei, dass der Antrag auf Verhängung einer Verbandsgeldbuße gemäß § 21 Abs 2 VbVG mit der Anklage des L* N* wegen jener Straftaten verbunden war, für die der Verband – als dessen Entscheidungsträger (§ 2 Abs 1 VbVG) der Genannte gehandelt habe – verantwortlich (§ 3 VbVG) sein soll (ON 409 sowie ON 18 in ON 493). Daher kamen dem belangten Verband (§ 13 Abs 1 zweiter Satz VbVG) gemäß § 15 Abs 1 zweiter Satz VbVG auch im betreffenden Verfahren gegen diese natürliche Person die Rechte des Beschuldigten zu (RIS-Justiz RS0133395).
[4] Der belangte Verband war in der gesamten – gemäß § 22 Abs 1 VbVG gemeinsam mit jener gegen ihn selbst geführten – Hauptverhandlung im Verfahren gegen die natürliche Person vertreten (ON 499, 504, 506, 513, 524, 570, 619, 622 und 635).
[5] In der Hauptverhandlung am 15. Februar 2021 wurde zunächst das Urteil über die natürliche Person (§ 22 Abs 1 VbVG) verkündet, mit dem L* N* der ihm zur Last gelegten strafbaren Handlungen schuldig erkannt wurde (ON 636). Sodann wurde – gemäß § 22 Abs 2 VbVG davon getrennt – das Urteil über den belangten Verband (ON 637) verkündet (ON 635 S 10 ff).
[6] Dem belangten Verband stand es frei, das Urteil über die natürliche Person (ON 636) oder das über ihn selbst ergangene Urteil (ON 637) oder beide Urteile zu bekämpfen (§ 15 Abs 1 zweiter Satz VbVG; § 24 VbVG).
[7] In einem binnen der Frist des § 284 Abs 1 StPO (§ 294 Abs 1 erster Satz StPO) eingebrachten Schriftsatz erklärte er (bloß), Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen „das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien zu 124 Hv 8/18g vom 15. Februar 2021“ anzumelden (ON 647).
[8] Dieser Erklärungsinhalt ließ offen, gegen welches von beiden Urteilen sich seine Rechtsmittel richten sollten. Ein Rechtsmittel wurde damit gegen keines von beiden Urteilen deutlich und bestimmt angemeldet (RIS-Justiz RS0100007 [T11]).
[9] Die – binnen vier Wochen nach Zustellung von Ausfertigungen beider Urteile an den (gemeinsamen) Verteidiger sowohl des Angeklagten L* N* als auch des belangten Verbandes – vom belangten Verband (nur) gegen das Verbandsurteil (ON 637) ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung wurden demnach von einer Person eingebracht, der diese Rechtsmittel nicht (mehr) zukommen (§ 285a Z 1 StPO, § 294 Abs 4 erster Satz StPO).
[10] N* N* (einem der Mitangeklagten des L* N*), der (auch) gegen das Verbandsurteil (ON 637) die – insoweit ohnedies unausgeführt gebliebenen – Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung angemeldet hat (ON 648), wiederum fehlt es diesbezüglich von vornherein an der Anfechtungslegitimation (§ 282 StPO und § 283 Abs 2 StPO iVm § 24 VbVG; § 285a Z 1 StPO, § 294 Abs 4 erster Satz StPO).
[11] Die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen waren daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO, § 296 Abs 2 StPO).
Zur amtswegigen Maßnahme:
[12] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem angefochtenen Urteil im Ausspruch der Verbandsverantwortlichkeit für die (Anknüpfungs-)Taten zu 1 nicht geltend gemachte materielle Nichtigkeit (nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) anhaftet, die dem belangten Verband zum Nachteil gereicht und daher von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):
[13] Strafrechtliche Verantwortlichkeit eines Verbandes für die „Straftat“ (§ 3 Abs 1 VbVG, § 1 Abs 1 zweiter Satz VbVG) einer natürlichen Person nach (hier relevant) § 3 Abs 1 und Abs 2 VbVG (iVm § 28a Abs 1 FinStrG) setzt voraus, dass
[14] - die (Anknüpfungs-)Tat die Kriterien des § 3 Abs 2 VbVG (Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuldhaftigkeit) erfüllt und solcherart eine mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung begründet (zum Begriff im gegebenen Zusammenhang Oberressl, Besonderheiten des Haupt- und des Rechtsmittelverfahrens nach dem VbVG, ÖJZ 2020, 815 [815 f, insbesondere bei FN 2 und 10 mwN]; zur Einschränkung bei Finanzvergehen siehe § 1 Abs 1 letzter Halbsatz VbVG),
[15] - der Täter (zur Tatzeit) Entscheidungsträger (§ 2 Abs 1 VbVG) des belangten Verbands ist und die Tat „als solcher“ (§ 3 Abs 2 VbVG) begangen hat und
[16] - die Tat zu Gunsten des Verbandes begangen worden ist (§ 3 Abs 1 Z 1 VbVG) oder durch die Tat Pflichten verletzt worden sind, die den Verband treffen (§ 3 Abs 1 Z 2 VbVG).
[17] Vorliegend wurde die L* GmbH (undifferenziert) für alle zu 1 angeführten, (insgesamt) einem Verbrechen des Abgabenbetrugs nach §§ 33 Abs 1, 39 Abs 1 lit a und b und Abs 3 lit c erster Satz aF FinStrG unterstellten – gleichartigen (§ 33 Abs 1 FinStrG, vgl RIS-Justiz RS0130035) – Taten des L* N* nach § 3 Abs 1 und 2 VbVG verantwortlich erkannt.
[18] Der Genannte war zwar – den Urteilsfeststellungen zufolge – während des gesamten Tatzeitraums Geschäftsführer, somit Entscheidungsträger (und abgabenrechtlich Verantwortlicher) des belangten Verbands (§ 2 Abs 1 Z 1 VbVG). Die in Rede stehende Tatmehrheit (1) umfasst aber nur zum Teil solche Taten des Genannten, durch die – von ihm als abgabenrechtlich Verantwortlichem der L* GmbH und somit unmittelbarem Täter (§ 11 erster Fall FinStrG, dazu im gegebenen Zusammenhang Lässig in WK2 FinStrG § 11 Rz 2 ff) – den belangten Verband (als Steuerschuldner) treffende Abgabenpflichten verletzt wurden. Seine übrigen davon umfassten Taten bilden (richtig) sonstige Beiträge (§ 11 dritter Fall FinStrG) zu Abgabenhinterziehungen anderer Steuerpflichtiger, nämlich teils des N* N*, teils des Lu* N* (zum Urteilssachverhalt, der sich insoweit mit dem im Urteil über die natürlichen Personen [ON 636] festgestellten Sachverhalt deckt, siehe die diesbezügliche Entscheidung des Obersten Gerichtshofs AZ 13 Os 44/22b).
[19] Auf der Feststellungsbasis des Ersturteils bleibt offen, inwieweit der Entscheidungsträger letztere Finanzvergehen – wie von § 3 Abs 2 VbVG gefordert – „als solcher“, nämlich in Ausübung seiner Funktion (RIS-Justiz RS0130433) als Geschäftsführer des belangten Verbandes, begangen haben soll.
[20] Jedenfalls wurden dadurch keine Pflichten verletzt, die den Verband treffen (§ 3 Abs 1 Z 2 VbVG).
[21] Von ihrer Begehung „zu Gunsten“ des Verbandes (§ 3 Abs 1 Z 1 VbVG) wiederum könnte dann ausgegangen werden, wenn die (vom Entscheidungsträger geförderte) Verletzung der fremden Abgabenpflicht oder der dazu geleistete Beitrag (§ 11 dritter Fall FinStrG) des Entscheidungsträgers – hier etwa das Veranlassen konkreter Import- oder Umpumpvorgänge in Bezug auf anschließend im Rahmen der Tankstellenbetriebe des N* N* und des Lu* N* (ohne nachfolgende Steuerabfuhr) abgegebene Mineralölmengen – auch einen (zumindest mittelbaren) Vorteil für den belangten Verband erbracht hätten oder hätten erbringen sollen (vgl RIS-Justiz RS0131245 sowie Lehmkuhl/Zeder in WK2 VbVG § 3 Rz 8 f). Auch ein diesbezügliches Sachverhaltssubstrat lässt das Ersturteil aber vermissen.
[22] Hiervon ausgehend kann derzeit nicht beurteilt werden, ob der belangte Verband für alle oder bloß für einen Teil der – wenngleich nach dem Urteilssachverhalt jeweils tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft begangenen (§ 3 Abs 2 VbVG) – Taten seines Entscheidungsträgers zu 1 verantwortlich (§ 3 Abs 1 und 2 VbVG) ist.
[23] Ist der Verband aber nur für einen Teil dieser – im Ersturteil bloß pauschal individualisierten – (vorsätzlich begangenen) Finanzvergehen seines Entscheidungsträgers verantwortlich, kommt es weiters darauf an, ob auf diese Teilmenge ein zusammen 100.000 Euro übersteigender strafbestimmender Wertbetrag entfällt (§ 53 Abs 1 FinStrG). Denn diese Finanzvergehen fielen in die sachliche Zuständigkeit einer anderen Finanzstrafbehörde als die vom Ausspruch der Verbandsverantwortlichkeit zu 2 I A und zu 2 I B umfassten, (vom Entscheidungsträger ebenfalls) vorsätzlich begangenen Finanzvergehen, sodass nicht schon das Zusammentreffen mit Letzteren Gerichtszuständigkeit (§ 53 FinStrG) begründet.
[24] Auch darüber gibt das Ersturteil in tatsächlicher Hinsicht keine Auskunft.
[25] Zur Klarstellung sei hinzugefügt: Ob „Finanzvergehen von Verbänden“ vom Gericht zu ahnden (§ 28a Abs 1 FinStrG) sind, bestimmt sich nach § 53 FinStrG (Oreschnik/Twardosz in Tannert/Kotschnigg/Twardosz, FinStrG § 28a Rz 8; vgl Soyer/Pollak in Soyer, Handbuch Unternehmensstrafrecht Rz 3.179 f). Aus der Zuständigkeit des Gerichts zur Ahndung mehrerer zusammentreffender Finanzvergehen einer natürlichen Person, die nur zum Teil auch Anknüpfungstaten im Sinn des § 3 VbVG sind, folgt dabei nicht per se, dass das Gericht auch zur Ahndung von Verbandsverantwortlichkeit in Bezug auf Letztere zuständig ist. Da der Verband kein „vorsätzlich an der Tat Beteiligte[r]“ (§ 53 Abs 4 FinStrG) ist, kann insoweit Gerichtskompetenz nicht gemäß § 53 Abs 4 FinStrG begründet werden. Eine Gesetzeslücke, die zu einem Analogieschluss berechtigen würde, ist mit Blick auf den Ausnahmecharakter dieser Bestimmung nicht auszumachen.
[26] Die aufgezeigten Rechtsfehler mangels Feststellungen führten – erneut im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zur Aufhebung des angefochtenen Urteils wie aus dem Spruch ersichtlich bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§§ 285e, 290 Abs 1 zweiter Satz StPO iVm § 195 Abs 1 und 3 FinStrG sowie § 14 Abs 1 VbVG).
Für den zweiten Rechtsgang sei hinzugefügt:
[27] 1. Mit dieser Entscheidung in Teilrechtskraft (§ 289 StPO) erwachsen ist der Ausspruch der Verbandsverantwortlichkeit für die Anknüpfungstaten 2 I B, die das Erstgericht – rechtsrichtig – einem Verbrechen des Abgabenbetrugs nach §§ 33 Abs 2 lit a, 39 Abs 1 lit a und Abs 3 lit c FinStrG idF vor BGBl I 2019/62 unterstellt hat.
[28] Ebenso der Ausspruch der Verbandsverantwortlichkeit für die Anknüpfungstat 2 I A, die es auf der Basis des Urteilssachverhalts zutreffend §(§ 13,) 33 Abs 1 FinStrG und § 39 Abs 1 lit a FinStrG subsumierte. Letzteres deshalb, weil dieses Finanzvergehen den Urteilsfeststellungen zufolge unter Verwendung falscher Beweismittel begangen wurde und – obwohl der (konstatierte) maßgebliche strafbestimmende Wertbetrag von 84.446,46 Euro die gerichtliche Zuständigkeitsgrenze (§ 53 Abs 1 FinStrG) für sich allein genommen unterschreitet – vorliegend jedenfalls – originär – durch das Gericht zu ahnden ist (zu dieser Tatbestandsvoraussetzung des § 39 Abs 1 FinStrG Lässig in WK2 FinStrG § 39 Rz 2 f). Denn es wäre in die (seinerzeitige) örtliche und sachliche Zuständigkeit derselben Finanzstrafbehörde (nämlich des Finanzamts Wien 3/5/6/7/11/15 Schwechat Gerasdorf) gefallen wie die damit zusammentreffenden, vom bestandskräftigen Ausspruch zu 2 I B umfassten Taten, wobei die Summe der strafbestimmenden Wertbeträge aus sämtlichen den Aussprüchen 2 I A und 2 I B zu Grunde liegenden (jeweils vorsätzlich begangenen) Finanzvergehen 100.000 Euro überstieg (§ 53 Abs 1 FinStrG in der – hier mit Blick auf die jedenfalls vor dem 1. Jänner 2021 gelegenen Tatzeitpunkte anzuwendenden [Lässig in WK2 FinStrG § 53 Rz 8 und § 265 Rz 4] – Fassung vor BGBl I 2019/104, vgl dazu 13 Os 35/20a).
[29] 2. Im Umfang der Aufhebung (1) wird zu beachten sein, dass aufgrund der (gleichzeitig mit diesem Erkenntnis ergehenden) Entscheidung des Obersten Gerichtshofs AZ 13 Os 44/22b das Urteil über L* N* (ON 636) in Rechtskraft erwächst. Der darin enthaltene Schuldspruch (1) des Genannten umfasst genau jene Tatmehrheit, auf die sich der aufgehobene Ausspruch der Verbandsverantwortlichkeit zu 1 bezieht. Dazu ist festzuhalten:
[30] § 22 Abs 4 und 5 VbVG treffen keine abschließende Regelung über den Inhalt von Urteilen (und deren Ausfertigung) im Verfahren gegen Verbände. Sie „ergänzen“ vielmehr die diesbezüglichen Bestimmungen der StPO (iVm § 14 Abs 1 und 3 VbVG) im Sinn einer punktuellen Adaption (13 Os 109/17d, 110/17a). Der Ausspruch der Verbandsverantwortlichkeit (§ 22 Abs 4 erster Teilsatz VbVG) ist Analogon zum Referat der entscheidenden Tatsachen und zum Schuldspruch (§ 260 Abs 1 Z 1 und 2 StPO [13 Os 82/15f, vgl zum Ganzen ErläutRV 994 BlgNR 22. GP 37, Lehmkuhl/Zeder in WK2 VbVG § 22 Rz 8 sowie Schumann in Soyer, Handbuch Unternehmensstrafrecht Rz 7.22]).
[31] Beim kondemnierenden Verbandsurteil bedeutet Subsumtion (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO, § 22 Abs 4 erster Teilsatz VbVG) die rechtliche Unterstellung der im Referat (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO, § 22 Abs 4 erster Teilsatz VbVG) zusammengefassten „als erwiesen angenommenen Tatsachen“, also des (festgestellten) haftungsbegründenden Sachverhalts (nämlich der „Straftat“ und jener „Umstände“, aufgrund welcher der Verband „verantwortlich befunden wird“ [§ 22 Abs 4 erster Teilsatz VbVG]), unter einen der Verantwortlichkeitstatbestände des § 3 (Abs 1 und 2 oder Abs 1 und 3) VbVG. Sie umfasst auch den Ausspruch darüber, welche konkrete(n) mit Strafe bedrohte(n) Handlung(en) die festgestellte Anknüpfungstat (Entscheidungsträger- oder Mitarbeitertat) begründet (Oberressl, ÖJZ 2020, 815 [820] mwN).
[32] Diese mit Strafe bedrohte Handlung kann auch eine Subsumtionseinheit (hier nach § 39 FinStrG) sein, zu der mehrere Taten ein und desselben Täters (Entscheidungsträgers oder Mitarbeiters), für die der belangte Verband verantwortlich (§ 3 VbVG) befunden wird, zusammengefasst werden (zB 13 Os 64/17m [§ 39 FinStrG] und 11 Os 77/17h [§ 29 StGB]).
[33] Ein wegen solcher (Anknüpfungs-)Taten ergangener, rechtskräftiger Schuldspruch der natürlichen Person ist – unter den in 13 Os 128/20b formulierten Voraussetzungen (RIS-Justiz RS0133674) – auch für den Verband bindend (zu den Auswirkungen im Hauptverfahren – hier des zweiten Rechtsgangs – erneut Oberressl, ÖJZ 2020, 815 [826]).
[34] Diese Voraussetzungen liegen hier vor: Der Verband wurde wegen aller vom Schuldspruch 1 (und 2 I A) des L* N* umfassten, (richtig) einem Verbrechen des Abgabenbetrugs nach §§ 33 Abs 1, 39 Abs 1 lit a und Abs 3 lit c FinStrG aF subsumierten Taten belangt und hätte den diesbezüglichen Schuldspruch – der nunmehr sämtlichen Anfechtungsberechtigten gegenüber in Rechtskraft erwächst – kraft seiner Parteistellung im Verfahren gegen die natürliche Person (§ 15 Abs 1 zweiter Satz VbVG) in gleicher Weise wie diese bekämpfen können.
[35] Allerdings reicht dies nicht hin, um den Ausspruch der Verbandsverantwortlichkeit für diese Taten des L* N* zu begründen.
[36] Im zweiten Rechtsgang wird vielmehr durch Feststellungen zu klären sein, ob der (wegen all dieser Taten belangte) Verband hinsichtlich aller oder eines Teils der (vom Verurteilten jedenfalls tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft begangenen) Taten (1) auch die übrigen Haftungsvoraussetzungen (hier des § 3 Abs 1 und 2 VbVG) erfüllt.
[37] Im letzteren Fall ist der Antrag auf Verhängung einer Verbandsgeldbuße wegen jener (Teilmenge) dieser Taten (1), die nicht alle Haftungsvoraussetzungen erfüllen, jedenfalls abzuweisen (hier § 214 FinStrG).
[38] In Bezug auf jene (Teilmenge dieser) Taten (1), für die der belangte Verband infolge Vorliegens auch der übrigen Voraussetzungen des § 3 Abs 1 und 2 VbVG verantwortlich ist, gilt:
[39] Vorbehaltlich des Erreichens der gerichtlichen Zuständigkeitsgrenze (§ 53 Abs 1 FinStrG; vgl RIS-Justiz RS0121978) durch die (zu 1) verbleibenden Finanzvergehen „des Verbandes“ ist deren Unterstellung nach § 33 Abs 1 FinStrG sowie die rechtliche Annahme ihrer Begehung unter Verwendung falscher Beweismittel (§ 39 Abs 1 lit a FinStrG) – nach dem zuvor Gesagten – bereits bindend konstatiert.
Hiervon ausgehend ist – abhängig von der diesbezüglich im zweiten Rechtsgang zu schaffenden Feststellungsgrundlage – wie folgt zu verfahren:
[40] a) Übersteigt die Summe der maßgeblichen strafbestimmenden Wertbeträge aus diesen Finanzvergehen nicht 100.000 Euro (§ 53 Abs 1 FinStrG), ist der Antrag auf Verhängung einer Verbandsgeldbuße in diesem Umfang (1)
– wegen Unzuständigkeit der Gerichte (§ 214 FinStrG) zur Ahndung der betreffenden Finanzvergehen „des Verbandes“ (§ 28a Abs 1 FinStrG) – insgesamt abzuweisen.
[41] b) Übersteigt die Summe der maßgeblichen strafbestimmenden Wertbeträge aus diesen Finanzvergehen 100.000 Euro, liegt insoweit sowohl Gerichtszuständigkeit (gemäß § 53 Abs 1 FinStrG) als auch das hierauf abstellende Tatbestandserfordernis des § 39 Abs 1 FinStrG (dazu erneut Lässig in WK2 FinStrG § 39 Rz 2 f) vor. Dann sind diese Finanzvergehen „des Verbandes“ mit den vom – bestandskräftigen, ein im Verhältnis dazu gleichartiges Finanzvergehen (nämlich ebenfalls ein solches nach § 33 Abs 1 FinStrG) umfassenden – Ausspruch der Verbandsverantwortlichkeit zu 2 I A zu einer Subsumtionseinheit nach §§ 33 Abs 1, 39 Abs 1 lit a FinStrG zusammenzufassen (RIS-Justiz RS0130035).
[42] c) Übersteigt außerdem der strafbestimmende Wertbetrag aus diesem Abgabenbetrug (1 und 2 I A) insgesamt 500.000 Euro, begründen die davon umfassten Finanzvergehen „des Verbandes“ (zusammen) ein Verbrechen des Abgabenbetrugs nach §§ 33 Abs 1, 39 Abs 1 lit a und Abs 3 lit c FinStrG aF.
[43] Der Kostenausspruch, der die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a StPO (iVm § 14 VbVG).
Textnummer
E136937European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2022:0130OS00045.22Z.1123.000Im RIS seit
10.01.2023Zuletzt aktualisiert am
10.01.2023