Kopf
Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 12. Dezember 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden, die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Richterin sowie die Rechtsanwältin Dr. Strauss und den Rechtsanwalt Dr. Pressl als Anwaltsrichter in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Seidenschwann in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 DSt über die Berufung des Kammeranwalts gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer für Kärnten vom 11. Oktober 2021, GZ D 19/18, DV 5/19-50, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Schneider, des Kammeranwalts Dr. Tautschnig und des Beschuldigten zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde * vom Vorwurf freigesprochen, er habe vom Frühjahr 2017 bis zum Jahresende 2017 gegen das Verbot der Doppelvertretung (§ 10 Abs 1 RAO und § 10 RL-BA 2015) verstoßen, weil er „im Zusammenhang mit dem Gesamtkomplex * und damit zusammenhängender Themenkomplexe“ einerseits die * GmbH gegen die * GmbH und andererseits die R* GmbH gegen die F* GmbH rechtlich vertreten hatte.
Rechtliche Beurteilung
[2] Die dagegen wegen des Ausspruchs über die Schuld erhobene Berufung – die im Regelungsbereich des DSt die Berufungspunkte des § 464 Z 1 und 2 erster Fall StPO umfasst (RIS-Justiz RS0128656 [T1]) – des Kammeranwalts geht fehl.
[3] Nach dem Protokoll über die Verhandlung des Disziplinarrats vom 11. Oktober 2021 (ON 49) erstattete der Kammeranwalt in dieser Verhandlung folgendes Vorbringen (ON 49 S 5 f):
[4] „Aus den Firmenbuchunterlagen und aus den Gesellschafterversammlungsprotokollen aus Juli, September und Dezember 2017 ergibt sich, dass * W* zu dieser Zeit bereits durch den Disziplinarbeschuldigten, wenn auch teilweise in anderen Zusammenhängen vertreten war. Auf Grund seines Verhältnisses mit dem Gesellschafter Mag. G* hat er sich dessen Rolle in der Gesellschaft H* bemächtigt, seine Geschäftsführerrolle erworben und ab diesem Zeitpunkt diese Position dazu benutzt hat, geschäftliche Auseinandersetzungen mit der laut Aussage des Disziplinarbeschuldigten 'Gegenpartei' Familie S* im Zusammenhang mit dem Bauvorhaben Warmbad zu betreiben, um dort zu einer namhaften Ablöse zu kommen. Insbesondere die Gesellschafterversammlung vom 18. 12. 2017 hat * W* aus dieser faktischen Gesellschafterstellung in der * GmbH durch die Teilname an der Gesellschafterversammlung der * GmbH, deren Geschäftsführer er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr war, dazu benutzt, auch zu Informationen über den Status der Gesellschaft zu gelangen. Zu diesem Zeitpunkt wurden laut Protokoll dieser Versammlung anhand eines Schreibens des anwesenden Disziplinarbeschuldigten das dort nach dem Wortlaut des Protokolls der Versammlung und zu Handen des * W* als 'Vertreter des Gesellschafters Mag. G*' eröffnet wurde finanzielle Statusdaten der H* GmbH bekannt gegeben, die W* zu gesellschaftsfremden Zwecken benutzen konnte.“
[5] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) folgte der Disziplinarrat dem zum Beweis „für diesen Sachverhalt“ gestellten Antrag auf Vernehmung des Mag. G* und des „Protokollverfassers“ Notar Mag. * R* als Zeugen (ON 49 S 6) zu Recht nicht:
[6] In Bezug auf Mag. R* überging der Beweisantrag, dass das angesprochene Protokoll nach der Aktenlage (Beilage 14 zu ON 6) nicht vom Genannten, sondern von dessen Substitut Ing. Mag. A* aufgenommen worden war. Hievon ausgehend fehlte es dem Antrag schon an der gebotenen Darlegung, warum die begehrte Beweisaufnahme das behauptete Ergebnis – also Angaben des Mag. R* über persönliche Wahrnehmungen zu der in Rede stehenden Generalversammlung – erwarten lasse (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 330 mwN).
[7] Hinsichtlich der angestrebten Vernehmung des Mag. G* war der Antrag nicht auf den Nachweis einer erheblichen Tatsache gerichtet (§ 55 Abs 2 Z 2 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt), weil das Vorbringen von der nicht zutreffenden Prämisse ausging, dass zwischen einer Kapitalgesellschaft und deren Gesellschaftern oder Organen aus dem Blickwinkel der Doppelvertretung Identität bestehe (vgl 25 Ds 2/20s, siehe auch RIS-Justiz RS0055023 [T4]).
[8] In der Berufung nachgetragene Argumente zur Antragsfundierung sind aufgrund des aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierenden Neuerungsverbots unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618 [T16 und T24]).
[9] Die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld im engeren Sinn (§ 464 Z 2 erster Fall StPO) übersieht zunächst grundlegend, dass eine Beurteilung als Verstoß gegen das Verbot der materiellen Doppelvertretung aufgrund der Bindung an die Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofs (§ 293 Abs 2 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt) in dessen hier im ersten Rechtsgang ergangener Entscheidung (25 Ds 2/20s) nur bei geänderter Sachverhaltsgrundlage in Frage käme (vgl Ratz, WK-StPO § 293 Rz 11 und 13). Soweit die Berufung auf der Basis der gegenüber den im ersten Rechtsgang getroffenen unverändert gebliebenen Feststellungen das Vorliegen eines „assoziierten Verbandsverhältnisses“ und einer materiellen Doppelvertretung behauptet, kann ihr daher von vornherein kein Erfolg beschieden sein.
[10] Im Übrigen erklärt die Berufung nicht, den Ersatz welcher konkreter, in den Entscheidungsgründen festgestellter und den Freispruch nach Maßgabe rechtsrichtiger Subsumtion tragender Feststellungen sie begehrt, womit sie sich von den gesetzlichen Anfechtungskriterien entfernt (Ratz, WK-StPO § 464 Rz 6 und 8).
[11] Eine Tatsachenrüge (Z 5a), die im Übrigen nach der Strafprozessordnung zum Nachteil des Angeklagten nicht offensteht (§ 281 Abs 2 StPO), kann in Verfahren, in denen
– wie hier (§ 49 DSt) – eine Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld vorgesehen ist, nicht erhoben werden (RIS-Justiz RS0132515 [T1]).
[12] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a), die Feststellungen vermisst, wonach „W* in die Gesellschafterpositionen des G* in der H* geschlüpft ist, um sich mit der in der H* beteiligten Seite S* mit dem Ziel auseinanderzusetzen, diese in einem anderem Projekt 'Warmbad' zu Zugeständnissen zu zwingen, wobei die F* zugleich präsumtive Übernehmerin der Anteile G* in der H* sein sollte, womit der Interessenkonflikt perfekt wurde“, unterlässt prozessordnungswidrig die Bezeichnung der aus ihrer Sicht solche Konstatierungen indizierenden Verfahrensergebnisse (RIS-Justiz RS0099689 [insbesondere T6]).
[13] Hinzu kommt, dass die Berufung nicht aus dem Gesetz ableitet (RIS-Justiz RS0116565), weshalb die begehrten Konstatierungen mit Blick auf die (nicht erfolgreich bekämpfte) Negativfeststellung dazu, dass es sich bei den dem Beschuldigten von der * GmbH anvertrauten Angelegenheiten oder im Zuge der Vertretung sonst erlangten Informationen um Umstände gehandelt hat, deren Geheimhaltung im Interesse seiner Mandantin gelegen wäre (ES 4), geeignet sein sollten, dem angefochtenen Freispruch die Grundlage zu entziehen.
[14] Der Berufung war daher insgesamt ein Erfolg zu versagen.
Textnummer
E136948European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2022:0220DS00003.22V.1212.000Im RIS seit
10.01.2023Zuletzt aktualisiert am
10.01.2023