Index
10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AsylG 2005 §3 Abs1Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revisionen von 1. M K, 2. E Z und 3. A K, alle vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts jeweils vom 15. Dezember 2020, 1. L506 2164783-1/25E, 2. L 506 2202681-1/24E und 3. L 506 2236658-1/9E, betreffend Asylangelegenheiten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der erstrevisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 und den zweit- und drittrevisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 Der Erstrevisionswerber ist der Vater und die Zweitrevisionswerberin - die nunmehrige Lebensgefährtin des Erstrevisionswerbers - die Mutter des bereits in Österreich am 21. März 2020 geborenen Drittrevisionswerbers. Alle sind Staatsangehörige des Iran.
2 Der Erstrevisionswerber stellte am 8. Dezember 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz und brachte vor, er habe sich bereits im Iran zu keiner Religion bekannt, sondern auf Nachfrage immer „Menschlichkeit“ als seine Religion angegeben. Nachbarn hätten ihn deshalb bedroht und beschimpft. Außerdem wolle er sich weiterbilden, wofür Österreich hervorragende Möglichkeiten biete.
3 Die Zweitrevisionswerberin war erstmals schon am 16. November 2015 legal unter Verwendung eines Reisepasses nach Österreich eingereist und hatte eine Aufenthaltsbewilligung für Studierende mit einer Gültigkeitsdauer von einem Jahr ab 24. November 2015 (also bis 24. November 2016) erhalten. Bereits am 12. März 2016 reiste sie vorerst wieder in den Iran aus.
4 Nach erneuter Einreise nach Österreich stellte die Zweitrevisionswerberin am 3. November 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz und brachte vor, sie sei seit ca. 8 Jahren mit einem Staatsangehörigen des Iran verheiratet. In Österreich habe sie einen anderen Mann (den Erstrevisionswerber) kennengelernt und liebe diesen, weshalb sie sich von ihrem Ehemann scheiden lassen wolle. Das habe sie ihrem Ehemann beim letzten Aufenthalt im Iran gesagt; er wolle das aber nicht. Dass eine verheiratete Frau einen anderen Mann liebe und mit ihm zusammen sein wolle, sei im Iran als „Ehebetrug“ mit der Todesstrafe (Steinigung) bedroht, weshalb ihr Leben bei einer Rückkehr in Gefahr wäre. Bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 7. Mai 2018 gab die Zweitrevisionswerberin an, ihr Ehemann habe sich bereits zwei Jahre nach der Heirat „verändert“ und sie unter Berufung auf den Koran geschlagen. Bei ihrem letzten Aufenthalt im Iran habe er sie damit bedroht, dass er ein Ausreiseverbot gegen sie erwirken und ihre Steinigung veranlassen werde, woraufhin ihr Anwalt ihr zur Ausreise geraten habe. Die Ausreiseerlaubnis habe ihr Ehemann ihr nur gegen Vollmachtserteilung für ihr Vermögen erteilt. Außerdem habe er ihre Familie derart bedroht, dass ihr Vater einen Herzinfarkt erlitten und den Wohnsitz gewechselt habe.
5 Am 27. Dezember 2016 erfolgte die Taufe des Erstrevisionswerbers durch die iranisch christliche Gemeinde.
6 Mit Bescheiden vom 4. Juli 2017 bzw. vom 27. Juni 2018 wies das BFA die Anträge des Erstrevisionswerbers bzw. der Zweitrevisionswerberin auf internationalen Schutz ab, gewährte ihnen keine Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), stellte die Zulässigkeit ihrer Abschiebung in den Iran fest und setzte ihnen jeweils eine Frist für die freiwillige Ausreise. Dagegen erhoben der Erstrevisionswerber sowie die Zweitrevisionswerberin Beschwerden.
7 Nach der Geburt des Drittrevisionswerbers am 21. März 2020 stellte auch dieser, vertreten durch die Zweitrevisionswerberin, einen Antrag auf internationalen Schutz, ohne eigene Verfolgungsgründe vorzubringen. Über diesen Antrag erging eine - den Bescheiden der Eltern entsprechende - abschlägige Entscheidung des BFA, die ebenfalls in Beschwerde gezogen wurde.
8 Das Bezirksgericht Fünfhaus stellte mit Beschluss vom 28. September 2020 die Vaterschaft des Erstrevisionswerbers zum Drittrevisionswerber fest.
9 Mit Urteil vom 13. Oktober 2020 sprach das Bezirksgericht Fünfhaus gemäß § 4 des iranischen Gesetzes betreffend die Eheschließung die Scheidung der von der Zweitrevisionswerberin im Jahr 2008 in Teheran geschlossenen Ehe aus.
10 Mit den angefochtenen Erkenntnissen wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerden der revisionswerbenden Parteien nach Durchführung mündlicher Verhandlungen jeweils als unbegründet ab und erklärte jeweils die Revision für nicht zulässig.
11 Das BVwG hielt fest, es könne nicht festgestellt werden, dass die Zweitrevisionswerberin vor ihrer Ausreise von ihrem früheren Ehemann mit dem Umbringen bedroht worden sei, noch dass sie in der Zukunft solchen Bedrohungen ausgesetzt sein werde. Es könne nicht festgestellt werden, dass die iranischen Behörden von der Beziehung der Zweitrevisionswerberin zum Erstrevisionswerber in Österreich von deren früheren Ehemann informiert worden wären. Eine Gefährdung der Zweitrevisionswerberin oder des Erstrevisionswerbers wegen der außerehelichen Geburt des Drittrevisionswerbers könne nicht festgestellt werden. Beweiswürdigend führte das BVwG aus, das Vorbringen der Zweitrevisionswerberin, sie habe aufgrund der Bedrohungen durch ihren früheren Ehemann und dessen Weigerung, sich von ihr scheiden zu lassen, den Iran verlassen, sei aus näher dargestellten Gründen, insbesondere aufgrund widersprüchlicher Angaben im Laufe des Verfahrens, unglaubwürdig. Das BVwG übersehe nicht, dass außerehelicher Geschlechtsverkehr im Iran grundsätzlich unter Bestrafung (Steinigung, Todesstrafe, Auspeitschen) stehe, doch setze eine Strafverfolgung die Kenntnis der Strafbehörden davon und das Vorliegen eines Beweises für den Ehebruch voraus. Die Zweitrevisionswerberin habe nicht vorgebracht, dass iranische Behörden - etwa aufgrund einer Anzeige des früheren Ehemannes - bereits diesbezügliche Ermittlungen angestellt hätten. Nach den Länderfeststellungen würden an den Beweis eines Ehebruches besonders strenge Anforderungen gestellt; die Geburt eines außerehelichen Kindes allein werde nicht als Beweis für Ehebruch angesehen. Die Mutter eines unehelichen Kindes müsse mit keinen staatlichen Maßnahmen rechnen bzw. könne sich gegebenenfalls von einer körperlichen Strafe freikaufen. Allfälligen Problemen mit ihren jeweiligen Herkunftsfamilien könnten die revisionswerbenden Parteien durch die Ansiedlung in einem anderen Landesteil des Iran entgehen. Dem Erstrevisionswerber und der Zweitrevisionswerberin sei es unbenommen, die Ehescheidung auch bei den iranischen Behörden registrieren zu lassen und eine Ehe einzugehen, sodass es sich bei dem aus dieser Beziehung hervorgegangenen Kind nicht mehr um ein uneheliches Kind handeln würde. Die Hinwendung des Erstrevisionswerbers und der Zweitrevisionswerberin zum christlichen Glauben sei nicht in ernsthafter Weise, sondern nur zum Schein erfolgt, sodass auch nicht davon ausgegangen werden könne, dass sie den christlichen Glauben im Iran praktizieren würden.
12 Zu den Rückkehrentscheidungen hielt das BVwG fest, diese würden nicht in das Familienleben der revisionswerbenden Parteien eingreifen, da sie gegen sämtliche Familienmitglieder erlassen worden seien und kein Hindernis für ein gemeinsames Familienleben im Iran erkennbar sei.
13 Die dagegen gerichteten außerordentlichen Revisionen bringen zu ihrer Zulässigkeit und zur Begründung insbesondere vor, die angefochtenen Erkenntnisse litten an ergebnisrelevanten Begründungsmängeln und wichen deshalb von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab. Das BVwG habe eine asylrelevante Gefährdung der erst- und zweitrevisionswerbenden Parteien nach einer Rückkehr in den Iran ungeachtet der Unverhältnismäßigkeit der Strafen für Ehebruch verneint und dabei Länderberichte herangezogen, die nicht den (hier gegebenen) Fall des Ehebruchs während aufrechter Ehe mit einem anderen Mann, sondern den Fall der Geburt eines Kindes durch eine unverheiratete Frau beträfen. Außerdem widerspreche sich das BVwG selbst, indem es die revisionswerbenden Parteien zur Vermeidung von Hindernissen für ein gemeinsames Familienleben nach der Rückkehr darauf verweise, sie könnten das Scheidungsurteil und die Vaterschaftsfeststellung den iranischen Behörden vorlegen, zumal nach der Argumentation des BVwG gerade die Unkenntnis der iranischen Behörden vom Ehebruch eine Strafverfolgung ausschließen würde.
14 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung von Vorverfahren - eine Revisionsbeantwortung wurde jeweils nicht erstattet - über die wegen ihres sachlichen, rechtlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbundenen Revisionen in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
15 Die Revisionen sind zulässig und begründet.
16 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass im Zusammenhang mit der Verquickung von Staat und Religion in muslimischen Staaten das Erfordernis einer Prüfung auch dem Schutz religiöser Werte dienender Strafvorschriften unter dem Gesichtspunkt einer unterstellten politischen Gesinnung besteht. Die völlige Unverhältnismäßigkeit staatlicher Maßnahmen, die wegen eines Verstoßes gegen bestimmte im Herkunftsstaat gesetzlich verbindlichen Moralvorstellungen drohen, kann unter diesem Blickwinkel asylrelevant sein (vgl. VwGH 29.1.2020, Ra 2019/18/0228, mwN).
17 Das BVwG stellte diesbezüglich insbesondere fest, im iranischen Strafgesetzbuch sei geregelt, dass eine schwangere Frau, die keinen Ehemann habe, nicht einer „Hadd Strafe“ unterliege, außer es werde mit einem der in diesem Gesetz genannten sehr aufwendigen und für den Kläger risikoträchtigen Beweismittel - im Falle einer mangelnden Beweisführung drohe dem Kläger oder der Klägerin die Auspeitschung - ein illegaler Geschlechtsverkehr bewiesen. Bei Ehebruch sei derzeit noch die Strafe der Steinigung vorgesehen, worauf vom „Geschädigten“ jedoch gegen eine Geldzahlung verzichtet werden könne. Im Jahr 2002 sei ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen worden, seit 2009 seien keine Fälle belegbar. Zudem sehe das iranische Strafrecht bei bestimmten Vergehen wie z.B. außerehelichem Geschlechtsverkehr auch Auspeitschung vor. Regelmäßig bestehe aber auch hier die Möglichkeit, diese durch Geldzahlung abzuwenden. An anderer Stelle wird festgehalten, dass zwar ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafen erlassen, dies jedoch im Jahr 2009 vom damaligen Justizsprecher für nicht bindend erklärt worden sei. Es befänden sich noch mehrere Personen beiderlei Geschlechts auf der „Steinigungsliste“. Seit 2009 seien allerdings keine Fälle von Steinigungen belegbar. Unter dem Titel „Folter und unmenschliche Behandlung im Iran“ stellte das BVwG fest, die Justizbehörden würden weiterhin grausame und unmenschliche Strafen, die Folter gleichkämen, verhängen und vollstrecken. Zahlreiche Personen seien wegen Diebstahls oder Überfällen zu Peitschenhieben verurteilt worden, aber auch wegen Taten, die laut Völkerrecht nicht strafbar seien, wie z.B. außerehelichen Beziehungen. Bei Delikten, die im krassen Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stünden, könnten jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden. Die häufigsten Fälle, für welche die Strafe der Auspeitschung durchgeführt werde, seien „illegitime Beziehungen, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Teilnahme an gemischtgeschlechtlichen Veranstaltungen“. Folter und andere Misshandlungen passierten häufig in der Ermittlungsphase, um Geständnisse zu erzwingen. Die Todesstrafe stehe u.a. auf homosexuelle bzw. außereheliche Handlungen.
18 Die Revision macht zunächst zu Recht geltend, dass dem BVwG ein relevanter Begründungsmangel unterlaufen ist, indem es verkannt hat, dass es zur Beurteilung des Vorliegens asylrelevanter Gefahr der Verfolgung des Erstrevisionswerbers und der Zweitrevisionswerberin im Falle ihrer Rückkehr in den Iran nicht auf die Frage der Bestrafung „einer schwangeren Frau, die keinen Ehemann hat“ ankommt, worauf sich jedoch die vom BVwG in diesem Zusammenhang vorrangig in den Blick genommenen Länderfeststellungen beziehen. Vielmehr wird schon aus dem Datum der Geburt des Drittrevisionswerbers in Österreich im März 2020 einerseits und dem Datum der Scheidung der Ehe der Zweitrevisionswerberin mit ihrem im Iran verbliebenen Ehemann im Oktober 2020 deutlich, dass die Zweitrevisionswerberin während aufrechter Ehe mit einem anderen Mann (dem Erstrevisionswerber, der als Vater des Drittrevisionswerbers gerichtlich festgestellt wurde) Geschlechtsverkehr hatte.
19 Auf die anderen der oben wiedergegebenen und den hier vorliegenden Fall des Ehebruchs in der Form des Geschlechtsverkehrs einer verheirateten Frau mit einem anderen Mann betreffenden Länderfeststellungen ist das BVwG in seinen beweiswürdigenden Erwägungen inhaltlich nicht näher eingegangen, obwohl ihnen zu entnehmen ist, dass das iranische Strafrecht bei Ehebruch die Steinigungsstrafe und bei außerehelichem Geschlechtsverkehr die Strafe der Auspeitschung vorsehe, die auch vollzogen und teils öffentlich vollstreckt würden. Der Erwägung des BVwG, den Länderfeststellungen zufolge müsse die Mutter eines unehelichen Kindes mit keinen staatlichen Maßnahmen rechnen, kommt vor diesem Hintergrund im Hinblick auf die Frage, ob dem Erstrevisionswerber und der Zweitrevisionswerberin bei einer Rückkehr in den Iran aufgrund Strafverfolgung wegen Ehebruchs asylrelevante Verfolgung drohen würde, kein Begründungswert zu.
20 Wie die Revision außerdem zu Recht aufzeigt, steht die Erwägung des BVwG, eine Strafverfolgung wegen Ehebruchs sei nicht zu erwarten, weil sie die Kenntnis der Strafbehörden vom Ehebruch bzw. einen Beweis, der schwer zu erbringen sei, voraussetzen würde, in unauflösbarem Widerspruch zur weiteren Annahme des BVwG, die erst- und zweitrevisionswerbenden Parteien könnten sich im Iran ein unbehelligtes Familienleben mit dem Drittrevisionswerber aufbauen, indem sie die Scheidung der Ehe der Zweitrevisionswerberin und die Vaterschaftsfeststellung zum Drittrevisionswerber bei den iranischen Behörden registrieren lassen und selbst heiraten könnten. Es liegt auf der Hand, dass die revisionswerbenden Parteien mit einem solchen Vorgehen den iranischen Behörden Kenntnis vom Ehebruch samt Beweisen verschaffen und sich der Gefahr der Strafverfolgung aussetzen würden.
21 Aufgrund der aufgezeigten Begründungsmängel waren die angefochtenen Erkenntnisse gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
22 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. In kostenrechtlicher Hinsicht ist das Familienverfahren der zweit- und drittrevisionswerbenden Parteien einerseits und das Verfahren des Erstrevisionswerbers andererseits zu unterscheiden. Für die Bekämpfung der diese beiden Verfahren betreffenden Erkenntnisse gebührt jeweils ein einfacher Kostenersatz. Das Mehrbegehren war hingegen abzuweisen.
Wien, am 24. November 2022
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021180041.L00Im RIS seit
09.01.2023Zuletzt aktualisiert am
09.01.2023