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24/01 StrafgesetzbuchNorm
AsylG 2005 §8 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofrätin Dr. Funk-Leisch und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, in der Revisionssache des N Z K (auch N O), vertreten durch Mag. Tanja Pogatschnigg, Rechtsanwältin in 8112 Gratwein-Straßengel, Bahnhofstraße 9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Juni 2022, W276 1432794-2/20E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 28. Mai 2012 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 1. Februar 2013 wies das (damals zuständige) Bundesasylamt den Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung mit Gültigkeit bis zum 31. Jänner 2014. Der Revisionswerber erhob gegen diesen Bescheid, soweit ihm der Status des Asylberechtigten versagt wurde, Beschwerde an den (damals zuständigen) Asylgerichtshof, der diese mit Erkenntnis vom 2. September 2013 als unbegründet abwies.
2 Die befristete Aufenthaltsberechtigung wurde zunächst mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 5. März 2014 bis zum 31. Jänner 2016 verlängert.
3 Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 10. Juni 2015 wurde der Revisionswerber wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall SMG und des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs. 1 zweiter Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt, wobei davon neun Monate unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden.
4 Mit Bescheid vom 22. Februar 2018 verlängerte das BFA die befristete Aufenthaltsberechtigung erneut, mit Gültigkeit bis zum 31. Jänner 2020.
5 Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 29. Jänner 2021 wurde der Revisionswerber wegen der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und Abs. 2 StGB, der Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs. 1 StGB, der Sachbeschädigung nach § 125 StGB, des Diebstahls nach § 127 StGB, der Beleidigung nach §§ 115 Abs. 1, 117 Abs. 2 StGB sowie des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall, Abs. 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt.
6 Mit Bescheid vom 14. Juni 2021 erkannte das BFA dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III.), stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt IV.), legte eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt V.) und erließ ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VI.).
7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - soweit sie sich gegen die Spruchpunkte I. bis III., V. und VI. dieses Bescheides gerichtet hatte als unbegründet ab, hinsichtlich Spruchpunkt I. mit der Maßgabe, dass dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 aberkannt werde. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. gab das BVwG statt und stellte fest, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan unzulässig sei. Zudem sprach es aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
8 Begründend führte das BVwG - soweit hier maßgeblich - zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten aus, das BFA habe in seinem Bescheid nicht dargetan, dass sich die Umstände, die zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten geführt hätten, grundlegend und dauerhaft geändert hätten, weshalb die Voraussetzungen einer Aberkennung nach § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 nicht vorliegen würden. Es sei vorliegend jedoch der Aberkennungstatbestand des § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 verwirklicht, weil angesichts des Gesamtverhaltens des massiv straffällig gewordenen Revisionswerbers davon auszugehen sei, dass dieser eine Gefahr für die Allgemeinheit und für die Sicherheit der Republik Österreich darstelle. Der Revisionswerber habe bei der Ausübung der Straftaten ein aggressives Verhalten an den Tag gelegt und scheue nicht davor zurück, bei Auseinandersetzungen Waffen zur Durchsetzung seines Willens einzusetzen. Er sei innerhalb offener Probezeit rückfällig geworden und habe in der Verhandlung vor dem BVwG keine tatsachengeständige Verantwortung gezeigt. Trotz Anordnung der Bewährungshilfe und des Besuches einer Therapie hinsichtlich Drogen- und Alkoholkonsums, sei er auch nach seiner bedingten Entlassung aus der Strafhaft im April 2021 etliche Male wegen des Besitzes von Suchtgiften in Erscheinung getreten. In Zusammenschau mit der rechtskräftigen Verurteilung wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels würden diese Umstände daher zu einer negativen Gefährdungsprognose führen. Eine Aberkennung nach § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 scheide aus, weil es sich bei den Straftaten, welche der Verurteilung zugrunde liegen würden, die erst nach der letzten Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung erfolgt sei, lediglich um Vergehen, nicht aber um Verbrechen im Sinne des § 17 StGB handle.
9 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
12 Die Revision wendet sich gegen die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und bringt vor, dass die durch den Revisionswerber begangenen Vergehen, die zur Verurteilung am 29. Jänner 2021 geführt hätten, nicht geeignet seien, die Aberkennung nach § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 zu begründen, weil sie nicht die Schwere der in Art. 17 Abs. 1 lit. a-c der Status-RL angeführten Handlungen aufweisen würden.
13 Nach § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 hat eine Aberkennung stattzufinden, wenn der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt. Ob der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt, erfordert eine Gefährdungsprognose. Dabei ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die Annahme gerechtfertigt ist, der Fremde stelle eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich dar. Strafgerichtliche Verurteilungen des Fremden sind daraufhin zu überprüfen, inwieweit sich daraus nach der Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und der Tatumstände der Schluss auf die Gefährlichkeit des Fremden für die Allgemeinheit oder die Sicherheit der Republik Österreich ziehen lässt (vgl. VwGH 20.8.2020, Ra 2019/19/0522, mwN).
14 Das BVwG führte eine fallbezogene Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 durch, in welche es auch die Straftaten des Revisionswerbers miteinbezog und traf im Ergebnis - wie bereits dargelegt - eine negative Gefährdungsprognose.
15 Soweit die Revision vorbringt, die der Verurteilung vom 29. Jänner 2021 zugrunde liegenden Straftaten würden nicht die Schwere der in Art. 17 Abs. 1 lit. a-c der Statusrichtlinie angeführten Handlungen aufweisen und eine Aberkennung nach § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 daher nicht rechtfertigen, und das BVwG habe es unterlassen, eine Einzelfallprüfung in diesem Zusammenhang vorzunehmen, ist ihr zu entgegnen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein Fremder jedenfalls dann eine Gefahr für die Allgemeinheit im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 darstellt, wenn sich diese aufgrund besonders qualifizierter strafrechtlicher Verstöße prognostizieren lässt. Als derartige Verstöße kommen insbesondere qualifizierte Formen der Suchtgiftdelinquenz (wie sie beispielsweise in § 28a SMG unter Strafe gestellt werden) in Betracht, zumal an der Verhinderung des Suchtgifthandels ein besonderes öffentliches Interesse besteht (vgl. dazu etwa VwGH 30.8.2017, Ra 2017/18/0155, mwN).
16 Die Revision übersieht, dass der Revisionswerber im vorliegenden Fall unter anderem auch eine Straftat, die als besonders qualifiziert im Sinne des bisher Gesagten anzusehen ist, begangen hat, nämlich jene, die der Verurteilung vom 10. Juni 2015 zugrunde liegt. Diese durfte das BVwG auch in seine Gefährdungsprognose miteinbeziehen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es zwar nicht zulässig, die Aberkennung nach § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 auszusprechen, obwohl sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 (die nur im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung erteilt werden darf) nicht geändert hat. Soweit aber neue Sachverhaltselemente hinzutreten, die für die Gefährdungsprognose nach § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 von Bedeutung sein können, hat die Behörde eine neue Beurteilung des Gesamtverhaltens des Fremden vorzunehmen und nachvollziehbar darzulegen, warum sie davon ausgeht, dass der subsidiär Schutzberechtigte nun eine Gefahr für die Allgemeinheit (oder für die Sicherheit des Staates) darstellt. Dabei ist es ihr nicht verwehrt, auch vor der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. vor Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung begangene Straftaten in ihre Gesamtbeurteilung einfließen zu lassen (vgl. erneut VwGH 30.8.2017, Ra 2017/18/0155, mwN).
17 Vor diesem Hintergrund vermag der Revisionswerber mit seinem allgemein gehaltenen Vorbringen keine Rechtsfragen aufzuwerfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 1. Dezember 2022
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022190200.L00Im RIS seit
09.01.2023Zuletzt aktualisiert am
09.01.2023