TE Vwgh Beschluss 2022/12/5 Ra 2021/19/0256

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Veröffentlicht am 05.12.2022
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E1P
E3L E19103000
E3R E19104000
E6J
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §5 Abs3
EURallg
MRK Art3
12010P/TXT Grundrechte Charta Art4
32013L0032 IntSchutz-RL
32013R0604 Dublin-III
62017CJ0163 Jawo VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofrätin Dr. Funk-Leisch und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, über die Revisionen 1. der C H (alias S H), und 2. des S H (alias S H), die revisionswerbenden Parteien vertreten durch die Mutter Nisken Hasan als gesetzliche Vertreterin, vertreten durch Mag. Peterpaul Suntinger, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt am Wörthersee, Pfarrplatz 17/II, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Juni 2021, 1. W212 2242350-1/4E und 2. W212 2242351-1/4E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

1        Die Erstrevisionswerberin und der Zweitrevisionswerber, beide syrische Staatsangehörige, sind Geschwister und stellten vertreten durch ihre Mutter, am 9. März 2021 Anträge auf internationalen Schutz. Am 2. März 2021 hatten die Revisionswerber bereits in Rumänien - wiederum vertreten durch ihre Mutter - Asylanträge gestellt. Rumänien stimmte dem am 15. März 2021 auf Basis der Verordnung (EU) 604/2013 (Dublin III-Verordnung) gestellten Wiederaufnahmeersuchen der österreichischen Behörden mit Schreiben vom 26. März 2021 zu.

2        Mit Bescheiden vom 25. April 2021 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die in Österreich gestellten Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück, stellte für die Prüfung dieser Anträge die Zuständigkeit Rumäniens fest, ordnete die Außerlandesbringung der Revisionswerber an und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Rumänien zulässig sei.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde der Revisionswerber - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Begründend führte das BVwG - soweit hier wesentlich - aus, Rumänien sei der nach der Dublin III-Verordnung zuständige Mitgliedstaat und habe der Wiederaufnahme der Revisionswerber zugestimmt. Aus Art. 16 und 17 Abs. 2 Dublin III-Verordnung ergebe sich keine Zuständigkeit Österreichs, da keine besonderen humanitären Gründe vorliegen würden. Österreich habe auch nicht zwingend vom Selbsteintrittsrecht gemäß Art 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung Gebrauch machen müssen, da keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verletzung der Rechte der Revisionswerber nach Art. 2 und 3 EMRK bzw. nach Art. 8 EMRK anzunehmen sei.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        Das BFA erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren keine Revisionsbeantwortung.

9        Zur Zulässigkeit der – gleichlautenden - Revisionen wird zusammengefasst vorgebracht, das BVwG habe in Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und trotz Antrags der Revisionswerber in der Beschwerde, keine mündliche Verhandlung durchgeführt. Das BVwG habe ergänzende Feststellungen getroffen und habe sich das BFA nicht ausreichend mit dem Kindeswohl auseinandergesetzt. Ferner würde den Revisionswerbern in Rumänien aufgrund von systematischen Mängeln in der Versorgung von Asylwerbern eine Verletzung ihrer Rechte nach Art. 3 EMRK drohen. Das BVwG sei im angefochtenen Erkenntnis seiner Begründungspflicht nicht nachgekommen.

10       Nach § 5 Abs. 3 AsylG 2005 ist davon auszugehen, dass ein Asylwerber in einem Staat, der auf Grund der Dublin III-Verordnung zur Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist, Schutz vor Verfolgung findet, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim BFA oder beim BVwG offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen (vgl. VwGH 8.9.2021, Ra 2021/20/0219, mwN).

11       Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung wiederholt darauf verwiesen, dass die Sicherheitsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 nur durch eine schwerwiegende, etwa die hohe Schwelle des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC übersteigende allgemeine Änderung der Rechts- und Sachlage im zuständigen Mitgliedstaat widerlegt werden kann (vgl. VwGH 10.2.2021 Ra 2021/19/0031, mwN). Es ist insbesondere auch davon auszugehen, dass der zuständige Mitgliedstaat (Aufnahmestaat) aufgrund seiner unionsrechtlichen Verpflichtungen eine Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz vornimmt, welche den (für Erstanträge in erster Instanz) in der Verfahrensrichtlinie (Richtlinie 2013/32/EU) vorgesehenen Anforderungen entspricht (vgl. erneut VwGH Ra 2021/19/0031, mwN).

12       Im vorliegenden Fall hat das BVwG auf der Grundlage von Länderberichten nachvollziehbar ausgeführt, es lägen - trotz des von den Revisionswerbern geschilderten Vorfalls, wonach sie in Rumänien für vier Tage inhaftiert, nicht ausreichend versorgt und „auf die Straße gesetzt“ worden seien - keine Hinweise darauf vor, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen in Rumänien systemische Mängel aufwiesen. Den Revisionen gelingt es vor diesem Hintergrund mit dem bloß allgemein gehaltenen Vorbringen nicht aufzuzeigen, dass durch eine Abschiebung der Revisionswerber nach Rumänien die Gefahr einer Verletzung ihrer Rechte nach Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC bestünde, durch welche die Sicherheitsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 entkräftet würde (vgl. auch jüngst VwGH 7.4.2022, Ra 2021/14/0253, mwN).

13       Insoweit die Revisionen das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung beanstanden, vermögen sie nicht aufzuzeigen, dass eine Verletzung der in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien zur Verhandlungspflicht im Fall von Beschwerden gegen im Zulassungsverfahren getroffene zurückweisende Entscheidungen nach der Sonderbestimmung des § 21 Abs. 6a BFA-VG, wonach das Bundesverwaltungsgericht ua. über Beschwerden gegen zurückweisende Entscheidungen im Zulassungsverfahren ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung entscheiden kann (vgl. VwGH 9.12.2021, Ra 2021/14/0340, mwN; grundlegend VwGH 30.6.2016, Ra 2016/19/0072), vorgelegen wäre. Insbesondere ist nicht zu sehen, dass dem BVwG eine ergänzende Beweiswürdigung oder das Treffen ergänzender Feststellungen vorzuwerfen wäre, zumal sich das BVwG den Feststellungen des BFA anschloss und ebenfalls davon ausging, dass es im rumänischen Asylsystem keine systemischen Mängel gebe.

14       Werden darüber hinaus Verfahrensmängel - wie hier Ermittlungs- und Begründungsmängel aufgrund fehlender Feststellungen betreffend die Prüfung des Kindeswohls und der Unterbringungssituation in Rumänien - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 19.6.2019, Ra 2018/20/0373, mwN). Eine solche Relevanzdarstellung enthalten die vorliegenden Revisionen jedoch nicht.

15       In den Revisionen werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher zurückzuweisen.

16       Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 5. Dezember 2022

Gerichtsentscheidung

EuGH 62017CJ0163 Jawo VORAB

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021190256.L00

Im RIS seit

09.01.2023

Zuletzt aktualisiert am

09.01.2023
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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