Index
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AVG §9Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revisionen 1.) des Dr. W O als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der H GmbH in I, vertreten durch Sallinger & Rampl Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Sillgasse 21/III (Ra 2022/07/0066), und 2.) der H GmbH in I, vertreten durch Dr. Burghard Seyr, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 23 (Ra 2022/07/0197), gegen das Erkenntnis und den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 17. Mai 2022, LVwG-2022/26/0576-1, betreffend Vorschreibung der Kosten für eine Ersatzvornahme (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Innsbruck), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Über das Vermögen der Zweitrevisionswerberin wurde mit Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom 17. November 2021 das Konkursverfahren eröffnet und der Erstrevisionswerber zum Masseverwalter bestellt.
2 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis verpflichtete das Landesverwaltungsgericht Tirol - in Bestätigung eines Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck (BH Innsbruck) vom 20. Jänner 2022 - den Erstrevisionswerber als Masseverwalter im Konkursverfahren der Zweitrevisionswerberin näher aufgeschlüsselte Kosten für die Durchführung einer rechtskräftig angeordneten Ersatzvornahme (Entfernung von Abfällen) zu leisten. Unter einem wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde der Zweitrevisionswerberin gegen den Bescheid der BH Innsbruck vom 20. Jänner 2022 zurück.
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, mit mehreren rechtkräftigen Bescheiden des Landeshauptmanns von Tirol sei der Zweitrevisionswerberin gemäß § 62 Abs. 2 AWG 2002 die Entfernung von Abfällen auf ihrer Betriebsanlage aufgetragen worden. Nachdem die Zweitrevisionswerberin dem nicht nachgekommen sei, sei - rechtskräftig nach Erkenntnissen des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 9. Dezember 2019 - jeweils die Ersatzvornahme angeordnet worden. Die Ersatzvornahmen seien in den Monaten von Juli bis Oktober 2021 erfolgt. Die Republik Österreich (richtig: der Bund) habe im Konkursverfahren der Zweitrevisionswerberin die Kosten der Ersatzvornahme angemeldet. Der Erstrevisionswerber habe diese bestritten.
4 Der Bescheid der BH Innsbruck vom 20. Jänner 2022 sei nach seiner Zustellverfügung an „H [...] GmbH Masseverwalter Dr. W O“ gerichtet gewesen. Damit sei mit ausreichender Deutlichkeit zum Ausdruck gekommen, dass der Bescheid gegenüber dem Erstrevisionswerber als Masseverwalter im Konkursverfahren der Zweitrevisionswerberin (der „H [...] GmbH“) ergangen sei.
5 Der Masseverwalter sei nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens an die Stelle der Gemeinschuldnerin, der Zweitrevisionswerberin, getreten, sodass die Kosten der Ersatzvornahme ihm gegenüber festzusetzen gewesen seien. Entgegen der Ansicht des Erstrevisionswerbers sei die Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Erlassung des Bescheides der BH Innsbruck nicht entgegengestanden. Damit komme aber der Zweitrevisionswerberin kein Beschwerderecht zu.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
Zur Revision des Erstrevisionswerbers:
9 Zur Zulässigkeit seiner - zu Ra 2022/07/0066 protokollierten - Revision macht der Erstrevisionswerber geltend, entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts sei der Bescheid der BH Innsbruck gegenüber der Gemeinschuldnerin und nicht gegenüber dem Masseverwalter ergangen, sodass das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts an einer Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit leide. Im Übrigen sei die Prozesssperre nach § 6 Abs. 1 IO zu beachten, die sich auch auf die Geltendmachung der Kosten einer Ersatzvornahme erstrecke. Während des Insolvenzverfahrens sei daher die Erlassung des Bescheides der BH Innsbruck nicht zulässig gewesen. Dazu fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs.
10 Hinsichtlich des durch die Konkurseröffnung seiner freien Verfügung entzogenen Vermögens (Konkursmasse) ist der Gemeinschuldner verfügungsunfähig und daher auch insoweit prozessunfähig. Der Masseverwalter ist gesetzlicher Vertreter des Gemeinschuldners mit Beschränkung auf die Konkursmasse (vgl. VwGH 30.9.2010, 2010/07/0170) Bescheide, die nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens an den Gemeinschuldner und nicht an den Insolvenzverwalter gerichtet sind, entfalten daher keine Wirksamkeit (vgl. etwa VwGH 29.4.2015, Ro 2014/10/0080, mwN).
11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs reicht es für die Gültigkeit eines Bescheides, dass der Adressat der Erledigung insgesamt eindeutig entnommen werden kann. Dieses Erfordernis ist erfüllt, wenn bei schriftlichen Ausfertigungen aus Spruch, Begründung und Zustellverfügung im Zusammenhang mit den anzuwendenden Rechtsvorschriften eindeutig erkennbar ist, welchem individuell bestimmten Rechtsträger gegenüber die Behörde einen Bescheid erlassen wollte. Entscheidend ist, dass für die Beteiligten des Verfahrens als Betroffene des Bescheides sowie für die Behörde und in weiterer Folge für die Verwaltungsgerichte und den Verwaltungsgerichtshof die Identität des Bescheidadressaten zweifelsfrei feststeht (vgl. VwGH 11.4.2022, Ra 2022/03/0022, mwN). Es entspricht weiters der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs, dass eine Umdeutung des Bescheidadressaten zwar nicht in Betracht kommt. Anderseits sind Fehlzitate und Schreibfehler als unbeachtlich, d.h. als dem richtigen Bescheidverständnis selbst dann nicht im Wege stehend anzusehen, wenn noch kein Berichtigungsbescheid erlassen wurde (vgl. VwGH 26.6.2014, 2013/15/0062, mwN). Die Auslegung eines konkreten Bescheides betrifft den Einzelfall und könnte nur dann eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufwerfen, wenn sie in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise erfolgt wäre (vgl. VwGH etwa 10.12.2021, Ra 2020/07/0077, mwN).
12 Im vorliegenden Fall ist das Verwaltungsgericht in Auslegung des Bescheides der BH Innsbruck vom 20. Jänner 2022 davon ausgegangen, dass Adressat dieses Bescheides, der nach der Zustellverfügung an „H [...] GmbH Masseverwalter Dr. W O“ gerichtet war, Dr. W O in seiner Eigenschaft als Masseverwalter der Zweitrevisionswerberin gewesen ist. Dass diese Beurteilung fallbezogen unvertretbar gewesen wäre, vermag die Revision nicht aufzuzeigen.
13 Entgegen den Ausführungen der Revision liegt eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu § 6 IO vor. Danach sind Verwaltungsverfahren keine Rechtsstreitigkeiten im Sinn des § 6 IO (vgl. etwa VwGH 17.12.2015, 2013/07/0174, mwN). Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Person macht daher ein Verwaltungsverfahren gegen den vom Masseverwalter vertretenen Gemeinschuldner nicht unzulässig (vgl. etwa VwGH 21.11.2012, 2009/07/0117, mwN). Soweit der Erstrevisionswerber auf dem Standpunkt steht, die Prüfung der im Insolvenzverfahren angemeldeten Forderung stehe nur dem Insolvenzgericht nach den §§ 110 ff IO zu, genügt es auf die Bestimmung des § 110 Abs. 3 IO hinzuweisen, wonach über die Richtigkeit einer bestrittenen Forderung die zuständige Behörde zu entscheiden hat, wenn - wie hier - die Sache nicht auf den streitigen Rechtsweg gehört (vgl. dazu etwa OGH 29.11.2018, 2 Ob 182/18f, mwN).
14 In der Revision des Erstrevisionswerbers werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Zur Revision der Zweitrevisionswerberin:
15 Die Zweitrevisionswerberin erhob gegen das in Revision gezogene Erkenntnis zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit dem Beschluss vom 25. August 2022, E 1730/2022, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
16 In ihrer in der Folge ausgeführten, zu Ra 2022/07/0197 protokollierten Revision wird von der Zweitrevisionswerberin unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit ein mit dem Zulässigkeitsvorbringen des Erstrevisionswerbers inhaltsgleiches Vorbringen erstattet. Dass hinsichtlich der tragenden Begründung des Verwaltungsgerichts für die Zurückweisung der Beschwerde der Zweitrevisionswerberin, es sei die Masse betroffen, sodass nur der Masseverwalter, dem der Bescheid auch zugestellt worden sei, zur Erhebung einer Beschwerde berechtigt gewesen sei, eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung zu lösen wäre, wird in der Revision nicht behauptet.
17 Auch die Revision der Zweitrevisionswerberin war daher mangels Darstellung einer Rechtsfrage, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 6. Dezember 2022
Schlagworte
MasseverwalterEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022070066.L00Im RIS seit
09.01.2023Zuletzt aktualisiert am
09.01.2023