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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AVG §58 Abs2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner und die Hofrätinnen Dr. Leonhartsberger und Dr.in Gröger als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über die Revision des Magistrats der Stadt Wien gegen das am 4. Februar 2022 mündlich verkündete und am 23. Februar 2022 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien, VGW-011/030/6686/2021-6 und VGW-011/V/030/7569/2021, betreffend eine Übertretung der Bauordnung für Wien (mitbeteiligte Parteien: 1. I GmbH in W und 2. D M in V, beide vertreten durch Mag. Hubert Traudtner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wipplingerstraße 20/8-9), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis des Amtsrevisionswerbers vom 30. März 2021 wurde über die zweitmitbeteiligte Partei gemäß § 135 Abs. 1 iVm § 54 Abs. 1, 2 und 4 der Bauordnung für Wien (BO) eine Strafe in der Höhe von € 2.700,00 (Ersatzfreiheitsstrafe: 18 Stunden) verhängt und die zweitmitbeteiligte Partei zu einem Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens in der Höhe von € 270,-- verpflichtet. Die zweitmitbeteiligte Partei habe als handelsrechtliche Geschäftsführerin und somit als gemäß § 9 Abs. 1 Verwaltungsstrafgesetz 1991 - VStG zur Vertretung nach außen Berufene der erstmitbeteiligten Partei zu verantworten, dass diese Gesellschaft es als Miteigentümerin eines näher bezeichneten Wohngebäudes entgegen einer näher bezeichneten Auflage in einem Bescheid des Amtsrevisionswerbers vom 21. September 2016 im Zeitraum vom 20. August 2020 bis zum 23. November 2020 unterlassen habe, vor ihrer Liegenschaft einen bauordnungsgemäßen Gehsteig herzustellen bzw. herstellen zu lassen. Weiters wurde ausgesprochen, dass die erstmitbeteiligte Partei für die über die zweitmitbeteiligte Partei verhängte Geldstrafe und die Verfahrenskosten sowie für sonstige in Geld bemessene Unrechtsfolgen gemäß § 9 Abs. 7 VStG zur ungeteilten Hand hafte.
2 In Stattgebung der dagegen von den mitbeteiligten Parteien erhobenen Beschwerde behob das Verwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis das Straferkenntnis und stellte das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG ein. Ein Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens wurde gemäß § 52 Abs. 8 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) nicht auferlegt. Eine ordentliche Revision erklärte das Verwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für unzulässig.
3 Das Verwaltungsgericht stellte dabei den Verfahrensgang allein durch wörtliche Wiedergabe des Spruchs des bekämpften Straferkenntnisses und der gesamten Beschwerde dar. Einen Sachverhalt stellte es nicht fest. Ebenso legte es keine Beweiswürdigung dar. Unter der Überschrift „In rechtlicher Hinsicht ist dazu auszuführen:“ hält es fest:
„Wie das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht ergeben hat, wurde die inkriminierte Abweichung bereits vor dem inkriminierten Tatzeitende von Seiten der Behörde (MA28) saniert, weshalb spruchgemäß die Straferkenntnisse aufzuheben und die Verwaltungsstrafverfahren einzustellen waren.
Da sich trotz intensiver Bemühungen der genaue Zeitpunkt dieser Sanierung nicht feststellen hat lassen, konnte kein exakter Tatzeitraum festgestellt werden und war in Hinblick auf die Wahrung der Rechte der Beschwerdeführer das Straferkenntnis spruchgemäß im vollen Umfang aufzuheben.“
4 Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsrevision, in der zur Zulässigkeit unter anderem vorgebracht wird, das Verwaltungsgericht habe gegen die näher bezeichnete ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht verstoßen. Es fehlten der festgestellte Sachverhalt sowie jegliche Überlegungen in Form einer Beweiswürdigung. Das Verwaltungsgericht habe sich auch nicht mit den einander widersprechenden Beweisergebnissen zur bauordnungsgemäßen Gehsteigherstellung im Tatzeitraum auseinandergesetzt. Eine Überprüfung des rechtlichen Inhalts des angefochtenen Erkenntnisses sei für den Verwaltungsgerichtshof ausgeschlossen.
5 Die mitbeteiligten Parteien erstatteten eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Zurück-, in eventu die Abweisung der Amtsrevision sowie Kostenersatz beantragen.
6 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
7 Die Amtsrevision erweist sich schon aus dem genannten Zulässigkeitsgrund des Begründungsmangels als zulässig. Sie ist auch begründet.
8 Gemäß § 29 Abs. 1 VwGVG sind die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtes zu begründen. Diese Begründung hat, wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, jenen Anforderungen zu entsprechen, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Auch in Verwaltungsstrafsachen ist gemäß § 38 VwGVG in Verbindung mit § 24 VStG die Begründungspflicht im Sinn des § 58 AVG von Bedeutung (vgl. VwGH 30.7.2019, Ra 2017/05/0001 und 0002; 26.2.2019, Ra 2018/03/0134, jeweils mwN).
9 Demnach sind in der Begründung eines Erkenntnisses die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die für die Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen sowie die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies im ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche das Verwaltungsgericht im Fall des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch der Entscheidung geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte zudem (nur) dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgebenden Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. etwa neuerlich VwGH 30.7.2019, Ra 2017/05/0001 und 0002, mwN).
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat weiters bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Darstellung des Verwaltungsgeschehens die fehlende Begründung der Entscheidung eines Verwaltungsgerichts nicht zu ersetzen vermag (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes beispielsweise VwGH 5.11.2019, Ra 2019/06/0107 bis 0109, oder auch 7.9.2017, Ra 2016/06/0148, jeweils mwN). Das Unterlassen jeglicher argumentativer Auseinandersetzung mit einem Beschwerdevorbringen führt jedenfalls zu einem Begründungsmangel einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtes (vgl. VwGH 22.11.2018, Ro 2017/07/0033).
11 Ein Begründungsmangel führt nach der hg. Rechtsprechung dann zur Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und in weiterer Folge zur Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof, wenn er entweder die Parteien des Verwaltungsverfahrens und des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens an der Verfolgung ihrer Rechte oder den Verwaltungsgerichtshof an der Überprüfung der angefochtenen Entscheidung auf deren inhaltliche Rechtmäßigkeit hindert. Wird das Verwaltungsgericht den Anforderungen an die Begründung von Erkenntnissen der Verwaltungsgerichte nicht gerecht, so liegt ein Begründungsmangel vor, welcher einen revisiblen Verfahrensmangel darstellt (vgl. VwGH 21.7.2022, Ra 2022/05/0033 u.a., mwN).
12 Das angefochtene Erkenntnis genügt den dargestellten Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung nicht. Es erschöpft sich - wie bereits oben ausgeführt - in der Darstellung des Verfahrensganges allein durch die wörtliche Wiedergabe des Spruchs des bekämpften Straferkenntnisses und der Beschwerde, gefolgt von der - aufgrund des Fehlens jeglicher Feststellungen und jeglicher Beweiswürdigung nicht überprüfbaren (siehe dazu unten) - rechtlichen Beurteilung. Dies ist nach der soeben dargestellten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für eine ordnungsgemäße Begründung eines verwaltungsgerichtlichen Erkenntnisses nicht ausreichend.
13 Vor diesem Hintergrund rügt die Revision mit Recht, dass das angefochtene Erkenntnis, obwohl es in der rechtlichen Beurteilung von einer Gehsteigherstellung durch die Amtsrevisionswerberin vor dem Ende des zugrunde gelegten Tatzeitraums ausging, nicht einmal klare Feststellungen samt Beweiswürdigung zur - strittigen - Frage, wann tatsächlich ein bauordnungsgemäßer Gehsteig hergestellt wurde, trifft.
14 Das angefochtene Erkenntnis ist daher schon aus diesem Grund mit einem relevanten Verfahrensmangel belastet und war gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Bei diesem Ergebnis war auf das weitere Revisionsvorbringen nicht mehr einzugehen.
Wien, am 7. Dezember 2022
Schlagworte
Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022050112.L00Im RIS seit
09.01.2023Zuletzt aktualisiert am
09.01.2023