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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
BAO §20;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):93/15/0166Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Wetzel und Dr. Steiner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Traudtner, über die Beschwerden der H und des Z F in S, erstere vertreten durch den im Wege der Verfahrenshilfe beigegebenen Dr. P, Rechtsanwalt in S, letzterer vertreten durch die im Wege der Verfahrenshilfe beigegebene Dr. C, Rechtsanwältin in S, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Salzburg vom 10. August 1993, Zl. 47-GA6-DMe/91, betreffend Abweisung von Nachsichtsansuchen, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführer haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführer sind Ehegatten. Mit Schriftsätzen je vom 21. Mai 1990 beantragten sie, ihnen aus einem Autohandels- und Kraftfahrzeugreparaturbetrieb in den Jahren 1982 bis 1984 erwachsene Abgabenschuldigkeiten in Höhe von rund S 290.000,-- bzw. S 165.000,-- gemäß § 236 Abs. 1 BAO teilweise nachzusehen; dies unter Hinweis auf ihre Unfähigkeit, "Zahlungen in welcher Höhe auch immer" zu leisten. Sie besäßen kein persönliches Vermögen und auch keine sonstigen, im Wege der zwangsweisen Einbringung verwertbaren Fahrnisse. Die Beschwerdeführer lebten mit ihren Kindern bei ihrer Mutter bzw. Schwiegermutter vom Arbeitslosenbezug des Zweitbeschwerdeführers. Zwangsweise Einbringungsmaßnahmen müßten erfolglos bleiben. Die Beschwerdeführer erklärten sich jedoch bereit, den Hälftebetrag von S 60.000,-- bzw. S 20.000,-- sofort und den Rest in 15 bzw. 10 gleichen aufeinanderfolgenden Monatsraten zu begleichen.
Nach Erhebung der wirtschaftlichen Verhältnisse wies das Finanzamt die Anträge ab, da eine Unbilligkeit der Einhebung nicht gegeben sei.
Die dagegen von den Beschwerdeführern erhobenen Berufungen wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet ab. Begründend führte sie aus, zwar wäre die Einhebung der Abgabenschuldigkeiten bei beiden Beschwerdeführern im Sinne des § 236 Abs. 1 BAO unbillig, den Anträgen sei aber in Ausübung des Ermessens nach Abwägung der Billigkeits- und Zweckmäßigkeitserwägungen nicht stattgegeben worden. Auszugehen sei nämlich von rechtskräftigen, auf den Feststellungen einer abgabenbehördlichen Prüfung beruhenden Berufungsentscheidungen "in der Abgabensache". Die gegen diese Berufungsentscheidungen von den Beschwerdeführern erhobenen Beschwerden an den Verwaltungsgerichtshof seien wegen Versäumung der Einbringungsfrist (siehe hiezu die hg. Beschlüsse vom 8. Oktober 1991, Zlen. 90/14/0110 und 0111) zurückgewiesen worden. Aus den Betriebsprüfungs-Berichten sei eindeutig die Verletzung von abgabenrechtlichen Verpflichtungen durch die Beschwerdeführer zu ersehen. Insbesondere sei der Zeitpunkt des Betriebsbeginnes unrichtig angegeben und es seien einige Geschäftsfälle nicht als Umsätze erklärt worden. Auch seien ungedeckte Einlagen vorhanden gewesen, wobei für Kassaeinlagen der Erstbeschwerdeführerin trotz Aufforderung keine Nachweise erbracht worden seien. Das Betriebsergebnis habe daher in Form einer Vermögensdeckungsrechnung geschätzt werden müssen. Betreffend die Erstbeschwerdeführerin wurde überdies festgestellt, daß sie für die Jahre 1983 und 1984 keine Inventuren erstellt habe und daß zum 1. Jänner 1984 der Bilanzzusammenhang durchbrochen worden sei. Die Beschwerdeführer hätten es auch unterlassen, für die zu erwartenden Steuernachforderungen vorzusorgen. Angemerkt wurde, daß über die Erstbeschwerdeführerin wegen beleidigender Schreibweise sogar eine Ordnungsstrafe verhängt worden sei. Angesichts dieser Verletzung von abgabenrechtlichen Pflichten bzw. des gezeigten Verhaltens in Steuerangelegenheiten - im angefochtenen Bescheid wird beispielsweise nur auf den (fehlenden) Zahlungswillen der Beschwerdeführer hingewiesen - und angesichts des Fehlens von Gründen, "die zu einer Höherbewertung der Billigkeit gegenüber der Zweckmäßigkeit führen könnten", würden trotz der schlechten wirtschaftlichen Lage der Beschwerdeführer die Billigkeitserwägungen hinter den Zweckmäßigkeitserwägungen zurückbleiben. Von dem der Abgabenbehörde zustehenden Ermessen habe daher kein positiver Gebrauch gemacht werden können.
Gegen diese Bescheide richten sich die der Sache nach Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machenden Beschwerden.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in ihren Gegenschriften die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat beschlossen, die vorliegenden Beschwerden wegen ihres engen persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung zu verbinden. Er hat sodann unter Bedachtnahme auf die von den Beschwerdeführern erstatteten Gegenäußerungen erwogen:
Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschulden auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.
Nach dieser Gesetzesbestimmung hat die Abgabenbehörde im Falle eines Ansuchens um Nachsicht nach ständiger hg. Rechtsprechung zuerst zu prüfen, ob ein Sachverhalt vorliegt, der dem unbestimmten Gesetzesbegriff "Einhebung nach der Lage des Falles unbillig" entspricht. Verneint sie diese Frage, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum mehr, demnach ist der Antrag abzuweisen. Bejaht die Abgabenbehörde hingegen das Vorliegen einer Unbilligkeit im Sinne des Gesetzes, so hat sie im Bereich des Ermessens nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit zu entscheiden. Dabei liegt eine Ermessensüberschreitung keinesfalls darin, daß die Behörde den Erwägungen der Zweckmäßigkeit gegenüber denen der Billigkeit den Vorrang einräumt, doch müssen die Zweckmäßigkeitserwägungen mit dem Sinn des Gestzes im Einklang stehen, das heißt, die Behörde darf sich bei ihrer Entscheidung nicht von unsachlichen Erwägungen leiten lassen.
Bei Ermessensentscheidungen beschränkt sich die Überprüfung durch den Gerichtshof darauf, ob vom eingeräumten Ermessen innerhalb der vom Gesetzgeber gezogenen Grenzen Gebrauch gemacht wurde, oder ob dies - in Form einer Ermessensüberschreitung oder eines Ermessensmißbrauches - nicht der Fall gewesen ist (vgl. zu allen wiedergegebenen Rechtssätzen beispielsweise die hg. Erkenntnisse vom 26. September 1990, Zl. 89/13/0130, und vom 20. Juni 1990, Zl. 89/13/0249).
Aus dem eben zitierten Erkenntnis vom 20. Juni 1990 geht auch hervor, daß es sich um eine sachliche Erwägung handelt, wenn die Abgabenbehörde von dem ihr zustehenden Ermessen zur Abgabennachsicht keinen positiven Gebrauch macht, weil der Abgabepflichtige die ihm obliegenden abgabenrechtlichen Pflichten vernachlässigt hat. Für die Handhabung des Ermessens ist auch das steuerliche Verhalten des Abgabepflichtigen, insbesondere seine Zahlungswilligkeit und die Art, wie es zur Entstehung und zum Anwachsen der Abgabenrückstände gekommen ist, von Bedeutung (vgl. hiezu beispielsweise das hg. Erkenntnis vom 14. Mai 1981, Zl. 15/3387/80, und die dort zitierten Vorerkenntnisse).
In den Beschwerdefällen hat sich die belangte Behörde bei ihrer Ermessensentscheidung gerade von den eben dargestellten Erwägungen leiten lassen. Nichts spricht auch dafür, daß sie dabei nicht auf Grund entsprechender, verfahrensrechtlich einwandfrei getroffener Sachverhaltsfeststellungen entschieden hätte.
Soweit die Beschwerden die Rechtmäßigkeit der Abgabenfestsetzungen angreifen, übersehen sie, daß in einem Nachsichtsverfahren die Rechtmäßigkeit von Abgabenfestsetzungen grundsätzlich nicht zu prüfen ist. Auch der Umstand, daß das Finanzstrafverfahren gegen den Zweitbeschwerdeführer mittlerweile eingestellt wurde, tangiert die Abgabenfestsetzungen nicht. Eine Konstellation, wonach ohne die beantragten Nachsichten ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintreten würde, zeigen die Beschwerdeführer nicht auf und ist auch für den Gerichtshof nicht erkennbar.
Daß es den Beschwerdeführern nunmehr an den finanziellen Möglichkeiten fehlt, die rückständigen Abgabenschuldigkeiten zu entrichten, entkräftet nicht den Vorwurf der belangten Behörde, die Beschwerdeführer hätten (ab den Jahren der Verwirklichung der Abgabentatbestände bzw. ab Entstehen der Abgabenansprüche) für die spätere Entrichtung der Abgabenschuldigkeiten Vorsorge treffen sollen, dies aber unterlassen.
Das Alter der rückständigen Abgabenschuldigkeiten und die "Sinnhaftigkeit künftiger Eintreibungsschritte" stellen jedenfalls in den Beschwerdefällen keine Umstände dar, deretwegen auf eine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Ermessensüberschreitung oder auf einen Ermessensmißbrauch der belangten Behörde geschlossen werden könnte.
Auf die Verhängung einer Ordnungsstrafe gegenüber der Erstbeschwerdeführerin wegen beleidigender Schreibweise wurde im angefochtenen Bescheid bloß hingewiesen. Da darin kein tragendes Entscheidungselement zu erblicken ist, kann wegen dieser Bemerkung ebenfalls nicht darauf geschlossen werden, die belangte Behörde hätte sich bei ihrer Ermessensentscheidung von unsachlichen Erwägungen leiten lassen.
Da die Beschwerden demnach die behauptete Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht darzutun vermochten, mußten sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abgewiesen werden. Diese Entscheidung konnte im Hinblick auf beide Tatbestände des § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG im Dreiersenat getroffen werden.
Von der Durchführung der von der Erstbeschwerdeführerin beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2.
Schlagworte
Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Entscheidungsrahmen und Überprüfungsrahmen des VwGH ErmessensentscheidungenErmessenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1993150165.X00Im RIS seit
03.04.2001Zuletzt aktualisiert am
02.02.2010