TE Lvwg Erkenntnis 2022/10/21 VGW-102/100/9004/2022

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Veröffentlicht am 21.10.2022
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Entscheidungsdatum

21.10.2022

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
41/01 Sicherheitsrecht

Norm

B-VG Art. 130 Abs1
B-VG Art. 132 Abs2
SPG 1991 §16 Abs2
SPG 1991 §38a

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien erkennt durch seinen Richter Dr. Huber über die Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 iVm Art. 132 Abs. 2 B-VG des Mag. A. B., vertreten durch Rechtsanwalt, wegen Verletzung in Rechten in Folge Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 19.10.2022

zu Recht:

I. Gemäß § 28 Abs. 1 und 6 VwGVG wird der Beschwerde Folge gegeben und das am 9.6.2022, um 17:17 Uhr, gegenüber dem Beschwerdeführer ausgesprochene Betretungsverbot für die Wohnung in Wien, C.-gasse ..., samt einem Bereich im Umkreis von 100 Metern um die Wohnung sowie das damit verbundene Verbot der Annäherung an die gefährdete Person MMag. D. E. für rechtswidrig erklärt.

II. Der Bund als Rechtsträger der belangten Behörde hat gemäß § 35 VwGVG in Verbindung mit der VwG-Aufwandersatzverordnung – VwG-AufwErsV, BGBl. II Nr. 517/2013, dem Beschwerdeführer EUR 737,60 für Schriftsatzaufwand und EUR 922,00 für Verhandlungsaufwand und EUR 30,00 für den Ersatz der tatsächlich entrichteten Eingabengebühr gemäß § 35 Abs. 6 VwGVG in Verbindung mit § 52 Abs. 2 VwGG, insgesamt somit EUR 1.689,60 an Aufwandersatz, binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu leisten. Das Begehren auf Ersatz von Fahrtkosten wird abgewiesen.

III. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

Entscheidungsgründe

I. Maßgeblicher Verfahrensgang

1. Am 9.6.2022, um 17:17 Uhr, sprach ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Insp. F. G.) gegenüber dem Beschwerdeführer ein Betretungs- und Annäherungsverbot gemäß § 38a SPG aus. Das Betretungsverbot wurde für die Wohnung von MMag. D. E. in Wien, C.-gasse ..., samt einem Bereich im Umkreis von 100 Metern um die Wohnung angeordnet. Damit verbunden war ein Verbot der Annäherung an MMag. E. im Umkreis von 100 Metern.

2. Mit dem am 21.7.2022 beim Verwaltungsgericht Wien eingelangten Schriftsatz erhob der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer eine Maßnahmenbeschwerde gegen das ihm gegenüber am 9.6.2022, um 17:17 Uhr, ausgesprochene Betretungs- und Annäherungsverbot. In seiner Beschwerde bringt er auf das Wesentliche zusammengefasst vor, dass der Ausspruch des Betretungs- und Annäherungsverbots auf einer völlig haltlosen Strafanzeige von MMag. D. E. am 7.6.2022 basiere, mit welcher er sich derzeit auch in einem Obsorgestreit bezüglich ihrer gemeinsamen Tochter befinde. Am 8.6.2022 sei von der Polizei noch vom Ausspruch eines Betretungs- und Annäherungsverbots abgesehen worden. Ohne nachvollziehbare Gründe habe die Polizei ihre Gefährdungseinschätzung jedoch am 9.6.2022 geändert. Der handelnde Polizeibeamte Insp. G. habe die Einschätzungen seiner Kollegen am Tag zuvor völlig unberücksichtigt gelassen.

3. Das Verwaltungsgericht Wien übermittelte die Beschwerde der Landespolizeidirektion Wien (im Folgenden: belangte Behörde) mit dem Ersuchen um Aktenvorlage und der Möglichkeit zur Erstattung einer Gegenschrift.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift und legte den vom Polizeikommissariat Innere Stadt geführten Verwaltungsakt zu GZ: PAD/...2/VW sowie den kriminalpolizeilichen Akt zu GZ: PAD/...2/KRIM vor.

In der Gegenschrift führt die belangte Behörde auf das Wesentliche zusammengefasst aus, dass bei RvI J. H. bereits im Zuge des standardisiert vorgesehenen Opferkontaktgespräches am 8.6.2022 Bedenken entstanden seien, weil bislang kein Betretungs- und Annäherungsverbot ausgesprochen worden sei. Laut Angaben von MMag. E. habe der Beschwerdeführer sie über einen längeren Zeitraum wiederholt gestalkt und öffentlich beschimpft. Zudem habe er laut ihren Angaben wiederholt versucht, gewaltsam in ihre Wohnung einzudringen, und habe auf ihren Hund eingetreten. Dieses Vorbringen in Verbindung mit einer positiven Gefährdungsprognose ermächtige Sicherheitsorgane zur Verhängung eines Betretungs- und Annäherungsverbots. Daran ändere sich nichts, wenn andere Beamte, die zuvor einschritten, noch nicht von der Gefahr eines gefährlichen Angriffes ausgingen.

4. Die Gegenschrift wurde samt Kopien der vorgelegten Behördenakten dem Beschwerdeführer zur Kenntnisnahme übermittelt.

5. Auf Ersuchen des Verwaltungsgerichtes Wien legte das Bezirksgericht Innere Stadt Wien, Abteilung 11, eine Kopie des Gerichtsaktes zu GZ: … betreffend einen am 17.6.2022 eingebrachten Antrag von MMag. E. auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegenüber dem Beschwerdeführer vor. Dieser Antrag wurde am 8.7.2022 zurückgezogen.

6. Mit Eingabe vom 29.9.2022 übermittelte der Beschwerdeführer eine Benachrichtigung der Staatsanwaltschaft Wien über die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens gegen ihn zu GZ: … gemäß § 190 Z 2 StPO, welches aufgrund der von MMag. E. erhobenen Vorwürfe des Hausfriedensbruchs, der beharrlichen Verfolgung, der Sachbeschädigung und der Tierquälerei eingeleitet worden war.

7. Beim Verwaltungsgericht Wien fand am 19.10.2022 eine öffentliche mündliche Verhandlung in der Beschwerdesache zur Einvernahme des Beschwerdeführers sowie der Zeugen RvI J. H. und Insp. F. G. statt. Der Beschwerdeführer war in Begleitung seines Rechtsbeistandes und die belangte Behörde war durch Hofrat Dr. L. M. vertreten.

II. Sachverhalt

Für das Verwaltungsgericht Wien steht folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt als erwiesen fest:

1. Der Beschwerdeführer und MMag. E. führten eine Beziehung und haben eine gemeinsame pflegebedürftige Tochter (P. E.; geboren am … 2019). Die Beziehung ging in die Brüche und es besteht kein gemeinsamer Haushalt.

2. Am 7.6.2022 kam MMag. E. gegen 22:25 Uhr zur Polizeiinspektion R. und zeigte den Beschwerdeführer wegen beharrlicher Verfolgung (andauernd) sowie Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung und Tierquälerei (Treten eines Hundes) an. Die konkrete Nachfrage des einvernehmenden Polizeibeamten RvI S., ob der Beschwerdeführer sie auch gefährlich bedrohte oder körperlich attackiert hat, verneinte MMag. E.. RvI S. kontaktierte sodann telefonisch das polizeiliche Supportteam für Gewalt in der Privatsphäre (im Folgenden: GiP-Support) und setzte diese über die Angaben von MMag. E. in Kenntnis.

Aufgrund der Angaben von MMag. E. erwog RvI S., ein Betretungs- und Annäherungsverbot gemäß § 38a SPG auszusprechen. Deshalb wurde am 8.6.2022 um 1:10 Uhr ein Streifenwagen zur Wohnung des Beschwerdeführers geschickt. Der Beschwerdeführer wurde um 1:35 Uhr von Polizeibeamten befragt und zeigte einen Chatverlauf mit MMag. E. auf seinem Mobiltelefon vor. RvI S. war telefonisch mit Lautsprechermodus zugeschalten und konnte direkt mit dem Beschwerdeführer reden. Der Beschwerdeführer gab an, dass er sich mit MMag. E. bezüglich des gemeinsamen Kindes in einem Obsorgestreit befinde. Am Vortag habe er MMag. E. auch eine beleidigende Nachricht geschickt, in welcher er MMag. E. als dumm bezeichnete. Ferner gab der Beschwerdeführer an, dass MMag. E. ihm das gemeinsame Kind häufig vorbeibringe, er auch auf deren Hund regelmäßig aufpasse und einen Schlüssel zur Wohnung von MMag. E. habe. Einem vor Ort anwesenden Polizisten zeigte der Beschwerdeführer weitere Chatnachrichten von MMag. E., die der anwesende Polizist dem über Telefon zugeschalteten RvI S. vorlas. Dem Chatverlauf war zu entnehmen, dass MMag. E. den Beschwerdeführer am 7.6.2022 um 12:28 Uhr fragte, ob er denn noch zu ihr komme. Am 29.5.2022 schrieb MMag. E. an den Beschwerdeführer „Supi, bussi!“, schickte ein Foto vom gemeinsamen Kind und schrieb, dass sie gerade Zähneputzen.

In der Folge wurde von RvI S. vom Ausspruch eines Betretungs- und Annäherungsverbots Abstand genommen, weil er die Anschuldigungen von MMag. E. nach Kontaktaufnahme mit dem Beschwerdeführer für unglaubwürdig hielt. Dies insbesondere aufgrund der aus seiner Sicht glaubwürdigen Angaben des Beschwerdeführers, dem vorgezeigten Chatverlauf und des Umstandes, dass er einen Schlüssel zur Wohnung von MMag. E. besitzt, um sich um den Hund zu kümmern. Seine Gefährdungseinschätzung teilte er dann auch telefonisch dem GiP-Support mit. Im Amtsvermerk vom 7.6.2022 (GZ: PAD/...2/001/KRIM) hielt RvI S. ergänzend fest: „Sollten sich im Laufe der Vernehmung neuerliche Anhaltspunkte bezüglich eines Betretungs- und Annäherungsverbot ergeben, wird erneut eine Gefährdungseinschätzung durchgeführt.“

3. Am 8.6.2022 führte RvI H. mit MMag. E. ein Opferkontaktgespräch sowie mit dem Beschwerdeführer eine präventive Rechtsaufklärung durch. Der Beschwerdeführer gab im Rahmen der präventiven Rechtsaufklärung an, dass er seit mindestens einem Jahr nicht mehr unangekündigt in der Nähe der Wohnung von MMag. E. gewesen sei. Er habe dort lediglich des Öfteren die gemeinsame Tochter übernommen bzw. wieder zurückgebracht. Ferner habe er MMag. E. auch nicht via Telefon gestalkt. Dies könne er mittels Chatverläufen beweisen, aus denen ersichtlich sei, dass ihre Kommunikation manchmal sowohl von ihm als auch von MMag. E. abwechselnd begonnen wurde. Die letzte verbale Auseinandersetzung hätten sie gehabt, weil MMag. E. ihm gesagt habe, dass sie für sechs Tage verreisen müsse und er sich um die gemeinsame Tochter zu kümmern habe. Er habe erwidert, dass ihm dies aus beruflichen Gründen nicht möglich sei. Danach habe er erfahren, dass MMag. E. gegen ihn eine Anzeige erstattet habe. Abschließend merkte der Beschwerdeführer an, dass sich er und MMag. E. gegenwärtig in einem Obsorgestreit befinden würden. RvI H. hatte im Rahmen dieses Gespräches keinen negativen Eindruck vom Beschwerdeführer, weil dieser sich sehr kooperativ zeigte.

4. Ebenfalls am 8.6.2022 nahm RvI T. um 16:20 Uhr mit MMag. E. Kontakt auf, nachdem mit ihr das Opferkontaktgespräch durchgeführt worden war. RvI T. wollte eine Opfervernehmung durchführen. MMag. E. hatte jedoch keine Zeit mehr dafür. Für RvI T. entstand im Zuge dieser Kontaktaufnahme der Eindruck, dass MMag. E. einen Ausspruch des Betretungsverbots für den stattfindenden Obsorgestreit mit dem Beschwerdeführer benötigen würde, weil sie mehrmals das Betretungsverbot mit dem Obsorgestreit in Zusammenhang brachte. Auf RvI T. machte sie zu diesem Zeitpunkt einen ruhigen und keinen ängstlichen bzw. eingeschüchterten Eindruck. Aufgrund dessen und des ihm vorliegenden Amtsvermerkes von RvI S. über die Anzeige von MMag. E. am 7.6.2022 sah RvI T. ebenfalls davon ab, ein Betretungs- und Annäherungsverbot auszusprechen.

5. Am 9.6.2022 wurde MMag. E. von 11:21 bis 13:05 Uhr von RvI H. einvernommen. Die Einvernahme wurde aufgrund eines ausdrücklichen Ersuchens von MMag. E. durchgeführt. MMag. E. schilderte im Zuge der Einvernahme, wie sich die Beziehung mit dem Beschwerdeführer über die Jahre entwickelte. Die Beziehung sei für sie jahrelang psychisch sehr belastend gewesen und der Beschwerdeführer habe sie oft beschimpft, jedoch nie geschlagen. Beginnend im Jahr 2020 bis zum 5.6.2022 habe der Beschwerdeführer immer wieder unangekündigt angerufen, ihr geschrieben und sei vor ihrer Wohnung aufgetaucht. Etwa fünfmal sei er von 2020 bis heute unangekündigt vor der Wohnungstüre gewesen und habe die gemeinsame Tochter früher als vereinbart zurückgebracht. Mindestens viermal habe er beim Zurückbringen der gemeinsamen Tochter versucht, in die Wohnung mit Gewalt einzudringen. Er habe die offene Türe aufgedrückt und sie zur Seite gestoßen. Der Beschwerdeführer habe auch immer wieder auf ihren Hund eingetreten. Am 7.6.2022 sei der Beschwerdeführer am Telefon beleidigend geworden, weshalb sie sich entschieden habe, dies bei der Polizei zu melden. Mittlerweile habe sie Angst, der Beschwerdeführer könne ihr oder der gemeinsamen Tochter etwas antun. Sie werde versuchen beim Jugendamt bzw. beim Bezirksgericht zu erwirken, dass er die gemeinsame Tochter nicht sehen dürfe.

RvI H. konnte sich im Zuge der Einvernahme keine Meinung zur Glaubwürdigkeit des Vorbringens von MMag. E. und deren Gefühlslage bilden. Sie erhob eine für RvI H. schwer überschaubare Summe von massiven Anschuldigungen, die zu völlig unterschiedlichen Zeitpunkten stattgefunden haben sollen, wobei er nicht das Gefühl hatte, dass ihr Vorbringen völlig frei erfunden war. Auf mehrmalige Nachfrage von RvI H., ob eine Gefährdung für das gemeinsame Kind bestehen würde, verneinte MMag. E. zunächst, schien dies aber im Laufe der Einvernahme zu relativieren. Zum Schluss der Einvernahme sagte sie jedoch, dass sie hoffe, die Strafen für den Beschwerdeführer würden nicht zu hoch ausfallen, weil sie den Beschwerdeführer noch für das gemeinsame Kind brauche. Diese abschließende Aussage von MMag. E. löste damals bei RvI H. ein Gefühl des Ärgers aus.

6. RvI H. kontaktierte am 9.6.2022 telefonisch den Beschwerdeführer und ersuchte diesen zur Polizeiinspektion V. zu kommen. Der Beschwerdeführer fragte, ob er erst gegen 17:00 Uhr vorbeikommen dürfe. RvI H. bejahte dies, wies aber darauf hin, dass er selbst nach 16:00 Uhr nicht mehr in der Polizeiinspektion sein würde. Aufgrund seiner eigenen Abwesenheit ab 16:00 Uhr instruierte er seinen Kollegen Insp. G. über den Sachverhalt. Zu diesem Zeitpunkt lag bereits eine Empfehlung des GiP-Support vor, wonach gegenüber dem Beschwerdeführer ein Betretungs- und Annäherungsverbot ausgesprochen werden sollte. Insp. G. hat sich sodann gemeinsam mit seinem Kollegen Insp. U. die Niederschrift zur Einvernahme von MMag. E. vom selben Tag und den von RvI S. erstellten Amtsvermerk vom 7.6.2022 angesehen.

7. Gegen 17:00 Uhr am 9.6.2022 kam der Beschwerdeführer zur Polizeiinspektion V. und wurde dort im Eingangsbereich von Insp. G. und Insp. U. in Empfang genommen und sodann in einen Vernehmungsraum begleitet.

Insp. G. sprach um 17:17 Uhr gegenüber dem Beschwerdeführer das angefochtene Betretungs- und Annäherungsverbot formell aus. Das Betretungsverbot wurde für die Wohnung von MMag. E. in Wien, C.-gasse ..., samt einem Bereich im Umkreis von 100 Metern um die Wohnung angeordnet. Damit verbunden war ein Verbot der Annäherung an MMag. E. im Umkreis von 100 Metern.

Im Zuge der Amtshandlung wurde der Beschwerdeführer von den beiden Polizeibeamten zu den von MMag. E. erhobenen Vorwürfen befragt. Es kann nicht festgestellt werden, ob dies vor oder bereits nach dem Ausspruch des Betretungs- und Annäherungsverbots erfolgte. Insp. G. setzte um 17:55 Uhr den GiP-Support über den Ausspruch des Betretungs- und Annäherungsverbots in Kenntnis.

7.1. In der Dokumentation gemäß § 38a SPG wurde das Betretungs- und Annäherungsverbot wie folgt begründet: „Die gefährdete Person gab an, dass der Gefährder sie seit Februar 2020 beharrlich verfolgt. Zudem soll der Gefährder schnell Aggressionsausbrüche bekommen und im Zuge der Ausbrüche den Hund der gefährdeten Person getreten haben. Der Gefährder war bislang 5x unangekündigt vor der Wohnungstüre der gefährdeten Person und hat angeklopft sowie mit den Füßen dagegengetreten.“

7.2. Die Erwägungen, die letztlich zum Ausspruch des Betretungs- und Annäherungsverbots führten, waren nach der im persönlichen und unmittelbaren Eindruck glaubhaft dargelegten Aussage von Insp. G. in der mündlichen Verhandlung die Folgenden:

Insp. G. kam auf Basis des Amtsvermerkes vom 7.6.2022 (Bearbeiter: RvI S.; GZ: PAD/...2/001/KRIM), der Niederschrift zur Zeugenvernehmung von MMag. E. vom 9.6.2022 (Bearbeiter: RvI H.; GZ: PAD/...2/001/KRIM) und der Empfehlung des GiP-Support, welche im elektronischen Akt ersichtlich war, zum Ergebnis, dass gegenüber den Beschwerdeführer ein Betretungs- und Annäherungsverbot auszusprechen ist. Allein auf Basis dieser Dokumente traf Insp. G. seine Gefährdungsprognose. Bereits nach dem Durchlesen dieser Dokumente hatte Insp. G. entschieden, dass er das Betretungs- und Annäherungsverbot aussprechen wird. Insp. G. besprach den Sachverhalt noch mit Insp. U., welcher ebenfalls zu diesem Schluss kam.

Den Amtsvermerk vom 8.6.2022 (Bearbeiter: RvI T.; GZ: PAD/...2/001/KRIM; zu dessen Inhalt siehe oben Punkt II.4.) und die darin verschriftliche Einschätzung von RvI T., welcher vom Ausspruch eines Betretungs- und Annäherungsverbots absah, berücksichtigte Insp. G. nicht bei seiner Gefährdungsprognose. Der Amtsvermerk musste ihm aber im elektronischen Akt bereits zur Verfügung gestanden sein.

Der Beschwerdeführer bekam im Rahmen der Amtshandlung am 9.6.2022 von Insp. G. und Insp. U. zwar noch die Gelegenheit, sich zu den Vorwürfen von MMag. E. zu äußern. Allerdings war es für Insp. G. von vornherein ausgeschlossen, dass er aufgrund des Vorbringens des Beschwerdeführers seine Einschätzung der Gefährdungslage noch ändern und vom Ausspruch eines Betretungs- und Annäherungsverbots absehen könnte. Unabhängig vom Vorbringen des Beschwerdeführers hätte Insp. G. jedenfalls das Betretungs- und Annäherungsverbot ausgesprochen. Insp. G. räumte dem Beschwerdeführer die Gelegenheit zur Äußerung lediglich deshalb ein, weil sich dadurch relevante Sachverhaltselemente für den weiteren Verfahrensgang ergeben hätten können, welche er dann schriftlich festgehalten hätte.

7.3 Der Beschwerdeführer verhielt sich im Zuge der Amtshandlung kooperativ und ruhig, bestritt jedoch alle von MMag. E. erhobenen Anschuldigungen.

8. Am 10.6.2022 wurde die Anordnung des Betretungs- und Annäherungsverbots von der Sicherheitsbehörde gemäß § 38a Abs. 7 SPG überprüft. Diese kam zu dem Ergebnis, dass die Anordnung rechtmäßig war und das Betretungs- und Annäherungsverbot daher weiter aufrecht bleibt. Begründend wurde auf den bestehenden Verdacht der beharrlichen Verfolgung, des Hausfriedensbruches und der Tierquälerei, auf die Trennungssituation sowie auf Aggressionsausbrüche des Beschwerdeführers verwiesen.

III. Beweiswürdigung

Das Verwaltungsgericht Wien hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in die von den Parteien vorgelegten Schriftsätze, Unterlagen, der unbedenklichen und unbestrittenen Aktenlage sowie Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 19.10.2022, in deren Rahmen der Beschwerdeführer als Partei und RvI J. H. sowie Insp. F. G. als Zeugen einvernommen wurden.

Der festgestellte Sachverhalt ist im Wesentlichen zwischen den Parteien unstrittig.

Die Feststellungen stützen sich neben dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung insbesondere auf folgende im Akt einliegende Urkunden:

?    Amtsvermerk vom 7.6.2022, Bearbeiter: RvI S. (GZ: PAD/...2/001/KRIM);

?    Bericht vom 8.6.2022 über die präventive Rechtsaufklärung von Mag. B., Bearbeiter: RvI H. (GZ: PAD/...2/009/VW);

?    Bericht vom 8.6.2022 über das Opferkontaktgespräch mit MMag. E., Bearbeiter: RvI H. (GZ: PAD/...2/010/VW);

?    Amtsvermerk vom 8.6.2022, Bearbeiter: RvI T. (GZ: PAD/...2/001/KRIM);

?    Niederschrift zur Zeugenvernehmung von MMag. E. vom 9.6.2022, Bearbeiter: RvI H. (GZ: PAD/...2/001/KRIM);

?    Meldung vom 9.6.2022 betreffend Ausspruch Betretungs- und Annäherungsverbot, Bearbeiter: Insp. G. (GZ: PAD/...2/013/VW);

?    Dokumentation gemäß § 38a SPG, Bearbeiter: Insp. G. (GZ: PAD/...2/013/VW);

?    GiP-Support Falldatenblatt zur Fallzahl 2153; Sachbearbeiter GrI W.;

?    Aktenvermerk vom 10.6.2022 betreffend Überprüfung gemäß § 38a Abs. 7 SPG, Bearbeiter: Mag. X. (GZ: PAD/...2/015/VW).

Die Richtigkeit dieser Urkunden wurde von den Parteien nicht bestritten und es sind im Rahmen des Beweisverfahrens diesbezüglich auch keine Bedenken beim Verwaltungsgericht Wien entstanden.

Die unter Punkt II.1. getroffenen Feststellungen stützen sich auf das glaubhafte Vorbringen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung und dem Beschwerdeschriftsatz.

Die unter Punkt II.2. getroffenen Feststellungen stützen sich auf den Amtsvermerk vom 7.6.2022 (GZ: PAD/...2/001/KRIM) und die damit übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung.

Die unter Punkt II.3. getroffenen Feststellungen stützen sich auf den Bericht vom 8.6.2022 über die präventive Rechtsaufklärung des Beschwerdeführers (GZ: PAD/...2/009/VW), den Bericht vom selben Tag über das mit MMag. E. geführte Opferkontaktgespräch und die glaubhaften Angaben des Zeugen RvI H. in der mündlichen Verhandlung.

Die unter Punkt II.4. getroffenen Feststellungen stützen sich auf den von RvI T. angefertigten Amtsvermerk vom 8.6.2022 (GZ: PAD/...2/001/KRIM).

Die unter Punkt II.5. getroffenen Feststellungen stützen sich auf die Niederschrift zur Zeugenvernehmung von MMag. E. vom 9.6.2022 (GZ: PAD/...2/001/KRIM), welche von RvI H. durchgeführt wurde, und auf die glaubhaften Angaben des Zeugen RvI H. in der mündlichen Verhandlung.

Die unter Punkt II.6. getroffenen Feststellungen stützen sich auf die glaubhaften und weitgehend übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers, des Zeugen RvI H. und des Zeugen Insp. G. in der mündlichen Verhandlung.

Die unter Punkt II.7. getroffenen Feststellungen stützen sich vor allem auf die glaubhaften und nachvollziehbaren Angaben des Zeugen Insp. G. in der mündlichen Verhandlung und der Meldung vom 9.6.2022 des Ausspruches des Betretungs- und Annäherungsverbots (Bearbeiter: Insp. G.; GZ: PAD/...2/013/VW) sowie die Dokumentation gemäß § 38a SPG (Bearbeiter: Insp. G.; GZ: PAD/...2/013/VW). Die Feststellung, auf welcher Basis Insp. G. seine Gefährdungsprognose bzw. die Entscheidung über den Ausspruch nach § 38a SPG traf, gründen sich auf seine detaillierten und glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung. Diese bestätigte er auch auf mehrmalige Nachfrage hin. Nach Vorhalt des Amtsvermerkes vom 8.6.2022 (Bearbeiter: RvI T.; GZ: PAD/...2/001/KRIM) hielt Insp. G. ausdrücklich fest, dass er dieses Dokument nicht berücksichtigte und dieses ihm auch nicht bekannt ist. Zudem führte er aus, dass er diesen Amtsvermerk zum damaligen Zeitpunkt im elektronischen Akt zur Verfügung haben musste. Insp. G. wiederholte in der mündlichen Verhandlung ebenfalls auf mehrmalige Nachfrage seitens des Verhandlungsleiters und des Vertreters der belangten Behörde ausdrücklich, dass es für ihn von vornherein ausgeschlossen war, dass er aufgrund des Vorbringens des Beschwerdeführers am 9.6.2022 seine Einschätzung der Gefährdungslage noch geändert hätte und vom Ausspruch eines Betretungs- und Annäherungsverbots noch absehen hätte können. Dies war für ihn nicht der Zweck, weshalb er dem Beschwerdeführer Gelegenheit zur Äußerung einräumte.

Die negative Feststellung („non liquet“) unter Punkt II.7., wonach unklar blieb, ob Insp. G. dem Beschwerdeführer noch vor oder erst nach formellen Ausspruch des Betretungs- und Annäherungsverbots am 9.6.2022 die Möglichkeit einräumte, zu den von MMag. E. erhobenen Vorwürfen Stellung zu nehmen, gründet sich auf die Einvernahmen des Beschwerdeführers und des Zeugen Insp. G. in der mündlichen Verhandlung. Insp. G. konnte bei seiner Schilderung des Ablaufes der Amtshandlung am 9.6.2022 hierzu keine eindeutigen Angaben mehr machen. Der Beschwerdeführer wurde vor Beantwortung der entsprechenden Nachfrage des Verhandlungsleiters von seinem Rechtsvertreter unterbrochen. Der Rechtsvertreter beantwortete die an den Beschwerdeführer gerichtete Frage mit: „das war natürlich danach“. Anschließend antwortete der Beschwerdeführer gleichlautend, dass er erst nach formellen Ausspruch des Betretungs- und Annäherungsverbots die Gelegenheit zu Stellungnahme bekommen habe. Diese Angabe des Beschwerdeführers hat daher keinen Beweiswert für das Verwaltungsgericht Wien.

Die unter Punkt II.8. getroffenen Feststellungen stützen sich auf den Aktenvermerk vom 10.6.2022 betreffend die Überprüfung gemäß § 38a Abs. 7 SPG.

IV. Rechtsgrundlagen

§ 38a des Bundesgesetzes über die Organisation der Sicherheitsverwaltung und die Ausübung der Sicherheitspolizei (Sicherheitspolizeigesetz – SPG), BGBl. Nr. 566/1991 idF BGBl. I Nr. 124/2021, lautet:

„Betretungs- und Annäherungsverbot zum Schutz vor Gewalt

§ 38a. (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, einem Menschen, von dem auf Grund bestimmter Tatsachen, insbesondere wegen eines vorangegangenen gefährlichen Angriffs, anzunehmen ist, dass er einen gefährlichen Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit, insbesondere in einer Wohnung, in der ein Gefährdeter wohnt, begehen werde (Gefährder), das Betreten einer Wohnung, in der ein Gefährdeter wohnt, samt einem Bereich im Umkreis von hundert Metern zu untersagen (Betretungsverbot). Mit dem Betretungsverbot verbunden ist das Verbot der Annäherung an den Gefährdeten im Umkreis von hundert Metern (Annäherungsverbot).

(2) Bei Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbots haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes

1. dem Gefährder den Verbotsbereich nach Abs. 1 zur Kenntnis zu bringen;

2. dem Gefährder alle in seiner Gewahrsame befindlichen Schlüssel zur Wohnung gemäß Abs. 1 abzunehmen und ihn zu diesem Zweck erforderlichenfalls zu durchsuchen; § 40 Abs. 3 und 4 gilt sinngemäß;

3. dem Gefährder Gelegenheit zu geben, dringend benötigte Gegenstände des persönlichen Bedarfs mitzunehmen und sich darüber zu informieren, welche Möglichkeiten er hat, unterzukommen;

4. den Gefährder über die Verpflichtung gemäß Abs. 8 und die Rechtsfolgen einer Zuwiderhandlung sowie über die Möglichkeit eines Antrags gemäß Abs. 9 zu informieren;

5. vom Gefährder die Bekanntgabe einer Abgabestelle für Zwecke der Zustellung von Schriftstücken nach dieser Bestimmung oder der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896, zu verlangen; unterlässt er dies, kann die Zustellung solcher Schriftstücke so lange durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch erfolgen, bis eine Bekanntgabe erfolgt; darauf ist der Gefährder hinzuweisen;

6. den Gefährder bei Aufenthalt in einem Verbotsbereich nach Abs. 1 wegzuweisen.

(3) Betrifft das Betretungsverbot eine vom Gefährder bewohnte Wohnung, ist besonders darauf Bedacht zu nehmen, dass dieser Eingriff in das Privatleben des Gefährders die Verhältnismäßigkeit (§ 29) wahrt. Sofern keine Ausnahme gemäß Abs. 9 vorliegt, darf der Gefährder den Verbotsbereich gemäß Abs. 1 nur in Gegenwart eines Organs des öffentlichen Sicherheitsdienstes aufsuchen.

(4) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind verpflichtet, den Gefährdeten über die Möglichkeit einer einstweiligen Verfügung nach §§ 382b und 382c EO und geeignete Opferschutzeinrichtungen (§ 25 Abs. 3) zu informieren. Darüber hinaus sind sie verpflichtet,

1. sofern der Gefährdete minderjährig ist und es im Einzelfall erforderlich erscheint, jene Menschen, in deren Obhut er sich regelmäßig befindet, sowie

2. sofern ein Minderjähriger in der vom Betretungsverbot erfassten Wohnung wohnt, unverzüglich den örtlich zuständigen Kinder- und Jugendhilfeträger

über die Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbots zu informieren.

(5) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, den Gefährder bei Verstoß gegen das Betretungs- und Annäherungsverbot wegzuweisen. Die Einhaltung eines Betretungsverbots ist zumindest einmal während der ersten drei Tage seiner Geltung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu kontrollieren.

(6) Bei der Dokumentation der Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbots ist auf die für das Einschreiten maßgeblichen Umstände sowie auf jene Bedacht zu nehmen, die für ein Verfahren nach §§ 382b und 382c EO oder für eine Abklärung der Gefährdung des Kindeswohls durch den zuständigen Kinder- und Jugendhilfeträger von Bedeutung sein können.

(7) Die Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbots ist der Sicherheitsbehörde unverzüglich bekanntzugeben und von dieser binnen drei Tagen zu überprüfen. Stellt die Sicherheitsbehörde fest, dass das Betretungs- und Annäherungsverbot nicht hätte angeordnet werden dürfen, so hat sie unverzüglich den Gefährdeten über die beabsichtigte Aufhebung zu informieren und das Verbot gegenüber dem Gefährder aufzuheben. Die Information des Gefährdeten sowie die Aufhebung des Betretungs- und Annäherungsverbots haben nach Möglichkeit mündlich oder schriftlich durch persönliche Übergabe zu erfolgen.

(8) Der Gefährder hat binnen fünf Tagen ab Anordnung des Betretungs- und Annäherungsverbots eine Beratungsstelle für Gewaltprävention zur Vereinbarung einer Gewaltpräventionsberatung (§ 25 Abs. 4) zu kontaktieren und an der Beratung aktiv teilzunehmen, sofern das Betretungs- und Annäherungsverbot nicht gemäß Abs. 7 aufgehoben wird. Die Beratung hat längstens binnen 14 Tagen ab Kontaktaufnahme erstmals stattzufinden. Nimmt der Gefährder keinen Kontakt auf oder nicht (aktiv) an einer Gewaltpräventionsberatung teil, ist er zur Sicherheitsbehörde zum Zweck der Ermöglichung der Durchführung der Gewaltpräventionsberatung durch die Beratungsstelle für Gewaltprävention zu laden; § 19 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 – AVG, BGBl. Nr. 51/1991, gilt.

(9) Die Sicherheitsbehörde ist ermächtigt, bei Vorliegen zwingender Notwendigkeit auf begründeten Antrag des Gefährders mit Bescheid örtliche oder zeitliche Ausnahmen von dem Betretungs- und Annäherungsverbot festzulegen, sofern schutzwürdige Interessen des Gefährdeten dem nicht entgegenstehen; zu diesem Zweck ist dem Gefährdeten Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Ausnahmen für die Wohnung, die vom Betretungsverbot betroffen ist, sind nicht zulässig. Die Entscheidung der Behörde ist dem Gefährdeten unverzüglich zur Kenntnis zu bringen.

(10) Das Betretungs- und Annäherungsverbot endet zwei Wochen nach seiner Anordnung oder, wenn die Sicherheitsbehörde binnen dieser Frist vom ordentlichen Gericht über die Einbringung eines Antrags auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach §§ 382b und 382c EO informiert wird, mit dem Zeitpunkt der Zustellung der Entscheidung des ordentlichen Gerichts an den Antragsgegner, längstens jedoch vier Wochen nach seiner Anordnung. Im Falle einer Zurückziehung des Antrags endet das Betretungs- und Annäherungsverbot sobald die Sicherheitsbehörde von der Zurückziehung durch Mitteilung des ordentlichen Gerichts Kenntnis erlangt, frühestens jedoch zwei Wochen nach seiner Anordnung.

(11) Die nach Abs. 2 abgenommenen Schlüssel sind mit Aufhebung oder Beendigung des Betretungsverbots zur Abholung durch den Gefährder bereit zu halten und diesem auszufolgen. Werden die Schlüssel trotz nachweislicher Information des Gefährders über die Abholungsmöglichkeit nicht binnen einer Frist von zwei Wochen abgeholt, können die Schlüssel auch einem sonstigen Verfügungsberechtigten ausgefolgt werden. Sechs Wochen nach Aufhebung oder Beendigung des Betretungsverbots gelten diese als verfallen; § 43 Abs. 2 gilt sinngemäß. Im Falle eines Antrags auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach §§ 382b und 382c EO sind die nach Abs. 2 abgenommenen Schlüssel beim ordentlichen Gericht zu erlegen.

(12) Die Berechnung von Fristen nach dieser Bestimmung richtet sich nach §§ 32 und 33 Abs. 1 AVG.“

V. Rechtliche Beurteilung

1. Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG erkennen Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit. Bei einer Beschwerde gegen die Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt geht es nicht darum, die abstrakte Zulässigkeit einer Maßnahme zu prüfen, sondern darum, ob der ganz konkret vorgenommene Zwangsakt rechtmäßig war oder nicht. Es ist nicht zulässig, dann, wenn sich der tatsächlich für die Zwangsmaßnahme maßgebend gewesene Grund als unzureichend erweisen sollte, nachträglich den Rechtsgrund auszuwechseln und eine andere, besser geeignete gesetzliche Grundlage heranzuziehen (VwGH 22.10.2002, 2000/01/0527; 12.09.2006, 2005/03/0068).

2. Gemäß § 38a Abs. 1 SPG sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes u.a. ermächtigt einen Menschen, von dem aufgrund bestimmter Tatsachen, insbesondere wegen eines vorangegangenen gefährlichen Angriffs anzunehmen ist, dass er einen gefährlichen Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit begehen werde (Gefährder), das Betreten einer Wohnung, in der ein Gefährdeter wohnt, samt einem Bereich im Umkreis von hundert Metern zu untersagen (Betretungsverbot). Mit dem Betretungsverbot ex lege verbunden ist das Verbot der Annäherung an den Gefährdeten im Umkreis von hundert Metern (Annäherungsverbot).

Ein gefährlicher Angriff ist nach § 16 Abs. 2 SPG die Bedrohung eines Rechtsgutes durch die rechtswidrige Verwirklichung des Tatbestandes einer gerichtlich strafbaren Handlung, die vorsätzlich begangen und nicht bloß auf Begehren eines Beteiligten verfolgt wird, sofern es sich um einen Straftatbestand u.a. nach dem Strafgesetzbuch handelt. Die Folge, dass wegen eines vorangegangenen gefährlichen Angriffs ein gefährlicher Angriff bevorsteht, wird vom Gesetz aber nicht vermutet, sondern ist vom einschreitenden Organ zu beurteilen. Betretungsverbot samt Annäherungsverbot (sowie Wegweisung) sind gleichermaßen an die Voraussetzung geknüpft, dass aufgrund bestimmter Tatsachen (Vorfälle) anzunehmen ist, ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit einer gefährdeten Person stehe bevor. Welche Tatsachen als solche im Sinne des § 38a SPG in Frage kommen, sagt das Gesetz nicht (ausdrücklich). Diese Tatsachen müssen (aufgrund bekannter Vorfälle) die Annahme rechtfertigen, dass plausibel und nachvollziehbar bestimmte künftige Verhaltensweisen zu erwarten sein werden. Aufgrund des sich den einschreitenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bietenden Gesamtbildes muss mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, dass ein gefährlicher Angriff im genannten Sinn durch den mutmaßlichen Gefährder bevorstehe. Dabei (bei dieser Prognose) ist vom Wissensstand des Beamten im Zeitpunkt des Einschreitens auszugehen (zB VwGH 21.12.2000, 2000/01/0003; 24.02.2004, 2002/01/0280; 08.09.2009, 2008/17/0061; 24.10.2013, 2011/01/0158; 15.12.2015, Ra 2015/01/0241; 26.04.2016, Ra 2015/03/0079; 4.12.2020, Ra 2019/01/0163).

Bereits der Unabhängige Verwaltungssenat Wien brachte in ständiger Rechtsprechung zum Ausdruck, dass Wegweisungen wie auch Betretungsverbote eine Sicherungsmaßnahme darstellen, welche zur Verhinderung von gefährlichen Angriffen gegen eine in der betreffenden Wohnung lebende Person aufgrund einer tatsachengestützten Gefährdungsprognose von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes möglichst rasch zu erlassen sei, sodass die vorherige Durchführung eines regelrechten Beweisverfahrens dem Zweck der Bestimmung zuwiderliefe und diese von den einschreitenden Exekutivbeamten auch gar nicht erwartet werden könne. Als rechtsstaatlicher Mindeststandard ist jedoch vorauszusetzen, dass der mutmaßliche Gefährder vor der Verhängung eines Betretungsverbots verbunden mit einem Annäherungsverbot mit den gegen ihn erhobenen Vorwürfen, auf die sich eine Gefährdungsprognose stützen kann, wenigstens konfrontiert und ihm die Möglichkeit geboten wird, sich in aller gebotenen Kürze dazu zu äußern und seine allenfalls abweichende Darstellung nach Möglichkeit zu belegen. Erst wenn die Widerlegung jener Tatsachen, auf die sich die Gefährdungsprognose stützt, in der gebotenen Kürze nicht gelingt, darf ein Betretungsverbot verhängt werden. Für das Verwaltungsgericht Wien besteht kein Grund, von dieser Rechtsprechung abzugehen.

Das Verwaltungsgericht hat die Rechtmäßigkeit eines gemäß § 38a SPG angeordneten Betretungsverbots im Sinne einer objektiven ex ante-Betrachtung aus dem Blickwinkel der eingeschrittenen Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zum Zeitpunkt ihres Einschreitens zu prüfen (vgl. zur ex ante-Betrachtung aus dem Blickwinkel der einschreitenden Exekutivbeamten VwGH 5.12.2017, Ra 2017/01/0373). Dabei hat es zu beurteilen, ob die eingeschrittenen Organe vertretbar annehmen konnten, dass ein vom Gefährder ausgehender gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit bevorsteht (vgl. VwGH 21.12.2000, 2000/01/0003).

Gegenstand der Überprüfung durch das Verwaltungsgericht ist, ob für die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes aufgrund des sich den einschreitenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bietenden Gesamtbildes und ausgehend vom Wissensstand der Beamten im Zeitpunkt des Einschreitens hinreichende Gründe für das Bestehen einer vom Gefährder ausgehenden, das angeordnete Betretungsverbot rechtfertigenden Gefahr iSd § 38a SPG vorlagen. Dabei hat das Verwaltungsgericht nicht seine eigene Beurteilung des sich den einschreitenden Organen bietenden Gesamtbildes und seinem eigenen Wissensstand an die Stelle des Blickwinkels der Beamten zu setzen. Die Annahme der Beamten eines bevorstehenden vom Gefährder ausgehenden gefährlichen Angriffs auf Leben, Gesundheit oder Freiheit ist somit nicht bereits dann unvertretbar und das verhängte Betretungsverbot rechtswidrig, wenn das Verwaltungsgericht die Gefährdungslage an Hand des sich den eingeschrittenen Beamten gebotenen Gesamtbildes anders einschätzt (VwGH 4.12.2020, Ra 2019/01/0163).

3. Die am 9.6.2022 getroffene Annahme des einschreitenden Organs Insp. G., wonach ein gefährlicher Angriff des Beschwerdeführers auf Leben, Gesundheit oder Freiheit auf MMag. E. zu erwarten sei, ist im Ergebnis aus den folgenden Gründen nicht als vertretbar zu werten:

3.1. In der Beschwerdesache steht fest, dass Insp. G. gegenüber dem Beschwerdeführer am 9.6.2022, um 17:17 Uhr, ein Betretungsverbot für die Wohnung von MMag. E. in Wien, C.-gasse ..., aussprach, mit welchem ein Annäherungsverbot an die Wohnung sowie an die gefährdete Person MMag. E. im Umkreis von 100 Metern verbunden war.

3.2. Als Entscheidungsgrundlagen für dieses Vorgehen zog Insp. G. ausschließlich den Amtsvermerk vom 7.6.2022 (Bearbeiter: RvI S.; GZ: PAD/...2/001/KRIM), die Niederschrift zur Zeugenvernehmung von MMag. E. vom 9.6.2022 (Bearbeiter: RvI H.; GZ: PAD/...2/001/KRIM) und die Empfehlung des GiP-Support, welche im elektronischen Akt ersichtlich war, heran.

3.3. Den Amtsvermerk vom 8.6.2022 (Bearbeiter: RvI T.; GZ: PAD/...2/001/KRIM) und die darin verschriftliche Einschätzung von RvI T., welcher vom Ausspruch eines Betretungs- und Annäherungsverbots absah, berücksichtigte Insp. G. bei seiner Gefährdungseinschätzung nicht. Dies obwohl ihm dieser Amtsvermerk seiner eigenen Aussage nach im elektronischen Akt zur Verfügung gestanden sein musste. In einer Betrachtung ex ante wäre die verschriftlichte Einschätzung von RvI T. allerdings dazu geeignet gewesen, die Angaben des Beschwerdeführers sowie von MMag. E. (möglicherweise) anders zu gewichten.

3.4. Ausdrücklich unberücksichtigt blieb auch das Vorbringen des Beschwerdeführers im Zuge der Amtshandlung am 9.6.2022. Insp. G. räumte dem Beschwerdeführer gemeinsam mit Insp. U. zwar die Gelegenheit ein, sich zu den Vorwürfen von MMag. E. zu äußern. Für Insp. G. war seiner eigenen Aussage nach jedoch ein etwaiges Vorbringen des Beschwerdeführers von vornherein ohne Relevanz für den Ausspruch des Betretungs- und Annäherungsverbots. Wie Insp. G. in der mündlichen Verhandlung mehrmals betonte, hätte er unabhängig vom Vorbringen des Beschwerdeführers jedenfalls das Betretungs- und Annäherungsverbot ausgesprochen. Damit steht fest, dass Insp. G. dem Beschwerdeführer am 9.6.2022 kein effektives Gehör zu jenen Tatsachen eingeräumt hat, auf die sich die Gefährdungsprognose stützte. Dem Beschwerdeführer wurde damit von vornherein die Möglichkeit genommen, diese allenfalls zu widerlegen. Dies betrifft insbesondere das verschriftlichte Vorbringen, welches MMag. E. im Rahmen ihrer Einvernahme durch RvI H. ein paar Stunden zuvor am 9.6.2022 erstattet hatte und auf das Insp. G. seine Gefährdungsprognose maßgeblich stützte.

Vor diesem Hintergrund kann dahingestellt bleiben, ob sich der Beschwerdeführer im Zuge der Amtshandlung am 9.6.2022 vor oder erst nach dem formellen Ausspruch des Betretungs- und Annäherungsverbots zu den von MMag. E. erhobenen Anschuldigungen äußern konnte.

3.5. Das Verwaltungsgericht Wien verkennt nicht, wie schwierig eine Gefährdungsprognose in einem Einzelfall vorzunehmen und zu treffen ist. Dennoch ist aufgrund der damit einhergehenden Auswirkungen für betroffene Personen, eine Auseinandersetzung mit den verfügbaren Informationsquellen angezeigt, um eine tatsachengestützte Gefährdungsprognose treffen zu können. Diese Tatsachen müssen (aufgrund bekannter Vorfälle) die Annahme rechtfertigen, dass plausibel und nachvollziehbar bestimmte künftige Verhaltensweisen zu erwarten sein werden. Dem mutmaßlichen Gefährder muss in der gebotenen Kürze die Möglichkeit gegeben werden, zu diesen Tatsachen Stellung zu nehmen. Eine Einschätzung des GiP-Support kann dieses rechtsstaatlich gebotene Vorgehen nicht substituieren, auch wenn in dieser unterstützenden Stelle speziell geschulte Personen arbeiten. Dies insbesondere auch deshalb, weil – wie der Vertreter der belangten Behörde in der mündlichen Verhandlung ausführte – der GiP-Support nicht direkt in Kontakt mit Gefährdern und gefährdeten Personen tritt und somit keinen unmittelbaren Eindruck von diesen erlangen kann.

3.6. Die Beschwerde erweist sich daher im Ergebnis als begründet, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 35 Abs. 1, 2 und 4 Z 3 VwGVG iVm § 1 Z 1 und 2 VwG-AufwErsV. Ferner sind gemäß § 35 Abs. 6 VwGVG und § 52 Abs. 2 VwGG die Eingabengebühren in dem Ausmaß zu ersetzen, in dem sie tatsächlich entrichtet worden sind (vgl. VwGH vom 28.5.2020, Ra 2019/21/0336, Rz 29 sowie Eisenberger/Ennöckl/Helm, Die Maßnahmenbeschwerde2, 68), weshalb diese spruchgemäß zuzusprechen waren (siehe Einzahlungsbeleg vom 21.7.2022). Der Antrag auf Ersatz der Fahrtkosten wurde hinsichtlich der tatsächlich aufgewendeten Fahrtkosten, die mit der Wahrnehmung der Parteirechte des Beschwerdeführers vor dem Verwaltungsgericht verbunden waren, nicht näher beziffert, weshalb das Begehren abzuweisen war.

5. Die ordentliche Revision ist unzulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 38a SPG ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. zB VwGH 26.04.2016, Ra 2015/03/0079; 4.12.2020, Ra 2019/01/0163). Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Im vorliegenden Fall waren lediglich Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen, denen als regelmäßig nicht über den Einzelfall hinausreichend keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn von Art. 133 Abs. 4 B-VG zukommt (vgl. zB VwGH 18.8.2017, Ra 2017/11/0218). Zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist der Verwaltungsgerichtshof im Allgemeinen nicht berufen (vgl. VwGH 24.3.2014, Ro 2014/01/0011; 28.4.2015, Ra 2014/19/0177).

Schlagworte

Betretungsverbot; gefährlicher Angriff; Sicherungsmaßnahme; Gefährdungsprognose; tatsachengestützt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2022:VGW.102.100.9004.2022

Zuletzt aktualisiert am

04.01.2023
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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