TE Vwgh Erkenntnis 1996/1/23 95/05/0026

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Veröffentlicht am 23.01.1996
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Index

L37159 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Wien;
L80009 Raumordnung Raumplanung Flächenwidmung Bebauungsplan Wien;
L80409 Altstadterhaltung Ortsbildschutz Wien;
L82000 Bauordnung;
L82009 Bauordnung Wien;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §45 Abs2;
BauO Wr §129 Abs10;
BauRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Gritsch, über die Beschwerde des Dr. R in W, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 15. Dezember 1994, Zl. MD-VfR - B XXIII - 25/94, betreffend Abbruchsauftrag, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.950,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Aufgrund einer am 17. Mai 1993 durchgeführten Überprüfung der Senkgrube auf dem Los n der Kleingartenanlage R im 23. Wiener Gemeindebezirk wurden Mängel derselben festgestellt. Bei der sodann am 15. Dezember 1993 abgehaltenen "Büro-Verhandlung" wurde festgestellt, daß auf dem Kleingartenlos Nr. n eine Senkgrube ohne Baubewilligung errichtet worden sei.

Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 6. Mai 1994 erging an den Beschwerdeführer als Eigentümer der genannten Senkgrube gemäß § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien der Auftrag, binnen drei Monaten ab Rechtskraft dieses Bescheides die ohne Baubewilligung errichtete Senkgrube zu beseitigen.

Der Beschwerdeführer erhob dagegen Berufung. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der erstinstanzliche Bescheid nach einem ergänzenden Ermittlungsverfahren mit der Abänderung bestätigt, daß die Erfüllungsfrist sechs Monate ab Rechtskraft betrage. Im Berufungsverfahren seien zusätzliche Erhebungen über den Zeitpunkt der Errichtung der Senkgrube, über einen allfälligen Konsens für das Schrebergartenhaus, über die Bewilligung von Senkgruben bei anderen Kleingärten derselben Anlage sowie über die Vollständigkeit des Archives der Baubehörde veranlaßt worden. Die Frage, ob Umstände dafür sprächen, daß die Senkgrube bereits in den Jahren 1922/1923 errichtet worden sei, habe die Magistratsabteilung 30- Kanalisation aufgrund einer Erhebung am 3. August 1994 dahingehend beantwortet, daß bei der vorhandenen Senkgrube keine Umstände betreffend die Ausführung und den Erhaltungszustand vorlägen, die für die Errichtung vor den Jahren 1922/1923 sprächen. Dazu habe der Beschwerdeführer ausgeführt, daß die Senkgrube nicht vor, sondern IN den Jahren 1922/1923 errichtet worden sei. Die Feststellung, daß keine Umstände vorlägen, die für eine Errichtung in dieser Zeit sprechen, habe der Beschwerdeführer im Hinblick darauf bestätigt, daß es auf der Hand liege, daß die Senkgrube seit 1922/1923 mehrmals umfangreich ausgebessert und auch modernisiert worden sei. Nach der Kontrolle am 17. Mai 1993 habe eine Generalüberholung der Senkgrube stattgefunden. Die belangte Behörde nahm aufgrund der Ausführungen des Beschwerdeführers und der Feststellung der erstinstanzlichen Behörde, daß für das Schutzhaus der Kleingartenanlage bereits im Jahre 1929 eine Baubewilligung erteilt worden sei, als erwiesen an, daß auch die Senkgrube auf dem Los Nr. n zu einem Zeitpunkt errichtet worden sei, zu dem die Bauordnung für Wien für das Gebiet der ehemals selbständigen Gemeinde Atzgersdorf noch nicht gegolten habe. Maßgebend für die Bewilligungsbedürftigkeit der Senkgrube sei somit die Bauordnung für Niederösterreich aus dem Jahre 1883, die für das Gebiet der ehemals selbständigen Gemeinde Atzgersdorf bis zum 12. Februar 1939 in Geltung gestanden sei. Diese habe gemäß § 16 Abs. 4 leg. cit. für die Herstellung neuer und die Abänderung schon bestehender Senkgruben ausdrücklich eine Baubewilligung gefordert.

Vom Fehlen einer solchen Baubewilligung sei bereits die erste Instanz bei Erlassung des Bescheides ausgegangen. Der Beschwerdeführer sei nicht in der Lage gewesen, die Erteilung einer Bewilligung nachzuweisen, mache aber das langjährige unbeanstandete Bestehen der Senkgrube geltend, das zur Vermutung eines Konsenses geführt habe. Nach Auffassung der belangten Behörde bleibe für eine solche Vermutung kein Raum, weil das baubehördliche Archiv für die Kleingartenanlage Rosenhügel augenscheinlich vollständig sei, was durch das Vorhandensein einer im Jahre 1929 vom Gemeindeamt Atzgersdorf erteilten Bewilligung für das Schutzhaus samt Senkgrube unterstrichen werde. Für das Los Nr. n und die übrigen, vor dem zweiten Weltkrieg bebauten Kleingartenlose sei dagegen keine Bewilligung vorgefunden worden. Wenn derartige Bewilligungen noch von der Gemeinde Atzgersdorf erteilt worden wären, dann müßten sie sich im Archiv der Wiener Baubehörde befinden, welche die baubehördlichen Aufgaben und die Archivbestände von der ehemaligen Gemeinde Atzgersdorf übernommen habe. Das Vorhandensein der Bewilligung für das Schutzhaus spreche für die Übernahme derartiger Archivbestände. Der Baubehörde der Gemeinde Atzgersdorf sei die Bautätigkeit in der Schrebergartenkolonie R seinerzeit sicher nicht verborgen geblieben, doch habe sie offenbar aus irgendwelchen Gründen davon Abstand genommen, gegen nicht bewilligte, aber schon nach der damaligen Rechtslage bewilligungspflichtige Bauführungen einzuschreiten. Daß die Vorgangsweise der Baubehörde noch heute von einer gewissen Toleranz gekennzeichnet sei, zeige auch der vorliegende Fall. Erst nachdem die Undichtheit der vorhandenen Senkgrube auf dem Los Nr. n festgestellt worden sei, sei es überhaupt zur Einleitung eines baubehördlichen Verfahrens gekommen. Die belangte Behörde nehme es als erwiesen an, daß die Senkgrube auf dem Los Nr. n ohne baubehördliche Bewilligung errichtet worden sei, obwohl eine solche Bewilligung auch nach der Bauordnung für Niederösterreich aus dem Jahre 1883 erforderlich gewesen sei. Derzeit sei die Senkgrube nach § 60 Abs. 1 lit. b Bauordnung für Wien als sonstige bauliche Anlage bewilligungspflichtig, weil zu ihrer Errichtung ein wesentliches Maß bautechnischer Kenntnisse erforderlich sei, sie mit dem Boden in eine kraftschlüssige Verbindung gebracht sei und sie wegen ihrer Beschaffenheit geeignet sei, öffentliche Rücksichten zu berühren. Als Eigentümer der Senkgrube sei der Beschwerdeführer gemäß § 129 Abs. 10 Bauordnung für Wien verpflichtet, diese bauliche Anlage, die im Zeitpunkt ihrer Errichtung bewilligungspflichtig gewesen und derzeit bewilligungspflichtig sei, gänzlich zu beseitigen. Im Hinblick darauf, daß die Zustellung des Berufungsbescheides und damit der Beginn der Erfüllungsfrist in die kalte Jahreszeit falle, werde die Erfüllungsfrist daher um sechs Monate verlängert.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wird die Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht. Der Beschwerdeführer erachtet sich insbesondere im Recht auf eine gesetzmäßige Auslegung des § 129 Abs. 10 Bauordnung für Wien verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 129 Abs. 10 Bauordnung für Wien, LGBl. Nr. 11/1930 in der Fassung des Landesgesetzes LGBl. Nr. 18/1976, sind Abweichungen von den Bauvorschriften zu beheben und es ist der vorschriftswidrige Bau, für den eine nachträgliche Bewilligung nicht erteilt worden ist, zu beseitigen.

Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. die hg. Erkenntnisse vom 4. Juli 1957, Zl. 2649/55, Slg. Nr. 4364/A - nur der Rechtssatz veröffentlicht, vom 3. November 1969, Zl. 623/69, und vom 25. Mai 1972, Zl. 414/71) spricht hinsichtlich eines seit Jahrzehnten bestehenden Gebäudes, hinsichtlich dessen Unterlagen über eine seinerzeitige Baubewilligung nicht mehr auffindbar sind, andererseits aber feststeht, daß baubehördliche Beanstandungen aus dem Grund, weil ein Konsens fehlt, niemals stattgefunden haben, dafür, daß das Gebäude in seiner derzeitigen Gestalt aufgrund einer nach der im Zeitpunkt der Erbauung in Geltung gestandenen Vorschrift erteilten Baubewilligung errichtet worden ist, es sei denn, daß Anhaltspunkte für eine gegenteilige Annahme vorliegen.

Der Beschwerdeführer beruft sich zunächst auf die eingangs angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes. Die Schlußfolgerung der belangten Behörde, ein solcher vermuteter Konsens könne nicht angenommen werden, da das baubehördliche Archiv für die Kleingartenanlage R augenscheinlich vollständig sei, was durch das Vorhandensein einer im Jahre 1929 vom Gemeindeamt Atzgersdorf erteilten Bewilligung für das Schutzhaus samt Senkgrube unterstrichen werde, sei nach Auffassung des Beschwerdeführers nicht schlüssig. Es könne nicht aufgrund des Vorhandenseins der Baugenehmigung für EINE Gaststätte der Kleingartenanlage auf die Vollständigkeit der Archivbestände geschlossen werden, woraus sich weiters ergeben solle, daß 200 bis 300 Schrebergartenhäuser ohne Bewilligung errichtet worden seien.

Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer im Recht. Allein aus dem Umstand, daß eine Baubewilligung nur für ein EINZIGES Gebäude der 200 bis 300 Schrebergartenhäuser umfassenden Kleingartenanlage auf dem R in den Archivbeständen vorgefunden wurde, kann nicht auf die Vollständigkeit der Archivbestände geschlossen werden. Es ergibt sich daraus aber auch nicht schlüssig, daß die Archivbestände der Gemeinde Atzgersdorf übernommen bzw. vollständig übernommen wurden. Die belangte Behörde hätte in diesem Zusammenhang der Frage nachgehen müssen, ob die Archivbestände überhaupt Bewilligungen aus der angeblichen Errichtungszeit (1922/1923) enthalten (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 4. April 1989, Zl. 88/05/0271). Auf Grund der bekämpften und als nicht schlüssig erkannten Schlußfolgerung der belangten Behörde blieb das Ermittlungsverfahren - wie aufgezeigt - in bezug auf den maßgebenden Sachverhalt gemäß § 39 AVG unvollständig und es wurde somit auch nicht dem Grundsatz entsprochen, daß bei der Frage, ob ein vermuteter Konsens anzunehmen ist, ein besonders sorgfältiges Ermittlungsverfahren durchzuführen ist. Diese aufgezeigten Verfahrensmängel sind auch wesentlich im Sinne des § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG, da nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei deren Vermeidung zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Sofern der Beschwerdeführer ein bisher im Verwaltungsverfahren nicht erstattetes Tatsachenvorbringen ins Treffen führt, ist er darauf zu verweisen, daß ein solches im Hinblick auf das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot gemäß § 41 Abs. 1 VwGG nicht zu berücksichtigen ist.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995050026.X00

Im RIS seit

03.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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