TE Lvwg Erkenntnis 2022/12/1 LVwG-2022/31/2664-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.12.2022
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Entscheidungsdatum

01.12.2022

Index

40/01 Verwaltungsverfahren
23/04 Exekutionsordnung

Norm

AVG §71 Abs2
EO §7 Abs4
  1. AVG § 71 heute
  2. AVG § 71 gültig ab 01.01.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  3. AVG § 71 gültig von 01.01.1999 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 158/1998
  4. AVG § 71 gültig von 01.07.1995 bis 31.12.1998 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 471/1995
  5. AVG § 71 gültig von 01.02.1991 bis 30.06.1995
  1. EO § 7 heute
  2. EO § 7 gültig ab 01.07.2021 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 86/2021
  3. EO § 7 gültig von 01.01.1995 bis 30.06.2021 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 624/1994
  4. EO § 7 gültig von 31.07.1929 bis 31.12.1994 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 222/1929

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seinen Richter Mag. Hengl über die Beschwerde der AA, vertreten durch Rechtsanwalt BB, Adresse 1, **** Z, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Y vom 08.09.2022, ***, betreffend die Abweisung eines Antrages auf Aufhebung der Vollstreckbarkeits- und Rechtskraftbestätigung und die Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einem Verwaltungsstrafverfahren nach dem Heim- und Pflegeleistungsgesetz (THPG),

zu Recht:

1.       Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, als dass die Spruchpunkte 1.1 und 1.2 des angefochtenen Bescheides zu lauten haben wie folgt:

„ 1.1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird gemäß § 71 Abs 2 AVG als verspätet zurückgewiesen.

2. Dem Wiedereinsetzungsantrag wird gemäß § 71 Abs 6 AVG keine aufschiebende Wirkung zuerkannt.“

2.       Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.       Verfahrensgang:

Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 23.06.2020, ***, wurden der nunmehrigen Beschwerdeführerin zwei Verwaltungsübertretungen nach dem THPG zur Last gelegt. Sie habe als handelsrechtliche Geschäftsführerin und damit als zur Vertretung nach außen berufenes Organ der CC ein Heim betrieben, ohne dies der Landesregierung nach § 4 THPG gemeldet zu haben. In weiterer Folge habe sie trotz Untersagung des Betriebes nach § 14 Abs 4 THPG das Heim weiter betrieben. Demnach wurden über die Beschwerdeführerin zwei Geldstrafen in Höhe von jeweils Euro 5.000,00 (im Falle der Uneinbringlichkeit 168 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt. Zudem wurde sie zu einem Kostenbeitrag in Höhe von Euro 1.000,00 verpflichtet.

Die Zustellung dieses Straferkenntnisses an die Beschwerdeführerin erfolgte am 25.06.2020. Zudem wurde dieses Straferkenntnis am 08.07.2020 dem damaligen Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin, Rechtsanwalt DD, zugestellt.

Am 24.07.2020 langten bei der belangten Behörde zwei gleiche Beschwerden ein. Beide Beschwerden richteten sich gegen das Straferkenntnis vom 23.06.2020 zu ***.

Mit Schreiben der belangten Behörde vom 11.08.2020 wurde die Beschwerdeführerin darauf hingewiesen, dass sie mit Straferkenntnis, ***, zu einer Geldleistung von Euro 11.000,00 verpflichtet worden sei und dass sie diesen Betrag zuzüglich der gesetzlichen Mahngebühr von Euro 5,00 binnen höchstens zwei Wochen zu überweisen habe, widrigenfalls dieser Betrag zwangsweise eingehoben werden müsse.

Mit Schreiben vom 20.08.2020 wurde der verwaltungsbehördliche Strafakt dem Landesverwaltungsgericht Tirol zur Entscheidung vorgelegt.

Mit Aktenvermerk vom 14.09.2020 hielt die belangte Behörde den Inhalt eines Telefongespräches mit dem zuständigen Richter fest. Dieser teilte ihr mit, dass lediglich eine Beschwerde für den Akt *** eingebracht worden sei und es sich bei der zweiten eingebrachten Beschwerde für den Akt *** um dieselbe Beschwerde handle. Der Akt *** werde daher retourniert.

Mit Schreiben des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 14.09.2020 wurde der Akt *** mit dem Hinweis rückübermittelt, dass gegen das Straferkenntnis der belangten Behörde vom 23.06.2020. Zl ***, nach Rücksprache mit EE, keine Beschwerde eingebracht worden sei.

Mit Bericht der LPD Tirol vom 13.03.2021 hielt diese fest, dass die Beschwerdeführerin inzwischen in ***** X wohnhaft sei.

Mit Ersuchen vom 31.03.2022, gerichtet an die Generalstaatsanwaltschaft am Oberlandesgericht W, begehrte die belangte Behörde die Anerkennung und Vollstreckung der über die Beschwerdeführerin verhängten Geldstrafen zuzüglich Kostenbeitrag.

Mit E-Mail vom 31.05.2022 teilte die italienische Behörde der belangten Behörde mit, dass der Beschwerdeführerin am selben Tage eine Zahlungserinnerung zugesandt worden sei.

Mit E-Mail vom 09.06.2022 übermittelte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin – wie mit dieser telefonisch besprochen – die beiden Straferkenntnisse zu *** und zu *** samt Rückschein. Dies mit dem Hinweis, dass die Beschwerdeführerin gegen das Straferkenntnis zu *** Beschwerde erhoben habe. Zudem wurde ihr mitgeteilt, dass ihr die Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Tirol nicht zugestellt habe werden können, da sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Österreich gemeldet gewesen sei. Das Erkenntnis sei sodann gemäß § 23 ZustG zwei Wochen am Landesverwaltungsgericht Tirol zur Abholung bereitgehalten worden. Weiters wurde die Beschwerdeführerin darauf hingewiesen, dass „beide Akten in Rechtskraft erwachsen und somit vollstreckbar“ seien.

Mit E-Mail vom 22.06.2022 um 12:28 Uhr teilte der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin der belangten Behörde mit, dass er sie im Verwaltungsstrafverfahren zu *** vertrete. Sie habe ihm mitgeteilt, dass sie Beschwerde erhoben habe, die belangte Behörde diese aber nicht erhalten habe. Demzufolge werde er sowohl einen Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeits- und Rechtskraftbestätigung als auch einen Antrag auf Aufschiebung des Exekutionsverfahrens mittels separatem Schriftsatz einbringen.

Mit E-Mail vom 22.06.2022 um 13:22 Uhr zog die belangte Behörde den Antrag auf Anerkennung und Vollstreckung der Geldstrafe zuzüglich Kostenbeitrag bei der italienischen Behörde zurück.

Mit E-Mail vom 22.06.2022 um 13:34 Uhr teilte die belangte Behörde dem Rechtsvertreter mit, dass für den Akt *** „KEINE Beschwerde“ eingebracht worden sei. Zudem sei der Antrag auf Anerkennung und Vollstreckung der Geldstrafe zuzüglich Kostenbeitrag zurückgezogen worden. Der Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen das Straferkenntnis zu *** sei insofern Folge gegeben worden, als dass die Geldstrafe herabgesetzt worden sei.

Mit E-Mail vom 22.06.2022 um 13:50 Uhr brachte die rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführerin einen Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeits- und Rechtskraftbestätigung und einen Antrag auf Aufschiebung des Exekutionsverfahrens ein. Begründend führte sie im Wesentlichen aus, dass sie sowohl gegen das Straferkenntnis vom 23.06.2020 zu *** als auch gegen das Straferkenntnis vom 23.06.2020 zu *** rechtzeitig Beschwerde erhoben habe. Der Beschwerde gegen das Straferkenntnis vom 23.06.2020 zu *** sei mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol zu *** insofern Folge gegeben worden, als dass die Geldstrafe herabgesetzt worden sei. Hinsichtlich der Beschwerde gegen das Straferkenntnis vom 23.06.2020 zu *** sei bislang keine Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Tirol ergangen. Die belangte Behörde habe allerdings die Vollstreckbarkeit des Straferkenntnis vom 23.06.2020 zu *** erklärt. In weiterer Folge habe diese am 31.03.2022 ein Vollstreckungsverfahren in Italien eingeleitet. Hierbei könne es sich nur um eine irrtümliche Erteilung der Vollstreckbarkeitsbestätigung handeln, da sich die belangte Behörde auf eine unrichtige Annahme, nämlich dass gegen das Straferkenntnis vom 23.06.2020 zu *** keine Beschwerde erhoben worden sei und dieses daher in Rechtskraft erwachsen sei, stütze. Wenn die Vollstreckbarkeit eines Exekutionstitels zu Unrecht angenommen werde, sei diese aufzuheben. Zumal die belangte Behörde diesen Exekutionstitel erlassen habe, sei sie für dessen Aufhebung mittels Bescheid zuständig. Demnach müsse die belangte Behörde den Antrag auf Aufhebung des Exekutionstitels und den Antrag auf Aufschiebung des Exekutionsverfahrens an das zuständige Exekutionsgericht in Italien gemäß § 7 Abs 5 EO weiterleiten.

Mit Beschluss vom 24.06.2022, ***, stellte das Oberlandesgericht W – das Vollstreckungsverfahren ein.

Mit Aktenvermerk vom 27.07.2022 hielt die belangte Behörde das Telefonat mit dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin fest. Im Zuge dieses Telefonates bot sie dem Rechtsvertreter an, Akteneinsicht zu nehmen. Dieser teilte ihr mit, dass er einen Antrag auf Wiedereinsetzung stellen werde.

Mit Schriftsatz vom 02.08.2022 stellte die rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführerin einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und einen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. Begründend führte sie zusammengefasst aus, dass sie sowohl gegen das Straferkenntnis vom 23.06.2020 zu *** als auch gegen das Straferkenntnis vom 23.06.2020 zu *** rechtzeitig Beschwerde erhoben habe. Beide Beschwerden seien von einem befreundeten Juristen verfasst worden. Er habe auch die zwei Beschwerden der Frau FF verfasst, da dieser dieselben Verwaltungsstraftaten zur Last gelegt worden seien. Sie und Frau FF hätten alle vier Beschwerden ausgedruckt, unterschrieben und in vier separate Briefumschläge gesteckt. Anschließend hätten sie diese bei der Post mittels Einschreiben aufgegeben. Vor Aufgabe der Beschwerden hätten sie kontrolliert, dass zu jeder Geschäftszahl eine entsprechende Beschwerde vorhanden sei. Zudem hätten sie von jeder Beschwerde eine Kopie für sich erstellt. Sollte nun trotzdem ein Versehen unterlaufen sei, treffe sie kein grobes Verschulden. Aufgrund der Vielzahl an Beschwerden hätte dieses Versehen auch einer durchschnittlich sorgfältigen Verfahrenspartei unterlaufen können. Zudem hätte sie damit rechnen können, dass der belangten Behörde dieses offensichtliche Versehen auffallen hätte können und dass sie sie daraufhin kontaktieren hätte können.

In Bezug auf die Rechtzeitigkeit des Antrages gab die Beschwerdeführerin an, dass dieser binnen zwei Wochen ab Wegfall des Hindernisses gestellt worden sei. Sie sei bisher davon ausgegangen, rechtzeitig Beschwerde gegen das Straferkenntnis vom 23.06.2020 zu *** erhoben zu haben. Erst aufgrund des Telefongesprächs am 26.07.2022, welches zwischen der belangten Behörde und ihrem Rechtsvertreter stattgefunden habe, sei sie darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass die belangte Behörde zwei gleiche Beschwerden und somit keine Beschwerde gegen das Straferkenntnis vom 23.06.2020 zu *** erhalten habe.

Hinsichtlich des Antrages auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gab die Beschwerdeführerin an, dass ihr durch die Exekution ein unwiederbringlicher Nachteil drohe.

Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid der belangten Behörde vom 08.09.2022, ***, wies diese die Anträge der Beschwerdeführerin auf Aufhebung der Vollstreckbarkeits- und Rechtskraftbestätigung und auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab. Zudem wies sie den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ab und wies die Beschwerde als verspätet zurück. Begründend führte sie zusammengefasst aus, dass ihr am 24.07.2020 eine Beschwerde gegen das Straferkenntnis zu *** übermittelt worden sei. Diese Beschwerde sei sodann dem Landesverwaltungsgericht Tirol vorgelegt worden, allerdings sei sie umgehend samt dazugehörigem Akt retourniert worden. Die Beschwerdeführerin habe offensichtlich ein falsches Rechtsmittel eingebracht. Demnach habe sie sich auffallend sorglos verhalten, weshalb kein minderer Grad des Versehens vorliege. Hinsichtlich des Antrages auf

Aufhebung der Vollstreckbarkeits- und Rechtskraftbestätigung gab die belangte Behörde an, dass das gegenständliche Straferkenntnis am 25.06.2020 zugestellt worden sei. Aufgrund der mangelnden Beschwerdeerhebung sei dieses sodann in Rechtskraft erwachsen. Demzufolge sei in Anbetracht der Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages kein contrarius actus zu setzen gewesen.

Gegen diesen Bescheid erhob die rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde und brachte darin zum Teil dasselbe wie in den vorgenannten Anträgen vor. Ergänzend brachte sie im Wesentlichen vor, dass ihr und Frau FF insgesamt vier Zahlungserinnerungen zugestellt worden seien. Daraufhin habe sie ihren damaligen Rechtsvertreter kontaktiert und habe sich bei diesem beschwert. Dieser habe sodann Kontakt mit der belangten Behörde aufgenommen. Diese habe ihm mitgeteilt, dass die Zahlungserinnerungen irrtümlich ausgesandt worden seien. Dass die Zahlungserinnerung betreffend das Straferkenntnis vom 23.06.2020 zu *** aufgrund der fehlenden Beschwerdeerhebung nicht irrtümlich ergangen sei und dass die belangte Behörde dieselbe Beschwerde doppelt erhalten habe, sei ihm nicht mitgeteilt worden.

In Bezug auf die Mangelhaftigkeit des Verfahrens führte sie aus, dass ein Begründungsmangel vorliege, da sich die belangte Behörde nicht mit der Frage auseinandergesetzt habe, warum sie den Akt dem Landesverwaltungsgericht Tirol vorgelegt habe, obwohl sie angeblich keine Beschwerde erhalten habe. Zudem habe die belangte Behörde eine antizipierte Beweiswürdigung vorgenommen, da sie davon ausgegangen sei, dass sie irrtümlich zwei gleiche Beschwerden eingebracht habe. Auf ihr diesbezügliches Vorbringen sei sie allerdings nicht eingegangen. Weiters habe die belangte Behörde ihre Einvernahme und jene von Frau FF unterlassen. Demnach würden keine Sachverhaltsfeststellungen vorliegen, die ihre auffallende Sorglosigkeit begründen könnten. Es sei auch denkbar, dass der Fehler Frau FF unterlaufen sei und sie ihren Kontrollpflichten vollumfänglich nachgekommen sei.

Hinsichtlich der Sachverhaltsfeststellungen führte sie aus, dass diese widersprüchlich seien. Zum einen habe die belangte Behörde festgestellt, dass keine Beschwerde erhoben worden sei, zum anderen habe sie jedoch festgestellt, dass der Akt dem Landesverwaltungsgericht Tirol vorgelegt worden sei. Eine Aktenvorlage sei allerdings nur im Falle der Beschwerdeerhebung vorzunehmen. Es sei somit davon auszugehen, dass die belangte Behörde tatsächlich die Beschwerde gegen das Straferkenntnis vom 23.06.2020 zu *** erhalten habe, jedoch aufgrund der vier Straferkenntnisse mit demselben Datum (23.06.2020) die eingebrachten Beschwerden verwechselt habe und sodann irrtümlich die Beschwerde gegen das Strafekenntnis zu *** dem Landesverwaltungsgericht vorgelegt habe. Die Beschwerde gegen das Straferkenntnis zu *** sei sodann offenbar in Verstoß geraten. In diesem Zusammenhang begehrte die Beschwerdeführerin die Vornahme von Ersatzfeststellungen.

In Bezug auf die unrichtige rechtliche Beurteilung gab sie an, dass die belangte Behörde zwar anführe, dass die Vollstreckungsmaßnahmen einstweilen zurückgezogen worden seien, allerdings habe sie nicht formal über ihren Antrag auf Aufschiebung des in Italien eingeleiteten Exekutionsverfahren abgesprochen. Zudem habe sie die Abweisung des Antrages auf Widereinsetzung in den vorigen Stand auf die falsche Bestimmung gestützt. Weiters würden sekundäre Feststellungsmängel vorliegen, da keine Feststellungen zu ihrem Verschulden getroffen worden seien. Diese seien allerdings für die rechtliche Beurteilung, ob ein minderer Grad des Verschuldens vorliege und eine Wiedereinsetzung bewilligt werden könne, wesentlich. Die belangte Behörde stelle lediglich fest, dass keine Beschwerde eingebracht worden sei. Zudem sei in der von der belangten Behörde zitierten Entscheidung des VwGH vom 26.11.1992, 96/06/2022, unstrittig gewesen, dass der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin den falschen Bescheid in seinem Rechtsmittel angegeben gehabt habe. Diese Entscheidung sei jedoch nicht mit ihrem Fall vergleichbar, da sie bestreite die gleiche Beschwerde doppelt eingebracht zu haben.

Es werde daher die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die Abänderung des Bescheides dahingehend beantragt, dass die Vollstreckbarkeits- und Rechtskraftbestätigung des Straferkenntnisses vom 23.06.2020 zu *** gemäß § 7 EO aufgehoben werde. In eventu werde beantragt dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Folge zu geben.

Aufgrund dieser Beschwerde wurde der verwaltungsbehördlicher Strafakt mit Schreiben vom 13.10.2022, eingelangt am 17.10.2022, dem Landesverwaltungsgericht Tirol zur Entscheidung vorgelegt.

Beweis wurde aufgenommen durch Einsichtnahme in den verwaltungsbehördlicher Strafakt der Bezirkshauptmannschaft Y und in den Akt des Landesverwaltungsgerichtes Tirol.

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte trotz Antrag der Beschwerdeführerin gemäß § 44 Abs 3 Z 4 VwGVG entfallen.

II.      Sachverhalt:

Im Jahre 2020 wurden gegen die Beschwerdeführerin, geb. am XX.XX.XXXX, zwei Verwaltungsstrafverfahren eingeleitet. Im gegenständlichen Verfahren zu *** wurden ihr zwei Verwaltungsübertretungen nach dem THPG zur Last gelegt. Das Parallelverfahren zu *** betraf hingegen Übertretungen nach dem GuKG. Am 23.06.2020 erging in beiden Verfahren jeweils ein Straferkenntnis.

Beide Straferkenntnisse - somit auch das Straferkenntnis der belangten Behörde vom 23.06.2020 zu *** - wurden der Beschwerdeführerin am 25.06.2020 zugestellt. Zudem wurden diese Straferkenntnisse auch ihrem damaligen Rechtsvertreter am 08.07.2020 zugestellt.

Am 24.07.2020 langten bei der belangten Behörde zwei eingeschriebene Briefe der Beschwerdeführerin ein. Beide Briefe enthielten dieselbe Beschwerde, die sich gegen das Straferkenntnis vom 23.06.2020 zu *** richtete.

Die Beschwerdeführerin erhielt sodann zwei Zahlungserinnerungen, beide datiert mit 11.08.2020, betreffend die zu zahlenden Geldleistungen zuzüglich Kostenbeitrag. Aufgrund dieser Zahlungserinnerung wandte sie sich an ihren damaligen Rechtsvertreter. Dieser hielt sodann Rücksprache mit der belangten Behörde, welche ihm mitteilte, dass die Zahlungserinnerungen irrtümlich ergangen seien. Er wurde allerdings nicht darüber informiert, dass die Zahlungserinnerung betreffend das Straferkenntnis vom 23.06.2020 zu *** mangels Beschwerdeerhebung nicht irrtümlich ergangen war.

Mit Schreiben vom 20.08.2020 wurde der gegenständliche verwaltungsbehördliche Strafakt zu *** dem Landesverwaltungsgericht Tirol zur Entscheidung vorgelegt. Dieser Akt wurde allerdings - nach Rücksprache mit der belangten Behörde - mangels Beschwerdeerhebung umgehend retourniert, da sich die übermittelte Beschwerde gegen das Straferkenntnis vom 23.06.2020 zu *** richtete.

Aufgrund der mangelnden Beschwerdeerhebung erwuchs das Straferkenntnis vom 23.06.2020, ***, mit 06.08.2020 in Rechtskraft.

Der Beschwerde gegen das Straferkenntnis vom 23.06.2020, ***, wurde mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes vom 30.11.2021 zu *** insofern Folge gegen, als dass die Geldstrafe herabgesetzt wurde.

Zumal die Beschwerdeführerin zwischenzeitlich nach Italien gezogen war, wandte sich die belangte Behörde mit Ersuchen vom 31.03.2022 an die Generalstaatsanwaltschaft in W und begehrte die Anerkennung und Vollstreckung der über die Beschwerdeführerin verhängten Geldstrafen zuzüglich Kostenbeitrag.

Mit E-Mail vom 31.05.2022 teilte die italienische Behörde der belangten Behörde mit, dass der Beschwerdeführerin am selben Tage eine Zahlungserinnerung zugesandt worden sei.

In der Folge kontaktierte die Beschwerdeführerin die belangte Behörde, woraufhin diese ihr eine E-Mail, datiert mit 09.06.2022, zusandte. In dieser E-Mail nahm die belangte Behörde Bezug auf ihr gemeinsames Telefonat und übermittelte der Beschwerdeführerin die Straferkenntnisse vom 23.06.2020 zu *** und zu ***. Zudem teilte sie der Beschwerdeführerin mit, dass gegen das Straferkenntnis vom 23.06.2020 zu *** Beschwerde erhoben worden sei. Weiter wies sie sie darauf hin, dass „beide Akten in Rechtskraft erwachsen und somit vollstreckbar“ seien.

Mit E-Mail vom 22.06.2022 um 12:28 Uhr teilte der nunmehrige Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin der belangten Behörde mit, dass er die Beschwerdeführerin im Verwaltungsstrafverfahren zu *** vertrete und dass er einen Antrag auf Aufschiebung des Exekutionsverfahrens mittels separatem Schriftsatz einbringen werde.

Mit E-Mail vom 22.06.2022 um 13:22 Uhr zog die belangte Behörde den Antrag auf Anerkennung und Vollstreckung der Geldstrafe zuzüglich Kostenbeitrag zurück.

Mit E-Mail vom 22.06.2022 um 13:34 Uhr teilte die belangte Behörde dem Rechtsvertreter mit, dass für den Akt *** „KEINE Beschwerde“ eingebracht worden sei und dass der Antrag auf Anerkennung und Vollstreckung der Geldstrafe zuzüglich Kostenbeitrag zurückgezogen worden sei.

Mit E-Mail vom 22.06.2022 um 13:50 Uhr brachte die rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführerin sodann einen Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeits- und Rechtskraftbestätigung und einen Antrag auf Aufschiebung des Exekutionsverfahrens ein.

Mit Beschluss vom 24.06.2022, ***, stellte das Oberlandesgericht W – das Vollstreckungsverfahren ein.

Am 27.07.2022 fand zwischen dem nunmehrigen Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin und der belangten Behörde ein Telefongespräch statt. In diesem Telefonat teilte der Rechtsvertreter mit, dass er einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellen werde.

Mit Schriftsatz vom 02.08.2022 stellte die rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführerin sodann einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und einen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.

III.     Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich unzweifelhaft aus dem verwaltungsbehördlichen Strafakt und aus dem Akt des Landesverwaltungsgerichtes Tirol.

Die Feststellung, dass die am 24.07.2020 eingelangten Beschwerden der Beschwerdeführerin ident waren, ergibt sich aus den jeweiligen Eingangsstempeln. Aus der unterschiedlichen Position der angebrachten Stempel kann nämlich der Schluss gezogen werden, dass der belangten Behörde kein Versehen unterlaufen ist und dass sie tatsächlich zwei gleiche Beschwerden erhalten hat.

IV.      Rechtliche Grundlagen:

Im Gegenstandfall ist folgende Bestimmung des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl Nr 51/1991 idF BGBl I Nr 33/2013, von Relevanz:

„Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

§ 71.

(1) Gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn:

1.       die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder

[…]

(2) Der Antrag auf Wiedereinsetzung muß binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden.

(3) Im Fall der Versäumung einer Frist hat die Partei die versäumte Handlung gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachzuholen.

(4) Zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist die Behörde berufen, bei der die versäumte Handlung vorzunehmen war oder die versäumte Verhandlung angeordnet oder die unrichtige Rechtsmittelbelehrung erteilt hat.

[…]“

Darüber hinaus ist folgende Bestimmung der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896 idF BGBl. I Nr. 86/2021, maßgeblich:

„Bestimmtheit des Exekutionstitels – Bestätigung der Vollstreckbarkeit

§ 7.

[…]

(4) Ist die Bestätigung der Vollstreckbarkeit für einen der in § 1 Z 13 oder in § 3 Abs. 2 VVG angeführten Exekutionstitel gesetzwidrig oder irrtümlich erteilt worden, so sind Anträge auf Aufhebung der Bestätigung bei jener Stelle anzubringen, von der der Exekutionstitel ausgegangen ist.

[…]

V.       Erwägungen:

Gegen die Versäumung einer Frist ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei gemäß § 71 Abs 1 Z 1 AVG glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis kann auch in einem inneren, psychischen Geschehen wie z.B. Vergessen, Versehen oder Irrtum gelegen sein (VwSlg 13.353 A/1991; VwGH 24.2.1992, 91/10/0251; VwGH 9.8.2021, Ra 2021/03/0113).

Im Gegenstandsfall war die Beschwerdeführerin irrtümlich der Meinung, dass sie der belangten Behörde zwei unterschiedliche Beschwerden zugesandt habe. Demnach war sie überzeugt gegen das Straferkenntnis vom 23.06.2020, ***, Beschwerde erhoben zu haben.

Betreffend die zu wahrende Frist für die Einbringung eines Wiedereinsetzungsantrages sieht § 71 Abs 2 AVG vor, dass dieser binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses gestellt werden muss. Die Erkennbarkeit des Irrtums kann hierbei jedenfalls als „Wegfall des Hindernisses“ gewertet werden (VwSlg 9434 A/1977).

Gegenständlich nahm die Beschwerdeführerin - nach Erhalt der Zahlungserinnerung der italienischen Behörde - telefonisch Kontakt mit der belangten Behörde auf. Mit E-Mail vom 09.06.2022 nahm die belangte Behörde Bezug auf dieses Telefonat und teilte der Beschwerdeführerin ua mit, dass sie gegen das Straferkenntnis zu *** Beschwerde erhoben habe und dass „beide Akten in Rechtskraft erwachsen und somit vollstreckbar“ seien. Demnach ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin ab diesem Moment nicht nur ihr Irrtum erkannt hatte, sondern vielmehr Kenntnis über die mangelnde Beschwerdeerhebung erlangt hatte.

Unbeschadet hiervon teilte die belangten Behörde dem nunmehrigen Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin mit E-Mail vom 22.06.2022 mit, dass diese „KEINE Beschwerde“ gegen das Straferkenntnis, ***, eingebracht hatte.

Demzufolge war der mit Schriftsatz vom 02.08.2022 eingebrachte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verspätet. Die zweiwöchige Frist endete nämlich am 23.06.2022 - spätestens am 06.07.2022.

Da die belangte Behörde den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgewiesen und nicht zurückgewiesen hat, war der Spruch des angefochtenen Bescheides dementsprechend zu berichtigen.

Bezüglich des Antrages auf Aufhebung der Vollstreckbarkeits- und Rechtskraftbestätigung ist zu präzisieren, dass § 7 Abs 4 EO Folgendes vorsieht:

Ist die Bestätigung der Vollstreckbarkeit für einen der in § 1 Z 13 oder in § 3 Abs. 2 VVG angeführten Exekutionstitel gesetzwidrig oder irrtümlich erteilt worden, so sind Anträge auf Aufhebung der Bestätigung bei jener Stelle anzubringen, von der der Exekutionstitel ausgegangen ist.

Im konkreten Fall wurde das Straferkenntnis vom 23.06.2020, ***, sowohl der Beschwerdeführerin als auch ihrem damaligen Rechtsvertreter zugestellt. Gemäß § 9 Abs 3 ZustG kann eine wirksame Zustellung nur an den bevollmächtigten Rechtsvertreter erfolgen. Dem damaligen Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin wurde das Straferkenntnis am 08.07.2020 zugestellt.

Die Frist zur Erhebung einer Bescheidbeschwerde beträgt gemäß § 7 Abs 4 VwGVG vier Wochen. Da die Beschwerdeführerin gegenständlich keine Beschwerde erhob, erwuchs das Straferkenntnis mit 06.08.2020 in Rechtskraft. Demnach wurde die Vollstreckbarkeitsbestätigung seitens der belangten Behörde nicht irrtümlich bzw gesetzeswidrig erteilt, weshalb sie den diesbezüglichen Antrag zu Recht abwies.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

VI.      Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, oder außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.

Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.

Es besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.

Landesverwaltungsgericht Tirol

Mag. Hengl

(Richter)

Schlagworte

Vollstreckbarkeitsbestätigung
Wiedereinsetzungsantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGTI:2022:LVwG.2022.31.2664.1

Zuletzt aktualisiert am

02.01.2023
Quelle: Landesverwaltungsgericht Tirol LVwg Tirol, https://www.lvwg-tirol.gv.at
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