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32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;Norm
BAO §295 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Karger, Dr. Graf, Mag. Heinzl und Dr. Zorn als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Traudtner, über die Beschwerde des Dr. C in V, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich vom 5. September 1995, Zl. 472/2-10/Zi-1995, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Berufung gegen Einkommensteuer 1985 und 1988), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Nachdem das Finanzamt gegenüber dem Beschwerdeführer nach § 295 Abs. 3 BAO geänderte Einkommensteuerbescheide für 1985 und 1988 (Ausfertigungsdatum 17. Jänner 1995) erlassen hatte, erhob der Beschwerdeführer mit Eingabe vom 8. Februar 1995 Berufung gegen die Wiederaufnahme gemäß § 303 Abs. 4 BAO betreffend Einkommensteuer 1985 und 1988, in welcher er die Aufhebung der bekämpften Bescheide beantragte. In der Begründung wurden ausschließlich Gründe vorgetragen, nach denen die Verfügung der Wiederaufnahme unzulässig sei.
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 12. April 1995, zugestellt am 20. April 1995, wurde die Berufung als unzulässig zurückgewiesen, weil ein Bescheid, der die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 1985 und 1988 verfügen würde, nicht ergangen sei, die Berufung sich daher gegen einen nicht dem Rechtsbestand angehörenden Bescheid richte.
Mit Eingabe vom 22. Mai 1995 beantragte der Beschwerdeführer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfristen hinsichtlich der (gemäß § 295 Abs. 3 BAO geänderten) Einkommensteuerbescheide 1985 und 1988 und holte zugleich diese Berufung nach. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages führte der Beschwerdeführer aus, es sei verfahrensrechtlich verfehlt gewesen, aufgrund der Bestimmung des § 295 Abs. 3 BAO geänderte Einkommensteuerbescheide zu erlassen. Der richtige verfahrensrechtliche Weg hätte für das Finanzamt darin bestanden, eine Wiederaufnahme der Verfahren nach § 303 Abs. 4 BAO zu verfügen. Der Beschwerdeführer sei davon ausgegangen, daß das Finanzamt diesen einzig richtigen Weg eingeschlagen habe. Er habe nicht damit rechnen können, daß das Finanzamt eine unrichtige verfahrensrechtliche Vorgangsweise wähle. Dies sei für ihn auch unvorhersehbar gewesen. Er habe diesen Umstand auch nicht abwenden können, weil er keinen Anlaß gehabt habe, daran zu zweifeln, "daß die Finanzverwaltung verfahrensrechtlich vorgeht". Selbst wenn man anderer Ansicht sein wollte, handelte es sich nur um einen minderen Grad des Versehens, wenn ein abgabenrechtlich nicht vertretener Abgabepflichtiger nicht erkenne, daß der Behörde ein Verfahrensfehler unterlaufen sei und er seine Berufung so aufbaue, als ob die Behörde diesen Verfahrensfehler nicht begangen habe. Die gegenteilige Ansicht würde zu dem sinnwidrigen Ergebnis führen, daß sich ein Verfahrensfehler des Finanzamtes zum Vorteil des Finanzamtes und zum Nachteil des Abgabepflichtigen auswirkte. Im übrigen erfolgten die Ausführungen des Beschwerdeführers "unpräjudiziell des Rechtsstandpunktes", daß die Berufung ohnedies einen ordnungsgemäßen Berufungsantrag enthalten und auch die beiden angefochtenen Bescheide richtig bezeichnet habe. Daher wäre die Berufung einer (materiellen) Erledigung zuzuführen gewesen. Auch dies spreche dafür, daß ein Mitverschulden des Beschwerdeführers jedenfalls nicht ein wiedereinsetzungsschädliches Ausmaß erreicht habe.
Das Finanzamt wies den Wiedereinsetzungsantrag im wesentlichen mit der Begründung ab, die Rechtsansicht des Finanzamtes sei unmißverständlich zum Ausdruck gekommen, sodaß sie ohne besondere Aufmerksamkeit erkennbar und abschätzbar gewesen sei. In der Berufung gegen den Abweisungsbescheid brachte der Beschwerdeführer vor, auch ein psychischer Vorgang wie Vergessen, Verschreiben, Sich-Irren könnte wie auch Rechtsunkenntnis oder Rechtsirrtum einen Wiedereinsetzungsgrund im Sinn des § 308 BAO darstellen. Geirrt habe im gegenständlichen Fall die Behörde, indem sie die falsche Vorgangsweise gewählt habe. Daß der Beschwerdeführer davon ausgegangen sei, die Behörde hätte die richtige Vorgangsweise gewählt, und daher den Verfahrensfehler der Behörde nicht erkannt habe, könne ihm nicht als grobes, wiedereinsetzungsschädliches Verschulden angelastet werden.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gegen den Abweisungsbescheid als unbegründet ab. Die Einkommensteuerbescheide vom 17. Jänner 1995 seien ausdrücklich als Bescheide gemäß § 295 Abs. 3 BAO bezeichnet worden; auch in der Bescheidbegründung sei nur auf diese Bestimmung Bezug genommen worden. Es hätten keine Anhaltspunkte dafür bestanden, daß eine Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 1985 und 1988 vorgenommen worden sei. Die Finanzverwaltung habe somit keinen Anlaß für einen Irrtum des Beschwerdeführers gesetzt. Der Beschwerdeführer hätte die irrtümliche Annahme, das Finanzamt habe die Wiederaufnahme der Verfahren verfügt, bei gehöriger Aufmerksamkeit verhindern können. Der Wortlaut der Einkommensteuerbescheide vom 17. Jänner 1995 sei eindeutig gewesen und habe keine Zweifel zugelassen. Aufgrund welcher Umstände der Beschwerdeführer zur Annahme gelangt sei, es wären Bescheide betreffend Wiederaufnahme gemäß § 303 BAO erlassen worden, sei nicht ersichtlich. Im Irrtum des Beschwerdeführers könne weder ein unabwendbares noch ein unvorhergesehenes Ereignis im Sinne des § 308 BAO gesehen werden, sodaß sich die Prüfung der Frage erübrige, ob den Beschwerdeführer ein Verschulden an der Fristversäumung treffe. Ein unabwendbares oder unvorhergesehenes Ereignis könne auch nicht im "Irrtum des Finanzamtes" erblickt werden. Einerseits könne nur ein Irrtum des Abgabepflichtigen ein Ereignis im Sinne des § 308 BAO begründen. Andererseits wäre ein solcher "Irrtum des Finanzamtes" für den Beschwerdeführer weder unvorhergesehen noch unabwendbar gewesen; der Beschwerdeführer hätte ihn aus den Bescheiden klar ersehen können und Berufung gegen die gemäß § 295 Abs. 3 geänderten Einkommensteuerbescheide erheben können. Zum Rechtsstandpunkt, daß die Berufung vom 8. Februar 1995 ohnedies einen ordnungsgemäßen Berufungsantrag enthalten habe und sich damit auch gegen die Einkommensteuerbescheide gewendet habe, sei darauf zu verweisen, daß, würde man diese Rechtsansicht unterstellen, eine Fristversäumnis gar nicht vorläge und der Wiedereinsetzungsantrag daher zurückzuweisen wäre.
Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde. Der Beschwerdeführer bringt vor, die Betriebsprüfung habe dem Finanzamt im Oktober 1994 eine Kontrollmitteilung übermittelt, aufgrund derer das Finanzamt davon ausgegangen sei, daß eine Beteiligung des Beschwerdeführers als echter stiller Gesellschafter an einer Kapitalgesellschaft nicht als Einkunftsquelle anzusehen sei. Das Finanzamt hätte aufgrund dieser Rechtsansicht die Verfahren betreffend Einkommensteuer (1985 und 1988) gemäß § 303 Abs. 4 BAO wieder aufnehmen und (unter gleichzeitiger Aufhebung der früheren Bescheide) eine neue Sachentscheidung erlassen müssen. Das Finanzamt habe einen verfahrensrechtlichen Fehler begangen, weil es von der Wiederaufnahme der Verfahren Abstand genommen habe und gemäß § 295 Abs. 3 BAO geänderte Einkommensteuerbescheide für 1985 und 1988 erlassen habe. Dieser Fehler des Finanzamtes sei für den Beschwerdeführer ein unvorhersehbares Ereignis gewesen, da die Finanzverwaltung in Österreich einen derart hohen Ausbildungsstand habe, daß derartige Fehler üblicherweise nicht vorkämen. Der Beschwerdeführer habe nie bestritten, daß er diesen Fehler des Finanzamtes bei Verfassung der Berufung nicht erkannt habe. Dieser Fehler des Beschwerdeführers sei aber durch den Fehler des sachkundigen Finanzamtes hervorgerufen worden. Dem Beschwerdeführer sei aber hinsichtlich seines Fehlers ein Verschulden in einem wiedereinsetzungsschädlichen Ausmaß nicht vorzuwerfen. Bei Prüfung des Ausmaßes des Verschuldens des Beschwerdeführers dürfe nicht übersehen werden, daß er im Abgabenverfahren nicht rechtsfreundlich vertreten gewesen sei. Zudem stehe die Regelung des § 295 Abs. 3 BAO in enger verfahrensrechtlicher Nähe zu § 303 BAO. In der Beschwerde wird weiters vorgebracht, daß der Beschwerdeführer gegen den Bescheid, mit dem die belangte Behörde die Berufung gegen den Zurückweisungsbescheid vom 12. April 1995 abgewiesen hat, Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof erhoben habe und daß über diese noch keine Entscheidung ergangen sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:
Gemäß § 308 Abs. 1 BAO ist gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers sei das Vorgehen des Finanzamtes (Unterlassung des Erlassens von Wiederaufnahmebescheiden und Heranziehung der Bestimmung des § 295 BAO) ein unvorhergesehenes Ereignis, durch welches er, weil er es nicht erkannt habe, an der rechtzeitigen Einbringung einer Berufung gegen die nach § 295 Abs. 3 BAO geänderten Einkommensteuerbescheide gehindert gewesen sei.
Es kann dahingestellt bleiben, ob das Vorgehen des Finanzamtes im gegenständlichen Fall ein unvorhergesehenes Ereignis darstellt. Zur Versäumung der Frist ist es nämlich deshalb gekommen, weil der Beschwerdeführer nicht erkannt hat, daß die vom Finanzamt erlassenen Bescheide nicht die Wiederaufnahme der Verfahren verfügten. Da aber jemand, der sich bei Erhebung einer Berufung nicht den Spruch des zu bekämpfenden Bescheides vor Augen führt, auffallend sorglos handelt, und zwar auch dann, wenn er nicht berufsmäßiger Parteienvertreter ist, liegt dem Beschwerdeführer ein Verschulden an der Versäumung der Frist zur Last, welches über einen minderen Grad des Versehens hinausgeht. Im Ergebnis kann der belangten Behörde daher nicht entgegengetreten werden, wenn sie davon ausgegangen ist, daß die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 308 Abs. 1 BAO nicht erfüllt sind.
Da bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt, daß die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gemäß § 35 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995140136.X00Im RIS seit
20.11.2000