Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 5. Dezember 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der Mag. Seidenschwann als Schriftführerin in der Strafsache gegen * P* wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2 und 148 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 18. Mai 2022, GZ 43 Hv 25/22k-31, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das in seinem Freispruch unberührt bleibt, im Schuldspruch, demzufolge auch im Strafausspruch und im Ausspruch über den Verfall aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zur neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen.
Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde und seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * P* des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.
[2] Danach hat er zwischen 1. März 2013 und 31. Dezember 2020 in mehrfachen Angriffen mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, Mitarbeiter des AMS N* durch Täuschung über Tatsachen, nämlich durch vorsätzliches Verschweigen seines in Eigentümergemeinschaft mit seiner Ehefrau erworbenen, landwirtschaftlich genutzten Immobilienvermögens, nämlich von 123 Grundstücken im Bereich der Orte * und * in Rumänien im Gesamtausmaß von 546.139 m², sowie durch vorsätzliches Verschweigen des Zuspruchs von Fördergeldern in nicht mehr exakt feststellbarer Höhe zur Leistungserbringung nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz im Gesamtbetrag von zumindest 64.752,42 Euro und der gesetzlichen Krankenversicherung im Gesamtbetrag von 23.069,05 Euro, sohin zu Handlungen verleitet, die die Republik Österreich mit diesen Beträgen am Vermögen schädigten, indem er in seinen Anträgen auf Gewährung von Notstandshilfe vom 6. Dezember 2012, vom 27. Februar 2014, vom 22. Oktober 2015, vom 1. Dezember 2015, vom 29. Mai 2017, vom 14. Jänner 2019, vom 13. Mai 2019 und vom 17. März 2020 die jeweilige Frage nach dem Besitz von land- oder forstwirtschaftlichen Besitztümern verneinte, wobei er durch den Betrug einen 5.000 Euro übersteigenden Schaden herbeiführte und den schweren Betrug nach § 147 Abs 2 StGB gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 3 StGB) beging.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a und 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
[4] Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof davon (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO), dass dem Urteil der dem Angeklagten zum Nachteil gereichende Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO anhaftet.
[5] Die Tatrichter haben zwar den Täuschungs- und Schädigungsvorsatz des Angeklagten festgestellt (US 5, 7 f). Zum ebenso für die Erfüllung des Tatbestands des Betrugs nach § 146 StGB erforderlichen erweiterten Vorsatz auf unrechtmäßige Bereicherung (vgl Kirchbacher/Sadoghi in WK2 § 146 Rz 5, 118 ff) enthält das Urteil hingegen keine Konstatierungen. Der Text im Urteilsspruch (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) kann diese fehlenden Feststellungen nicht ersetzen (RIS-Justiz RS0114639 [insb T8]).
[6] Dieses Konstatierungsdefizit hindert eine abschließende Beurteilung der Sache und machte – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – eine Aufhebung des Schuldspruchs erforderlich.
[7] Ein Eingehen auf das Beschwerdevorbringen – das in der Rechtsrüge (Z 9 lit a) zwar grundsätzlich zutreffend die Maßgeblichkeit eines dem Einheitswert vergleichbaren Werts releviert, im Ergebnis damit aber nur die Abgrenzung von Versuch und Vollendung anspricht und sich in der weiteren Argumentation unter Einforderung alternativer Feststellungen vom Urteilssachverhalt entfernt (vgl aber RIS-Justiz RS0099810) – erübrigte sich daher.
[8] Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
Im zweiten Rechtsgang wird Folgendes zu beachten sein:
[9] Bei der Notstandshilfe handelt es sich um eine Versicherungsleistung nach dem AlVG. Ist der Anspruch des Arbeitslosen auf Arbeitslosengeld erschöpft, so kann auf Antrag Notstandshilfe gewährt werden, wenn der Arbeitslose zur Vermittlung zur Verfügung steht und sich in Notlage befindet, ihm also die Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse unmöglich ist (§ 33 Abs 1 bis 3 AlVG).
[10] Als arbeitslos gilt ua auch, wer einen land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb auf eigene Rechnung und Gefahr führt, wenn 3 % des – einen fiktiven Ertragswert darstellenden, im BewG (vgl insb §§ 29 ff BewG) geregelten – Einheitswerts der bewirtschafteten Liegenschaften die jeweils für einen Kalendermonat geltende Geringfügigkeitsgrenze gemäß § 5 Abs 2 ASVG nicht übersteigen; jener Betrag gilt als monatliches Einkommen (§ 12 Abs 6 lit b AlVG; § 36a Abs 4 AlVG).
[11] Die tatsächliche Höhe der erzielten Einkünfte aus der Bewirtschaftung eines solchen Betriebs ist für die Beurteilung, ob eine selbständige Erwerbstätigkeit vorliegt, unbeachtlich. Bei einem gemeinschaftlichen Besitz ist auf den aliquoten Anteil am Einheitswert abzustellen (VwSlg 12.737 A/1988; vgl Pfeil in AlV-Komm § 12 AlVG Rz 30 ff; Gerhartl, AlVG Komm § 12 Rz 7 f).
[12] Für den Fall, dass ein Einkommen aus der Bewirtschaftung von im (EU-)Ausland gelegenen land- und forstwirtschaftlichen Liegenschaften erzielt wird, sieht das AlVG zwar keine explizite Regelung vor, jedoch formuliert Art 5 der Verordnung (EG) Nr 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit – gemäß Art 3 Abs 1 lit h leg cit auch in Bezug auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit – den allgemeinen Grundsatz der Tatbestandsgleichstellung: Jeder Mitgliedstaat (bzw deren zuständiger Träger) hat bei der Anwendung und Auslegung des eigenen Rechts der sozialen Sicherheit die nach den Rechtsvorschriften anderer Mitgliedstaaten verwirklichten Sachverhalte grundsätzlich so zu berücksichtigen, als hätten sich diese nach den eigenen Rechtsvorschriften auf eigenem Staatsgebiet ereignet; insbesondere sind auch in anderen Mitgliedstaaten erzielte Einkünfte in einer allgemeinen Weise hinsichtlich aller Rechtswirkungen, die das inländische Recht dafür vorsieht, zu berücksichtigen (vgl zum Ganzen Schuler in Fuchs/Janda EuSozR Art 5 Rn 1 ff).
[13] Für die derart gebotene gleichstellende Berücksichtigung von in anderen Mitgliedstaaten erzieltem Einkommen aus land- und forstwirtschaftlichen Betrieben bei der Prüfung, ob ein Versicherungsfall nach dem AlVG vorliegt – und damit auch, ob die durch die Auszahlung der Versicherungsleistung eingetretene Vermögensverminderung einen Vermögensschaden iSd § 146 StGB darstellt –, erweist sich aber die vom Erstgericht – in analoger Anwendung des § 10 BewG – vorgenommene Zugrundelegung des auf dem Bodenwert basierenden gemeinen Werts jener Liegenschaften (US 4) als nicht geeignet (vgl dazu auch – in steuerlichen Belangen – das Urteil des EuGH vom 17. Jänner 2008, Theodor Jäger, C-256/06).
[14] Vielmehr sind zwecks Berücksichtigung des vorliegenden Sachverhalts, als ob er im Inland eingetreten wäre, die bezughabenden Bestimmungen des AlVG dahingehend auszulegen, dass unter Heranziehung der Daten gleichgelagerter Betriebe in Österreich auf einen Ertragswert, der dem Einheitswert in der Ermittlung vergleichbar ist (vgl §§ 29 ff BewG), abzustellen ist; hiezu wären im weiteren Verfahren tragfähige Feststellungen zu treffen.
Textnummer
E136884European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2022:0150OS00077.22W.1205.000Im RIS seit
30.12.2022Zuletzt aktualisiert am
30.12.2022