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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AufG 1992 §5 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Loibl, über die Beschwerde des A in I, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 2. August 1994, Zl. 101.325/2-III/11/94, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 17. November 1993 auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes iVm § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes abgewiesen. In der Begründung ging die belangte Behörde davon aus, daß § 5 des Aufenthaltsgesetzes die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ausschließe, wenn ein Sichtvermerkversagungsgrund im Sinne des Fremdengesetzes vorliegt. Nach § 10 Abs. 1 Z. 4 dieses Gesetzes liege ein solcher insbesondere dann vor, wenn der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde. Der Beschwerdeführer sei mit den Urteilen des Bezirksgerichtes Reutte vom 11. Juli 1979 (wegen § 88 Abs. 1 und Abs. 4 StGB), vom 9. November 1983 (wegen § 83 Abs. 2 StGB) und vom 17. November 1987 (neuerlich wegen § 83 Abs. 2 StGB) jeweils zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Weiters sei der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 25. Juni 1993 wegen des Vergehens nach § 114 Abs. 1 ASVG und mit Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 5. Oktober 1993 wegen Vergehens nach § 198 Abs. 1 StGB verurteilt worden. Aus den angeführten rechtskräftigen Verurteilungen sei abzuleiten, daß der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG gefährde. Er sei offenbar nicht gewillt, sich gemäß den hier geltenden Rechtsvorschriften zu verhalten. Im Hinblick auf den langjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich und seiner bestehenden Lebensgemeinschaft mit einer österreichischen Staatsbürgerin bestünden unabsprechbare private und familiäre Beziehungen zum Bundesgebiet. Da die Versagung einer Aufenthaltsbewilligung nicht in gleichem Ausmaß in das Privat- und Familienleben eingreife wie ein Aufenthaltsverbot sei den öffentlichen Interessen gegenüber den privaten Interessen des Beschwerdeführers der Vorrang einzuräumen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens erwogen:
Auszugehen ist davon, daß die Behörde erster Instanz die Versagung der begehrten Aufenthaltsbewilligung vornehmlich darauf gestützt hatte, daß der Beschwerdeführer zahlreiche verwaltungsstrafrechtliche Verhaltensweisen im Zusammenhang mit einem von ihm maßgeblich gegründeten Verein und einer damit verbundenen illegalen Ausübung des Gastgewerbes gesetzt habe, weshalb sie den Tatbestand des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG als erfüllt erachtete. Davon abweichend sah die belangte Behörde die Annahme im Sinn des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG deshalb als gerechtfertigt an, weil der Beschwerdeführer laut Mitteilung im Strafregister die festgestellten Verurteilungen aufweise.
Wenn nun in der Beschwerde dazu geltend gemacht wird, daß dem Beschwerdeführer von der belangten Behörde keine Gelegenheit eingeräumt worden sei, zu diesen Vormerkungen in seiner Strafkartei Stellung zu nehmen und deshalb sein Recht auf Parteiengehör verletzt worden sei, so ist dies grundsätzlich zutreffend. Die belangte Behörde darf zwar innerhalb des durch § 66 Abs. 4 AVG abgesteckten Rahmens in der Sache ihre Rechtsanschauung anstatt der der Behörde erster Instanz setzen und die dafür erforderlichen Feststellungen, soweit sie im Akteninhalt Deckung finden, treffen, jedoch ist sie bei einer Erweiterung der maßgeblichen Sachverhaltsgrundlage grundsätzlich verpflichtet, dem Beschwerdeführer zunächst Parteiengehör einzuräumen. Die belangte Behörde hat dies offenbar nach der aus dem angefochtenen Bescheid hervorgehenden Rechtsauffassung, allein aufgrund der angeführten strafgerichtlichen Verurteilungen ergebe sich bereits das Vorliegen des Tatbestandes des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG, unterlassen. Diese Rechtsauffassung wird vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilt. Maßgebend dafür, ob vom Aufenthalt eines Sichtvermerkswerbers eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit im Sinn des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG ausgeht, ist nicht das Vorliegen rechtskräftiger gerichtlicher Verurteilungen oder verwaltungsbehördlicher Bestrafungen. Wesentlich ist vielmehr, ob das (gesamte) Verhalten des Sichtvermerkswerbers Grund zur Annahme bietet, sein Aufenthalt gefährde die (oder zumindest eines der) in dieser Bestimmung genannten Rechtsgüter (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom 8. Juli 1993, Zl. 93/18/0137). Für die Rechtfertigung dieser Annahme ist es insbesondere nicht unbedeutend, wie lange sich ein Sichtvermerkswerber bereits im Bundesgebiet aufhält und wann und in welchen zeitlichen Abständen die den einzelnen Verurteilungen zugrundeliegenden
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konkret beschriebenen - Straftaten gesetzt wurden. Das bloße Abstellen auf den Zeitpunkt der Urteilsfällung erscheint dann nicht ausreichend, wenn zwischen den einzelnen Verurteilungen
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wie im hier vorliegenden Fall - erhebliche Zeiträume des Wohlverhaltens liegen. Nach dem insoweit ergänzungsbedürftigen Sachverhalt bezogen sich die Verurteilungen in den Jahren 1979, 1983 und 1987 zwar jeweils auf das selbe geschützte Rechtsgut, jedoch liegt lediglich den beiden zuletzt genannten Verurteilungen die Schuldform des Vorsatzes zugrunde. Da diese beiden Verurteilungen einen erheblichen zeitlichen Zwischenraum (ca. 4 Jahre) aufweisen, läßt sich daraus allein kein verläßlicher Rückschluß auf eine (gleich gelagerte) schädliche Neigung des Beschwerdeführers ziehen, die die in § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG umschriebene Annahme rechtfertigen könnte. Diese Überlegungen stehen auch vor dem Hintergrund der hg. ständigen Rechtsprechung, wonach die Behörde bei Anwendung des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG auf die privaten und familiären Interessen des Fremden Bedacht zu nehmen hat, und zwar derart, daß sie zu prüfen hat, ob ein Aufenthalt des Fremden im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit derart gefährden würde, daß die im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen einen Eingriff in sein Privat- und Familienleben rechtfertigen. Wenn der Beschwerdeführer diesbezüglich - wie schon im Verwaltungsverfahren - vorbringt, daß er sich seit 17 Jahren im Bundesgebiet aufhalte und seit 8 Jahren sich in einer Lebensgemeinschaft mit einer österreichischen Staatsbürgerin befinde, so kommt seinen (nicht dem Neuerungsverbot des § 41 VwGG unterliegenden) Behauptungen, die den strafgerichtlichen Verurteilungen zugrunde gelegenen Straftaten (seine Handlungsweisen) seien nicht derart schwerwiegend gewesen, daß daraus die Annahme im Sinn des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG abzuleiten wäre, was er im Falle der Einräumung seines Parteiengehörs hätte belegen und durch Beischaffung der Strafakten beweisen können, durchaus rechtliche Relevanz zu. Daraus folgt, daß die Frage, ob mit den den angeführten Verurteilungen zugrundeliegenden verpönten Verhaltensweisen die besagte Annahme zu begründen ist, nur dann einer einwandfreien Beurteilung (Überprüfung) durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich ist, wenn die Behörde das diesen Verurteilungen jeweils zugrundeliegende Verhalten konkret festgestellt hat. Ohne derartige Feststellungen bleibt der maßgebliche Sachverhalt und als Folge dessen die Bescheidbegründung mangelhaft.
Die aufgezeigten Verfahrensmängel führen dazu, daß der Gerichtshof derzeit nicht in der Lage ist, den angefochtenen Bescheid auf seine inhaltliche Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Da die Verfahrensmängel, wie erwähnt, ihre Ursache in einem Verkennen der Rechtslage durch die belangte Behörde haben, war der bekämpfte Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. An Stempelaufwand waren dem Beschwerdeführer im Rahmen des gesetzlich gebotenen Ausmaßes lediglich S 270,-- (S 240,-- für die Schriftsätze, S 30,-- für eine Bescheidausfertigung) zuzuerkennen.
Schlagworte
Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Parteiengehör Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung VerfahrensmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995210158.X00Im RIS seit
02.05.2001