TE Vwgh Erkenntnis 1996/1/24 94/03/0328

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Veröffentlicht am 24.01.1996
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

StVO 1960 §15 Abs1;
StVO 1960 §2 Abs1 Z29;
StVO 1960 §7 Abs3;
VStG §44a Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Baumgartner und die Hofräte Dr. Sauberer und Dr. Handstanger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gruber, über die Beschwerde des W in O, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Dr. L, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 17. November 1994, Zl. 13/123-10/1994, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird hinsichtlich des Schuldspruches als unbegründet abgewiesen; im übrigen, also hinsichtlich des Ausspruches über die verhängte Strafe und die Kosten des Strafverfahrens, wird der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer einer Verwaltungsübertretung nach § 15 Abs. 1 StVO 1960 schuldig erkannt, weil er am 1. März 1993 um

15.50 Uhr auf der Inntalautobahn A 12 im Gemeindegebiet von Langkampfen bei km 9,0 einen dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw in Fahrtrichtung Innsbruck gelenkt und dabei einen Pkw entgegen der Bestimmung des § 15 Abs. 1 StVO 1960 nicht links auf der Überholspur, sondern auf der rechten Fahrspur überholt habe. Gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960 wurde er hiefür mit einer Geldstrafe von S 5.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 5 Tage) bestraft. In der Begründung stellte die belangte Behörde fest, daß der Beschwerdeführer zum Tatzeitpunkt am Tatort auf der Überholspur der A 12 gefahren sei. Er habe auf zwei Fahrzeuge aufgeschlossen, wobei sich im vorderen die beiden Meldungsleger befunden hätten. Diese Fahrzeuge hätten auf die Überholspur gewechselt gehabt, um einen Lkw zu überholen. Der Beschwerdeführer sei den beiden genannten Fahrzeugen jedoch nicht gefolgt, sondern habe auf die rechte Fahrspur zurückgeschert und das Fahrzeug, das sich hinter dem Dienstkraftfahrzeug befunden habe, überholt. Das Dienstkraftfahrzeug habe er infolge der starken Annäherung an den zu überholenden Lkw nicht mehr überholen können. Er habe daher zwischen dem überholten Pkw und dem Dienstkraftfahrzeug wieder auf die Überholspur gelenkt, wobei er sich so knapp hinter dem Dienstfahrzeug habe einordnen müssen, daß das Kennzeichen nicht mehr abgelesen habe werden können. Das Dienstkraftfahrzeug sowie der ursprünglich dahinter fahrende Pkw hätten eine Geschwindigkeit zwischen 130 und 140 km/h eingehalten, zwischen den beiden Fahrzeugen habe "ca. der Sicherheitsabstand" bestanden. Der Beschwerdeführer habe die ganze Zeit die Lichthupe betätigt. Nicht festgestellt habe werden können, ob der Lenker des hinter dem Dienstkraftfahrzeug herfahrenden Fahrzeuges Handzeichen gegeben habe, die dahingehend gedeutet hätten werden können, daß der Beschwerdeführer rechts überholen solle. Auf der Autobahn habe zum Tatzeitpunkt im Tatortbereich nur durchschnittlicher Verkehr geherrscht. Im unmittelbaren Tatortbereich hätten sich außer den genannten Fahrzeugen keine weiteren befunden.

Bei der Strafbemessung ging die belangte Behörde von einem "sehr erheblichen" Unrechtsgehalt der dem Beschwerdeführer zur Last liegenden Verwaltungsübertretung aus. Ein Rechtsüberholen bei einer Geschwindigkeit von ca. 130 km/h sei als sehr gefährliches Fahrmanöver zu werten, dies umso mehr, als der Beschwerdeführer aufgrund der Annäherung an den Lkw zwischen die beiden Fahrzeuge auf die Überholspur zurückwechseln und dabei sehr knapp auf das vordere Fahrzeug auffahren habe müssen. Als Verschuldensgrad sei "zumindest bedingter Vorsatz" anzunehmen, mildernd sei die Unbescholtenheit, erschwerend nichts zu berücksichtigen gewesen. Ferner heißt es in der Begründung des angefochtenen Bescheides:

"Der Berufungswerber hat anläßlich der mündlichen Berufungsverhandlung angegeben, ca. DM 300 monatlich zu verdienen, er sei arbeitslos und habe kein Vermögen. Sorgepflichten bestehen keine, über Schulden macht er keine konkreten Angaben.

Im Hinblick auf den erheblichen Unrechtsgehalt und das Verschulden des Berufungswerbers war eine Herabsetzung der verhängten Geldstrafe auch unter Berücksichtigung der ungünstigen persönlichen Verhältnisse des Berufungswerbers nicht gerechtfertigt, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes soll Strafe ein Unbill darstellen und ist die Verhängung von Geldstrafen auch gegen solche Personen zulässig, die kein oder nur ein geringes Einkommen haben.

Die Strafe ist sohin schuld- und tatangemessen und entspricht den Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnissen des Berufungswerbers und war deren Verhängung aus spezialpräventiven Gründen notwendig, insbesondere um den Berufungswerber künftig hin von derartigen Verwaltungsübertretungen abzuhalten."

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten des Verwaltungsstrafverfahrens und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Nach Meinung des Beschwerdeführers liege im gegenständlichen Fall kein (rechtswidriges) Überholen entgegen § 15 Abs. 1 StVO 1960 vor, sondern ein (gemäß § 7 Abs. 3 leg. cit.) zulässiges Nebeneinanderfahren. Ein Nebeneinanderfahren sei nach § 2 Abs. 1 Z. 29 leg. cit. "aufgrund der einschlägigen Judikatur lediglich dann zu verneinen, wenn sich ein einzelnes Fahrzeug rechts neben einem anderen einzelnen Fahrzeug (außerhalb des Ortsgebietes) vorbeibewegt".

Mit diesen Ausführungen verkennt der Beschwerdeführer die Rechtslage. Dazu genügt es, gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die hg. Rechtsprechung (etwa das Erkenntnis vom 13. April 1984, Zl. 83/02/0377) zu verweisen, wonach ein Nebeneinanderfahren mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten gemäß § 2 Abs. 1 Z. 29 StVO 1960 nur dann nicht als "Überholen" gilt, wenn sich auf beiden Fahrstreifen Fahrzeugreihen fortbewegen, wobei von einer "Fahrzeugreihe" erst dann gesprochen werden kann, wenn mindestens drei Fahrzeuge auf einem Fahrstreifen hintereinander fahren.

Daß diese Voraussetzung im Beschwerdefall nicht erfüllt war, ergibt sich schon aus der Sachverhaltsdarstellung in der Beschwerde. Danach seien - bevor der Beschwerdeführer den Wechsel auf den rechten Fahrstreifen durchgeführt habe - auf der linken Fahrspur vor ihm "zwei hintereinander fahrende PKW"s unterwegs" gewesen. Diese beiden nach dem Fahrstreifenwechsel des Beschwerdeführers auf der Überholspur verbliebenen Fahrzeuge stellten nach dem Obgesagten aber keine "Fahrzeugreihe" dar. Auch in der Verhandlung vor der belangten Behörde am 4. Oktober 1994 hatte der Beschwerdeführer angegeben, er habe zunächst die rechte Fahrspur benützt. Dann habe er gesehen, daß auf der linken Fahrspur zwei Fahrzeuge gefahren seien. Unmittelbar vor ihm habe sich kein Fahrzeug befunden, "ca. 500 m vor meinem Fahrzeug auf der rechten Fahrspur befand sich jedoch ein Lkw". Er habe dann auf die linke Fahrspur gewechselt. Der Fahrer im hinteren Fahrzeug habe ihm ein Zeichen gegeben, daß er rechts an ihm vorbeifahren solle, worauf sich der Beschwerdeführer auf dem rechten Fahrstreifen eingeordnet und - in weiterer Folge - an dem hinteren Fahrzeug "vorbeigefahren" sei. Da sich aus diesem Vorbringen keinerlei Anhaltspunkte für das Vorhandensein von "Fahrzeugreihen" auf beiden Fahrstreifen ergaben, bestand für die belangte Behörde - entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung - keine Veranlassung zu weiteren Feststellungen über das "tatsächliche Verkehrsaufkommen". Wenn der Beschwerdeführer und der Zeuge O auch angegeben haben, daß "aufgelockerter Kolonnenverkehr" geherrscht habe, so kann unter Zugrundelegung des vom Beschwerdeführer detailliert dargestellten Sachverhaltes von "Fahrzeugreihen" im Sinne des § 2 Abs. 1 Z. 29 StVO 1960 keine Rede sein. Die belangte Behörde handelte daher nicht rechtswidrig, wenn sie das Fahrmanöver des Beschwerdeführers nicht als "Nebeneinanderfahren", sondern als "Überholen" qualifizierte.

Der Beschwerdeführer bemängelt ferner, daß die belangte Behörde nicht festgestellt habe, daß er vom Lenker des vor ihm fahrenden Fahrzeuges durch "(Hand)Zeichen zum (Rechts)Überholen aufgefordert" worden sei. Diese Ausführungen gehe ins Leere, weil derartige Handzeichen das gegen § 15 Abs. 1 StVO 1960 verstoßende Verhalten des Beschwerdeführers weder rechtfertigen noch entschuldigen könnten. Nach der genannten Vorschrift darf der Lenker eines Fahrzeuges außer in den hier nicht gegebenen Fällen des Abs. 2 und 2a dieser Bestimmung nur links überholen. Daß einem allfälligen Einverständnis des Lenkers des zu überholenden Fahrzeuges zu einem gegen dieses Gebot verstoßenden Rechtsüberholen eine rechtserhebliche Bedeutung zukäme, kann aus dem Gesetz nicht abgeleitet werden. Der Beschwerdeführer kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht mit Erfolg auf einen entschuldbaren (Rechts)Irrtum berufen, ist er doch verpflichtet, sich über die in Österreich geltenden, den Straßenverkehr betreffenden Vorschriften - einschließlich der die Strafbarkeit von rechtswidrigem Verhalten ausschließenden einschlägigen Schuldausschließungsgründen - ausreichend zu unterrichten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. März 1994, Zl. 93/03/0218).

Der Verwaltungsgerichtshof vermag auch nicht zu erkennen, daß die Umschreibung der als erwiesen angenommenen Tat im Spruch nicht dem Erfordernis des § 44a Z. 1 VStG entspricht. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers bedurfte es dabei nicht der "Angabe welches Fahrzeug der Beschwerdeführer rechtswidrig überholt haben soll", weil eine solche Angabe kein wesentliches Tatbestandsmerkmal der dem Beschwerdeführer zur Last liegenden Verwaltungsübertretung betrifft.

Da sich die gegen den Schuldspruch vorgebrachten Einwände somit nicht als stichhältig erweisen, war die Beschwerde in diesem Umfang gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

In Ansehung der Strafbemessung ist die Beschwerde jedoch berechtigt.

Gemäß § 19 Abs. 1 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat. Im ordentlichen Verfahren (§§ 40 bis 46) sind nach Abs. 2 der genannten Bestimmung überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.

Der belangten Behörde ist zwar darin beizustimmen, daß der Unrechtsgehalt der Tat und das Verschulden des Beschwerdeführers als beträchtlich zu werten sind; dem steht aber gegenüber, daß die Tat keine nachteiligen Folgen nach sich gezogen hat. Berücksichtigt man ferner, daß der Beschwerdeführer unbescholten ist, nur ein geringes Einkommen bezieht und kein Vermögen hat, so wurde mit der Verhängung einer Geldstrafe im Ausmaß der Hälfte der Höchststrafe des hier zur Anwendung kommenden Strafsatzes des § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960 auch unter Einbeziehung spezialpräventiver Erwägungen doch der der Behörde eingeräumte Ermessensspielraum überschritten. Bei einer alle für die Bemessung der Strafe maßgebenden Umstände berücksichtigen und gegeneinander abwägenden Ermessensübung hätte nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes eine niedrigere Geldstrafe verhängt werden müssen.

Der angefochtene Bescheid war daher in Ansehung des Ausspruches über die verhängte Strafe und die Kosten des Strafverfahrens gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1994030328.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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