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81/01 Wasserrechtsgesetz 1959Norm
B-VG Art139 Abs1 Z2Leitsatz
Gesetzwidrigkeit der Nitrat-Aktionsprogramm-Verordnung 2017 (NAPV 2017) des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft; Anspruch natürlicher und juristischer Personen auf Erlassung entsprechender Maßnahmen wie Aufhebung oder Änderung der NAPV 2017 gemäß dem – im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahren ergangenen – Urteil des EuGH; Verpflichtung des Bundesministers zur Setzung von Maßnahmen, um den Nitratgehalt im Grundwasser auf 50 mg/l gemäß der Nitrat-Richtlinie zu reduzierenRechtssatz
Die Nitrat-Aktionsprogramm-Verordnung idF BGBl II 385/2017 wird - mit Ausnahme von §2 Abs5 und Abs6 - als gesetzwidrig aufgehoben. §2 Abs5 und 6 der Nitrat-Aktionsprogramm-Verordnung idF BGBl II 385/2017 waren gesetzwidrig.
Mit EuGH 03.10.2019, Rs C-197/18, Wasserleitungsverband Nördliches Burgenland ua, wurde zusammenfassend festgestellt, Art288 AEUV sowie Art5 Abs4 und 5 und Anhang I Punkt A der Richtlinie 91/676/EWG zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigungen durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen (Nitrat-Richtlinie) seien dahin auszulegen, dass natürliche und juristische Personen wie die im Anlassfall beschwerdeführenden Parteien von den zuständigen nationalen Behörden verlangen können müssen, dass diese ein bestehendes Aktionsprogramm ändern oder zusätzliche Maßnahmen oder verstärkte Aktionen gemäß Art5 Abs5 Nitrat-Richtlinie erlassen, solange der Nitratgehalt im Grundwasser ohne solche Maßnahmen an einer Messstelle oder mehreren Messstellen iSd Art5 Abs6 der Richtlinie den Schwellenwert von 50 mg/l überschreitet oder zu überschreiten droht.
Nach dem Urteil des EuGH haben die im Anlassfall beschwerdeführenden Parteien einen rechtlich durchsetzbaren Anspruch auf Erlassung entsprechender Maßnahmen, wie etwa die Aufhebung oder Änderung der NAPV 2017. Urteile, die im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art267 AEUV ergehen, sind jedenfalls für alle mit dem Ausgangsverfahren befassten, aber auch für sonstige Behörden oder Gerichte bindend, welche dieselbe Rechtsfrage zu entscheiden haben. Die staatlichen Behörden sind verpflichtet, einen unionsrechtskonformen Rechtszustand herzustellen.
Gemäß §55p Abs1 WRG 1959 ist der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (nun: Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft) verpflichtet, "durch Verordnung Programme zur schrittweisen Reduzierung und Verhinderung der weiteren Verschmutzung der Gewässer (§30) durch direkte oder indirekte Ableitungen von Stickstoffverbindungen aus landwirtschaftlichen Quellen zu erlassen". Die im Rahmen dieser Programme zu ergreifenden Maßnahmen, Verfahren und Verhaltensweisen sowie deren Zielsetzungen werden in §55p Abs1 und 2 WRG 1959 näher beschrieben.
Die Verordnungsermächtigung in §55p WRG 1959 verpflichtet den Verordnungsgeber, die Vorgaben der Nitrat-Richtlinie umzusetzen. §55p WRG 1959 ist insbesondere im Hinblick auf die NAPV 2017 vom Verordnungsgeber richtlinienkonform, daher im Lichte der Nitrat-Richtlinie und deren Zielsetzung folgend auszulegen. Der Verordnungsgeber hat bei der Auslegung der Vorgaben der Nitrat-Richtlinie die Rsp des EuGH zu beachten.
§55p Abs1 WRG 1959 verpflichtet in der vorliegenden Konstellation auf Grund des Urteiles des EuGH den zuständigen Bundesminister dazu, Maßnahmen zu setzen, um die Überschreitung des in der Nitrat-Richtlinie festgelegten Schwellenwertes für den Nitratgehalt von 50 mg/l zu reduzieren bzw die Überschreitung dieses Schwellenwertes zu verhindern und damit die in den unionsrechtlichen Vorschriften gewährleisteten subjektiven Rechte umzusetzen.
Da der nach §55p Abs1 WRG 1959 zur Verordnungserlassung berufene Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (nun: Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft) mit seiner Verpflichtung zur Umsetzung der Nitrat-Richtlinie seit dem Urteil des EuGH säumig und seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist, verstößt die in Prüfung gezogene Verordnung gegen §55p Abs1 WRG 1959.
Entgegen dem Vorbringen des Bundesministers ändert an der Gesetzwidrigkeit auch nichts, dass er die NAPV 2017 mit der Novelle BGBl II 386/2022 einer Änderung unterzogen hat, die im Wesentlichen mit 01.01.2023 in Kraft tritt. Die vom Bundesminister gesetzten Schritte vermögen insbesondere vor dem Hintergrund des Zeitablaufes die Säumnis im Hinblick auf die geltende Verordnung nicht zu beseitigen.
Die bestehende Gesetzwidrigkeit der NAPV 2017 kann nur durch die Aufhebung der gesamten Verordnung beseitigt werden. Dem Verordnungsgeber stehen zur Umsetzung seiner im Lichte des Unionsrechts bestehenden Verpflichtungen gemäß §55p Abs1 WRG 1959 unterschiedliche Maßnahmen zur Verfügung. Eine Aufhebung einzelner Bestimmungen der Verordnung könnte eine Präformation der Entscheidung des Verordnungsgebers bewirken, die dem VfGH nicht zukommt. Zudem lässt auch der innere Zusammenhang der Verordnungsbestimmungen vor dem Hintergrund der umzusetzenden unionsrechtlichen Verpflichtungen eine Aufhebung einzelner Bestimmungen nicht zu.
Dem BMLFRW steht es frei, neue bzw bereits in der NAPV 2017 enthaltene Bestimmungen, die für die Herstellung eines gesetzeskonformen Zustandes notwendig sind, zu erlassen. Eine Prüfung, inwieweit die Novelle BGBl II 386/2022, die mit 01.01.2023 in Kraft tritt, §55p Abs1 WRG 1959 entspricht, ist dem VfGH im vorliegenden Verfahren verwehrt.
(Anlassfall E394/2021, B v 05.12.2022; Ablehnung der Behandlung der Beschwerde).
Entscheidungstexte
Schlagworte
Wasserrecht, EU-Recht Vorabentscheidung, Parteistellung Wasserrecht, Gewässerschutz, Reinhaltung der Gewässer, Gewässerverunreinigung, Umweltschutz, Naturschutz, Verordnungserlassung, Rechte subjektive öffentlicheEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:V220.2022Zuletzt aktualisiert am
22.12.2022