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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
Aufenthaltsrecht Bosnien-Herzegowina 1994;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Loibl, über die Beschwerde der SC in S, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 4. Oktober 1994, Zl. III 250-2/94, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1. Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (belangte Behörde), mit welchem gegen die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Republik Bosnien-Herzegowina, gemäß § 17 Abs. 1 in Verbindung mit § 19 des Fremdengesetzes (FrG) die Ausweisung verfügt worden ist. Diese Entscheidung wurde von der belangten Behörde im wesentlichen damit begründet, daß sich die Beschwerdeführerin seit ihrer Einreise in das Bundesgebiet im Juli 1992 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Sie verfüge weder über eine Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz noch über einen Sichtvermerk und auch über keine Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz 1991. Sie verfüge auch nicht über "ein Aufenthaltsrecht nach der Verordnung der Bundesregierung, BGBl. Nr. 402/1993 bzw. BGBl. Nr. 368/1994, weil sie ihre Heimat nicht "aufgrund der bewaffneten Konflikte verlassen mußte"". Die Beschwerdeführerin sei zwar im Sommer 1992 von Bosnien nach Österreich gekommen, sie habe jedoch selbst angegeben "nicht als Flüchtling nach Österreich gekommen (zu sein), sondern um mit ihrem Mann in einem gemeinsamen Haushalt zu leben". Der Ehegatte der Beschwerdeführerin habe vor der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck angegeben, daß er die Beschwerdeführerin und ihr gemeinsames Kind aus Bosnien "mit einem Bus nach Österreich gebracht hat" und zu dieser Zeit "noch keine bürgerkriegsähnlichen Zustände in unserem Heimatort herrschten", weshalb "meine Frau auch kein Flüchtling war".
Die Ausweisung der Beschwerdeführerin sei auch gemäß § 19 FrG zulässig. Sie bewirke zwar einen Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin, weil sich diese seit Juli 1992 im Bundesgebiet aufhalte und auch ihr Ehegatte sowie die in den Jahren 1991 und 1993 geborenen Kinder im Bundesgebiet aufhielten. Den Ehegatten der Beschwerdeführerin "hindert niemand daran, das Bundesgebiet zusammen mit der Berufungswerberin und den beiden Kleinkindern zu verlassen und so die Familieneinheit aufrechtzuerhalten". Der durch die Ausweisung bewirkte Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin sei im Hinblick auf das gewichtige öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen zur Erreichung des im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Zieles des Schutzes der öffentlichen Ordnung dringend geboten. "Gerade in Zeiten wie diesen" komme der genauen Einhaltung der mit dem Aufenthalt von Fremden im Zusammenhang stehenden Vorschriften ein hoher Stellenwert zu. Es könne nicht mit Grund angenommen werden, daß die Beschwerdeführerin "ohne fremdenpolizeilichen Druck" durch ihre Ausreise den rechtmäßigen Zustand herstelle.
Daß die Familie der Beschwerdeführerin aus der Gegend von Maglay in Bosnien stamme und daß dieser Ort "heiß umkämpftes Kriegsgebiet" gewesen sei, werde durchaus stimmen, nur könne die Beschwerdeführerin daraus nichts gewinnen. Daß sie im Juli 1992 nach Österreich gekommen sei, sei nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens nämlich nicht "auf den Krieg in ihrem Heimatland und Heimatort" zurückzuführen, sondern darauf, daß sie zu diesem Zeitpunkt von ihrem Ehemann in Bosnien abgeholt und nach Österreich gebracht worden sei.
Österreich habe "bekanntermaßen zahlreiche (darunter wohl auch "echte") bosnische Staatsbürger aufgenommen, Österreich nimmt aber nicht hin, daß die solcherart hier aufgenommenen "bosnischen Kriegsflüchtlinge" ihre im ehemaligen Jugoslawien zurückgebliebenen (Familien-) Angehörigen ohne vorherige Befassung der österreichischen Behörden nachholen". Daraus, daß im Heimatort der Beschwerdeführerin im Jänner und Februar 1993 "sehr hart gekämpft und alles zerstört worden ist", könne die Beschwerdeführerin nichts gewinnen, weil dies nichts daran ändere, "daß ihr Ehegatte sie im Juli 1992 (unbestrittenermaßen nicht aus einem Kriegsgebiet in Bosnien-Herzegowina) aus eigenem, ohne vorherige Befassung der österreichischen Behörden nach Österreich geholt hat".
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit welcher die Beschwerdeführerin dessen Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens unter Abstandnahme von der Erstattung einer Gegenschrift vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
3. Gemäß § 1 Abs. 1 der Verordnung der Bundesregierung über das Aufenthaltsrecht von kriegsvertriebenen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, BGBl. Nr. 368/1994, haben "Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina, die aufgrund der bewaffneten Konflikte in ihrer Heimat diese verlassen mußten, anderweitig keinen Schutz fanden und vor dem 1. Juli 1993 eingereist sind, ... ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet". Gemäß Abs. 2 der genannten Verordnungsstelle besteht weiters "für die nach dem 1. Juli 1993 eingereisten und einreisenden Personen gemäß Abs. 1, sofern die Einreise über eine Grenzkontrollstelle erfolgte, bei der sich der Fremde der Grenzkontrolle stellte und ihm entsprechend internationaler Gepflogenheiten die Einreise gestattet wurde", dieses Aufenthaltsrecht ebenfalls.
Gemäß § 17 Abs. 1 FrG sind Fremde "mit Bescheid auszuweisen, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten; hiebei ist auf § 19 Bedacht zu nehmen". § 19 FrG sieht u.a. vor, daß eine Ausweisung gemäß § 17 Abs. 1 FrG, durch welche in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen würde, nur zulässig ist, "wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten genannten Ziele dringend geboten ist".
4. Die Beschwerdeführerin hält den angefochtenen Bescheid deswegen für rechtswidrig, weil die Feststellung der belangten Behörde nicht zutreffe, daß sie nicht aufgrund der Kriegsereignisse in ihrem Heimatland und Heimatort nach Österreich gekommen sei, sondern nur um mit ihrem Ehemann im gemeinsamen Haushalt zu leben. Sie sei im Juli 1992 nach Österreich gekommen; in dieser Zeit hätten in Bosnien-Herzegowina bereits starke Kriegsereignisse geherrscht, und es habe sich auch bereits abgezeichnet, daß diese Kriegszustände nicht vor dem Winter beendet sein würden. In Österreich hätten damals schon die Aufrufe zu Spendenaktionen vor allem im Hinblick auf den harten zu erwartenden Kriegswinter für die Bosnier begonnen. Von diesen Kriegsereignissen sei das ganze Land Bosnien betroffen gewesen. Wenn auch nicht gleichzeitig in allen Teilen die gleich starke Kriegsauswirkung zu verspüren gewesen sei, so sei doch das gesamte Land vom Krieg betroffen und alle Bosnier hätten begreiflicherweise die gleiche Angst vor den fortschreitenden Ereignissen gehabt. Gerade Maglaj, zu dessen unmittelbarer Umgebung der Heimatort Strupina gehöre, sei bereits im Februar 1993, also nicht einmal ein halbes Jahr später, eines der am heißest umkämpften Gebiete in Bosnien gewesen. Daß sich die Kämpfe nach Maglaj ziehen würden, sei jedem Ortskundigen bereits im Sommer 1992 klar gewesen. Die Feststellung der belangten Behörde, daß die Beschwerdeführerin im Sommer 1992 ihr Heimatland und ihren Heimatort nicht (auch) aufgrund der Kriegsereignisse verlassen habe, sondern nur um mit ihrem Ehemann im gemeinsamen Haushalt zu leben, müsse "in absolutem Widerspruch zur Lebenserfahrung gewertet werden". Bosnien sei als ganzes Land vom Krieg erfaßt gewesen; ab dem Ausbruch des Krieges seien die Personen aus dem Kriegsgebiet als Flüchtlinge - zumindest im weiteren Sinne - in Österreich aufgenommen worden.
Mit diesen Ausführungen zeigt die Beschwerdeführerin die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Unbestritten ist im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, daß sie vor dem 1. Juli 1993 nach Österreich eingereist ist. Gemäß § 1 Abs. 1 der Verordnung der Bundesregierung BGBl. Nr. 368/1994 konnte sie als Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet erwerben, wenn sie aufgrund der bewaffneten Konflikte in ihrer Heimat diese verlassen mußte und anderweitig keinen Schutz gefunden hatte. Eine "vorherige Befassung der österreichischen Behörden", wie dies von der belangten Behörde verlangt wird, ist für die vor dem 1. Juli 1993 eingereisten Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina im Sinne dieser Verordnungsstelle nicht erforderlich. Zwar hat die Beschwerdeführerin am 19. April 1994 niederschriftlich angegeben, "daß ich nicht als Flüchtling nach Österreich gekommen bin, sondern um mit meinem Mann FC in einem gemeinsamen Haushalt zu leben". Aus dieser Aussage durfte die belangte Behörde jedoch (noch) nicht den Schluß ziehen, die Beschwerdeführerin habe Bosnien-Herzegowina nicht "aufgrund der bewaffneten Konflikte in ihrer Heimat" im Sinne der Verordnung der Bundesregierung BGBl. Nr. 368/1994 verlassen müssen. Durch Verordnungen gemäß § 12 AufG soll nämlich vertriebenen Fremden ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht in Österreich eingeräumt werden, "ohne daß die betroffenen Fremden einen Asylantrag stellen müssen, der, weil diese keine Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention sind, abgewiesen werden müßte" (vgl. die Erläuterungen zur Regierungsvorlage des Aufenthaltsgesetzes, 525 BlgNR. 18. GP, S 11). Auch aus der vom Ehegatten der Beschwerdeführerin am 20. Juni 1994 gemachten Angabe, daß "im Jänner 92 ... noch keine bürgerkriegsähnlichen Zustände in unserem Heimatort herrschten, und aus diesem Grund meine Frau auch kein Flüchtling war", kann nicht der Schluß gezogen werden, daß die Beschwerdeführerin, die ihren Heimatort nach den Feststellungen der belangten Behörde "Ende Juli 1992" verlassen hat, ihre Heimat nicht aufgrund der bewaffneten Konflikte verlassen mußte. Ein solcher Grund kann nämlich auch in einer konkret drohenden Ausweitung bewaffneter Konflikte gelegen sein. Die Beschwerdeführerin führte im Verwaltungsverfahren aus, daß sie "unmittelbar vor Kriegsausbruch in ihrem Heimatgebiet aus diesem von ihrem Mann abgeholt wurde und auch in ihre Heimat nicht zurück kann, da sie dort schwerste Verfolgung erwarten würde". Bei diesem Vorbringen hat sich die belangte Behörde mit den für die Ausreise der Beschwerdeführerin aus Bosnien-Herzegowina im Juli 1992 maßgeblichen objektiven Umständen nicht ausreichend auseinandergesetzt und aus diesem Grunde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.
5. Ob die von der Beschwerdeführerin gegen die angefochtene Ausweisung ins Treffen geführten - zweifellos gewichtigen - familiären Interessen im Hinblick auf ihr Zusammenleben im Bundesgebiet mit ihrem Ehegatten sowie zwei minderjährigen Kindern, von welchen eines in Österreich geboren ist, im Hinblick auf § 19 FrG berechtigt sind, kann im Hinblick auf die unter Pkt 4. gemachten Ausführungen dahinstehen.
6. Der angefochtene Bescheid war sohin gemäß § 42 Abs. 1 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war im Hinblick darauf abzuweisen, daß die Umsatzsteuer in den in der genannten Verordnung festgesetzten Pauschalbeträgen bereits enthalten ist und zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nur die Beilage einer Kopie des angefochtenen Bescheides notwendig war.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995210389.X00Im RIS seit
02.05.2001