TE Vwgh Erkenntnis 1996/1/25 95/06/0211

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Veröffentlicht am 25.01.1996
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Index

L37158 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Vorarlberg;
L81708 Baulärm Vorarlberg;
L82000 Bauordnung;
L82008 Bauordnung Vorarlberg;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §52;
AVG §8;
BauG Vlbg 1972 §29 Abs1;
BauG Vlbg 1972 §30 Abs1;
BauG Vlbg 1972 §6 Abs10;
BauRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. König, über die Beschwerde der S in I, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in D, gegen die Bezirkshauptmannschaft Bludenz (für die Vorarlberger Landesregierung), wegen Verletzung der Entscheidungspflicht mangels rechtzeitiger Erledigung einer Vorstellung in einer Bausache (mP: 1. E-Ges. m.b.H. in B, 2. Stadt Bludenz, vertreten durch den Bgm), zu Recht erkannt:

Spruch

Gemäß § 42 Abs. 4 VwGG in Verbindung mit § 83 des Vorarlberger Gemeindegesetzes, LGBl. Nr. 40/1985, wird die Vorstellung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid der Stadtvertretung der Stadt Bludenz vom 9. April 1993 abgewiesen.

Das Land Vorarlberg hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.980 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit einem am 10. August 1992 beim Bauamt der mitbeteiligten Stadt eingelangten Ansuchen beantragte die erstmitbeteiligte Partei die Erteilung der Baubewilligung für eine Terrassenwohnanlage mit insgesamt 16 Wohnungen auf der Gp n/3 in der Halde, KG Bludenz. Über dieses Ansuchen wurde mit Kundmachung vom 23. September 1992 eine mündliche Verhandlung für den 6. Oktober 1992 anberaumt. Der Beschwerdeführerin, die die Verlassenschaft nach H.S. vertreten hat, wurde die Ladung zu dieser Verhandlung, in der auch auf die Präklusionsfolgen hingewiesen wurde, am 30. September 1992 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 1. Oktober 1992 wies die Beschwerdeführerin darauf hin, daß sie die Ladung erst am 30. September erhalten habe; da bis zur Verhandlung am 6. Oktober eine entsprechende Vorbereitung nicht möglich sei, ersuche sie um Vertagung der Verhandlung. Jedenfalls erhebe sie Einwendungen, daß die Abstände zu ihrer Liegenschaft nicht eingehalten würden, das Gebäude unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse zu hoch und auch die Bebauungsdichte zu hoch sei, das Gelände mit Hanglage zur Bebauung nicht geeignet und die Liegenschaft nicht erschlossen sei. Eine abschließende Stellungnahme könne erst abgegeben werden, wenn die Beschwerdeführerin Gelegenheit gehabt habe, sich ausreichend über das Bauvorhaben zu informieren. In der Verhandlung vom 6. Oktober 1992 (an der die Beschwerdeführerin nicht teilgenommen hat) erklärte der hochbautechnische Amtssachverständige, ein Gutachten in schriftlicher Form nachzureichen, wenn verschiedene ergänzende Unterlagen vorlägen. Der geologische Sachverständige würde sein Gutachten ebenfalls in schriftlicher Form nachreichen. Am 12. Jänner 1993 legte der bautechnische Sachverständige die seiner Ansicht nach erforderlichen baupolizeilichen Vorschreibungen dem Bauamt vor. Diese Vorschreibungen und eine Ablichtung der Verhandlungsniederschrift sowie des geologischen Gutachtens wurden der Beschwerdeführerin zur Kenntnis gebracht, die dazu ausführte, die vorliegenden Pläne seien unvollständig und fehlerhaft; angesichts des in jeder Hinsicht überdimensionierten Projektes müßten gemäß § 6 Abs. 10 des Vorarlberger Baugesetzes größere Abstandsflächen festgesetzt werden, die vorgelegten beantragten "baupolizeilichen Vorschreibungen" erfüllten in keiner Hinsicht die Anforderungen an ein Gutachten, es bedürfe zufolge des § 29 Abs. 1 des Vorarlberger Baugesetzes unbedingt der Einholung eines bautechnischen Gutachtens. Aus der baugeologischen "Beurteilung" Dris. Bertle gehe hervor, daß das Baugrundstück für das überdimensionierte Großprojekt nicht geeignet sei, weil eine einwandfreie, insbesondere die Gesundheit der Nachbarschaft nicht gefährdende Entsorgung der Abwässer nicht gewährleistet sei.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom 4. März 1993 wurde der erstmitbeteiligten Partei die beantragte Baubewilligung unter Vorschreibung zahlreicher Auflagen erteilt. Die Einwendungen der Beschwerdeführerin wurden teils ab-, teils zurückgewiesen. Die gegen diesen Bescheid eingebrachte Berufung der Beschwerdeführerin hat die Stadtvertretung der Stadt Bludenz mit Bescheid vom 9. April 1993 abgewiesen. Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin Vorstellung erhoben, nach Einbringung einer Säumnisbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof hat die Bezirkshauptmannschaft Bludenz einen mit 22. September 1994 datierten Bescheid erlassen, mit dem die Vorstellung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid der Stadtvertretung der Stadt Bludenz abgewiesen wurde. Aufgrund der Erlassung des Bescheides durch die Bezirkshauptmannschaft Bludenz hat der Verwaltungsgerichtshof das Beschwerdeverfahren mit Beschluß vom 20. Oktober 1994 wegen Klaglosstellung eingestellt. Gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bludenz vom 22. September 1994 erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof mit der Begründung, zum Zeitpunkt der Zustellung der Erledigung der Bezirkshauptmannschaft Bludenz sei die Zuständigkeit schon auf den Verwaltungsgerichtshof übergegangen. Mit Erkenntnis vom 23. Februar 1995 behob der Verwaltungsgerichtshof den genannten Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bludenz vom 22. September 1994 wegen Unzuständigkeit der Behörde. Einem rechtzeitig gestellten Antrag auf Wiederaufnahme des mit Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Oktober 1994 abgeschlossenen Verfahrens hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluß vom 14. September 1995 stattgegeben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Aufgrund des rechtzeitig gestellten Wiederaufnahmeantrages,

dem der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluß vom 14. September 1995 gemäß § 45 VwGG stattgegeben hat, ist der Verwaltungsgerichtshof nunmehr zuständig, in der Sache selbst anstelle der säumigen Behörde über die Vorstellung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid der Stadtvertretung Bludenz vom 9. April 1993 zu entscheiden. Gemäß § 62 Abs. 2 VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof hiebei jene Verwaltungsvorschriften anzuwenden, die die säumig gewordene Behörde anzuwenden gehabt hätte, im vorliegenden Fall somit § 83 des (Vorarlberger) Gemeindegesetzes, LGBl. Nr. 40/1985.

In der Sache selbst hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Für den Beschwerdefall sind insbesondere folgende Bestimmungen des Vorarlberger Baugesetzes, LGBl. Nr. 39/1972 in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 47/1983 (BauG), von Bedeutung:

"§ 30

(1) Über Einwendungen der Nachbarn, die sich auf Rechte stützen, die durch folgende Vorschriften begründet werden, ist in der Erledigung über den Bauantrag abzusprechen:

a)

§ 4, soweit mit Auswirkungen auf Nachbargrundstücke zu rechnen ist;

b)

§ 6, insoweit er den Schutz der Nachbarn aus Rücksichten des Brandschutzes und der Gesundheit, insbesondere Belichtung, Luft und Lärm, betrifft;

c)

§ 9 Abs. 1 hinsichtlich von Einfriedungen an der Grenze eines Nachbargrundstückes;

d)

§ 12 Abs.1, insoweit er sich auf Einrichtungen auf Nachbargrundstücken bezieht, die eines besonderen Schutzes gegen Lärm und sonstige Belästigungen bedürfen;

e)

§ 17, soweit mit Auswirkungen auf Nachbargrundstücke zu rechnen ist;

f)

§ 37 Abs. 4, soweit er dem Schutz der Nachbarn dient.

(2) Einwendungen der Parteien, mit denen die Verletzung anderer als im Abs. 1 genannter öffentlich-rechtlicher Vorschriften behauptet wird, sind als unzulässig zurückzuweisen, Einwendungen, die sich auf das Privatrecht stützen, sind auf den Rechtsweg zu verweisen."

"§ 4

Beschaffenheit der Baugrundstücke

(1) Baugrundstücke für Gebäude müssen eine solche Lage, Form und Größe haben, daß auf ihnen den Bestimmungen dieses Gesetzes entsprechende Gebäude errichtet werden können. Sie dürfen nicht durch Lawinen, Hochwasser, Vermurungen, Steinschlag, Rutschungen u.dgl. gefährdet sein. Eine Baubewilligung (§ 31) darf nur erteilt werden, wenn solche Gefahren durch entsprechende Auflagen oder Bedingungen abgewendet werden können.

(2) Jedes Baugrundstück muß eine rechtlich gesicherte Verbindung mit einer öffentlichen Verkehrsfläche haben, wobei diese Verbindung und die öffentliche Verkehrsfläche der beabsichtigten Verwendung des Gebäudes entsprechen müssen, das auf dem Baugrundstück errichtet werden soll. Überdies muß eine entsprechende Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung gesichert sein.

.....

§ 6

(10) Die Behörde kann auch größere als in den Abs. 2 bis 8 vorgeschriebene Abstandsflächen und Abstände festsetzen, wenn der Verwendungszweck eines Bauwerkes eine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung oder eine Gefährdung der Nachbarn erwarten läßt."

Wie sich aus § 30 Abs. 2 BauG ergibt, sind die Nachbarrechte in § 30 Abs. 1 leg. cit. erschöpfend aufgezählt. Das bedeutet, daß dem Nachbarn im Baubewilligungsverfahren lediglich ein eingeschränktes Mitspracherecht eingeräumt wird; nur die in § 30 Abs. 1 BauG genannten Baurechtsnormen begründen subjektiv-öffentliche Rechte, deren Verletzung auch der Nachbar geltend machen kann, dies allerdings unter der Voraussetzung, daß eine solche Verletzung rechtzeitig im Sinne des § 42 AVG eingewendet worden ist. Der Nachbar besitzt jedoch keinen Rechtsanspruch darauf, daß das Bauvorhaben sämtlichen baurechtlichen Bestimmungen entspricht. Die Prüfungsbefugnis der Berufungsbehörde ist bei beschränkter Parteistellung des Berufungswerbers, wie dies in Ansehung von Nachbarn nach § 30 Abs. 1 BauG der Fall ist, auf jenen Themenkreis beschränkt, in dem der Nachbar mitzuwirken berechtigt ist (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Dezember 1980, Slg. Nr. 10317/A, sowie das hg. Erkenntnis vom 24. Jänner 1991, Zl. 89/06/0106).

Das Grundstück der Beschwerdeführerin liegt der zu bebauenden Grundfläche gegenüber und ist von dieser durch die öffentliche Verkehrsfläche "in der Halde" getrennt. Den einen Bestandteil der Baubewilligung bildenden Plänen ist zu entnehmen, daß das Bauvorhaben gegenüber der Beschwerdeführerin die gesetzlichen Mindestabstände und Abstandsflächen einhält. Gemäß § 6 Abs. 6 des Baugesetzes dürften die Abstandsflächen dann, wenn das Bauvorhaben an eine öffentliche Verkehrsfläche grenzt, sogar bis zur Hälfte in diese Verkehrsfläche ragen. Wenn die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang rügt, daß die Pläne unvollständig seien, kann diese Rüge der Vorstellung schon deshalb nicht zum Erfolg verhelfen, weil sich aus den Plänen jedenfalls ergibt, daß gegenüber der Grundfläche der Beschwerdeführerin die erforderlichen Abstände eingehalten werden. Das Vorstellungsvorbringen betreffend die allgemeine Behauptung über die Unvollständigkeit der Planunterlagen vermochte keine Rechtsverletzung der Beschwerdeführerin darzutun, zumal der Nachbar kein Recht darauf besitzt, daß die Planunterlagen und sonstigen Belege vollständig und der Rechtslage entsprechend der Baubehörde vorgelegt werden; die Planunterlagen müssen nur ausreichen, um dem Nachbarn jene Informationen zu vermitteln, die er zur Verfolgung seiner Rechte im Verwaltungsverfahren benötigt (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 26. März 1985, Zl. 84/05/0233, BauSlg. Nr. 418).

In der Vorstellung wird gerügt, daß nicht gemäß § 6 Abs. 10 des Baugesetzes unter Berücksichtigung der "überdimensionierten Anlage" größere Abstandsflächen und Abstände festgesetzt worden seien. Mit diesem Themenkreis hat sich der Verwaltungsgerichtshof schon wiederholt auseinandergesetzt. So hat er in seinem Erkenntnis vom 9. Juni 1994, Zl. 94/06/0058, ausgeführt, daß größere Abstände nur dann festzusetzen sind, wenn der VerwendungsZWECK eines Bauwerkes eine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung oder Gefährdung der Nachbarn erwarten läßt. Es seien aber Immissionen hinzunehmen, wenn sie sich im Rahmen des nach der Widmungskategorie üblichen Ausmaßes halten, und zwar auch dann, wenn sie das Ausmaß der in der unmittelbaren Umgebung eines Wohnhauses feststellbaren Immissionen übersteigen. Die konsensgemäße Verwendung einer Wohnanlage im Wohngebiet könne aber im Hinblick auf den Verwendungszweck keine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung oder Gefährdung der Nachbarn herbeiführen, weil der Verwendungszweck von Wohnbauten (im damaligen Beschwerdefall mit 27 Wohnungen) kein anderer ist als der in Einfamilienhäusern, und auch typenmäßig keine ortsunübliche Art von Immissionen zu erwarten sei. Der Verwaltungsgerichtshof sieht keine Veranlassung, von dieser Rechtsansicht abzurücken. Da der Verwendungszweck einer Wohnanlage mit 16 Wohnungen derselbe ist wie jener in Einfamilienhäusern, ist entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin auch die Zuziehung eines medizinischen Sachverständigen zu der Frage, ob eine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung oder Gefährdung der Nachbarn zu erwarten ist, entbehrlich.

Hinsichtlich der Abwasserbeseitigung kam der geologische Sachverständige zu dem Schluß, daß zwar die Ableitung von Schmutzwässern in ein Mehrkammersystem eine ungünstige Lösung sei (die aber nicht zum Tragen kommt, weil zwischenzeitig das Ortskanalnetz errichtet wurde), in bezug auf die Oberflächenwässer führte er aber schlüssig aus, daß die Versickerungsschächte ohnedies überdimensioniert seien und sohin dem schlecht durchlässigen Bodenmaterial Rechnung getragen werde.

Mit dem Vorbringen, es sei in der mündlichen Verhandlung kein technisches und raumplanerisches Gutachten erstellt worden, vermag die Beschwerdeführerin die Verletzung eigener subjektiv-öffentlicher Rechte gemäß § 30 Abs. 1 BauG nicht darzutun.

Da sich die Vorstellung somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 83 des Gemeindegesetzes abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Sachverständiger Entfall der Beiziehung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995060211.X00

Im RIS seit

03.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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